Kaiserliche Balkonreden

Kaiserliche Balkonreden

Als Balkonreden oder Balkonansprachen bezeichnet man zwei kurze Reden, die der deutsche Kaiser Wilhelm II. am 31. Juli (1. Balkonrede) bzw. am 1. August (2. Balkonrede) 1914 vom Balkon des Berliner Stadtschlosses an eine auf dem Schlossplatz versammelte Volksmenge hielt. Die Reden waren durch die sich anbahnende bzw. die tatsächlich erfolgte Eskalation der sogenannten Julikrise - bzw. der „Mobilmachungskrise“ als der finalen Verschärfung der Julikrise - in einen deutsch-russischen Krieg motiviert. Dieser deutsch-russische Krieg, der aufgrund der konträren Interessen beider Staaten aus dem österreichisch-serbischen Krieg, der wenige Tage zuvor mit dem Beschuss von Belgrad begonnen hatte, mündete schließlich aufgrund verschiedener Bündnisse und Militäraktionen, die die Einbeziehung weiterer Parteien in den Konflikt nach sich zogen, in den Ersten Weltkrieg.

Inhaltsverzeichnis

Erste Balkonrede

In der ersten Balkonrede, die Wilhelm am 31. Juli vor dem Hintergrund der russischen Vollmobilmachung vortrug, eröffnete er dem Volk, dass „Neider überall (...) uns zu gerechter Verteidigung“ zwängen, dass das deutsche Volk sich mit dem „Schwert in der Hand“ wehren müsse, sofern es ihm nicht gelänge, die „Gegner in letzter Minute zum Einsehen“ zu bringen. Er empfahl seinen Untertanen, in die Kirche zu gehen und für den Erhalt des Friedens und für „unser braves Heer“ zu beten und erklärte, ein „Reizen Deutschlands“ und ein Angriff auf das Deutsche Reich käme seine Gegner teuer zu stehen.

Zweite Balkonrede

Die zweite Balkonrede hielt Wilhelm am Abend des 1. August 1914 anlässlich der deutschen Kriegserklärung an Russland. Diese war erfolgt, nachdem das Zarenreich der ultimativ gestellten deutschen Aufforderung zu Rücknahme seiner Generalmobilmachung nicht nachgekommen war. Es war die erste Kriegsrede des Kaisers im 1. Weltkrieg. In ihr griff der Kaiser seine pathetisch-bildreiche Diktion vom Vortag wieder auf und dankte den Versammelten für ihre „Liebe und Treue“ in den Tagen der diplomatischen Krise. Angesichts der kriegerischen Verwicklung mit dem Ausland beschwor er die nationale Einheit und gewährte seinen innenpolitischen Gegnern (d. h. der Sozialdemokratie) in einer generös intonierten rhetorischen Geste „Vergebung“ für ihre Angriffe in der Vergangenheit. Schließlich gelobte er in feierlicher Gebärde, er kenne „keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr“, stattdessen seien „wir (..) heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder“. Diese Formel griff er in abgewandelter Form am 4. August 1914 in seiner berühmten Reichstagsrede auf, in der er verkündete „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“. Zuletzt vermerkt er noch, Deutschlands „Nachbar (...) gönnt (...) uns den Frieden nicht“ und machte erneut Anleihen in der Sprache des Rittertums, indem er erklärte, „unser gutes deutsches Schwert“, wie er zu Gott hoffe, werde „siegreich aus diesem schweren Kampf“ hervorgehen.

"3. Balkonrede"

Gelegentlich wird auch die von Karl Liebknecht am 9. November 1918, am Tag des Waffenstillstandes, vom Balkon des Stadtschlosses aus gehaltene Rede, in der dieser die Deutsche Sozialistische Republik ausrief, als Balkonrede bezeichnet. Grund hierfür ist vermutlich vor allem der Symbolismus, der entsteht durch die Kontrastierung der kaiserlichen Rede zu Beginn des Weltkrieges, die ja gewissermaßen die Ouvertüre des Völkerringens bildete, und der Rede des sozialistischen Revolutionärs von eben demselben Balkon am Waffenstilstandstag, als dem Schlussakt des „sinnlosen Sterbens“. Während die Balkonrede 1914 einen Ausdruck der hochfliegenden imperialistischen Ziele des deutschen Monarchismus darstellte, versinnbildlichte die Balkonrede 1918 ihren Untergang und brachte damit bündig die Diskrepanz zwischen der Erwartungshaltung, mit der man in den Krieg zog, und seinem Ergebnis auf den Punkt.

Quellen

  • Kriegs-Rundschau. Zeitgenössische Zusammenstellung der für den Weltkrieg wichtigen Ereignisse, Urkunden, Kundgebungen, Schlacht- und Zeitberichte. Hrsg. v. der Täglichen Rundschau. Bd. 1: Von den Ursachen des Krieges bis etwa zum Schluß des Jahres 1914, Berlin 1915, S. 37.

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