Kallikles

Kallikles

Kallikles (Καλλικλῆς) war ein griechischer Sophist am Ende des 5. Jahrhundert v. Chr., Schüler des Gorgias. Einzige Quelle für ihn ist Platons Dialog Gorgias.

Platon lässt Kallikles als extremen, argumentativ aber eher schwachbrüstigen Vertreter der von Sokrates bekämpften Theorie der relativen, zweckgebundenen Werte auftreten, denen Sokrates und Platonismus die absoluten gegenüberstellen. Kallikles sieht in der Rechtsetzung und Aufrichtung der Moral das Mittel der Schar von Schwachen und Mittelmäßigen, die wahrhaft starken Individuen zu überwinden. Also könne das Recht kein absoluter Wert sein.

Kallikles geht in seiner Rede davon aus, dass die Stärksten auch die Besten sind. Von Natur aus sei allemal das Schwächere auch das Schlechtere. Er behauptet, dass diejenigen, die die Gesetze geben – also das Volk – die Schwachen seien, und wirft ihnen vor, dass sie Gesetze nur im Hinblick auf ihren eigenen Vorteil schaffen. Er prägt die Aussage: to hätto logon kreito poein (das schwächere Argument zum stärkeren machen, was ironischerweise in der Apologie des Sokrates als Anklage des Meletos wieder auftaucht). Kallikles ist im rationalen Sinn wertfrei, er besitzt nur im irrationalen Sinn Moral (Scham). Ihm kommt es nur darauf an, sich durchzusetzen. Die physischen Ansätze sind sicherlich nur aus Gründen der Dramaturgie gewählt. Letztlich ist die Figur des Kallikles ein "Kopfmensch", dem an der physischen Konfrontation nicht gelegen ist.

Weiterhin ist Kallikles der Meinung, dass der Stärkere von Natur aus mehr haben solle als der Schwächere, der tüchtigere Mann mehr als der weniger tüchtige. Anhand vieler Beispiele, nicht zuletzt solcher aus dem Tierreich, versucht er zu zeigen, dass es ein Gesetz der Natur und daher gerecht sei, wenn der Stärkere über den Schwachen herrsche und auch mehr besitze als dieser. Dabei begeht Kallikles einen sogenannten "Naturalistischen Fehlschluss": Er leitet von dem, was ist, auf ein moralisches Sollen ab.

Kallikles prophezeit den Tag, an dem das Recht der Natur in all seinem Glanz erstrahlen und einer der Besten die Kraft besitzen wird, sich all den „unnatürlichen“ Gesetzen zu widersetzen, sich von den Fesseln der Sklaverei loszureißen und sich als Herr zu offenbaren.

Außerdem widerspricht Kallikles der These Platons, dass der Philosophenstand der beste sei. Er behauptet vielmehr, dass die Philosophie zum Verderben führe, wenn ein Mann sich in seiner Jugend mit ihr mehr als nötig beschäftige, weil jede Begabung nichts helfe, wenn jemand zu viel philosophiere. Denn dann fehle ihm die Erfahrung in den Dingen, die ein Mann kennen muss, der tüchtig und angesehen werden will. Die Philosophen haben nach Kallikles’ Auffassung keine Menschenkenntnis, wissen nichts von menschlichen Begierden und Lüsten und auch nichts von den Gesetzen des Staates.

Neben dem "naturalistischen Fehlschluss", auch als Verstoß gegen die Sein/Sollen-Stichometrie bezeichnet, begeht Kallikles ferner grotesk anmutende logische Fehler: Aufgrund des Fehlens einer Definition des Begriffes Stärke verstrickt Kallikles sich in absurde logische Fehler. Einerseits meint er aus Stärke ergebe sich Recht, was Ausdruck einer unzureichenden begrifflichen Auseinandersetzung mit dem Recht ist, sieht aber ein Übel in der gemeinschaftlich ausgeübten Stärke seiner "Schwachen". Für Kallikles bedeutet Stärke, sich gegenüber anderen durchzusetzen. Gleichzeitig beschränkt er die Stärke auf den Einzelnen, stark könne nur der Einzelne sein. Dies steht im Widerspruch zu der von ihm geschilderten Stärke der "Schwachen", die es vermögen die individuell Starken durch die Schranken von Moral und Gesetz zu fesseln. Ihm nach sind also die "Starken" gleichzeitig schwach und die "Schwachen" gleichzeitig stark. Problematisch ist, warum der gegenwärtige Zustand dann keine Herrschaft der Stärke sein soll. All diesen Konsequenzen stellt sich Kallikles in seiner emotionalen und bildreichen Rede nicht und dient so einer platonischen Diffamierung der von ihm geäußerten Gedanken der zweckgebundenen Werte, die so unverständlich und logisch fehlerhaft miteinander verbunden sind, dass sie nicht zu überzeugen vermögen.

Literatur

  • Joachim Dalfen (Hg.): Platon Werke, Band 6,3: Gorgias. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004. Darin: Abschnitt Kallikles, S. 132-137. ISBN 978-3-525-30422-8.
  • H. Draheim, Wer ist Kallikles?, Woch. Kl. Phil. 1911, S.364-366
  • Fr. Levy, Die Gestalt des Kallikles in Platons Gorgias, Sokrates 8, 1920, S.301 ff.

Weblinks


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