Karl Gröhl

Karl Gröhl

Karl Retzlaw (* 10. Februar 1896 in Schneidemühl; † 20. Juni 1979 in Frankfurt am Main, eigentlich Karl Gröhl) war ein deutscher sozialistischer Politiker und Publizist. Seine Memoiren (s. Literatur) sind eine faszinierende Quelle eines Arbeiters, der für die KPD wirkte. Sie vermitteln Einblicke in die Politik der Partei, aber auch in das Leben der Proletarier in der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, die jenseits von Schmähung und Vergötterung sind.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der aus einer baptistischen Arbeiterfamilie stammende Retzlaw siedelte 1908 nach Berlin über, wo er nach der Absolvierung der Volksschule in einer Bronzegiesserei arbeitete und sich einer sozialistischen Arbeiterjugendgruppe anschloss. Dort engagierte er sich sehr für die Interessen der Arbeiter. 1915, im Alter von 19 Jahren kam er über Flugblätter mit der „Spartakusgruppe“ in Berührung, für die er sich fortan konspirativ engagierte.

Als Gegner der Burgfriedenspolitik der SPD, welcher er während des Ersten Weltkrieges beigetreten war, schloss er sich 1917 der USPD an. Im Berliner Kabelwerk Cassirer arbeitete er zu dieser Zeit als Werkzeugschleifer und wurde von den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern als Vertrauensmann gewählt.

1918 verweigerte er mit 21 Jahren anlässlich eines Befehls zur Musterung den Kriegsdienst und wurde im gleichen Jahr noch verhaftet, wegen „Nichtbefolgung des Gestellungsbefehls“ zu sechs Monaten Haft verurteilt und in das Militärgefängnis Osowiec (Polen) gebracht. Anfang November 1918, wenige Tage vor Ende des Ersten Weltkriegs wurde Karl Retzlaw entlassen und kam nach Berlin zurück.

Die deutsche Revolution 1918-19

Dort erlebte er die Novemberrevolution, an der er als Mitglied des Spartakusbundes an der Seite von Karl Liebknecht aktiv teilnahm. Anfang 1919 trat Retzlaw der gerade neugegründeten KPD bei. Nach der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs im Spartakusaufstand kämpfte Retzlaw zusammen mit Leo Jogiches gegen die Berliner Freikorps- und Polizeidiktatur von Gustav Noske, durch welche die SPD-Regierung eine Revolution nach russischen Vorbild mit Gewalt zu unterdrücken suchte. Nach der Ermordung Jogiches in der Niederschlagung der Berliner Märzkämpfe floh Retzlaw aus Berlin nach München.

In München angekommen, suchte er den Kontakt zu Max Levien, dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Bayerns. Hier unterstütze Retzlaw die Bildung der Münchner Räterepublik, gegen die, nach der Ermordung des ersten Bayrischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (USPD) an die Macht gekommene Regierung Hoffmann. Nach der Organisation des Generalstreiks vom 7. April 1919 wurde er Kommissar für das Polizeiwesen und Münchner Polizeipräsident. Nach den Erfahrungen mit dem Polizeiterror in Berlin und vor dem Hintergrund der sich formierenden Gegenbewegungen, ordnete Retzlaw als Sicherheitsmaßnahme die Vernichtung sämtlicher Polizeiakten an. Das Heraussuchen der Akten gegen„ politische“ Oppositionelle der Regierung Hoffmann hätte zu lange gedauert.

„Menschenleben sind wichtiger als bedrucktes Papier. Die Akten brannten zwei Tage lang auf dem zementierten Hof des Polizeipräsidiums...“, so Retzlaw in seinem 1971 erschienen Buch Spartakus, Aufstieg und Niedergang.

In der Illegalität

Nach der Niederschlagung der Räterepublik lebte Retzlaw längere Zeit unter falscher Identität und arbeitete als hauptamtlicher Funktionär der KPD, so als stellvertretender Bezirksleiter in Brandenburg, als Geschäftsführer des Komintern-Verlages Verlagsbuchhandlung Carl Hoym Hamburg und als Leiter des illegalen Apparates der Partei, wobei er hier eng mit James Thomas zusammenarbeitete. In dieser Zeit baute er unter der Identität des „Karl Friedberg“ den Nachrichtendienst der KPD aus. Die Befreiung von Kommunisten aus dem Gefängnis und Sabotage bildeten den Schwerpunkt seiner damaligen Arbeit. So versuchte Retzlaw auch erfolglos den seit 1921 einsitzenden Max Hoelz zu befreien. Zwischen 1919 und 1926 unternahm Retzlaw mehrfach auch zusammen mit anderen Kommunisten - Walter Ulbricht, Hermann Duncker oder August Thalheimer - Reisen in die Sowjetunion. Mehrere Besuche auf Einladung des neuen Mitgliedes des neuen Inneren Direktoriums der Sowjetregierung Josef Stalin konnten nur unter hohen persönlichem Risiko unternommen werden, da diese bis 1920 in die Zeit des Russischen Bürgerkrieges fielen. Ein Höhepunkt seines Lebens stellte nach eigenen Berichten der Besuch des letzten öffentlichen Vortrages Lenins, anlässlich der Vorstellung einer „Neuen Ökonomischen Politik der Sowjetunion“ im Jahr 1921 dar, an der er auch mit Stalin zusammentraf.

Im Februar 1926 verhaftet, wurde Retzlaw im Juni 1927 wegen seiner politischen Aktivitäten vom Reichsgericht Leipzig zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt und im Juli 1928 amnestiert.

Retzlaw hatte sich mittlerweile vor dem Hintergrund der Politik der Führungen von KPD und Komintern und der Erfahrungen während der Besuche in der Sowjetunion zu einem Kritiker der Linie von Stalin und Thälmann entwickelt und sympathisierte mit den Positionen Trotzkis. Dennoch fand er nach seiner Haftentlassung eine Anstellung als Geschäftsführer bei dem von Willi Münzenberg geleiteten Neuen Deutschen Verlag.

Exil

Nach der Machtübernahme der NSDAP und dem Reichstagsbrand tauchte Retzlaw zunächst unter und reiste dann im Februar 1933 nach Moskau, um der Kominternführung über die aktuellen Entwicklungen in Deutschland zu berichten. Hierbei warnte er ausdrücklich vor einer Fehleinschätzung der friedlichen Koexistenz Hitler-Deutschlands mit der Sowjetunion. Eine Meinung, die er später in einem persönlichem Brief an Stalin wiederholen sollte.

Um einer Verhaftung durch die Nazis zu entgehen, siedelte er nach seinem Aufenthalt in der Sowjetunion in die Schweiz über. Dort traf er mit dem späteren Herausgeber der Frankfurter Rundschau Karl Gerold zusammen. Im November 1933 erklärte er dann seinen Austritt aus der KPD und schloss sich den trotzkistischen Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) an.

1934 siedelte er ins Saarland über, wo er sich intensiv am Kampf gegen den Anschluss des Gebietes an Deutschland beteiligte. Er arbeitete dort als Kultursekretär der saarländischen Sozialdemokraten. Nach der Abstimmungsniederlage flüchtete er im Januar 1935 nach Frankreich, hier beteiligte er sich an Aktivitäten gegen deutsche Waffenlieferung an Franco während des spanischen Bürgerkrieges. Nach Kriegsbeginn 1939 bis 1940 kurzzeitig interniert, floh er im Sommer 1940 vor der anrückenden Wehrmacht über Südfrankreich nach Lissabon. In einem Zeitungskiosk in Marseille kaufte er eine Zeitung, aus der er von der Ermordung Trotzkis erfuhr.

"Die Nachricht von der Ermordung Trotzkis traf mich so schwer, wie mich 21 Jahre früher die Nachricht von der Ermordung Luxemburgs und Liebknechts traf. Auf den Stalin - Hitler - Pakt war nun die Ermordung des von beiden am meisten gehassten Revolutionärs gefolgt. Der schöpferische Geist Trotzkis, der der Sowjetunion neue Impulse auf dem Wege in zur sozialistischen Gesellschaftsordnung geben konnte, war nicht mehr. Die verschlagene Grausamkeit Stalins sollte noch Hekatomben des eigenen Volkes und auch der Sozialisten in der ganzen Welt opfern, kein Trotzki trat ihm mehr entgegen."

In Lissabon angekommen, flog ihn der britische Geheimdienst am 9. Oktober 1940 nach weiter nach Großbritannien. Im britischen Exil gründete er den Bund Deutscher Revolutionärer Sozialisten - BDRS - in der Deutschen Demokratischen sozialistischen Föderation und war in der Fight for Freedom-Gruppe aktiv. In London blieb er über die Kanäle des Britischen Nachrichtendienstes auch mit dem in der Schweiz gebliebenen Karl Gerold in Verbindung. 1946 kehrte Retzlaw ins Saarland zurück und trat der SPD bei, hielt aber freundschaftliche Beziehungen zu seinen Genossen aus der IKD aufrecht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Daneben arbeitete er als Angestellter bei der Frankfurter Rundschau für Karl Gerold (ab 1954 war Gerold der alleinige Herausgeber, Chefredakteur und Mehrheitsgesellschafter der FR) und war im Bund der Verfolgten des Naziregimes und dem Verband für Freiheit und Menschenwürde aktiv und gründete 1973 gemeinsam mit u.a. Augustin Souchy, Peter Bernhardi und Peter Maslowski das linke Diskussionsforum Arbeitskreis Karl Liebknecht.

Literatur

  • Retzlaw, Karl (d.i. Karl Gröhl): Spartakus – Aufstieg und Niedergang. Erinnerungen eines Parteiarbeiters, Frankfurt am Main (Neue Kritik) 1971 (und mehrere folgende Auflagen) ISBN 3-8015-0096-9 (online als PDF)
  • Jörg Später: Die Kritik des »anderen Deutschland«: jour fixe initiative berlin (Hg.): Fluchtlinien des Exils. Münster 2004. ISBN 3-89771-431-0

Weblinks


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