Kindererziehungszeit

Kindererziehungszeit

Die Kindererziehungszeit ist eine in der gesetzlichen Rentenversicherung Deutschlands relevante rentenrechtliche Zeit. Sie wurde 1986 in das deutsche Rentenversicherungssystem unter dem Schlagwort Babyjahr eingeführt. Eine Kindererziehungszeit wird bei der Rentenberechnung rentenbegründend und rentensteigernd als Pflichtbeitragszeit gewertet. Nach der gesetzlichen Definition in § 56 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sind Kindererziehungszeiten Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für Kinder, die vor dem 1. Januar 1992 geboren sind, beträgt die Kindererziehungszeit nur ein Jahr (§ 249 SGB VI). Mütter der Geburtsjahrgänge bis 1920 (Beitrittsgebiet: bis 1927) erhalten keine Kindererziehungszeiten. Für sie kommen stattdessen Kindererziehungsleistungen gemäß §§ 294 - 299 SGB VI in Betracht.

Inhaltsverzeichnis

Anerkennung von Kindererziehungszeiten

Die Feststellung einer Zeit als Kindererziehungszeiten muss (zusammen mit den Kinderberücksichtigungszeiten) unter Vorlage des Stammbuches oder der Geburtsurkunden der Kinder bei dem zuständigen Rentenversicherungsträger beantragt werden. Für Kinder, die vor dem 1. Januar 1992 geboren sind, endet die Kindererziehungszeit 12 Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt (§ 249 SGB VI). Für Kinder die ab dem 1. Januar 1992 geboren sind, endet die Kindererziehungszeit 36 Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt (§ 56 SGB VI). Kindererziehungszeiten können den leiblichen Eltern, Adoptiveltern, Stiefeltern und (nicht berufsmäßige) Pflegeeltern angerechnet werden.

Eine Kindererziehungszeit wird angerechnet, wenn

  • die Erziehung des Kindes dem Antragstellenden zuzuordnen ist,
Haben mehrere Elternteile das Kind gemeinsam erzogen, wird die Kindererziehungszeit dem Elternteil zugeordnet, der das Kind überwiegend erzogen hat (§ 56 Abs. 2 SGB VI). Die Eltern können durch eine übereinstimmende Erklärung für die Zukunft bestimmen, welchem Elternteil die Kindererziehungszeit zuzuordnen ist. Erfolgt keine solche Erklärung und kann nicht festgestellt werden, wer das Kind überwiegend erzogen hat, wird die Kindererziehungszeit der Mutter zugeordnet.
  • die Erziehung in der Bundesrepublik erfolgte (oder einer solchen gleichsteht) und
  • der Antragstellende nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.

Auswirkungen der Kindererziehungszeiten auf die Rente

Rentenbegründende Wirkung

Kindererziehungszeiten gelten als Beitragszeiten. Sie werden auf die Wartezeiten angerechnet, die als Voraussetzung für eine Rente zurückgelegt sein müssen (Mindestversicherungszeiten). Da für die Regelaltersrente eine Wartezeit von fünf Jahren zurückgelegt sein muss, konnte eine Person bis 1991 bereits, die allein fünf Kindererziehungsjahre zurückgelegt hatte, die Regelaltersrente erhalten, ohne selbst jemals Rentenbeiträge gezahlt zu haben.

Es ist zu beachten, dass die Kindererziehungszeit seit 1992 von einem Jahr auf drei Jahre erhöht wurde.

  • Bis 31. Dezember 1991 galt: 1 Jahr Kindererziehungszeit
  • Seit 1. Januar 1992 gilt: 3 Jahre Kindererziehungszeit
  • Für Mehrlingsgeburten gibt es die Anzahl der Kinder; für Zwillinge beispielsweise also 6 Jahre

Rentensteigernde Wirkung

Kindererziehungszeiten werden wie Pflichtbeitragszeiten eines Durchschnittsverdieners (2009 = 30.879,00 Euro) bewertet. Dadurch erhalten Kindererziehende für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte (§ 70 Abs. 2 SGB VI). Dies entspricht einem Entgeltpunkt pro Jahr. Das bewirkt, basierend auf dem seit 1. Juli 2008 geltenden aktuellen Rentenwert, für jedes Kindererziehungsjahr eine monatliche Rente in Höhe von 26,56 € in den alten und 23,34 € in den neuen Bundesländern.

Der Bund zahlt für die Beitragszahlung für Kindererziehungszeiten eine pauschale Abgeltung an die Rentenversicherung. Für die Rentenzuschläge aus Kindererziehungszeiten wurden im Jahre 2005 insgesamt 11,715  Mrd. € aufgewendet.

Additive Anrechnung

Treffen Kindererziehungszeiten und andere Beitragszeiten zusammen, zum Beispiel mit Zeiten einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung des erziehenden Elternteils während der Erziehungszeit, werden die daraus resultierenden Entgeltpunkte und die Entgeltpunkte für die Kindererziehungszeit zusammengerechnet (§ 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Berücksichtigt wird höchstens ein Gesamtwert, den ein Einkommen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze erhält. Aufgrund dieser Deckelung erwirbt ein Elternteil, der während der Kindererziehungszeit ein Entgelt von ca. 90 Prozent eines Durchschnittseinkommens oder mehr erzielt, also ab einem beitragspflichtigen Jahreseinkommen von ca. 34.000 €, weniger kinderbezogene Rentenansprüche, und ab einem Einkommen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (64.800 € - dieser Wert bezieht sich beispielhaft auf das Jahr 2009) bleibt die Kindererziehung rentenrechtlich gänzlich unberücksichtigt[1].

Die additive Anrechnung der Kindererziehungszeiten geht zurück auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1996[2], in dem die zuvor geltenden gesetzlichen Regelungen über die rentenrechtliche Bewertung von Kindererziehungszeiten beim Zusammentreffen mit Beitragszeiten wegen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot für verfassungswidrig erklärt wurde.

Mit der Rentenstrukturreform von 2001 wurde zum Ausgleich der Absenkung der „großen“ Witwenrente von 60 auf 55 Prozent der Rente des verstorbenen Partners ein dynamischer Zuschlag an Entgeltpunkten eingeführt, den Hinterbliebene erhalten, die Kinder erzogen haben; zudem haben seitdem Hinterbliebene, bei denen ein Rentensplitting durchgeführt wurde und die ein Kind erziehen, unter Umständen Anrecht auf Erziehungsrente.[3] Ein Vergleich von Modellrechnungen zu den Auswirkungen dieser Rentenreform zeigte aber auf, dass die „kindbezogenen Leistungen“ sich am günstigsten für Hausfrauen auswirken, während sie sich für in Teilzeit arbeitende Frauen lediglich neutral auswirken und sie für vollzeitig arbeitende Frauen im Vergleich zum zuvor gültigen Recht eine nicht unerhebliche Minderung des Rentenbetrags bewirken.[4]

Kritik

Im Rahmen des vom Otto-Wolff-Institut für Wirtschaftsordnung durchgeführten Projekts „Kindererziehung als konstitutives Element der gesetzlichen Rentenversicherung“ wurde Kritik gegen die ungleiche Anrechnung der Kindererziehung für die gesetzliche Rentenversicherung geübt. Anstelle der bestehenden Regelungen durch Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten sei es angemessener, allen Erziehenden einheitliche kinderbezogene Rentenansprüche zuzurechnen.[5]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gegen diese Deckelung hat das Bundesverfassungsgericht keine verfassungsrechtliche Bedenken erhoben, Beschluss vom 29. August 2007, 1 BvR 858/03
  2. Beschluss vom 12. März 1996, 1 BvR 609, 692/90, BVerfGE 94, 241
  3. Rentenreform 2001. Abgerufen am 30. Oktober 2009 (PDF).
  4. Anne Langelüddeke, Birgitta Rabe: Auswirkungen der Rentenstrukturreform auf die Alterssicherung von Frauen. In: femina politica. 10. Jg., Heft 1, 2001, S. 80-85, 81. Zitiert nach: Sabine Berghahn: Ehe als Übergangsarbeitsmarkt?, Discussion Paper FS I 01–207, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, November 2001, ISSN Nr. 1011-9523, S. 51
  5. Barbara Henman, Michael Voigtländer: Unzureichende Berücksichtigung der Kindererziehung als Ursache der Rentenkrise. In: Otto-Wolff-Institut Discussion Paper 4/2003. Otto-Wolff-Institut für Wirtschaftsordnung, September 2003, abgerufen am 14. Januar 2009 (PDF). S. 11
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