Klassenrassismus

Klassenrassismus

Klassismus ist die Bezeichnung für die systematische Diskriminierung bzw. Unterdrückung von Angehörigen einer auf Grund ökonomischer Unterschiede im Produktions- und Verteilungssystem anders positionierten sozialen Klasse durch eine andere. [1] Der Begriff konstatiert die Existenz einer Klassengesellschaft und ist eine aus dem Englischen kommende Parallelbildung zu Racism (Rassismus). Er kann dabei Grundlage oder Teil von sozialen Bewegungen, sozialpolitischen Programmen und/oder säkularer, kultureller oder politischer Ideologien werden. [2]

Inhaltsverzeichnis

Begriffsbildung

„Racis[ia]m + Classis[i]m = Katrina“ – Graffiti nach dem Hurrikan Katrina, New Orleans 2005

Klassismus ist die deutsche Übersetzung des englischen Begriffs Classism, der in den USA gebildet wurde, um die Auffassung zu betonen, dass Diskriminierung nicht nur aufgrund von ethnisch bedingtem Rassismus, auf Basis des Geschlechtes Sexismus oder des Lebensalters oder anderer Gruppierungsmuster, sondern auch auf Grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Klasse stattfindet.

Ähnlich dem Antirassismus, der Rassen als soziales Konstrukt betrachtet, geht der Antiklassismus von Klassen als einer existierenden sozialen Struktur aus, die abgeschafft werden könnten.

Der Begriff ist im deutschen Sprachgebrauch vergleichsweise ungebräuchlich und nicht mit der Stilepoche Klassizismus zu verwechseln. Gegen Klassismus in der Politik, Gesellschaft und Kultur wendet sich der Antiklassismus.

Theorie

Klassismustheoretiker unterscheiden zwischen Diskriminierung gegenüber Arbeitern (working class) und armen Menschen (poverty class).

Der Klassismustheoretiker Chuck Barone unterscheidet drei Ebenen von Klassismus:

  • Makro-Ebene: Institutionell bedingte Unterdrückung einer Klasse durch eine andere vor allem durch ein bestimmtes polit-ökonomisches System. [3] In diesem Bereich fällt beispielsweise von Einzelnen oder Gruppen als Ausbeutung eingestufte Behandlung durch als zu schlecht bezahlt empfundene Arbeit. Das heißt auch, dass der Kapitalismus an sich bereits klassistisch, bzw. dass Antiklassismus auf dieser Ebene notwendigerweise antikapitalistisch sei.[4]
  • Meso-Ebene: Unterdrückung einer Klasse auf Gruppenebene durch den Aufbau von negativen Vorurteilen gegenüber Angehöriger einer „niedrigeren“ Klasse u.a. mit Hilfe der Massenmedien. Antiklassismus auf dieser Ebene umfasst deshalb auch die Forderung nach einer anderen Medienkultur.
  • Mikro-Ebene: Unterdrückung auf Einzelebene durch individuelle Einstellungen, Identitäten und Interaktionen. [5] In den USA gibt es seit einigen Jahren Anti-Klassimus-Trainings analog zu den Anti-Rassismus-Trainings, um individuelle klassistische Einstellungen zu überwinden. Ähnliches dazu siehe: Alltagsrassismus.

Im Unterschied zu beispielsweise maoistischen Marxisten gehen Klassismustheoretiker nicht unbedingt davon aus, dass die Auseinandersetzung zwischen Klassen ein sogenannter „Hauptwiderspruch“, Diskriminierungen auf Grund von Geschlecht oder Ethnizität hingegen nur so genannte „Nebenwidersprüche“ seien. Es geht ihnen vor allem darum, zu verhindern, dass die Diskussion über die von ihnen angenommene Klassendiskriminierung gegenüber den heute dominierenden Diskussionen über die beiden anderen genannten Formen von Diskriminierung weiter in den Hintergrund gerät. Betont wird auch die Überschneidung verschiedener Unterdrückungsformen, wie sie beispielsweise von der Triple Oppression-Theorie formuliert wird.

Klassismustheoretiker gehen davon aus, dass Klassenzugehörigkeit „sozialer Vererbung“ unterliege. Ihrer Ansicht nach existieren besonders im Bildungsbereich klassistische Selektionsmechanismen, die dazu führten, dass Menschen oftmals in der sozialen Klasse verblieben, in der sie geboren wurden.

Die Klassismustheorie hat Kontinentaleuropa und insbesondere Deutschland bisher kaum erreicht. Im europäischen Diskurs spielen – vor allem in Bezug auf die soziale Vererbung von Klasse – eher die Begriffe Kapitalsorten, Habitus und symbolische Gewalt von Pierre Bourdieu eine Rolle, die wiederum in den USA weniger gebräuchlich sind.

Klassistischer Sprachgebrauch

Eine klassistische Diskriminierung von Gruppen und Einzelnen kann sich auf umgangssprachlicher Ebene auch in abwertenden Begriffen wie z.B. Gesindel, Janhagel, Mob, Penner, Pöbel, Prolet, Proll, Sozialschmarotzer oder White Trash niederschlagen - auch wenn diese Begriffe nicht ausschließlich so verwandt werden.

Siehe auch

Fußnoten

  1. Chuck Barone: The foundations of class ans classism: "We define classism as the systematic oppression of one group by another based on economic distinctions based on one`s position within the system of production and distribution."
  2. Werner Obrecht: Ontologischer, Sozialwissenschaftlicher und Sozialarbeitswissenschaftlicher Systemismus - Ein Paradigma der Sozialen Arbeit; in: Silvia Staub-Bernasconi (Hrsg.): Systemtheorien im Vergleich - Was leisten Systemtheorien für die Soziale Arbeit ? Versuch eines Dialogs, 2005, Seite 148
  3. Chuck Barone: Extending our analysis of class oppression: Bringing classism more full into the race & gender picture: "On the macro level oppression is a matter of collectivety, of economic, social, political, and cultural/ideological institutions."
  4. Chuck Barone: Extending our analysis of class oppression, S. 11: „The primary institutional basis of classism is the economic system. Capitalism is structured on the basis of classes.“
  5. Chuck Barone: Extending our analysis of class oppression: Bringing classism more full into the race & gender picture:"The micro level is a matter of individuality and identity, our attitudes and interactions with others."

Literatur

  • Maurianne Adams, Warren J. Blumenfeld, Rosie Castaneda, Heather W. Hackman, Madeline L. Peters, Ximena Zuniga (Hrsg.): Readings for Diversity and Social Justice: An Anthology on Racism, Antisemitism, Heterosexism, Ableism, and Classism. Routledge, New York/London 2000, ISBN 0-4159-2634-3
  • Marcia Hill, Esther D. Rothblum (Hrsg.): Classism and Feminist Therapy. Counting Costs. Harrington Park Press, New York 1996, ISBN 1-56023-092-4
  • Bell Hooks: Where We Stand. Class Matters. Routledge, New York 2000, ISBN 0-415-92911-3
  • Betsy Leondar-Wright: Class Matters: Cross-Class Alliance Building for Middle Class Activists. New Society Publishers, Gabriola Island 2005. ISBN 0-865-71523-8
  • Anja Meulenbelt: Scheidelinien. Über Sexismus, Rassismus und Klassismus. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1988, ISBN 3-498-04316-1
  • John Russo, Sherry Lee Linkon (Hrsg.): New Working-Class Studies. ILR Press, Ithaca 2005, ISBN 0-801-48967-9
  • Alphons Silbermann: Von der Kunst der Arschkriecherei. Rowohlt. Berlin 1997 [1]
  • Heike Weinbach: Social Justice statt Kultur der Kälte. Alternativen zur Diskriminierungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Karl Dietz Verlag Berlin 2006 ISBN 3-320-02911-8 ISBN 978-3-320-02911-1 [2]

Weblinks


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