Kulturkreislehre

Kulturkreislehre

Als Kulturkreis bezeichnete man in den Geisteswissenschaften früher einen geographischen Raum, dessen Mitgliedern die gleiche oder zumindest eine ähnliche Kultur zugeschrieben wird. Der Begriff, der aus der heute als überholt geltenden Kulturkreislehre stammt, wird in der deutschsprachigen Ethnologie aus verschiedenen Gründen mittlerweile recht einhellig abgelehnt. Stattdessen wird der neutrale Begriff Kulturraum verwendet.

Die kulturellen Blöcke der Erde nach der Vorstellung von Samuel P. Huntington.

Inhaltsverzeichnis

Überblick

Das Konzept des Kulturkreises übersteigt in seiner Reichweite meist andere Einteilungen sozialer Einheiten wie soziale Gruppen, Stämme, Gesellschaften, Nationen oder „Völker“. So spricht man beispielsweise vom „christlichen Abendland“ bzw. dem „islamischen Orient“ als zwei großen Kulturkreisen, die sich durch jeweils bestimmte Wertvorstellungen, soziale Normen, Sitten und Gebräuche auszeichnen. Die Definition eines Kulturkreises in der Größe wird unterschiedlich vorgenommen und richtet sich nach der Auswahl Bestimmungen, die zur Unterscheidung typisch sein sollen. So wird einerseits von einem skandinavischen Kulturkreis gesprochen, der anderseits auch Teil des europäischen Kulturkreises sein kann. Eine beliebte Einteilung ist die in „Westlicher Kulturkreis“, „Fernöstlicher Kulturkreis“ oder in „Arabischer Kulturkreis“.

Die Typisierung von Kulturen spielt in den auf der „Zyklentheorie“ basierenden idealtypischen Geschichtsbildern, wie sie bereits von Giambattista Vico formuliert wurden, eine zentrale Rolle. Die Typisierung von Kulturen ist noch im 20. Jahrhundert charakteristisch für Historiker und Kulturwissenschaftler wie Christopher Dawson, Reinhold Niebuhr, Rushton Coulborn, Nikolai Danilewski, Pitirim Sorokin, Henri Pirenne, Othmar Anderle, Karl August Wittfogel, J. De Beus sowie gegenwärtig Samuel P. Huntingtons oder Bassam Tibi. Bei Oswald Spengler und Arnold Toynbee wurden diese Konzepte in ihrem Rigorismus am konsequentesten konstruiert.

Insbesondere die deutsche Geisteswissenschaft hat sich vor allem im Nationalsozialismus sowie in der Volks- und Kulturbodenforschung bei der Typisierung von Kulturen hervorgetan. Tragende Konzepte waren dabei u.a. die Konzepte der „Volksgruppe“ und „Volksgemeinschaft“, des „Lebensraumes“, des „Kulturraum“, des „Brauchtums“, der „Gesittung“ und der „Überfremdung“. Die Kontinuitäten in der Methodik, den Biographien der Wissenschaftler und dem Vokabular der Wissenschaft lassen sich von der Völkischen Bewegung der Zwischenkriegszeit über den Nationalsozialismus bis heute nachweisen.

Kulturkreislehre

Die Kulturkreislehre wurde 1898 von Leo Frobenius als Theorie der Völkerkunde eingeführt. Postuliert wird eine fortschreitende chronologische Weiterentwicklung der menschlichen Kultur.

Frobenius selbst gab diese Theorie als nicht überzeugend wieder auf und entwickelte stattdessen den Ansatz der Kulturmorphologie. Aufgegriffen und weiterentwickelt wurde sie von dem deutschen Historiker Fritz Graebner als Gegentheorie zum Evolutionismus, die von einem gemeinsamen Ursprung aller Ethnien ausgeht. „Seine meist zitierte Quelle ist ein gewisser Christoph Meiners, deutscher Philosophieprofessor, einer der Urheber der kulturellen Bewertung von Rassen, welche eine Wiege der Auffassung vom Herrenmenschen eines Adolf Hitlers darstellt.“[1]

Die Kulturkreislehre wurde vor allem von der Wiener Schule der Völkerkunde Anfang des 20. Jahrhunderts aufgegriffen, von Pater Wilhelm Schmidt und Pater Wilhelm Koppers. Sie erfanden den Begriff „Urkulturkreis“, der von Anfang an monotheistisch, monogam und patriarchalisch gelebt habe und daher völkerkundlich der wertvollste sei. Die Lehre wurde so zu einer Rassentheorie. Schmidt war auch Anhänger des Sozialdarwinismus.[1] Ein weiterer Wiener Vertreter war Paul Schebesta, der als Missionar in Mosambik tätig war.

Die Wiener Schule verwendete die Begriffe „Urkultur“, „Primärkultur“ und „Sekundärkultur“, wobei die Urkultur die wertvollste sei; die „Kulturvölker“ wurden im Vergleich dazu als degeneriert angesehen.

„Die Wiener Schule der Kulturkreislehre dominierte die deutschsprachige Ethnologie bis in die 1930er, vielleicht 1940er Jahre hinein, obwohl sie in den späteren Jahren zunehmend massiver Kritik ausgesetzt war, die sich […] vor allem gegen die schematische Vorgehensweise und die zunehmend als unzeitgemäß empfundene Fixierung auf pseudohistorische Rekonstruktionen wandte.“

Martin Rössler: Die deutschsprachige Ethnologie bis ca. 1960: Ein historischer Abriss[2]

Quellen

  1. a b Ruth Kronsteiner: „Kulturkreis“ oder Rassismus/Sexismus im neuen Gewand? (pdf).
  2. Martin Rössler: Die deutschsprachige Ethnologie bis ca. 1960: Ein historischer Abriss (pdf)

Literatur

  • Guy Ankerl: Coexisting Contemporary Civilizations: Arabo-Muslim, Bharati, Chinese, and Western. Genf: INUPRESS, (2000), ISBN 2881550045
  • Gazi Çağlar: Der Mythos vom Krieg der Zivilisationen. Der Westen gegen den Rest der Welt. Eine Replik auf Samuel P. Huntingtons Kampf der Kulturen. Münster 2002, ISBN 3-89771-414-0
  • Frank-Rutger Hausmann: 'Deutsche Geisteswissenschaft' im Zweiten Weltkrieg – Die 'Aktion Ritterbusch' (1940-1945), Dresden 1999.
  • Chevron, Marie-France (2004): Anpassung und Entwicklung in Evolution und Kulturwandel. Erkenntnisse aus der Wissenschaftsgeschichte für die Forschung der Gegenwart und eine Erinnerung an das Werk A. Bastians. Wien: LIT

Weblinks


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