Kuno Raeber

Kuno Raeber

Kuno Raeber (* 20. Mai 1922 in Klingnau; † 28. Januar 1992 in Basel) war ein Schweizer Lyriker und Romancier.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kuno Raeber wuchs in Luzern auf. An den Universitäten in Zürich, Genf, Paris und Basel studierte er Philosophie, Geschichte sowie Literatur und promovierte 1950 über die „Geschichtsbibel“ von Sebastian Franck. Zunächst sehr religiös und kurz Novize in einem Jesuiten-Kloster, verlor er bald seinen christlichen Glauben und widmete sich intensiv den alten Mythen. Er war 1951–52 Direktor der Schweizer Schule in Rom, war anschließend am Tübinger Leibniz Kolleg und am Europa-Kolleg in Hamburg tätig, um dann ab 1958 als freier Schriftsteller zu leben. Er war Mitglied der Gruppe 47, verbrachte längere Zeit in den USA und wurde 1978 als Mitglied im P.E.N.-Zentrum aufgenommen. Raeber hatte seinen Wohnsitz in München, lebte zeitweise in Rom und starb 1992 während eines Besuchs in Basel.

Literarisches Schaffen und literarische Bedeutung

Raebers literarisches Schaffen ist von Religion und früher Geschichte geprägt. Er fügt in seine in der Gegenwart handelnden Erzählstücke – ähnlich wie Jorge Luis Borges – religiöse, mythische und vergangene historische Welten ein: Mythos und Realität schieben sich bei ihm ineinander und vermischen sich. Seine Prosa ist deshalb nicht leicht zu lesen, sie ist verschlüsselt, sprachgewaltig, voller Zeitsprünge und zudem bis zum Extrem mit Sexualität, Gewalt und Mord bestückt.

Raebers Bezug zum antiken Rom ist in den meisten seiner Werke erkennbar.
Bild: Circus Maximus auf dem Palatin
Im Roman Das Ei geht es um die Figur des Täters, der Michelangelos Pietà 1972 zerstören wollte.

Sehr oft ist sein Bezug zum alten Rom erkennbar; er fühlte sich in der Stadt zu Hause, hier spielen nicht nur viele Romane wie zum Beispiel Sacco di Roma, hier interviewte er auch Max Frisch, Uwe Johnson und seine Freundin Ingeborg Bachmann[1], die ihn zu seinen Schreibexperimenten ermutigte.

Prosa

Raeber schrieb Essays, Rezensionen, Hörspiele, Theaterstücke, Reisebücher und Erzählungen. Seine Romane sind sehr unterschiedlich angelegt. Sein umfangreicher und preisgekrönter Roman Alexius unter der Treppe oder Geständnisse vor einer Katze besteht zum Beispiel aus neunundsiebzig Prosastücken, die umrahmt sind von den „Geständnissen einer Katze“, Episoden einer Beichte jenes reichen Römers Alexius, der nach der Legende Frau und Kinder verließ, viele Jahre als Bettler und Einsiedler lebte und später zurückkehrte und unerkannt unter der Treppe lebte und erst kurz vor dem Tod sich offenbarte. Doch zugleich ist dieser Alexius auch der Anführer einer New Yorker Rockerbande, und so inszeniert der Autor in diesem Roman phantasiereich immer weitere historische und mythische Begebenheiten. Beat Mazenauer bezeichnet den Autor als „eigenwilligen Geist“, er wäre ein „ein wacher Traditionalist“ gewesen, „der sich nicht in Nostalgie verkroch, sondern die große, vitale Tradition der Geschichte mit allen ihren Spielarten hochleben ließ. Rom, trotz allem, repräsentierte für ihn diese Tradition“.[2]

Der Roman Das Ei

Der einzige Schauplatz des wegen seiner pornographischen und blasphemischen Passagen umstrittenen Romans Das Ei ist Rom. 1972 hatte ein Ungar, der sich für Christus hielt, mit einem Hammer auf die Pietà von Michelangelo eingeschlagen. Der Autor denkt sich in diese Figur hinein und lässt tiefenpsychologische Deutungen vom Aufstand der Söhne gegen die Mutter beziehungsweise Gottesmutter anklingen. Das oft sehr drastische Geschehen, manchmal an Notre-Dame-des-Fleurs von Jean Genet erinnernd, wirkt auf den Leser verstörend: Der Autor lässt den Täter sich in seinen Identitätswahnvorstellungen als Christus, als Kaiser Joseph II. oder als homosexuellen Papst austoben. Den Schlusspunkt seiner wütenden Abrechnung mit Kirche und Christentum setzt eine Bombe in Form eines Eis – das Ei ist ein christliches Auferstehungssymbol –, welche den Petersdom völlig zerstört. Das Werk fällt durch seine ungewöhnliche Wortgewalt und Drastik sowie seine befremdenden Phantasievorstellungen auf.

Lyrik

Raeber widmete sich zunächst der Lyrik und schrieb Verse voller Sinn- und Deutungsbilder; später wandte er sich der Prosa zu. Seine späten Gedichte sind „durch knappes lakonisches, ganz auf das Gewicht von Wort und Vers konzentriertes Sprechen geprägt“.[3] Raeber schrieb auch alemannische Dialektgedichte.

Auszeichnungen

Literatur

Werke

  • Werke in 5 Bänden. Herausgegeben von Christiane Wyrwa und Matthias Klein. Band 1: Lyrik. Band 2: Erzählende Prosa. Band 3: Romane und Dramen. Band 4: Romane und Dramen. Band 5: Essays und kleine Schriften. Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München 2000-2004. ISBN 3331200298
  • Bilder Bilder. Aus dem Nachlass hrsg. von Jörg Trobitius. Ammann, Zürich 1994. ISBN 3-250-10242-3
  • Vor Anker. Ein bürgerliches Trauerspiel in neunzehn Auftritten. Mit Illustrationen von Fabius von Gugel. Scaneg, München 1992. ISBN 3-89235-307-7
  • Sacco di Roma. Roman. Ammann, Zürich 1989. ISBN 3-250-10117-6
  • Bocksweg. Ein Mysterium in 12 Bildern. Mit Illustrationen von Fabius von Gugel. Scaneg, München 1989. ISBN 3-89235-305-0
  • Abgewandt zugewandt. Neue Gedichte. Hochdeutsch und Luzerner Alemannisch. Mit einem Nachwort über das schweizerische Sprachdilemma. Ammann, Zürich 1985. ISBN 3-250-10032-3
  • Das Ei. Roman. Erb, Düsseldorf 1981. ISBN 3-88458-027-2
  • Reduktionen. Gedichte. Ullstein, Frankfurt/M 1981. ISBN 3-548-38529-X
  • Alexius unter der Treppe oder Geständnisse vor einer Katze. Roman. Luchterhand. Darmstadt 1973. ISBN 3-472-86336-6; zuletzt: Ullstein, Frankfurt/M 1982. ISBN 3-548-26077-2
  • Missverständnisse. 33 Kapitel. Biederstein, München 1968; zuletzt: Ullstein, Frankfurt/M 1981. ISBN 3-548-26057-8
  • Flussufer. Gedichte. Claassen, Hamburg 1963
  • Calabria. Reiseskizzen. Biederstein, München 1961; zuletzt: Ullstein, Frankfurt/M 1982. ISBN 3-548-26067-5
  • Die Lügner sind ehrlich. Roman. Claassen, Hamburg 1960; zuletzt: Ullstein, Frankfurt/M 1983. ISBN 3-548-26080-2
  • Der Brand. Eine vulkanische Katastrophe. Hörspiel. 1965
  • Die Bekehrung Salvador Dalís. Radio-Essay. 1961
  • Gedichte. Claassen, Hamburg 1960 / Kuno Raeber
  • Die verwandelten Schiffe. Gedichte. Luchterhand, Darmstadt 1957
  • Studien zur Geschichtsbibel Sebastian Francks. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1952

Übersetzungen

Kuno Raeber als Übersetzer:

  • Yves Berger: Der Süden. Roman. Hanser, München 1964
  • Michèle Perrein: Ein Mädchen mit Namen Odile. Roman. Claassen, Hamburg 1958

Kuno Raber in Übersetzungen:

Zitat

„Zikade“
„Einst bleibt / von mir nur noch die Stimme. / Du wirst mich in allen / Zimmern suchen, / auf den Treppen, in den langen / Fluren, in den Gärten, / du wirst mich suchen im Keller, / du wirst mich suchen unter den Treppen. / Einst wirst du mich suchen. / Und überalll wirst du nur meine Stimme / hören, meine hoch monoton / singende Stimme. Überall wird / sie dich treffen, überall...“[4]

Sekundärliteratur

  • Jürgen Egyptien: Ein einziges großes Weltgedicht. In: literaturkritik.de. Nr. 7/2002; Metamorphosen des Erzählens. In: literaturkritik.de. Nr. 8/2003, (Post-)Moderne Sprachwirbel im Dienste einer Ästhetik der Erlösung. In: literaturkritik.de. Nr. 7/2005
  • Jürgen Egyptien: Der Künstler als Märtyrer und die Kathedrale der Kunst. Zum Prosawerk von Kuno Raeber. In: Flucht und Dissidenz. Aussenseiter und Neurotiker in der Deutschschweizer Literatur. S. 69–91. Lang, Frankfurt/M. 1999. ISBN 978-3-631-35666-1
  • Ulrich Hohoff: Raeber, Kuno. In: Handbuch der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945. Nymphenburger, München 1990. ISBN 3-485-03550-5
  • Richard A. Klein (Hrsg.): Der Dichter Kuno Raeber. Deutungen und Begegnungen. Mit Beiträgen u.a. von Christian Enzensberger, Peter Schneider. Scaneg, München 1992. ISBN 3-89235-777-3
  • Franz Lennartz: Raeber, Kuno. In: Deutsche Schriftsteller des 20. Jahrhunderts im Spiegel der Kritik. Bd. 3. Kröner, Stuttgart 1983. ISBN 3-520-82101-X
  • Christiane Wyrwa: Kuno Raeber – sein Werk und sein literarischer Nachlass. In: Quarto. Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs. Nr. 12. 1999. S. 70–74. ISSN 1023-6341

Einzelnachweise

  1. Kuno Raeber: Begegnungen mit Ingeborg Bachmann. In: Das Schönste. Monatszeitschrift für alle Freunde der Schönen Künste. München. Jg. 9, Heft 1, Januar 1963, S. 52-54
  2. Beat Mazenauer: Katholik, aber kein Christ. In: Der Bund vom 7. Februar 2005
  3. Ulrich Hohoff in: Handbuch der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945. S. 507. München 1990
  4. Werke in 5 Bänden. Bd. 1: Lyrik. München 2000

Weblinks


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