Kyptschaken

Kyptschaken
Eurasien mit Hauptsiedlungsgebiet der Kyptschaken um 1200

Das Turkvolk der Kyptschaken (auch Kiptschaken, Qiptschaq, Qibchaq-i, Qipcaq, Polowezer, Polowcer[1] oder Kumanen genannt), stammten ursprünglich vom Fluss Irtysch. Dort bildeten sie einen Clan der Stammesföderation der Kimak. In chinesischen Quellen erscheinen sie unter der Bezeíchnung Gaogüy bzw. als Kao-kü.

Ihre Sprache wird heute als „Kyptschakisch“ bezeichnet, einem Vorläufer und Namensgeber der heutigen Kyptschakischen Sprachen.

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung des Volksnamens

Der Name Kıpçak bedeutet wohl „hellhäutiger Steppenbewohner“ und stammt vermutlich aus dem Mitteliranischen. So steht die Vorsilbe Kıp- für die Farbe „rot“ oder „hell“ und çak bezeichnete dort das Volk der Saken, die auch als Skythen bekannt waren. Die Wörter Sake und Skythe waren oft eine vereinfachte Bezeichnung für jeden Steppenbewohner.

Geschichte

Im 7. Jahrhundert wurden die Kyptschaken bis auf einen kleinen Rest von den Göktürken aus ihren alten Stammesgebieten nach Westen abgedrängt. Um 1054 wanderten sie unter Bolus Khan in das Land an der Wolga und in die Steppengebiete der Ukraine ein. Dort verdrängten sie ihrerseits die dort ansässigen Petschenegen bis über die Donau und fielen 1071 erstmals in Ungarn ein.

Die Kyptschaken führten mehrere Kriege gegen die ostslawischen Völker der Kiewer Rus und lebten überwiegend halbnomadisch. Daneben besaßen sie auch kleinere Handelsstädte. Ein Teil ihres Volkes verblieb jedoch im Osten und beteiligte sich ab Mitte des 12. Jahrhunderts an der Gründung des Choresmischen Reiches.

In Südrussland

Die Kyptschaken hatten meist mehrere Fürsten. Nach der entscheidenden Niederlage der Petschenegen werden folgende Khane verzeichnet: Altunopa, Tugorkhan, Scharukhan und Boniak (um 1091). 1093 überrrannten die Kumanen kurzzeitig Kiew. Tugorkhan fiel 1096 im Krieg gegen die siegreichen Russen. Boniak wurde nach Tugorkhans Tod offenbar für lange Zeit der ranghöchste Khan und zudem der „Held“ zahlreicher russischer Chroniken.

Scharukhan (um 1107) besaß vier von den sechs Städten der Kyptschaken. Sein Sohn war Otrok, der nach zwei Siegen der russischen Fürsten über die Kyptschaken des Don 1111 und 1116 zu den Georgiern fliehen musste. Dort begründete er mit einer Heirat die künftige kyptschakisch-georgische Allianz. 1125, nach dem Tod des Kiewer Großfürsten Wladimir Monomach kehrte er zurück. Der Legende nach brachten ihm seine zurückgebliebenen Anhänger den (Wermut) der heimatlichen Steppe, dessen Geruch ihn zur Rückkehr bewog. 1154 hatten die Kumanen ihre Stellung wieder zurückerlangt, Scharukan (das heutige Charkiw) entwickelte sich zum Machtzentrum.

Fürst Igors Niederlage gegen die Kumanen/Kyptschaken, Gemälde von Wiktor Wasnezow

Otroks Söhne waren Eltut und Könchek (ca. 1172–1201). Beide waren an wechselhaften Kämpfen mit den russischen Fürsten beteiligt, in denen Eltut 1180 fiel. Im Jahr 1183 wurde auch Köbek (Kobyak), ein anderer Khan der Kyptschaken geschlagen und samt seiner gesamten Familie gefangengenommen. Könchek führte mehrere Gegenschläge und hatte schließlich Erfolg. 1185 scheiterte der Feldzug des Fürsten Igor aus dem Igorlied. Könchek war aber nicht der einzige Fürst – sein (verbündeter) Rivale war der Herrscher Kza Khan.

Im Jahr 1223 waren in den südrussischen Steppen die Mongolen und die mit ihnen verbündeten Turkvölker unter den Generälen Jebe (Jelme) und Subutai aufgetaucht. Daraufhin hatte 1223 eine Delegation kumanischer Muslime beim Kalifen in Bagdad vergeblich um Hilfe ersucht. Die stattdessen hastig zustandegekommene russisch-kyptschakische Allianz wurde von den Mongolen an der Kalka geschlagen, bald darauf besiegten die Mongolen den Kumanen-Khan Kuthan (Kötöny, Kotjan) erneut.

Der endgültige Untergang der Kyptschaken kam mit dem Feldzug Batu Khans 1236–39, speziell der Niederlage Batschmans, der 1238 auf einer Wolgainsel getötet wurde. Ein Teil des Volkes, 40.000 Familien, floh 1239 unter Kuthan Khan (1202–1241) vor den Mongolen nach Ungarn, wo sie fortan als Söldner dienten. Als die vereinbarte Annahme des Christentums stockte (ein Teil der Kyptschaken war muslimisch, der Großteil heidnisch), Rivalitäten mit dem ungarischen bzw. deutschen Adel sich verschärften und Kuthan (Kötöny) ermordet wurde, verließen die Kumanen Ungarn kurzzeitig und zogen in die Dobrudscha, wo ihnen der Bulgaren-Zar Koloman Siedlungsgebiete anbot.[2]

Auf dem Balkan

Zusammen mit den Byzantinern hatten die Kumanen 1122 die Petschenegen geschlagen und weitgehend vernichtet, die Reste ihres Reiches (Walachei) fielen 1171 an die Kumanen. Seit 1186 kämpften die Kumanen an der Seite der Bulgaren gegen die Byzantiner und 1205 für die Bulgaren gegen die lateinischen Kreuzritter von Konstantinopel. Nach der Niederlage an der Kalka flohen 10.000 Kumanen nach Byzanz, 1237 verdingten sie sich auch als Söldner der Lateiner gegen Bulgaren und Byzantiner.

Auf Seiten der Ungarn wurden sie 1241, auf Seiten der Bulgaren 1242 von der Goldenen Horde (Mongolen) geschlagen. 1262 wehrten Ungarn und Kumanen gemeinsam einen erneuten mongolischen Einfall ab. Ungarns König Bela IV. gewährte ihren sieben Stämmen Sonderrechte und versuchte mit Hilfe der Kumanen die ungarische Adelsopposition zu unterdrücken. Unter König Ladislaus IV. (1272–1290), „Laszlo, der Kumane“ genannt, erlangten sie großen Einfluss. 1280 bestieg mit Georg I. Terter wahrscheinlich ein Kumane den bulgarischen Zarenthron, musste sich aber 1285–1300 der Goldenen Horde unterwerfen. Seine Nachkommen (s. Haus Terter) regierten bis 1323.[2][3] Kumanen tauchten noch im 15. Jahrhundert als Garde von Ungarns König Sigismund auf.

Mitte des 14. Jahrhunderts waren die Kumanen christianisiert, nach der Reformation wurde allerdings ein Teil von ihnen calvinistisch.[2]

Kumanien

Kumanische Siedlungsgebiete im mittelalterlichen Ungarn (gelb)

Erst im 14. Jahrhundert waren die Kumanen vollständig christianisiert. Ihr Siedlungsgebiet in Ungarn war der nördliche Teil des Alfölds einschließlich der an Körös und Maros grenzenden Gebiete.

1638 wurden in Ungarn einige, 1876 alle Sonderrechte der Kumanen abgeschafft, mit dem Ziel, alle nichtslawischen und nichtromanischen Minderheiten mit dem ungarischen „Staatsvolk“ zu verschmelzen bzw. zu magyarisieren, da die Ungarn innerhalb des Königreichs gegenüber den Slawen allmählich in die Minderheit gerieten und sich durch den wachsenden Panslawismus bedroht fühlten.

Spuren

Der Kampf der Kyptschaken mit den Russen wird im Igorlied, einem altrussischen Heldenepos, beschrieben. Auch Alexander Borodins Oper Fürst Igor handelt davon. Aus ihr sind besonders die Polowetzer Tänze bekannt.

In Ungarn haben sich die Spuren der Kyptschaken oder Kumanen (ungarisch: Kun) in den Gebietsnamen Nagykunság (Großkumanien, Hauptort Karcag) und Kiskunság (Kleinkumanien) und entsprechenden Ortsnamen wie Kunszentmárton, Kunszentmiklós und Kiskunfélegyháza (Hauptort von Kleinkumanien) erhalten.

Lange Zeit galten die ungarischen Petschenegen und Kumanen als Vorfahren der siebenbürgischen Szekler, die bulgarischen Petschenegen und Kumanen als Vorfahren der Gagausen.

In Russland bezeichneten sich 2003 bei der letzten Volkszählung fünf Bürger als Polowzer, was von den Behörden natürlich nicht ernst genommen wurde und im endgültigen Bericht keine Aufnahme fand.[4]

Die nordmazedonische Stadt Kumanovo ist nach dem Volk der Kumanen benannt.

Kumanen in der Türkei

Kumanen sind vor einigen Jahrhunderten auch in die türkische Schwarzmeerregion, z.B. nach Devrek Zonguldak, eingewandert. [5]

Einzelnachweise

  1. Polowcer
  2. a b c Encyclopaedia of Islam X:686b bzw. X:687a, Artikel über Turks (3. The Turks of Western Eurasia and Central Europe)
  3. Encyclopaedia of Islam: Artikel über Bulgaria (I:302a)
  4. Russland aktuell vom 15. November 2003: Überraschungen bei der großen Völkerzählung
  5. Homepage eines Devrek Kulturvereins.

Literatur

  • Denis Sinor et al. (Hrsg.), The Cambridge History of Early Inner Asia. Cambridge (u. a.) 1990.
  • Jeremiah Curtin: The Mongols in Russia, Boston 1908.
  • Anna Komnene: Alexias. Übers., eingel. und mit Anm. vers. von Diether Roderich Reinsch. Köln: DuMont 1996. ISBN 3-7701-3492-3
  • Gyarfas Istvan: A Jaszkunok Törtenete: http://vfek.vfmk.hu/gyarfas_istvan/jaszkunok/
  • Györffy György: A Codex Cumanicus mai kerdesei.
  • Györffy György: A magyarsag keleti elemei.
  • Hunfalvy: Etnographia.
  • András Pálóczi Horváth [Aus dem Ungar. von János Thimar] 1989: Petschenegen, Kumanen, Jassen. Steppenvölker im mittelalterlichen Ungarn. Budapest: Corvina; Budapest: Kultúra in Komm.
  • István Vásáry 2005: Cumans and Tatars. Oriental military in the Pre-Ottoman Balkans, 1185–1365. Cambridge [u.a.]: Cambridge Univ. Press.
  • Peter B. Golden, 2003: Nomads and their neighbours in the Russian Steppe. Turks, Khazars and Qipchaqs. Aldershot, Hampshire [u.a.]: Ashgate
  • Kumans in Bulgarian History (Eleventh-Fourteenth Centuries). – In: The Turks, Vol. 1: Early Ages, Part 9: Turks in East Europe. Ankara, 2002, pp. 680-689.

Weblinks

 Commons: Kyptschaken – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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