Königreich Westfalen

Königreich Westfalen
Königreich Westphalen (dt.)
Royaume de Westphalie (fr.)
Flagge des Königreichs Westphalen
Wappen des Königreichs Westphalen
Flagge Wappen
Amtssprache Deutsch, Französisch
Hauptstadt Kassel
Staatsform konstitutionelle Monarchie
Staatsoberhaupt und Regierungschef König Hieronymus Napoleon
Fläche 37.883 (1807-09)
63.652 (1810)
45.427 (1811-13) km²
Einwohnerzahl 1.950.724 (1809)
über 2,6 Mio (1810)
2.065.970 (1812)
Währung Westphälischer Franken
Gründung 7. Dezember 1807 (Auflösung am 1. bzw. 26. Oktober 1813)

Das von Kaiser Napoléon geschaffene Königreich Westphalen (zwischen dem Frieden von Tilsit 1807 und der Völkerschlacht bei Leipzig 1813; die zeitgenössische Schreibweise mit ph wird in der Geschichtswissenschaft zur Unterscheidung von Herzogtum, Provinz bzw. der Landschaft Westfalen verwendet) war ein Rheinbundstaat in Deutschland während der napoléonischen Ära. Es erstreckte sich über Teile von sieben heutigen Bundesländern (Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bremen, Hamburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt). Westphalen umfasste insbesondere die vormals preußischen Gebiete westlich der Elbe, das Kurfürstentum Hessen, das Herzogtum Braunschweig sowie Kurhannover, nicht aber das ehemalige Herzogtum Westfalen. Die unten dargestellte Zusammensetzung veränderte sich durch Gebietsabtretungen mehrfach. Ziel Napoleons war die Bildung eines damals modernen französischen Vasallenstaates.

Inhaltsverzeichnis

Entstehen und Zielsetzung

Jérôme und Katharina von Württemberg als König und Königin des Königreichs Westphalen

Das Königreich Westphalen deckte sich geographisch nur teilweise mit der späteren preußischen Provinz Westfalen. Wirklich westfälische Gebiete lagen im Westen des Königreichs. Bis zu seinem Ende zählten hierzu die folgenden bereits preußischen Gebiete: die ehemaligen Fürstbistümer Paderborn und Osnabrück, die Grafschaft Ravensberg (bis 1810 vollständig) und das Fürstentum Minden. Osnabrück war zwar 1802–1806 bereits Teil von „Kurhannover“, wurde aber auch unter Kurhannover bis zum Untergang des Heiligen Römischen Reiches zum niederrheinisch-westfälischen Reichskreis gerechnet. Geschaffen wurde das Königreich nach dem Frieden von Tilsit von Napoléon Bonaparte per Dekret vom 18. August 1807 für seinen jüngsten Bruder Jérôme (Hieronymus) aus dem Kurfürstentum Hessen, dem Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, sowie kur-braunschweig-lüneburgischen, den preußischen Gebieten westlich der Elbe und obersächsischen Gebietsteilen. Hauptstadt wurde die bis dahin kurhessische Hauptstadt Kassel.

Aus Sicht des Landesmuseums Kassel und weiterer Historiker war das neue Königreich bereits durch einen Kunstraub vorbelastet, der noch vor seiner Errichtung erfolgt war: Unter dem revolutionär-demokratischen Vorwand, die Kunst aus privaten Fürstensammlungen zu befreien und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, hatten französische Truppen sofort nach der Einnahme Kassels die wertvollsten Kunstgegenstände konfisziert und in den Pariser Louvre verbracht.

Westphalen war (wie das Großherzogtum Frankfurt oder das Großherzogtum Berg) gedacht als napoléonischer Musterstaat, der sich durch eine moderne Verwaltung und Justiz auszeichnen sollte. Tatsächlich wurden die Patrimonialgerichte und die Leibeigenschaft abgeschafft, die Gewerbefreiheit, die Gewaltenteilung, die Gleichberechtigung der Juden, der Code Civil und die Führung von Kirchenbuchduplikaten eingeführt. Auch erhielt das Land, erstmals in einem deutschen Flächenstaat, am 15. November 1807 eine schriftliche Verfassung (die Constitution des Königreichs Westphalen vom 15. November 1807), die Jérôme einen Tag, nachdem er in seinem neuen Königreich angekommen war, am 7. Dezember 1807 in Kraft setzte. Dies war die erste Verfassung eines deutschen Staates, auch das westfälische Parlament (die Reichsstände des Königreichs Westphalen) war die erste Vertretung dieser Art auf deutschem Boden. Offiziell gab es im Königreich zwei Amtssprachen, Deutsch und (das unter Adel und Beamtenschaft schon seit vorrevolutionären Zeiten verbreitete) Französisch. Am 25. Dezember 1809 stiftete Jerome Napoleon (so der offizielle Königsname) in Paris einen „Orden der Westphälischen Krone“, den die Ausstellung im Landesmuseum Kassel als Vorläufer des Bundesverdienstkreuzes sieht. Auf Befehl des Königs wurden z.B. auch 30.000 Menschen geimpft. Durch den Wegfall der alten Zünfte und das Wachstum des königlichen Hofstaates entwickelten sich Handwerk und Gewerbe zunächst zumindest in der Residenzstadt Kassel.

Die Reformen waren jedoch nur begrenzt erfolgreich, da der ständige Geld- und Menschenbedarf für die napoléonischen Kriege das Land wirtschaftlich ausbluten ließ. Die Finanzen des Königreiches wurden durch ständige Kontributation an Frankreich zerrüttet und dadurch, dass Napoleon und Jerome einen Großteil der einst steuerpflichtigen Güter als Apanagen französischen Offizieren überließen. Das Königreich hatte trotz wechselnder Landesgrenzen und somit unterschiedlicher Einwohnerzahl (1807: fast 2 Mio., 1810: über 2,6 Mio., 1811: über 2 Mio.) dem Rheinbund ein Kontingent von 25.000 Soldaten zu stellen - tatsächlich kämpften in Russland 28.000 und in Spanien parallel 8.000 Westphalen, von denen jeweils kaum 1.000 zurückkehrten (Angaben des Landesmuseums Kassel). Bespitzelung und polizeistaatliche Unterdrückung sollten die Bürger, die die neuen Herrscher zum Teil erbittert ablehnten, zur Raison bringen. In Kurhessen kam es bereits seit 1806/07 wiederholt zu Aufständen der Bevölkerung und Widerstandshandlungen in den verschiedensten Orten. Diese Aufstände richteten sich vordringlich gegen die Konskription, die zuvor weitgehend unbekannte allgemeine Wehrpflicht. Der Aufstand von 1809 unter Führung von Wilhelm Freiherr von Dörnberg war die umfangreichste dieser Erhebungen. Im gleichen Jahr versuchte auch Friedrich Wilhelm von Braunschweig das Herzogtum seines Vaters zurückzuerobern, die Bevölkerung schloss sich jedoch seiner Schwarzen Schar nicht an, u.a. weil König Jerome mit Katharina von Württemberg eine Enkelin des alten Herzogs geheiratet und sich zusätzliche Legitimation verschafft hatte.

Verwaltungsgliederung

Das Königreich war nach französischem Vorbild in Départements, Bezirke (Arrondissements) und Kantone eingeteilt. Diese Verwaltungseinheiten deckten sich in der Regel nicht mit den vorherigen Provinzen, Kreisen und Gerichtsbezirken. Um den Bruch mit der Vergangenheit zu unterstreichen wurden zum Beispiel die Departements nach Flüssen oder Gebirgen benannt. Im Jahre 1807 bestand das Königreich aus acht Départements (Liste der Departements im Königreich Westphalen), im Jahre 1810 kamen noch die Départements Aller (Hauptstadt Hannover), Nord (Hauptstadt Stade) sowie Niederelbe (Hauptstadt Lüneburg) hinzu.

Im Januar 1810 wurde das Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg mit Ausnahme von Lauenburg integraler Teil von Westphalen. Im Januar 1811 wurden dem französischen Kaiserreich die Niederlande und weite Gebiete Nordwestdeutschlands (etwa einer Linie von der Lippemündung bis Lübeck folgend) einverleibt. Am 1. Januar 1811 wurden die Départements Nord und Niederelbe als Folge der Annexion wieder aufgelöst, die südlichen Teile dieser Départements wurden dem Aller-Département beigelegt. Diese Maßnahme sollte die Folgen der von Napoleon verhängten Kontinentalsperre lindern. Dadurch verlor das Königreich Westphalen einen Großteil des Weser-Départements einschließlich der Hauptstadt Osnabrück an Frankreich. Der südliche Teil dieses Départements wurde dem Fulda-Département zugeschlagen.

Das Ende des Königreichs

Nach der Völkerschlacht bei Leipzig (1813) löste sich das Königreich Westphalen auf; die ursprünglichen Territorien wurden wiederhergestellt. Am 28. September 1813 standen Kosakentruppen vor Kassel, die am 1. Oktober unter Czernitscheff die Stadt eroberten und das Königreich für aufgelöst erklärten. Nachdem die Stadt nach nur vier Tagen von den Kosaken verlassen worden war, rückten erneut französische Truppen ein, und Jérôme kehrte vom 16. bis 26. Oktober letztmals nach Kassel zurück. Nicht nur der kurhessische Kurprinz kehrte bald heim, ein russisches Korps rückte wieder ein. Erst am 21. November zog Kurfürst Wilhelm I. wieder in Kassel ein, und die Restauration wurde eingeleitet. Die zeitgenössischen Quellen verzeichnen vielerorts „Jubel“, mit dem die Kosaken von der Bevölkerung begrüßt worden seien. Vereinzelt berichten sie auch von Ausschreitungen, die sich teils gegen ehemalige Maires (Bürgermeister der westphälischen Zeit) richteten, teils auch gegen die unter westphälischer Herrschaft emanzipierten Juden.

Siehe auch

Literatur

  • Helmut Berding: Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik im Königreich Westfalen 1807–1813, Göttingen 1973.
  • Helmut Burmeister (Hg.): König Jérome und der Reformstaat Westphalen. Ein junger Monarch im Spannungsfeld von Begeisterung und Ablehnung. Verein für hessische Geschichte und Landeskunde, Reihe Hessische Forschungen Bd. 47. ISSN 0440-7520, Hofgeismar 2006.
  • Ewald Grothe: Model or Myth? The Constitution of Westphalia of 1807 and Early German Constitutionalism. In: German Studies Review 28 (2005), S. 1–19.
  • Arthur Kleinschmidt: Geschichte des Königreichs Westfalen, Gotha 1893.
  • Jochen Lengemann: Parlamente in Hessen 1808–1813. Biographisches Handbuch der Reichsstände des Königreichs Westphalen und der Ständeversammlung des Großherzogtums Frankfurt. Die Hessen-Bibliothek im Insel Verlag, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-458-16185-6.
  • Armin Owzar: Frankreich in Westfalen. Konstitutionalisierung und Parlamentarisierung unter Napoleon (1806–1813). In: Westfalen 79 (2001), S. 183–196.

Weblinks

51.3084579.4996127Koordinaten: 51° 18′ 30″ N, 9° 29′ 59″ O


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