Landhilfe

Landhilfe

Zur Zeit der Weimarer Republik gab es unter der Bezeichnung Landhilfe ein arbeitsmarktpolitisches Angebot für Jugendliche, die nach dem achten Schuljahr ihre Vollzeitschulpflicht abgeschlossen hatten und die Schule verließen. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde diese Maßnahme fortgeführt, 1934 beginnend ausgeweitet und als Landjahr für diese Schülergruppe verpflichtend; die einberufenen Jugendlichen wurden in Landjahrlagern zusammengefasst und erhielten dort auch eine „Nationalpolitische Schulung“.

Inhaltsverzeichnis

Landhilfe vor 1933

Die „Landhilfe“ war ursprünglich als Maßnahme gegen Jugendarbeitslosigkeit gedacht und wurde von der „Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ propagiert. Sie sollte die schulentlassene Jugend vor den angeblichen Gefährdungen der Großstädte schützen und den Jugendlichen mögliche Berufsperspektiven in der Landwirtschaft aufzeigen.[1] Zugleich sollte damit der Arbeitsmarkt entlastet werden.

Das vom Arbeitsamt geförderte Landjahr war ein unverbindliches Angebot und richtete sich an die schulentlassenen vierzehn- bis fünfzehnjährigen Volksschüler in Großstädten. Diese Schüler wurden für die Dauer von mindestens sechs Monaten an einzelne Landwirte vermittelt.

Landhilfe 1933/34

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde diese arbeitsmarktpolitische Maßnahme zunächst durch Erlass vom 3. März 1933 unter Beibehaltung der Bezeichnung „Landhilfe“ fortgeführt. Bis zum März 1934 waren 159.000 Jugendliche vorübergehend als „Landhelfer“ beschäftigt.[2] Ihre Teilnahme wurde ihnen durch einen Landhelfer-Brief bescheinigt, dessen Vorlage bei Bewerbungen für landwirtschaftliche Berufe vorteilhaft war.

Landjahr 1934 bis 1944

Lager des Landjahres Winkelshütten, Pfingstfahrt nach Marienfeld mit Hakenkreuzfahne auf dem Laster (1942), Aufnahme aus dem Bundesarchiv

Durch Gesetz vom 29. März 1934 wurde diese Maßnahme – zunächst probeweise in Preußen – zum neun Monate dauernden „Landjahr“ ausgeweitet, zur Pflicht erklärt und inhaltlich durch eine nationalsozialistische „Formationserziehung“ ergänzt.

Das Landjahr war zunächst eine Ersatzlösung für eine allgemeine Einführung eines neunten Pflichtschuljahres, die finanzpolitisch nicht möglich war. Mit diesem Schritt sollte die Jugendarbeitslosigkeit verringert werden. Bei der Auswahl der Schüler sollten wirtschaftsschwache und „politisch gefährdete“ Gebiete bevorzugt werden, um „bislang marxistisch erzogene“ Kinder „nationalpolitisch zu schulen“ und „weltanschaulich zu festigen.“[3] Als die nationalsozialistische Herrschaft gefestigt war, rückten andere Ziele in den Vordergrund. Neben einer berufslenkenden Absicht wurde die Heranbildung einer Elite angestrebt.

In einer zeitgenössischen Informationsbroschüre heißt es:[4]

„Das Landjahr ist eine staatliche Erziehungseinrichtung. Es untersteht dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Im Landjahr sollen sorgfältig ausgelesene Jungen und Mädel zu verantwortungsbewussten jungen Deutschen erzogen werden, die körperlich gestählt und charakterlich gefestigt von dem Willen erfüllt sind, im Beruf und an jeder Stelle einsatzbereit dem Volksganzen zu dienen.“

Als weiterer Zweck wurde 1934 die „Entlastung des Arbeitsmarktes“ angegeben, da ein großer Teil der Schulentlassenen nicht sofort ins Erwerbsleben einträte und der Andrang zu den Lehrstellen für ein Jahr geringer sei.[5]

Formationserziehung

Die einberufenen Jugendlichen wurden vom April bis Dezember in angemieteten Gemeinschaftsunterkünften wie ehemaligen Gutshäusern, Klöstern oder Wirtshäusern untergebracht. Im Lager waren meist 60 Jugendliche zusammengefasst. An drei bis vier Werktagen war der Vormittag dem Arbeitseinsatz in der Landwirtschaft vorbehalten; in der Erntezeit wurde auch ganztägig gearbeitet. Eine Entlohnung war nicht vorgesehen; die Landjahrpflichtigen erhielten lediglich ein geringes Taschengeld von 0,05 RM täglich.

Der Erziehungsplan des Landjahrs umfasste für die Jungen „vormilitärische Ertüchtigung, Leichtathletik, Schwimmen, Boxen usw.“, für die Mädchen „Gymnastik, Leichtathletik, Schwimmen, Spiel und Tanz“. Als praktische und vorberufliche Erziehung werden für die Jungen „Werkarbeit, Arbeit im Lager, im Garten und beim Bauern“ aufgeführt, für die Mädchen „Küchenarbeit, Hausarbeit, Wäschepflege, Nähen und Flicken, Gartenarbeit, Hilfe im Dorfkindergarten und beim Bauern“.[6] Auch die „Nationalpolitische Schulung“ wird als wesentlicher Bestandteil der Erziehung genannt. Abgeschirmt vom Elternhaus und Kirche waren die Jugendlichen einer Lagererziehung mit Diensten, Appellen, Ordnungsübungen, Geländespielen und Feiern mit nazistisch geprägtem Liedgut ausgesetzt.

Anrechnung

Bewerberinnen, die das Landjahr absolviert hatten, wurden in den Ausbildungsgang zur Kinderpflegerin oder als NS-Schwester bevorzugt aufgenommen. Das Landjahr wurde auf die Ausbildungszeiten einer „Landarbeitslehre“ und einer „ländlichen Hauswirtschaftslehre“ sowie teilweise auch auf andere Lehrzeiten, die Lehrerausbildung und das später eingeführte „Pflichtjahr“ angerechnet.

Begabten Jungen wurde überdies die Aufnahme in eine Nationalpolitische Erziehungsanstalt oder eine Freistelle in einer Aufbauschule in Aussicht gestellt.

Zahlen

Die Zahl der eingezogenen Landjahrpflichtigen betrug 1934 rund 21.000, stieg 1937 auf ein Maximum von 32.000 und sank bis 1944 auf rund 16.000 ab.[7] Während anfangs die männlichen Teilnehmer überwogen, kehrte sich das Verhältnis am Ende kriegsbedingt um.

Die staatlichen Aufwendungen für einen Schüler im Landjahr betrugen rund 500 RM und überstiegen die Kosten für Schüler einer Mittelschule erheblich.[8] Ab 1937 wurden die Finanzmittel für das Landjahr gedrosselt.

Pflichtjahr / Landdienst

Das Landjahr stand in Konkurrenz zum Pflichtjahr und Reichsarbeitsdienst, die ab 1935 für männliche und 1939 für weibliche Jugendliche verbindlich wurden. Das Pflichtjahr konnte als „Landdienst“ in einem bäuerlichen Betrieb abgeleistet werden.

In den Meldungen aus dem Reich, den geheimen Lageberichten des Sicherheitsdienstes, wird für 1938 eine anhaltende „Landflucht“ beklagt, die sogar die landwirtschaftliche Produktion gefährde. Die Bereitwilligkeit für den Landdienst sei leider unzureichend, oft wichen die weiblichen Jugendlichen aus und würden ihr Pflichtjahr lieber in der städtischen Hauswirtschaft ableisten.[9]

Literatur

  • Reinhard Hauke: Das Landjahr – Ein Stück Erziehungsgeschichte unter dem Hakenkreuz. (Diss) Gelnhausen 1997, ISBN 3-931559-20-3

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin 1998, ISBN 3-11-013379-2, S. 371.
  2. Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular..., S. 371 mit Anm. 21.
  3. Reinhard Hauke: Das Landjahr – Ein Stück Erziehungsgeschichte unter dem Hakenkreuz. Gelnhausen 1997, ISBN 3-931559-20-3, S. 9
  4. Vergleiche Merkblatt für die Eltern der Landjahrpflichtigen; Abruf am 9. September 2008.
  5. Vierteljahreshefte für Konjunkturforschung 1934 / nach Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular..., S. 372 mit Anm. 30.
  6. Merkblatt für die Eltern der Landjahrpflichtigen
  7. Wolfgang Keim: Erziehung unter der Nazi-Diktatur. 2. Aufl. Darmstadt 2005, ISBN 3-534-18802-0, Bd. 2, S. 70.
  8. 279,00 RM im Vergleichsjahr 1943 = Reinhard Hauke: Das Landjahr. S. 49
  9. Heinz Boberach (Hrsg.): Meldungen aus dem Reich. Herrsching 1984, ISBN 3-88199-158-1, Bd. 2. S. 161, 294.

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