Lesefähigkeit

Lesefähigkeit
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Als Alphabetisierung bezeichnet man den Prozess der Vermittlung der Lesefähigkeit sowie ggf. auch der Schreibfähigkeit, unabhängig davon, ob die erlernte Schrift eine alphabetische ist. Der Grad der Lese- oder Schreib- bzw. Schriftkompetenz einer Bevölkerung (Alphabetisierungsrate) kann prozentual für einzelne Bevölkerungsschichten sowie teilweise auch für historische Epochen angegeben werden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte der Alphabetisierung in Deutschland

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war der Anteil der Lese- und Schreibkundigen verschwindend gering und auf eine sehr kleine Schicht innerhalb des intellektuellen Bildungsbürgertums in den damals wenigen europäischen Städten konzentriert. Erste Impulse zur Ausbreitung der Bildung entstanden unter Einfluss der französischen Revolution seit dem letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts in Westeuropa, was sich durch die daraufhin allmählich einsetzende Industrialisierung und Verstädterung im Laufe des 19. Jahrhunderts wiederum beschleunigte.

Trotz der unter Druck der Aufstände von 1848 beginnenden staatlichen Gründungen und Förderungen von Schulen sowie der Einführung der allgemeinen Schulpflicht gelang es erst mit den Reformen des Schulsystems in der Weimarer Republik, den Anteil der totalen Analphabeten auf annähernd heutige Maßstäbe zu senken.

Friedrich Kittler weist allerdings darauf hin: „Auch wenn im Zug der allgemeinen Alphabetisierung mehr und mehr Frauen die Buchstaben lernten, Lesenkönnen war noch nicht Schreibendürfen“.

Alphabetisierungsgrad

Alphabetisierungsrate weltweit nach Ländern (Quelle: UNHD) [1]

Der Alphabetisierungsgrad ist eine statistische Größe, die den Anteil an einer Bevölkerungsgruppe angibt, der lesen und schreiben kann. Das Gegenteil ist die Analphabetenquote. Sie ist ein Indikator für das Bildungsniveau einer Bevölkerungsgruppe. Der Alphabetisierungsgrad gibt Aufschluss über die Anstrengungen einer Regierung, den Bildungsstand der Bevölkerung auf ein bestimmtes Niveau zu heben und fließt häufig in Kennzahlensysteme zur Beschreibung des Entwicklungsgrades eines Landes ein, z. B. in den Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen. Innerhalb einer Gesellschaft kann sich die Alphabetisierungsrate zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen stark unterscheiden. Mögliche Ursachen hierfür sind z. B.:

Alphabetisierungsgrad in Deutschland

Strebt der Alphabetisierungsgrad in Deutschland (gemessen an der Zahl der „totalen“ bzw. „primären“ Analphabeten), wie in den meisten Industrieländern, gegen 100 %, nimmt man doch an, dass es 4 bis 10 Millionen „funktionale“ Analphabeten unter den Erwachsenen gibt. Nach einer OECD-Studie (1994-1998) liegt die Zahl der funktionalen Analphabeten in 2 von 3 Industriestaaten höher als 15 %.

Alphabetisierungsgrad in den USA

In den USA wurde 1992 eine große National Adult Literacy Survey (NALS) durchgeführt. Nach Angaben des National Instititute of Literacy erreichten zwischen 21 und 23 Prozent der erwachsenen Bevölkerung, d.h. 44 Millionen Menschen nur das unterste Niveau (Level 1), d.h. sie können nicht genug lesen, um ein Formular auszufüllen, die Beschreibungen auf Lebensmitteln zu lesen oder einem Kind eine einfache Geschichte vorzulesen.

Die meisten Analphabeten leben in Asien, es sind etwa 833 Mio. Danach folgt Afrika mit etwa 156 Mio. und Südamerika mit 25 Mio. Im allgemeinen gilt, dass Analphabetismus bei der Landbevölkerung größer ist als bei der Stadtbevölkerung und bei den Frauen höher als bei den Männern.

Definition der OECD

Bei den Zahlen zur funktionalen Alphabetisierung einer Gesellschaft handelt es sich um relative Daten, die immer in Bezug auf die sozialen Standards der jeweiligen Gesellschaft gesehen werden müssen. Dagegen misst beispielsweise die OECD den Alphabetisierungsgrad mit einer global einheitlichen Definition. Die Zahlen beziehen sich auf Personen über 15 Jahre. Ein Alphabetisierter wird hier wie folgt definiert:

„Eine Person wird als alphabetisiert bezeichnet, wenn sie eine kurze, einfache Aussage zu ihrem alltäglichen Leben mit Verständnis sowohl lesen als auch schreiben kann.“
Alphabetisierte Bevölkerung; geschätzt
(Quelle: OECD)
  1970 2000
 weltweit   63 %   79 % 
 Entwickelte Länder und Transformationsländer   95 %   99 % 
 Am wenigsten entwickelte Länder   47 %   73 % 
 Entwicklungsländer ohne Meerzugang   27 %   51 % 

Diese Daten werden der OECD von den jeweiligen Ministerien zur Verfügung gestellt. Es handelt sich meist um Selbstauskünfte, die geschönt sein können. Da es ein sogenanntes verdecktes Analphabetentum in allen Ländern der Erde gibt, kann die tatsächliche Alphabetisierung hinter den angegebenen Zahlen zurückbleiben. Auch ist die nicht kontinuierliche Bewertung der Lese- und Schreibfähigkeit (entweder Analphabet oder Alphabet) wenig realitätsnah. Dennoch zeigen die Daten, dass sowohl in Industrienationen als auch in Entwicklungsländern die Alphabetisierung zwischen 1970 und 2000 gestiegen ist.

Der Alphabetisierungsgrad trägt zur Ermittlung des Human Development Index der Vereinten Nationen bei.

Beispiele für den Stand der Alphabetisierung ausgewählter Länder

Im Human Development Report 2007/2008 veröffentlichte das UNDP z. B. folgende Daten:[2]

Hochentwickelte Länder:

  • Island > 99 %, Rang 1 in der HDI-Liste
  • Schweiz > 99 %, Rang 7 in der HDI-Liste
  • Österreich > 99 %, Rang 15 in der HDI-Liste
  • Deutschland > 99 %, Rang 22 in der HDI-Liste

Länder mittleren Entwicklungsstandes:

  • Rumänien 97,3 %, Rang 60 in der HDI-Liste
  • China 90,1 % Rang 81 in der HDI-Liste
  • Bangladesch 47,4 %, Rang 140 in der HDI-Liste

Gering entwickelte Länder:

  • Ruanda 64,9 %, Rang 161 in der HDI-Liste
  • Niger 28,7 %, Rang 174 in der HDI-Liste

(Anmerkung: In den Human Development Index (HDI) fließen weitere Faktoren ein, so dass der HDI-Listenplatz nicht notwendigerweise mit dem Alphabetisierungsgrad übereinstimmt.)

Alphabetisierung und Entwicklung

Der Alphabetisierungsgrad gilt als einer der wichtigsten Entwicklungsindikatoren. Die OECD berechnet die Alphabetisierung gesondert für die 15-24-Jährigen, da hier die Resultate der Bildungsanstrengungen eines Landes am schnellsten wirksam sind, und die Alphabetisierung der jungen Bevölkerung (die in Entwicklungsländern meist einen großen Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachen) billiger ist. Die OECD hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2015 den Alphabetisierungsgrad der 15-24-Jährigen in allen Ländern auf 99% zu steigern. Die Vereinten Nationen haben die Jahre 2003-2013 zur UNO-Alphabetisierungdekade erklärt.

Der Alphabetisierungsgrad ist in Ländern mit niedrigem und mittlerem Pro-Kopf-Einkommen seit 1960 von einem Drittel auf über die Hälfte gestiegen. 2003 galten weltweit 862 Millionen als Analphabeten. Mangelnde Bildung gilt als eines der größten Hindernisse gesellschaftlicher Entwicklung. Besonders betroffen sind arme und bevölkerungsreiche Länder wie z.B. Bangladesch, Brasilien, Volksrepublik China, Indien, Indonesien, Ägypten, Mexiko, Nigeria und Pakistan. Alphabetisierung ist eine notwendige Bedingung für Entwicklung, aber keine hinreichende. Gibt es keine Wirtschaft, die die gestiegene Alphabetisierung nutzt, kommt es zu Abwanderung, wie z.B. auf den Philippinen.

In vielen Ländern (vor allem in Afrika) ist der Alphabetisierungsgrad bei Männern weit höher als bei Frauen, da Frauen und Mädchen der Zugang zu Bildung dort vielfach verwehrt wird.

Beispiele für Alphabetisierungskampagnen

Nicaragua

Es gab immer wieder Versuche einzelner Länder, den Alphabetisierungsgrad kurzfristig zu erhöhen. Als beispiellos in der Geschichte der Bildung kann die Alphabetisierungskampagne in Nicaragua zu Beginn der 1980er Jahre gesehen werden. Nach dem Sturz der Somoza-Diktatur erklärte die sandinistische Regierung die Alphabetisierung des Landes zu einer ihrer Hauptmissionen. Im sogenannten "Kreuzzug gegen die Ignoranz" zogen etwa 100.000 Freiwillige in die entlegenen Dörfer der ländlichen Gebiete und unterrichteten, zum Teil in drei Schichten am Tag. In nur zwei Jahren gelang es, die Analphabetenquote von 65 % auf 12 % zu senken. Nach der Abwahl der sandinistischen Regierung 1990 wurden die Bemühungen im Bildungswesen zurückgeschraubt. Zur Zeit besuchen ein Drittel der schulpflichtigen Kinder Nicaraguas - etwa 800.000 - keine Schule mehr. Nach den entsprechenden Human Development Reports lag 1990 die Analphabetenquote bei 19,0 %,[3] 2005 betrug sie 23,3%.[2]

Kuba

Andere Kampagnen, wie die kubanische Alphabetisierungskampagne, erzielten einen längerfristigen Erfolg.

Mexiko

In Mexiko wurde 1944 ein Aufruf zur Linderung des Analphabetismus als Dekret des Staatspräsidenten Manuel Ávila Camacho veröffentlicht. Unter dem Titel „¡Oyed!“ („Hört zu!“) wurden in der Presse alle Lese- und Schreibkundigen aufgefordert, mindestens einer anderen Person Lesen und Schreiben beizubringen. In den Erinnerungen an seine Mutter Anna Seghers, die in dieser Zeit in Mexiko im Exil war, berichtet Peter Radvanyi, dass sich tatsächlich viele, die diesen Aufruf hatten lesen können, unter den Nachbarn und Bekannten umsahen, um Stunden zu geben. [4]

Siehe auch

Literatur

  • Christian H. Freitag: "Wenn Erwachsene lesen lernen. Zwei Millionen Analphabeten in Großbritannien soll ein Programm helfen", in: Der Tagesspiegel (Berlin) v. 27. Februar 1977, S.44

Einzelnachweise

  1. Human Development Reports
  2. a b Human Development Report 2007/2008 - Human Development Indicators
  3. Human Development Report 1993 - Human Development Indicators
  4. Peter Radvanyi: Jenseits des Stroms. Erinnerungen an meine Mutter Anna Seghers. Aus dem Französischen übersetzt von Manfred Flügge. Berlin: Aufbau 2006, S. 104. ISBN 3-7466-2283-2

Weblinks


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