Lie-Ableitung

Lie-Ableitung

In der Analysis bezeichnet die Lie-Ableitung (nach Sophus Lie) die Ableitung eines Vektorfeldes oder allgemeiner eines Tensorfeldes entlang eines Vektorfeldes. Mit ihrer Hilfe kann eine Lie-Klammer für Vektorfelder definiert werden, wodurch die Menge aller Vektorfelder einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit zu einer Lie-Algebra wird.

In der Allgemeinen Relativitätstheorie und in der geometrischen Formulierung der Hamiltonschen Mechanik wird die Lie-Ableitung verwendet, um Symmetrien aufzudecken, diese zur Lösung von Problemen auszunutzen und beispielsweise Konstanten der Bewegung zu finden.

Inhaltsverzeichnis

Lie-Ableitung für Funktionen

Ist X ein Vektorfeld, so ist die Lie-Ableitung einer differenzierbaren Funktion f die Anwendung von X auf f:

\mathcal L_Xf=Xf.

Genauer:

Es seien M eine n-dimensionale \mathcal{C}^\infty-Mannigfaltigkeit, f\colon M \to \R eine glatte Funktion und X ein glattes Vektorfeld auf M. Die Lie-Ableitung \mathcal{L}_X f(p) der Funktion f nach X im Punkt p\in M ist definiert als die Richtungsableitung von f nach X(p):

\mathcal{L}_X f(p) := X_p(f) = d_p f(X(p))

In lokalen Koordinaten (x_1, ..., x_n) \colon U \subseteq M \to \R^n lässt sich das Vektorfeld darstellen als

X = \sum_{j=1}^n X_j \frac{\partial}{\partial x_j}, mit X_j \colon U \to \R.

Für die Lie-Ableitung ergibt sich dann

\mathcal{L}_X f(p)=  \sum_{j=1}^n X_j(p) \frac{\partial f}{\partial x_j} (p)

Lie-Ableitung von Vektorfeldern

Sind X und Y zwei Vektorfelder, so ist die Lie-Ableitung von Y nach X die Lie-Klammer der beiden Vektorfelder:

\mathcal L_XY=[X,Y].

Diese ist wie folgt definiert:

Seien  X,\,Y zwei glatte Vektorfelder auf einer n-dimensionalen glatten Mannigfaltigkeit M. Dann wird durch

[X,Y] := X \circ Y - Y \circ X,

wieder ein glattes Vektorfeld auf M definiert, die Lie-Klammer von X und Y. Die Definition bedeutet: Für jede glatte Funktion auf M gilt

[X,Y](f) = X( Y(f)) - Y ( X(f))\,.

In lokalen Koordinaten haben die Vektorfelder eine Darstellung

X = \sum_{j=1}^n X_j \frac{\partial}{\partial x_j} bzw. Y = \sum_{j=1}^n Y_j \frac{\partial}{\partial x_j}.

Dann gilt:

[X,Y] = \sum_{j=1}^n 
\left( \sum_{k=1}^n X_k \frac{\partial Y_j}{\partial x_k} - \sum_{k=1}^n Y_k \frac{\partial X_j}{\partial x_k}\right) \frac{\partial}{\partial x_j}

Manchmal wird die Lie-Klammer auch mit umgekehrten Vorzeichen definiert, also [X,Y] := Y \circ X - X \circ Y statt [X,Y] := X \circ Y - Y \circ X.

Allgemeine Definition

Für ein Tensorfeld T und ein Vektorfeld X mit lokalem Fluss Φt ist die Lie-Ableitung von T bezüglich X definiert als

\mathcal L_XT=\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t}\Phi_{t}^* T|_{t=0}.

\mathcal L_X ist \R-linear in X und für festes X eine Derivation der Tensoralgebra, die mit der Kontraktion verträglich ist. Die Lie-Ableitung ist dadurch und durch ihre Werte auf Funktionen und Vektorfeldern bereits eindeutig charakterisiert.

Im Unterschied zu einem Zusammenhang ist \mathcal L_X nicht \mathcal C^\infty-linear in X.

Eigenschaften und Lie-Algebra

Der Vektorraum \mathcal{C}^\infty(M,\R) aller glatten Funktionen M \to \R ist bezüglich der punktweisen Multiplikation eine Algebra. Die Lie-Ableitung bezüglich eines Vektorfeldes X ist dann eine \R-lineare Derivation \mathcal{L}_X : \mathcal{C}^\infty(M,\R) \to \mathcal{C}^\infty(M,\R), d.h. sie hat die Eigenschaften

  • \mathcal{L}_X ist \mathbb{R}-linear
  • \mathcal{L}_X(f g)=(\mathcal{L}_X f) g + f\mathcal{L}_X g (Leibniz-Regel)


Bezeichne \mathcal{X}(M) die Menge aller glatten Vektorfelder auf M, dann ist die Lie-Ableitung auch eine \R-lineare Derivation auf \mathcal{C}^\infty(M,\R) \times \mathcal{X}(M) , und es gilt:

Dadurch wird \mathcal{X}(M) zu einer Lie-Algebra.

Definition der Lie-Ableitung auf Differentialformen

Sei M eine \mathcal{C}^\infty-Mannigfaltigkeit, X ein Vektorfeld auf M und \alpha \in \Lambda^{k+1}(M) eine (k + 1)-Differentialform auf M. Durch Evaluation kann man eine Art inneres Produkt zwischen X und α definieren:

(i_X\alpha) (X_1, \ldots, X_k) = (k+1)\alpha (X,X_1, \ldots, X_k)\,

und erhält die Abbildung:

i_X:\Lambda^{k+1}(M) \to \Lambda^k(M), \; \alpha \mapsto i_X\alpha

Diese Abbildung hat die folgenden Eigenschaften:

  • iX ist R-linear
  • für beliebiges f\in \Lambda^0(M) gilt ifXα = fiXα
  • Sei β eine beliebige Differentialform über M und \alpha\in\Lambda^k(M)
i_X (\alpha \wedge \beta) = 
(i_X \alpha) \wedge \beta + (-1)^k \alpha \wedge (i_X \beta)

Weiter oben wurde die Lie-Ableitung bezüglich eines Vektorfeldes X für Funktionen über M definiert:

\mathcal{L}_Xf = i_X df

Für echte Differentialformen ist die Lie-Ableitung bezüglich eines Vektorfeldes X wie folgt definiert:

\mathcal{L}_X\alpha = \left(i_X\circ d\ + d\circ i_X\right) \alpha.

Sie hat die folgenden Eigenschaften:

  • \mathcal{L}_{fX}\alpha = f\mathcal{L}_X\alpha + df \wedge i_X \alpha
  • \mathcal{L}_X(\alpha\wedge\beta)=(\mathcal{L}_X\alpha)\wedge\beta+\alpha\wedge(\mathcal{L}_X\beta)
  • [\mathcal{L}_X,\mathcal{L}_Y]\alpha:=
\mathcal{L}_X\mathcal{L}_Y\alpha-\mathcal{L}_Y\mathcal{L}_X\alpha=\mathcal{L}_{[X,Y]}\alpha
  • [\mathcal{L}_X,i_Y]\alpha=[i_X,\mathcal{L}_Y]\alpha=i_{[X,Y]}\alpha

Literatur

  • Uwe Storch, Hartmut Wiebe: Lehrbuch der Mathematik. Band 4: Analysis auf Mannigfaltigkeiten – Funktionentheorie – Funktionalanalysis. Spektrum, Heidelberg 2001, ISBN 3-8274-0137-2.
  • Sylvestre Gallot, Dominique Hulin, Jacques Lafontaine: Riemannian Geometry. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 1990, ISBN 3-540-52401-0

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