Anthony Ashley Cooper, 3. Earl of Shaftesbury

Anthony Ashley Cooper, 3. Earl of Shaftesbury
Anthony Ashley Cooper, 3. Earl of Shaftesbury

Anthony Ashley Cooper, 3. Earl of Shaftesbury (* 26. Februar 1671 in London; † 4. Februar 1713 in Neapel) war ein englischer Politiker, Philosoph und Schriftsteller.

Inhaltsverzeichnis

Kindheit und Jugend

Shaftesbury wurde im Exeter House in London als Enkel von Anthony Ashley Cooper, 1. Earl of Shaftesbury, geboren. Die Ehe seiner Eltern wurde angeblich von John Locke vermittelt, einem Freund seines Großvaters. Der zweite Lord Shaftesbury scheint geistig und körperlich behindert gewesen zu sein. Im Alter von drei Jahren wurde sein Sohn in die Obhut des Großvaters gegeben. John Locke, der als medizinischer Betreuer der Familie bereits bei der Geburt geholfen hatte, wurde nun mit der Erziehung des jungen Shaftesbury beauftragt. Locke orientierte sich dabei an den Prinzipien, die er in seinem Werk Thoughts concerning Education formuliert hatte, und seine Methode, Latein und Griechisch gesprächsweise unterrichten zu lassen, war so erfolgreich, dass Ashley mit elf Jahren beide Sprachen fließend lesen konnte.

Im November 1683, einige Monate nach dem Tod seines Großvaters, kam Ashley auf das Winchester College, wo er jedoch keine guten Erfahrungen machte. 1686 verließ er die Schule, um eine erzieherische Auslandsreise zu unternehmen. Dabei geriet er in Kontakt zu künstlerischen und klassischen Vereinigungen, die seinen Charakter und seine Ansichten stark beeinflussen sollten. Auf seiner Reise scheint er weniger das Gespräch mit gleichaltrigen Engländern, sondern eher mit ihren Lehrern gesucht zu haben, mit denen er auf gleicher Ebene konversierte.

Beginn der politischen Laufbahn

1689, ein Jahr nach der Glorious Revolution, kehrte Lord Ashley nach England zurück und führte fünf Jahre lang ein zurückgezogenes Leben. Zweifellos widmete er sich in dieser Zeit vor allem dem Studium klassischer Autoren und bemühte sich, den wahren Geist des klassischen Altertums zu verstehen. Dennoch hatte er keineswegs die Absicht, ein Stubenhocker zu werden: Er wurde Parlamentskandidat für den Wahlkreis Poole und entschied am 21. Mai 1695 die Wahl für sich. In seiner ersten Parlamentsrede setzte er sich dafür ein, dass auch Personen, die des Landesverrats angeklagt werden, Anspruch auf einen Rechtsanwalt haben sollten. Obwohl er sich als Whig verstand, wollte er sich doch keiner Parteidisziplin unterordnen, und er war stets bereit, auch Vorschläge anderer Parteien zu unterstützen, wenn sie die Freiheit der Bürger und die Unabhängigkeit des Parlaments förderten. Seine gefährdete Gesundheit zwang ihn jedoch im Juli 1698, sich aus dem Parlament zurückzuziehen. Er litt an Asthma, einer Beschwerde, die durch den Londoner Smog noch verschlimmert wurde.

Lord Ashley zog sich nun in die Niederlande zurück. Dort machte er die Bekanntschaft von Georges-Louis Leclerc de Buffon, Pierre Bayle, Benjamin Furly und anderer Mitglieder des literarischen Zirkels, in dem John Locke rund zehn Jahre zuvor in Rotterdam gefeiert worden war. Für Lord Ashley war diese Gesellschaft wahrscheinlich anregender als seine Umgebung in England, denn uneingeschränkte Diskussionen über die ihn interessierenden Gegenstände Philosophie, Politik, Moral und Religion waren zu dieser Zeit in den Niederlanden in größerem Umfang und mit geringerem Risiko möglich als in jedem anderen Land der Welt. Während seines Aufenthalts in den Niederlanden wurde in England ohne seine Einwilligung durch John Toland sein Frühwerk Inquiry concerning Virtue veröffentlicht.

Nach über einem Jahr kehrte Lord Ashley nach England zurück und wurde bald darauf Nachfolger seines Vaters als Earl of Shaftesbury. Bei den Wahlen der Jahre 1700 und 1701 engagierte er sich aktiv für die Whigs. William III. soll ihm ein Amt als Staatssekretär angeboten haben, was Shaftesbury aber aus Gesundheitsgründen ablehnte. Als Königin Anne die Regierung antrat, zog Shaftesbury sich aus dem politischen Leben zurück, behielt aber weiterhin ein reges Interesse an Politik.

Die Jahre als Schriftsteller

Im August 1703 ging Shaftesbury aus gesundheitlichen Gründen wieder für ein Jahr in die Niederlande. Aber vollständig konnte er seine Leiden dort nicht auskurieren, und deswegen betätigte er sich nach seiner Rückkehr nach England fast ausschließlich literarisch. Von dieser Zeit an schrieb oder überarbeitete er die Abhandlungen, die später gesammelt als Characteristics veröffentlicht wurden. Dennoch verfolgte Shaftesbury weiterhin interessiert die politischen Ereignisse, besonders den Krieg gegen Frankreich, den er befürwortete.

Ab 1708 begann Shaftesbury, anonym verschiedene Essays zu veröffentlichen, z. B. Sensus Communis, an Essay on the Freedom of Wit and Humour oder The Moralists, a Philosophical Rhapsody. 1711 erschienen diese und andere Essays (darunter auch die überarbeitete Inquiry concerning Virtue), wieder anonym, in der dreibändigen Sammlung Characteristics of Men, Manners, Opinions, Times

Shaftesburys Gesundheitszustand verschlechterte sich, so dass er sich genötigt sah, Erholung in einem wärmeren Klima zu suchen: Im Juli 1711 reiste er nach Italien, ließ sich in Neapel nieder und blieb dort länger als ein Jahr. In Italien bereitete er die zweite Auflage der Characteristics vor, die bald nach seinem Tod erschien, und schrieb weitere Essays, darunter A Notion of the Historical Draught or Tablature of the Judgment of Hercules und den Letter Concerning Design.

In seinen letzten Lebensmonaten war Shaftesbury beunruhigt durch die Ereignisse, die dem Frieden von Utrecht vorausgingen, und die er als Wegbereitung für den Abfall der englischen Verbündeten betrachtete. Die Unterzeichnung des Friedensvertrages am 31. März 1713 erlebte Shaftesbury nicht mehr, denn er starb einen Monat vorher, am 4. Februar 1713. Seine sterblichen Überreste wurden nach England zurückgebracht und am Familiensitz in Dorset bestattet. Sein gleichnamiger Sohn folgte ihm als vierter Earl of Shaftesbury nach. Sein Ur-Ur-Enkel, der siebte Earl, war ein berühmter Philanthrop.

Shaftesburys philosophische Bedeutung

Shaftesburys philosophische Bedeutung beruht vor allem auf seinen ethischen Überlegungen, mit denen er vor allem darauf abzielte, Thomas Hobbes und den von ihm gelehrten Egoismus zu widerlegen. Mit den Methoden der empirischen Psychologie untersuchte er den Menschen zuerst als Einheit in sich selbst und zweitens in den Beziehungen zu den größeren Einheiten der Gesellschaft und der Menschheit. Sein oberstes Prinzip war die Harmonie oder Balance, die er auf der Grundlage des guten Geschmacks oder Empfindens als Gegensatz zum Verstand aufbauen wollte:

  1. Der Mensch als Individuum ist an erster Stelle eine Einheit aus Trieben, Leidenschaften, Gemütsbewegungen, mehr oder weniger perfekt kontrolliert vom zentralen Verstand. Im moralischen Menschen sind diese Faktoren gleichmäßig ausbalanciert. „Wer auch immer“, schreibt Shaftesbury, „in dieser moralischen Architektur auch nur im geringsten bewandert ist, wird das innere Leben so ausgerichtet finden, dass die zu lange oder zu intensive Hingabe an eine einzelne Leidenschaft irreparablen Schaden anrichten kann“. (Inquiry concerning Virtue)
  2. Als soziales Wesen ist der Mensch Teil einer größeren Harmonie, und um zum Wohlergehen des Ganzen beizutragen, muss er seine außengerichteten Aktivitäten so kontrollieren, dass sie nicht mit seiner Umgebung kollidieren. Nur wenn der Mensch seine inneren und seine sozialen Beziehungen nach diesem Ideal reguliert, kann er als moralisch betrachtet werden. Der Egoist und auch der Altruist sind beide unvollkommen. In der reifen Humanität sind beide Impulse vollkommen ausbalanciert.

So wendet sich Shaftesbury mit seinem Kriterium der Harmonie gegen Hobbes, und er leitet daraus ab, die Tugend der Wohltätigkeit sei für die Moral unverzichtbar. Ferner zieht er enge Parallelen zwischen den moralischen und den ästhetischen Kriterien: So wie es eine Fähigkeit gibt, die sich in der Sphäre der Kunst dem Schönen annähert, gibt es in der Sphäre der Ethik eine Fähigkeit, die den moralischen Wert von Handlungen bestimmt. Diese Fähigkeit beschreibt Shaftesbury (zum ersten Mal in der englischen Geistesgeschichte) als moralischen Sinn (s. Francis Hutcheson) oder Gewissen (s. Joseph Butler). In ihrem Wesen ist sie vor allem emotional und nicht-reflexiv; in ihrem Entwicklungsprozess wird sie durch Erziehung und Praxis rationalisiert. Die emotionalen und rationalen Elemente des moralischen Sinnes hat Shaftesbury nicht vollkommen analysiert.

Aus diesem Prinzip folgt:

  1. Die Unterscheidung zwischen richtig und falsch gehört konstitutionell zur menschlichen Natur.
  2. Moral ist unabhängig von der Theologie, und die moralischen Qualitäten von Handlungen sind festgelegt unabhängig von der Willkür Gottes.
  3. Das entscheidende Beurteilungskriterium für eine Handlung ist ihre Tendenz, die allgemeine Harmonie oder Wohlfahrt zu fördern.
  4. Trieb und Verstand konkurrieren bei der Determinierung von Handlungen.
  5. Aufgabe des Moralphilosophen ist nicht, das Problem von Willensfreiheit und Determinismus zu lösen.

Daraus wird ersichtlich, dass Shaftesbury sich im Gegensatz zu Hobbes und Locke befand, hingegen in enger Übereinstimmung mit Hutcheson. Er war auch ein religiöser Denker, insofern er als Antriebskräfte für das moralische Handeln den Druck der öffentlichen Meinung, die Angst vor Strafe und die Autorität des staatlichen Rechts ablehnte - gelten ließ er nur die Stimme des Gewissens und die Liebe zu Gott: Diese beiden Kräfte allein bewegen den Menschen, zu seinem eigenen Nutzen nach der universalen Harmonie zu streben.

Shaftesburys philosophisches Spektrum beschränkte sich auf Ethik, Ästhetik und Religion. Für Metaphysik und sogar für Psychologie, sofern sie die für die Ethik erforderlichen Grundlagen überstieg, hatte er keinen Sinn. Logik verachtete er als Instrument für pedantische Spitzfindigkeiten, denen an den Universitäten zu viel Beachtung geschenkt werde.

Die Hauptaufgabe des Moralphilosophen liegt für Shaftesbury darin, ein System der natürlichen Theologie zu entwerfen und die Wege zu Gott in dieser natürlichen Religion zu rechtfertigen. Shaftesburys religiöses Glaubensbekenntnis bestand nur aus wenigen, einfachen Thesen, die er aber mit Enthusiasmus verfocht. Sie können kurz zusammengefasst werden als Glaube an den einen Gott, dessen Hauptcharakteristikum die universelle Güte ist. Ferner glaubte er an die moralische Lenkung des Universums und an eine zukünftige Entwicklungsstufe der Menschheit, in der die Schwächen und Ungleichheiten des jetzigen Lebens überwunden werden. Die Materie betrachtete Shaftesbury als ein Prinzip, das ebenso wie Gott ewig ist und dessen Wirken begrenzt, weshalb es auch die Ursache von allem Bösen ist. – Diese religiösen Ansichten Shaftesburys wurden popularisiert von Alexander Pope, dessen Essay on Man teilweise nur eine in Versform gebrachte Fassung von Shaftesburys Religionsphilosophie ist.

Nachwirkung

Shaftesburys Schriften hatten im In- und Ausland beachtlichen Einfluss. Sein ethisches System wurde von Hutcheson aufgegriffen und in eine philosophischere Form gebracht; von ihm strahlte es weiter aus auf David Hume und Adam Smith. Selbst Samuel Butler blieb davon nicht unbeeinflusst. Von den sogenannten Deisten war Shaftesbury der angesehenste. Die „Characteristics“ wurden bei ihrem Erscheinen mit großem Wohlwollen aufgenommen und z.B. von Gottfried Wilhelm Leibniz gelobt.

1745 adaptierte Denis Diderot die Inquiry concerning Virtue zu seinem Werk Essai sur le Mérite et la Vertu. 1769 wurde eine französische Übersetzung von Shaftesburys Werken, einschließlich der Briefe, in Genf veröffentlicht. Von 1776 bis 1779 erschien eine komplette deutsche Übersetzung der Characteristics, nachdem einzelne Essays Shaftesburys schon seit 1738 ins Deutsche übersetzt worden waren. Wie der Literaturhistoriker Hermann Theodor Hettner schrieb, wurden nicht nur Gottfried Wilhelm Leibniz, Voltaire und Denis Diderot von Shaftesbury entscheidend angeregt, sondern auch Gotthold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried von Herder. In seiner Adrastea lobt Herder Shaftesburys Werke als in der Form den antiken Griechen gleichrangig und im Inhalt sogar überlegen. Das Interesse deutscher Literaten an Shaftesbury wurde später wiederbelebt durch zwei exzellente Monographien: Shaftesbury von Gideon Spicker (Freiburg, 1872), der ihn eher von der theologischen Seite behandelt, und aus eher philosophischer Perspektive Die Philosophie Shaftesbury's von Georg von Gizycki (Leipzig, 1876).

Werke

  • "Freundschaft und Menschenliebe" (dieser Titel vom Hg. vergeben) In: Klaus-Dieter Eichler (Hg.): Philosophie der Freundschaft Reclam, Leipzig 1999 & 2000, S. 98-102 (Übers. Ludwig Hölty & Johann Benzler) ISBN 3-379-01669-1; aus: Shaftesbury: Der gesellige Enthusiast. Philosophische Essays Hg. Karl-Heinz Schwabe, Beck, München 1990 ISBN 3406343481 (S. 80 - 84)
  • Untersuchung über die Tugend Übers. Paul Ziertmann A general Treatise of morality Felix Meiner, Leipzig 1905 (Reihe: Philosophische Bibliothek 110; 122 S.) Auszug in: dsb., Religion und Tugend ebd. 1919 (48 S.)

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