Anti-Gewalt-Training

Anti-Gewalt-Training

Als Anti-Aggressivitäts-Training (auch Antiaggressionstraining, Anti-Gewalttraining) bezeichnet man einen Trainingskurs, der aus einer größeren Gruppe theoretischer, praktischer und körperlicher Übungen zusammengestellt wird und der der Vorbeugung aggressiver Verhaltensweisen im Alltag bzw. deren Abbau dient. Der älteste Kurs AAT ist heute genormt und validiert[1], doch es gibt zahlreiche andere, nicht einheitlich zusammengestellte Kurse, die von Psychologen, Pädagogen oder Sozialpsychologen für verschiedene Bedürfnisse zusammengestellt und an das jeweilige Klientel und dessen Erfordernisse angepasst werden.

Inhaltsverzeichnis

Ziel und Zweck

Jedes Anti-Aggressivitäts-Training dient dem Zweck, aggressive Verhaltensweisen vorzubeugen oder abzubauen, damit diese im Alltag seltener oder nicht mehr auftreten. Dazu werden kognitive und emotionale Komponenten beobachtet und analysiert. Zusätzlich werden die Teilnehmer mit aggressivem Verhalten konfrontiert, sowohl dem eigenen als auch dem der anderen. Sie sollen lernen, selbst auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten, auch wenn sie die körperliche Stärke dazu haben, oder Gewalt aus dem Weg zu gehen, wenn sie ihnen begegnet. Gewaltanwendung wird als Schwäche dargestellt. Wer schlägt, ist nicht stark genug, bessere Konfliktlösungsmöglichkeiten zu nutzen.

Bei den Trainingseinheiten werden kontrolliert Situationen hergestellt (simuliert), in denen aggressive Verhaltensmuster auftreten. Durch das Eintrainieren von nicht-aggressiven alternativen Verhaltensweisen lernen die Teilnehmer, wie sie sich besser verhalten können.

Einsatzbereiche

Ursprünglich 1987 von dem Erziehungswissenschaftler und Kriminologen Jens Weidner und Kollegen als "Antagonistentraining", später (1989) "AAT" in der JVA Hameln für den Einsatz in Haftanstalten entwickelt, wo dieses Training heute sehr häufig angewendet wird, richtet sich diese Methode allgemein an (oft auch potentielle) Gewalttäter im jugendlichen und frühen Erwachsenenalter. Es kann nicht nur in Jugendstrafanstalten, sondern auch in anderen Einrichtungen absolviert werden, wie zum Beispiel Kinderheimen oder heilpädagogischen Einrichtungen, bevorzugt im stationären Bereich, aber auch ambulant. Auch Schulen bieten diese Art der Aggressionsbewältigung an, oft nur mit einigen Übungen.

Planung

Kurstyp und Zeitplan

Wird der originale Kurs AAT nach Weidner durchgeführt, kann er von den Kursleitern in einer Weiterbildungsmaßnahme erlernt und später angewendet werden. Dann ist er modular aufbaubar, besteht aber aus einer relativ festgelegten Abfolge von Übungen.

Zur Planung von frei gestaltbaren Trainingsmaßnahmen gehört vor allem eine genaue Analyse der Anforderungen des Klientels. Zudem stellt er an die Kursleiter sowie das Umfeld, in dem der Kurs stattfindet, einige persönliche Anforderungen. Für die genormten Kurse ist eine Zusatzausbildung zum Anti-Gewalt-Trainer möglich, die Pädagogen oder Psychologen erwerben können. Seitens der Durchführenden muss auch Bereitschaft zu simulierten Konflikten vorhanden sein, die den Jugendlichen selbst vertraut ist, von Außenstehenden aber erlernt werden muss.

Zeitplan und die Abfolge der Übungen richten sich nach dem jeweiligen Kurstyp. Meist wird das Training mittel- oder langfristig angesetzt, d.h. die Übungen werden zu ein bis zwei Gelegenheiten pro Woche von mindestens zwei Stunden Dauer über viele Monate oder ein Jahr durchgeführt. Es handelt sich um ein echtes Training, das die Übungen wiederholt absolviert, um den gewünschten langfristigen Lerneffekt herzustellen. Insbesondere der Transfer des eintrainierten Verhaltens auf reale, alltägliche Situationen kann nur durch eine längere Maßnahme ausreichend bewirkt werden. Reine Erklärungen oder Gespräche werden als nicht erfolgversprechend angesehen und gehören nur begleitend zum Konzept.

Indikation

Die Teilnahme an einem dieser Kurse kann freiwillig geschehen. In Haftanstalten sind damit manchmal Anreize oder Vergünstigungen verbunden bzw. die Teilnahme wirkt sich positiv auf das weitere Verfahren aus. Die Maßnahme kann auch mit dem zuständigen Jugendamt abgesprochen oder gerichtlich angeordnet werden. Nicht zugelassen werden oft Interessenten mit psychischen Erkrankungen, deutlich verminderter Intelligenz oder Teilnehmern vor der Aufarbeitung einer Abhängigkeitsproblematik. Das Training eignet sich allgemein nicht für Täter, die zu psychischer Gewalt oder sexueller Gewalt (Sexualstraftäter) neigen, da die Übungen nicht hierauf ausgerichtet sind. Außerdem müssen ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache vorhanden sein.

Im Vorfeld der Trainingsmaßnahme steht die Auswahl der Teilnehmer. Es wird ein ausführliches Interview geführt, das zum Beispiel aus einem Hilfeplan-Gespräch hervor gehen kann.

Schwerpunktsetzung

Ähnlich wie bei sportlichem Training steht eine große Vielzahl von Übungen zur Verfügung, aus denen der Kurs schwerpunktmäßig zusammengesetzt wird. Oft werden die Teilnehmer (vorbereitet) mit aggressiven Verhalten konfrontiert, Rechtfertigungs- und Neutralisierungsstrategien sollen sichtbar gemacht und abgebaut werden, die Opfersichtweise wird vermittelt. Die Notwendigkeit von Gewalt wird in Frage gestellt und Schlichtungs- und Deeskalationsstrategien werden erlernt. Dazu gibt es viele praktische Übungen, die kombiniert oder einzeln eingesetzt werden können.

Organisatorische Voraussetzungen

Weil es sich um praktische Trainingsmaßnahmen handelt, sind geeignete Räumlichkeiten nötig, die auch langfristig zur Verfügung stehen. In Haftanstalten werden oft eigene Räume benutzt. Allgemein ist eine Sporthalle günstig. Benötigtes Material kann aus dem sportpädagogischen Bereich entnommen werden, für theoretische Übungsteile wird eine Tafel oder ein Projektor verwendet.

In Haftanstalten wird die Teilnahme oft von Angestellten oder Sozialpädagogen betreut, im heilpädagogischen Bereich erfolgt oft eine enge Zusammenarbeit mit den Wohngruppen-Betreuern (Einzelfall-Beratung). Die Zusammenarbeit ermöglicht bessere Ergebnisse und hilft, auf die Bedürfnisse jedes Teilnehmers einzugehen.

Grundregeln

Gewalt und Aggression sind menschliche Verhaltensweisen, die zur Kenntnis genommen werden. Sie werden allerdings nicht akzeptiert, sondern sollen durch Regeln und Normen kultiviert werden. Zu Beginn des Trainings werden oft einige allgemeine Regeln aufgestellt, die schriftlich auf einer Tafel fest gehalten oder ausgehängt werden können. Regelverletzungen werden oft als ein Zeichen dafür gewertet, dass die Teilnehmer noch nicht soweit sind, die jeweilige Übung durchzuführen.

  • Keine gegenseitigen Verletzungen
  • Nur simulieren, kein Ernst Wenn aus einer Übung plötzlich ernst wird, wird vom Leiter abgebrochen und die Situation wieder auf eine theoretische Ebene verlagert.
  • Keine Ausgrenzung Niemand darf jemanden ausgrenzen. Schwache und Starke gehören gemeinsam zur Gruppe und können diese Position nicht verlieren.
  • Nichts unter den Teppich kehren Treten Konflikte ein, werden die Teilnehmer sofort damit konfrontiert. Es wird niemals abgebrochen und verschwiegen.

Übungen und Segmente

Viele, aber nicht alle Übungen folgen dem Konfrontationsprinzip. Es besagt, dass die Teilnehmer mit Gewalt oder entsprechend provozierenden Situationen konfrontiert werden und lernen, diese Situationen auszuhalten ohne selbst gewalttätig zu werden.

Provokationshierarchie

Oft wird in Gesprächen und während der Übungen eine Provokationshierarchie heraus gearbeitet. Dabei geben die Teilnehmer an, welche Situationen für sie individuell leichter oder schwerer gewaltfrei zu bewältigen sind bzw. inwieweit sie wann noch gelassen bleiben können. Die Grenze zwischen Gelassenheit und aggressiver Verhaltensweise soll in dieser Hierarchie schrittweise heraufgesetzt werden. Dazu dienen die Übungen.

Kooperative Übungen

Bei den sogenannten kooperativen Übungen werden Aufgaben gestellt, die naturgemäß nur gemeinsam gelöst werden können. Hierbei steht nicht unbedingt die Gewalt im Vordergrund, sondern eine neutrale Aufgabe. Wird diese durchschritten oder gelöst, erwerben die Teilnehmer Vertrauen in den anderen. Dadurch soll Fähigkeit und Bereitschaft gefördert werden, die Konfrontationen zu unterstützen. Beispiele sind gemeinsames Klettern, schwere oder geschickliche handwerkliche Tätigkeiten wie gemeinsames Sägen mit einer Handsäge, erlebnispädagogische Aktionen wie Paddelboot-Fahrten oder Ausflüge.

Körperübungen

Hierzu zählt das Kämpfen nach Regeln. Hierzu werden oft Elemente aus dem Judo oder dem Ringen verwendet. die Übungen dienen dazu, für das Thema Gewalt zu sensibilisieren und die Thematik richtig wach zu rufen. Es kommt nicht auf das Training sportlicher Fähigkeiten an. Man führt damit vor, dass Gewalt Spaß machen kann, wenn sie regelgeleitet und nach Normen geschieht. Diese Spiele werden meist in der Turnhalle auf Matten durchgeführt und leiten in andere Übungen ein.

Rollenübungen

Diese nehmen einen breiten Raum ein und sollen von den Teilnehmern aktiv betrieben werden. Dabei übernimmt einer der Teilnehmer die Täter, der andere die Opferrolle. Beide sollen ihre Befindlichkeiten reflektieren. Durch den Tausch der Rolle wird beiden verdeutlicht, dass Täter- und Opfer-Rolle zwei Seiten derselben Problematik sind. Die Wahrnehmung für den jeweils anderen wird sensibilisiert. Sowohl Täter, als auch Opfer können den Verlauf der Situation beeinflussen. Die Frustrationstoleranz kann erhöht werden. Bei Rollenspielen treten oft leichtere, aber auch ernstere Konfrontationen auf.

Heißer Stuhl

Hierbei handelt es sich um eine Konfrontationstechnik, bei der sich Teilnehmer inhaltlich und emotional mit ihrem Verhalten auseinander setzen müssen. Sie sitzen hier auf einem heißen Stuhl vor, respektive in der Mitte der Gruppe und stellen sich der Diskussion als auch dem verbalen „Kreuzfeuer“. Die zu Grunde liegende Theorie dieser Methode ist die eingeschränkte Informations-Aufnahme des Menschen auf ca. 7-9 Informationen gleichzeitig. Alles darüber hinaus Gehende führt zu einem "Abriss" bestehender Kommunikations-/ Rhetorik- Konzepte des Klienten und ermöglicht somit eine Kommunikation jenseits von Schutzmechanismen im Tat- Kontext. Die Gespräche sollen in Einzelheiten gehen und konfrontativ verlaufen. Nach Ablauf des Gesprächs wird ein positives Ende ohne "akute offene Fragen" hergestellt, da diese sonst mit aus dem Gespräch getragen werden.

Übungen zur Opferperspektive

Die Teilnehmer müssen sich intensiv mit den Empfindungen von Opfern auseinander setzen. (Nicht mit den eigenen, sofern vorhanden.) Dazu können auch Erste-Hilfe-Kurse oder Vorträge von Ärzten heran gezogen werden.

Entspannungsübungen

Diese dienen der Verbesserung der Körperwahrnehmung und können Elemente des Autogenen Trainings oder der Progressiven Muskelrelaxation enthalten.

Einzelnachweise

  1. http://www.prof-jens-weidner.de/forschung1.pdf

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