Luserner Zimbrisch

Luserner Zimbrisch
Lusern
Lusern (Italien)
DMS
Lusern
Staat: Italien
Region: Trentino-Südtirol
Provinz: Trient (TN)
Koordinaten: 45° 55′ N, 11° 19′ O45.92305555555611.3219444444441333Koordinaten: 45° 55′ 23″ N, 11° 19′ 19″ O
Höhe: 1.333 m s.l.m.
Fläche: 8,24 km²
Einwohner: 300 (2007)
Bevölkerungsdichte: 36 Einw./km²
Postleitzahl: 38040
Vorwahl: 0464
ISTAT-Nummer: 022109
Schutzpatron: Sankt Antonius
Website: Lusern

Lusern (Betonung auf der zweiten Silbe, italienisch Luserna) ist eine Gemeinde in Oberitalien, Provinz Trient, Region Trentino-Südtirol mit 300 Einwohnern (Stand am 31. Dezember 2007).

Lusern ist die bekannteste und am besten erhaltene deutsche Sprachinsel der Zimbern in Oberitalien.

Inhaltsverzeichnis

Geographie

Lusern liegt etwa 1.350 m s.l.m. auf einem östlichen Ausläufer der Hochebene von Lavarone ca. 600 Höhenmeter über der Astico-Schlucht, südlich des oberen Valsugana und des Lago di Caldonazzo.

Die Hochebene von Lusern umfasst ca. 20 Quadratkilometer, wovon nur etwa acht zur Gemarkung der Gemeinde Lusern (zimbrisch: Kamou vo Lusern) gehören. Teile der Hochebene von Lusern gehören zur Gemarkung der Gemeinden Lavarone, Levico Terme und Caldonazzo. Die Hochebene ist leicht wellenförmig, die Berge am Nordrand der Hochebene erreichen nicht ganz 2000 Meter (höchster Berg: Cima Vezzena, 1.908 m s.l.m.).

Lusern lässt sich als Straßendorf charakterisieren, darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an isolierten kleinen Weilern, die als Baite (Hütten) bezeichnet werden. Die größte Gruppe dieser Weiler ist Bisele (Oberhäuser, Unterhäuser, Galen). Im Lauf der Jahrhunderte wurden Gefälle eingeebnet und eine größere Zahl von terrassenförmigen Feldern und Gemüsegärten angelegt.

Das Klima ist vom Hochgebirge geprägt: Niederschlag ca. 1200 Millimeter pro Jahr, lange Winter mit viel Schnee. Die Wälder sind Mischwälder. Vorherrschend sind Weiß- und Rottanne, Buche und Lärche. Der Pilzreichtum der Wälder lockt im Sommer und Herbst viele Pilzsammler an – was die Luserner nicht immer gerne sehen.

Erreichbar ist Lusern entweder von Südosten über Asiago (zimbrisch: Sleghe) und den sehr einfach zu befahrenden Vezzena-Pass (zimbrisch: Vesan/deutsch: Wiesen) oder von Nordwesten über Pergine, Calceranica und Lavarone (zimbrisch: Lavrou/ deutsch: Lafraun) (der einfachste, aber etwas umständliche Weg) oder aber von Levico Terme über den im 19. Jahrhundert von österreichischem Militär angelegten Kaiserjägersteig (ital. Monterovere), einen sehr schmalen (mit nur wenigen Ausweichstellen) und steilen, asphaltierten Pass mit engen unbeleuchteten Tunnels, aber mit atemberaubender Aussicht auf die Valsugana und den Lago di Caldonazzo: der kürzeste, aber abenteuerlichste und nur für Schwindelfreie geeignete Weg.

Geschichte

Reste von Kupferschmelzöfen aus dem 12. Jahrhundert v. Chr. bezeugen, dass die erste Besiedelung der Hochebene bereits in prähistorischer Zeit erfolgte. Über die Herkunft dieser Siedler und deren Leben ist nur sehr wenig bekannt.

Aus der Zeit zwischen ca. 1000 v. Chr. und 1000 n. Chr. gibt es weder archäologische noch schriftliche Quellen und Hinweise, so dass davon ausgegangen wird, dass die Hochebene in diesen rund 2000 Jahren unbesiedelt war. Erstmals urkundlich erwähnt im Jahr 1422 dürfte die Besiedlung der Hochebene von Lusern im 11./12. Jahrhundert durch bayerisch-tirolerische Zuwanderer erfolgt sein, die wohl vom Bischof von Trient ins Land geholt worden waren.

Wenige Familien (noch heute trägt ein Großteil der Einwohner den Nachnamen Nicolussi: 12 der 15 Mitglieder (= 80 Prozent) des im Mai 2005 neu gewählten Gemeinderats heißen so) legten den abseits aller Verkehrswege gelegenen Ort an, der wirtschaftlich immer isoliert war. Ende des 16. Jahrhunderts wurde Lusern als Ansiedlung mit etwa 100 Einwohnern beschrieben. Am 4. August 1780 trennte sich Lusern von der Gemeinde Lavarone und wurde selbstständig als Gemeinde mit zur damaligen Zeit ca. 250 Einwohnern.

Im Jahre 1911 wurde ein großer Teil des Dorfes, dessen Häuser vorwiegend mit Holzschindeln gedeckt waren, durch einen Brand zerstört. Das Dorf wurde gleich wiederaufgebaut, vor allem dank großer Unterstützung aus Österreich. Im Ersten Weltkrieg lag Lusern zeitweise direkt an der Dolomitenfront (die damals ca. 900 Einwohner wurden innerhalb weniger Stunden nach der Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn am 23. Mai 1915 nach Böhmen (Bezirk Aussig) ausgesiedelt). Vom Krieg zeugen noch einige gut erhaltene monströse Festungsbauten (Werk Lusern, it. Campo di Luserna/Werk Verle, nach dem Buch von Luis Trenker gelegentlich auch Fort Rocca Alta genannt, it. Forte Busa di Verle/Posten Vezzena, it. Forte Vezzena: Observationsfestung auf dem mit 1908 m höchsten Berg der Hochebene) und ein liebevoll gepflegter Soldatenfriedhof (Costalta). Die größte Festung (Werk Gschwent, it. Forte Belvedere) in diesem Abschnitt der Dolomitenfront befindet sich im nahen Lavarone. Sie ist restauriert, zu besichtigen und vermittelt anschaulich die beklemmende Realität des Dolomitenkriegs. Zeitweise war auch Luis Trenker dort stationiert.

1919 kam Lusern mit Welschtirol an Italien, gleichzeitig stieg die Bevölkerungszahl nach der Rückkehr der evakuierten Luserner (Januar 1919) innerhalb weniger Jahre auf fast 1200 an, sank jedoch Mitte der 30er-Jahre aufgrund von Auswanderungen während der Weltwirtschaftskrise wieder auf ca. 850. Während der Faschistenzeit (1922–1943) wurden alle zimbrischen Traditionen und die Sprache im öffentlichen und privaten Bereich infolge der Politik der Italianisierung durch Mussolini und Ettore Tolomei unterdrückt und verboten. Die ab 1939 von Hitler und Mussolini erzwungene Option in Südtirol zwang einen Großteil der Einwohner zu einer neuerlichen Aussiedlung und verschärfte nach der endlich ermöglichten Rückkehr die Armut. Als Gastarbeiter in der Schweiz, in Deutschland und vor allem in den Wirtschaftszentren Oberitaliens konnten sich die Luserner in den letzten Jahrzehnten einen bescheidenen Wohlstand erarbeiten. Die meisten dieser auswärts arbeitenden Luserner halten engen Kontakt mit ihrer Heimatgemeinde und viele kehren nach dem Ende ihrer Berufstätigkeit wieder nach Lusern zurück.

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 80er-Jahre hinein führte das Zimbrische in Lusern ein Nischendasein und war durch die starke Abwanderung auf Grund fehlender Infrastruktur und schlechter wirtschaftlicher Chancen von langsamer Auszehrung bedroht. Erst seit wenigen Jahren werden die zimbrischen Traditionen und vor allem die Wirtschaftsentwicklung (in erster Linie Fremdenverkehr) von der Provinz Trient, der Region Trentino-Südtirol, dem italienischen Staat und der EU unterstützt. Im August 1993 besuchte der damalige österreichische Außenminister Alois Mock Lusern und sicherte die Unterstützung der Sprachinseln der Zimbern zu.

Seit 2001 besteht eine Gemeindepartnerschaft mit Tiefenbach bei Landshut.

Sprache und zimbrische Tradition

In Lusern wird eine von noch insgesamt rund 1000 Sprechern beherrschte zimbrische Mundart gesprochen, die auf Grund ihrer sehr guten Erhaltung in der jahrhundertelangen Isolation von besonderem Interesse für die Sprachwissenschaft und die Erzählforschung ist.

Das Zimbrisch von Lusern gehört zur Dialektgruppe des Südbairischen. Intensiv erforscht hat den Dialekt in neuerer Zeit der deutsche Sprachwissenschaftler Dr. Hans Tyroller in den 1970er Jahren, als der Student die Region im Trentino nach Material für seine Magisterarbeit durchforschte. 1997 beauftragten ihn die Gemeinden, eine Grammatik zu verfassen, die er 2002 vorlegte. Er verfasste zudem Lehrbücher für Zimbrisch-Kurse und Schulen.

Der Tiroler Pfarrer Franz Zuchristian richtete 1866 die deutsche Volksschule ein, die vom Wiener Schulverein unterstützt wurde. 1882 wurde auch eine Klöppelschule eingerichtet und 1893 ein deutscher Kindergarten. Die italienische Lega Nazionale (später Pro Patria) gründete 1890 eine italienische Schule mit 20 bis 30 Schülern, die auch das Mittagessen kostenlos anbot. Die große Mehrheit der Familien schickte dennoch ihre Kinder (ca. 120) trotz Armut weiterhin in die deutsche Schule. Der Südtiroler Pfarrer Josef Bacher veröffentlichte 1905 in Innsbruck das Buch Die deutsche Sprachinsel Lusern.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die deutsche Schule nicht mehr eröffnet. Seit den 1970er-Jahren wird neben italienisch auch wieder deutsch und zimbrisch unterrichtet. Das gut ausgestattete, von vielen Lusernern ehrenamtlich betreute und liebevoll gepflegte Dokumentationszentrum Lusern, das auch Publikationen in deutscher, italienischer und zimbrischer Sprache herausgibt und regelmäßig interessante kulturhistorische Ausstellungen veranstaltet, und der Einfluss der deutschsprachigen Medien stellen eine Brücke zum deutschen Sprachraum her.

Es gibt neuerdings auch wieder ein reges literarisches Leben in Lusern: Lieder und Erzählungen in zimbrischer Sprache werden gesungen bzw. geschrieben und vom Dokumentationszentrum veröffentlicht. Anfang 2005 wurde das Kulturinstitut Lusern gegründet, dessen Hauptaufgabe die Erhaltung und Festigung des Luserner Zimbrisch ist. Besonders Adolfo Nicolussi Zatta und der Bürgermeister von Lusern, Luigi Nicolussi Castellan, fördern und verbreiten sehr selbstbewusst und offensiv die zimbrischen Traditionen Luserns regional, überregional und international.

Der 1992 gegründete zimbrische Chor (Coro Polifonico Cimbro) ist inzwischen zu einem im In- und Ausland renommierten Kulturbotschafter der Luserner Zimbern geworden.

Heute sind alle Luserner stolz auf ihre ganz besondere Sprache und Tradition: Die örtliche Zeitung druckt regelmäßig Teile in zimbrischer Sprache und jeder Besucher Luserns wird am Ortseingang von einem Schild in italienischer, zimbrischer und deutscher Sprache begrüßt.

In den Lusern am nächsten gelegenen Orten Lavarone (deutsch: Lafraun, zimbrisch: Lavròu) und Folgaria (deutsch: Vielgereut, zimbrisch: Folgrait) wurde bis vor wenigen Jahrzehnten noch zimbrisch gesprochen, spätestens seit der Faschistenzeit (1922-1943) ist es aber ausgestorben, nur vereinzelte Flurnamen und lokale Bezeichnungen lassen noch die zimbrische Geschichte der Orte erkennen.

Heute bestehen zudem enge Kontakte zu den anderen Sprachinseln der Zimbern, insbesondere zu den am nächsten gelegenen im Fersental (Provinz Trient) und in den Sieben Gemeinden mit dem Hauptort Asiago (Provinz Vicenza), aber auch zu den Dreizehn Gemeinden (Provinz Verona) im Südwesten und zu den weiter östlich in den Karnischen Alpen gelegenen Zimbernorten Sappada (Provinz Belluno), Sauris und Timau (Provinz Udine).

Vor allem die engen Kontakte Luserns mit Südtirol sowie mit Österreich und Deutschland helfen der Gemeinde nachhaltig und begründen positive Perspektiven für die zimbrische Sprachinsel Lusern.

Detailinfos über die weiteren zimbrischen Sprachinseln im Artikel Zimbern und in weiterführenden Links.

Tourismus

Mittlerweile eröffnet ein derzeit noch in den Anfängen stehender, aber schon in naher Zukunft weiter ausgebauter Sommer- und Winter- sowie Kurtourismus den Lusernern Einkommen und wirtschaftliche Perspektiven und ermöglicht es mehr jungen Lusernern, im Ort zu bleiben, so dass die für Lusern existenzbedrohende Abwanderung gestoppt werden kann. Die Mehrzahl der Besucher kommt derzeit aus anderen Regionen Italiens, die Gemeinde wünscht sich aber darüber hinaus mehr Besucher aus deutschsprachigen Ländern.

Sonstiges

Auch kulinarische Spezialitäten wie der Vezzena-Käse sind mittlerweile überregional bekannt und gefragt.

Bekanntester Sohn der Gemeinde ist der Jurist und Politiker Eduard Reut-Nicolussi (1888–1958).

Literatur

  • Tyroller, Hans: Grammatische Beschreibung des Zimbrischen von Lusern (Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 2003). ISBN 3-515-08038-4
  • R.A. Trentino - Alto Adige, Istituto Cimbro (Hrsg.): "Bar lirnen z' schraiba un zo reda az be biar. Grammatik der zimbrischen Sprache von Lusérn" (ital. / deutsch - zimbrisch). Lusern, 2006. ISBN 978-88-95386-00-3

Weblinks


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