MELAS

MELAS
Klassifikation nach ICD-10
G31.81 Mitochondriale Zytopathie
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Mitochondriopathien sind Erkrankungen der Mitochondrien. Im engeren Sinne werden hierunter alle Störungen von Enzymen zusammengefasst, die an der Energiegewinnung der Zellen beteiligt sind. Mitochondriopathien können viele Organsysteme betreffen. Da ihre Hauptfunktion aber in der Bereitstellung von Energie in Form von ATP besteht, sind Organe, in denen besonders viel Energie bereitgestellt werden muss, also Gehirn und Muskulatur am stärksten beeinträchtigt. Die Diagnose wird durch eine Muskelbiopsie gesichert. Da es sich um Erbkrankheiten handelt, ist eine ursächliche Therapie bisher nicht möglich.

Inhaltsverzeichnis

Erbgang

Da Mitochondrien eigene DNA (die mtDNA) besitzen und die Spermien Mitochondrien ausschließlich im Schwanzteil, der bei der Befruchtung abgeworfen wird und außerhalb der Eizelle verbleibt, besitzen, werden Mutationen der mitochondrialen DNA ausschließlich mütterlich (maternal) vererbt. Da die Eizelle hunderte von Mitochondrien enthält, die sich ungleichmäßig auf die Gewebe des Embryos verteilen, variiert jedoch der Anteil einer Mutation im kindlichen Organismus stark (sogenannte Heteroplasmie). Das Verhältnis von mutierter zu ursprünglicher DNA ist entscheidend für die phänotypische Ausprägung der Mutation. Aus diesem Grund können auch schwere und tödliche Erkrankungen weitervererbt werden.

Die Symptome manifestieren sich vorwiegend in Organen mit stark energieverbrauchender Funktion, insbesondere dem zentralen Nervensystem und in der Muskulatur.

Ursache

Die Mitochondrien haben die hauptsächliche Funktion, durch Fettsäureverbrennung, Abbau von Acetyl-CoA sowie oxidative Phosphorylierung in der Atmungskette energiereiches ATP für die Zellen zur Verfügung zu stellen. Sind aufgrund von Mutationen eines oder mehrere Strukturproteine der Fettsäureoxidation, des Citratzyklus oder der Atmungskette gestört, hat dies aufgrund einer mangelhaften Verfügbarkeit von Energie Auswirkungen auf den gesamten Stoffwechsel der Zelle, da alle energieverbrauchenden Schritte gebremst werden. Verschiedene Atmungskettenenzyme weisen eine Gewebespezifität auf, so dass bei den verschiedenen Erkrankungen nur ein oder mehrere Organe betroffen sein können.

Einteilung

Eine Einteilung dieser sehr bunten Gruppe von Krankheiten kann unter verschiedenen Gesichtspunkten erfolgen. Einerseits kann man den zugrundeliegenden Stoffwechseldefekt, andererseits das klinische Krankheitsbild zur Kategorisierung verwenden.

Biochemische Einteilung

Da innerhalb der Mitochondrien verschiedene an der Energiegewinnung beteiligte Stoffwechselwege ablaufen, von denen jeder einzelne durch entsprechende Enzymdefekte gestört sein kann, lassen sich die Mitochondriopathien nach dem Ort der (biochemischen) Störung einteilen.

Defekte der Pyruvat-Oxidation

Pyruvat ist ein Schlüsselsubstrat bei der Verbrennung von Traubenzucker (Glukose). Ist sein weiterer Abbau gestört, kann das Endprodukt der Glukose-Verbrennung (Glykolyse), Acetyl-CoA, nicht in den Citratzyklus eingeschleust werden. Es können verschiedene Untereinheiten des Pyruvatdehydrogenase-Komplexes defekt sein. Bei der häufigsten Mutation liegt ein X-chromosomal semidominanter Erbgang vor.

Defekte des Fettstoffwechsels

Aus der Verbrennung von Fett können die Zellen alternativ zur Zuckerverbrennung ebenfalls Energie gewinnen. Auch diese Stoffwechselvorgänge spielen sich zu großen Teilen in den Mitochondrien ab. Unter den Störungen des Fettstoffwechsel können die eigentlichen Abbaustörungen (Störungen der β-Oxidation) und die Störungen des zur Einschleusung der Fettsäuren in das Mitochondrium nötigen Transportmoleküls, des sogenannten Carnitin (Carnitin-Transporter-Defekt, Carnitinpalmitoyl-Transferase-Mangel I + II), zusammengefasst werden. Diese Erkrankungen werden autosomal-rezessiv vererbt.

Störungen des Citratzyklus

Im Citratzyklus wird Acetyl-CoA aus der Glykolyse oder dem Fettsäureabbau weiterverarbeitet. Er stellt den vorletzten Schritt des gesamten Verbrennungsablaufes von Kohlenhydraten vor der Atmungskette dar. Es sind Defekte auf zwei Ebenen bekannt, der Ketoglutarat-Dehydrogenase-(KDH)-Mangel und der Fumarase-Mangel.

Atmungskettendefekte

Unter der Atmungskette versteht man ein System von insgesamt fünf Enzymkomplexen und zwei Elektronenüberträgern, die in der inneren Membran der Mitochondrien lokalisiert sind. Sie dient dazu, im letzten Schritt energiereiches ATP aus ADP und einem Phosphat-Molekül als "allgemeine Energiewährung" der Zelle herzustellen. Dabei kann es entweder zu Störungen des Elektronentransports zwischen den Komplexen I, II, III, IV oder zu einer Störung der Phosphorylierung bei der ATP-Synthase (Komplex V) kommen. Da die Atmungskettenkomplexe aus zahlreichen Untereinheiten zusammengesetzt sind, für die zum Teil mitochondriale, zum Teil aber auch nukleäre DNA kodiert, sind sowohl X-chromosomale als auch autosomal-rezessive Erbgänge möglich.

Klinische Syndrome

Die Mitochondrien sind zur Erfüllung ihrer Aufgaben mit mehr als 50 Enzymen ausgestattet, die wiederum jeweils aus bis zu 40 Proteinen bestehen. Daher und aufgrund der unterschiedlichen Organspezifität einzelner mitochondrialer Enzyme kommt es klinisch zu ausgesprochen vielgestaltigen Kombinationen unterschiedlicher Symptome. Typische Kombinationen werden zu Syndromen zusammengefasst, die wiederum durch unterschiedliche Mutationen hervorgerufen werden können. Die folgende Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Chronisch progrediente externe Ophthalmoplegie (CPEO)

siehe Hauptartikel Ophthalmoplegia progressiva externa

Die CPEO beginnt relativ spät im Alter von 15-40 Jahren und geht mit fortschreitenden (progredienten) Augenbewegungsstörungen und herabhängenden Augenlidern (Ptosis) einher. Ursächlich sind einzelne Deletionen mitochondrialer DNA beschrieben. Sollten vielfache Deletionen nachgewiesen werden, liegt eher ein nukleärer Defekt vor, der zur fehlerhaften Vermehrung der mitochondrialen DNA führt.

Kearns-Sayre-Syndrom

Bei diesem Syndrom bestehen neben den Symptomen einer CPEO auch degenerative Veränderungen der Netzhaut und eine Kardiomyopathie mit Reizleitungsstörungen.[1] Diagnostisch können auch erhöhte Laktat- und Pyruvatspiegel im Liquor cerebrospinalis sein[2]

Myklonus-Epilepsie mit "ragged red fibres"

Dieses Syndrom wird allgemein als MERRF abgekürzt. Neben der namengebenden Form der Epilepsie besteht eine schwere allgemeine Erkrankung des Gehirns mit fortschreitendem geistigen Abbau (Demenz) und eine Muskelschwäche mit einem typischen Bild in der Histologie. Der Erkrankungsbeginn liegt in der Regel etwa zwischen fünf und 15 Jahren.

MELAS-Syndrom

Das Akronym steht für Mitochondriale, Encephalomyopathie (Hirn-/Muskelstörung), Lactatacidose (Milchsäureüberladung) und Schlaganfall und listet somit schon die wichtigsten klinischen Symptome auf. Die Patienten sind oft kleinwüchsig und können zusätzlich eine Migräne und einen Diabetes mellitus haben. Die Erkrankung beginnt im Alter von etwa 5-15 Jahren. Unter anderem ist ein Gendefekt in einem Gen, das für eine tRNA kodiert, gefunden worden.

Lebersche hereditäre Optikusneuroretinopathie

Abgekürzt mit LHON ist dieses Syndrom durch eine spezielle Form einer Sehnervschädigung mit Netzhautveränderungen (Leber, benannt nach Theodor Karl Gustav von Leber) charakterisiert und geht mit einem schmerzlosen Sehverlust einher. Es kommt häufiger bei Männern vor als bei Frauen und beginnt in der zweiten Lebensdekade.

Leigh-Syndrom

Das Leigh-Syndrom, Synonym subakute nekrotisierende Enzephalomyopathie, stellt ein eigenständiges Syndrom dar, dass sich meist im ersten bis zweiten Lebensjahr manifestiert. Es kann durch unterschiedliche mitochondriale Primärdefekte verursacht werden. Neben dem geistigen Zurückbleiben oder sogar dem Verlust erworbener Fähigkeiten fallen eine allgemeine Muskelschwäche, Augenbewegungs- und Schluckstörungen als Zeichen einer Hirnstammschädigung und Ataxie auf. Die Krankheit verschlechtert sich teilweise akut nach banalen Infekten. Es sind verschiedene mitochondriale und nukleäre Mutationen beschrieben.

Symptome

Wie schon in der beispielhaften Auflistung der klinischen Syndrome zum Ausdruck kommt, führen unterschiedliche Mitochondriopathien zu einem sehr mannigfaltigen Muster von Symptomen. Als Gemeinsamkeit lässt sich im wesentlichen herausarbeiten, dass stark energieabhängige Organe besonders betroffen sind. So finden sich bei fast allen Erkrankungen neuromuskuläre Symptome, also Störungen, die das Nervensystem und die Muskulatur betreffen. Sie sind in unterschiedlicher Weise mit Symptomen am Herzmuskel, den Nieren und anderer unabhängiger Organsysteme verbunden. Auch der Verlauf ist durchaus sehr variabel. Dies erklärt sich dadurch, dass längst nicht alle Mitochondrien den Gendefekt tragen müssen und das Verhältnis zwischen mutierten und unveränderten Mitochondrien einen wichtigen Einfluss auf die Krankheitsausprägung hat. Leider sind dennoch die meisten Erkrankungen rasch fortschreitend.

Diagnostik

Leitbefund der Mitochondriopathien ist eine Milchsäureüberladung (Laktazidose), die sich durch einen Aufstau des Pyruvat vor dem Citratzyklus erklären lässt. Dieser wiederum führt zum alternativen Abbauweg über Laktat. Zur weiteren Stoffwechseldiagnostik gehört außerdem die Bestimmung der organischen Säuren im Urin und der Aminosäuren im Serum. Bei hinreichendem Verdacht kann dann eine Entnahme von Muskelgewebe (Muskelbiopsie) die Diagnose sichern. Charakteristisch ist hier der Nachweis sogenannter Ragged-Red-Fibers in der Gomori-Trichromfärbung. Da diese und weitere enzymhistochemische Färbungen nur am unfixierten Muskelgewebe aussagekräftig sind, sollte eine Muskelbiopsie nur in einem entsprechend gut ausgestatteten Zentrum erfolgen.

Therapie

Da es sich um eine große Gruppe von Erbkrankheiten handelt, ist eine ursächliche Therapie derzeit nicht möglich. Als allgemeine Behandlungsmaßnahmen sollte auf eine ausreichende Zufuhr Energie in Form von Traubenzucker und Fetten (sofern Fettsäure-Oxidationsdefekte ausgeschlossen sind), Flüssigkeit und Mineralien geachtet werden und Zustände mit erhöhtem Energieverbrauch vermieden beziehungsweise behandelt werden. Dazu gehört beispielsweise konsequentes Fiebersenken, weil mit jeder Temperaturerhöhung ein gesteigerter Stoffwechsel mit erhöhtem Energieverbrauch einhergeht. Auch Krampfanfälle gehen mit erheblich erhöhtem Energieverbrauch einher und sollen konsequent behandelt werden. Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass Medikamente, die die Atmungskette hemmen, vermieden werden. Hierzu gehört beispielsweise auch das Antikonvulsivum Valproat. Eine Milchsäureüberladung kann bei akuter Verschlechterung mit Puffersubstanzen behandelt werden. Es gibt auch verschiedene Behandlungsversuche mit Vitaminen und sogenannten Cofaktoren der Atmungskette (Coenzym Q10, Biotin, Thiamin, Kreatin) für die es keinen Beweis gibt, dass sie wirksam sind, aber versucht werden können.


Einzelnachweise

  1. Kearns: External ophthalmoplegia, pigmentary degeneration of the retina, and cardiomyopathy: a newly recognized syndrome. Trans Am Ophthalmol Soc. 1965;63:559-625. PMID 16693635
  2. Kuriyama et al.: High CSF lactate and pyruvate content in Kearns-Sayre syndrome. Neurology 1984;34(2):253-5. PMID 653802

Literatur

  • Sabine Hofmann & Matthias F. Bauer (2001): Mitochondrial Disorders. In: Encyclopedia of Life Sciences. doi:10.1038/npg.els.0005539 (Volltextzugriff)
  • Patrick F. Chinnery (2006): Mitochondrial Disorders Overview. In: GeneReviews. Books@NCBI (engl.)
  • J. Zschocke, G. Hoffmann: Vademecum metabolicum, Schattauer 2004, ISBN 3-7945-2375-X

Weblinks

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