MOND

MOND

Die modifizierte newtonsche Dynamik, abgekürzt MOND ist eine physikalische Hypothese, die das Rotationsverhalten von Galaxien durch Modifikationen der Bewegungsgleichungen der Materie im Gravitationsfeld erklären soll. MOND wurde 1983 von Mordehai Milgrom als Alternative zum Postulat der Dunklen Materie vorgeschlagen.

Durch neue Beobachtungen des Galaxienhaufens 1E 0657–56 (dem „Bullet-Cluster“)[1], welche die These der Dunklen Materie stützen, hat die MOND-Hypothese an Motivation verloren. Diese Beobachtungen widerlegen jedoch nicht die Hypothese selbst, sondern nur ihre primäre Motivation. Es ist immer noch denkbar, dass eine Modifikation des Gravitationsgesetzes zusätzlich zur Dunklen Materie existiert.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ergaben Messungen der Rotation von Galaxien, dass die Rotationsgeschwindigkeiten nicht den Erwartungen entsprachen. Die Bahnen der Sterne in einer Galaxie werden nur von der Schwerkraft der in der Galaxie zusammengeballten Materie verursacht. Mittels der beobachteten Masseverteilung (Sterne, Gasnebel) kann die Gravitationskraft, und somit die Bahn der Sterne, berechnet werden.

Es stellte sich heraus, dass die Sterne am Rande der Galaxien schneller umliefen als nach der Theorie vorhergesagt. Man spricht vom „Abflachen der Rotationsgeschwindigkeit“ im Gegensatz zum erwarteten „Abfallen der Rotationsgeschwindigkeit“.

Dunkle Materie

Da sowohl das newtonsche Gravitationsgesetz als auch Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie gut überprüfte Theorien zum Verhalten von Materie unter Gravitation sind, nehmen die meisten Astronomen eine nicht sichtbare (das heißt dunkle) Materiekomponente im Halo um die Galaxien an, um deren flache Rotationskurven zu erklären. Auch Beobachtungen auf größeren Skalen, etwa von Galaxienhaufen oder der großräumigen Struktur des Universums lieferten starke Hinweise auf die Existenz von Dunkler Materie.

MOND-Erklärung

Vor diesem Nachweis der dunklen Materie gab es vereinzelte Zweifel an dieser Erklärung. Eine Alternative in Form einer Änderung des newtonschen Bewegungsgesetzes wurde 1983 von Mordehai Milgrom in der MOND-Hypothese formuliert.

Im Gegensatz zur dunklen Materie, die zu größeren Kräften führt, die mit der gemessenen Rotationskurve übereinstimmen, veränderte die MOND-Hypothese das zweite newtonsche Axiom um bei gleich großen Kräften eine größere Beschleunigung zu erzielen. Ansonsten ließ sie die Bewegungsgesetze unangetastet, so dass insbesondere Kräfte weiterhin superpositionierten.

Die Hypothese

Das newtonsche Bewegungsgesetz besagt, dass ein Objekt der konstanten Masse m, wenn es einer Kraft F ausgesetzt ist, eine Beschleunigung a erfährt:

 F = m \cdot a

Dieses Gesetz hat sich generell als korrekt erwiesen. Allerdings ist es bei extrem kleinen Beschleunigungen nur schwer oder gar nicht experimentell nachzuweisen. Solche extrem kleinen Beschleunigungen wirken jedoch bei der Gravitationswechselwirkung zwischen entfernten Sternen.

Milgrom schlug vor, das Bewegungsgesetz zu:

F = m \cdot \mu\left( a/a_0 \right) \cdot a

abzuändern, wobei

\mu\!\left(x\right)

eine Funktion ist, die 1 für hohe Werte (x \gg 1) und x für kleine Werte (x \ll 1) annimmt. Die Funktionen, die am häufigsten in der Literatur verwendet wurden, sind \mu(x) = \frac{x}{1+x} und  \mu(x) = \frac{x}{\sqrt{1+x^2}}.[2] a0 ist eine neue Naturkonstante, die beschreibt, ab welcher Schwäche die Modifikation relevant wird. Die Modifikation kommt jedoch bei Scheinkräften nicht zum Tragen. Zusammengefasst:

 F = m \cdot \mu \left( a/a_0 \right) \cdot a
 \begin{matrix} \mu (x) = 1 & \rm{wenn} & x \gg 1 \\ \mu (x) = x & \rm{wenn} & x \ll 1 \end{matrix}

Die genaue Gestalt der Funktion μ(x) ist nicht spezifiziert. Nur das genannte Verhalten ist wichtig. Da alle Vorgänge des Alltagslebens bei Beschleunigungen  a \gg a_0 stattfinden, bleibt hier das Bewegungsgesetz unverändert erhalten.

Weit entfernt vom Zentrum einer Galaxie sieht die Situation allerdings anders aus. Nach dem Gravitationsgesetz gilt:

 F = m\cdot\frac{G\,m_\mathrm{G}}{r^2}

wobei G die Gravitationskonstante, mG die Masse der Galaxie und m die Masse des betrachteten Sterns ist. r ist der Abstand zwischen dem Schwerpunkt der Galaxie und dem des Sterns.

Mit dem modifizierten Bewegungsgesetz entsteht:

 \frac{G\,m_\mathrm{G}}{r^2} = \mu ( a / a_0 ) \cdot a

Da in dieser Situation gerade  a \ll a_0 , also  a/a_0 \ll 1 gelten soll, erhält man:

 \mu \left(a / a_0\right) = \frac{a}{a_0}

und somit

 \frac{G\,m_\mathrm{G}}{r^2} = \frac{a^2}{a_0}

Also ist

 a = \frac{\sqrt{G\,m_\mathrm{G}\, a_0}}{r}

Der Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit, Beschleunigung und Abstand zum Kraftzentrum für eine Kreisbahn lautet:

 a = \frac{v^2}{r}

und damit ergibt sich

 \frac{v^2}{r} = \frac{\sqrt{G\,m_\mathrm{G}\,a_0}}{r}

bzw.

 v^2 = \sqrt{ G\,m_\mathrm{G}\, a_0 }

Daraus folgt, dass die Rotationsgeschwindigkeit im weiten Abstand konstant ist, und nicht mehr vom Abstand abhängt. Das erforderliche „Abflachen der Rotationsgeschwindigkeit“ ist durch die Hypothese sichergestellt.

Die MOND-Hypothese erlaubte, ihre Naturkonstante a0 aus gemessenen Rotationsgeschwindigkeiten und Galaxiengeschwindigkeiten zu berechnen. Milgrom bestimmte aus Messungen vieler Galaxien  a_0 = 1{,}2 \cdot 10^{-10} \,\mathrm{ms}^{-2}.

Eine relativistische Formulierung von MOND wurde 2004 von Jacob Bekenstein vorgeschlagen und ist als Tensor-Vektor-Skalar-Gravitationstheorie bekannt.

Stand der Hypothese

Der Cluster-Merger 1E 0657-558 bietet die Möglichkeit, alternative Gravitationstheorien gegen die Dunkle Materie zu testen. Dabei wurde einerseits die Verteilung der sichtbaren baryonischen Materie gemessen und andererseits das Gravitationspotential des Clusters mit Hilfe der Ablenkung des Lichts im Gravitationsfeld des Clusters (wobei die Natur der MoND-Theorie berücksichtigt wurde). Das Massenverhältnis zwischen den enthaltenen Galaxien und dem umgebenden Plasma liegt zwischen 1:5 und 2:15. Beobachtet wurde nun, dass sich die Plasmen der zwei Vorläufer-Cluster zu einem neuen Cluster vereinigt haben, während die Galaxien mehr oder weniger kollisionslos die Kollision der beiden Vorgänger-Cluster überstanden haben.

Die Vermessung des Gravitationspotenzials hat dann ergeben, dass dieses nicht der baryonischen Massenverteilung des Plasmas folgt, sondern den Galaxien, die einen kleineren Teil der baryonischen Gesamtmasse des Clusters ausmachen. Dies kann damit erklärt werden, dass die Quelle des Gravitationspotenzials nicht allein die sichtbare Baryonische Materie ist, sondern eben Dunkle Materie.[1] Durch eine Modifikation des Gravitationsgesetzes allein ist dies dagegen nicht erklärbar, d.h. selbst, wenn die MOND-Hypothese richtig sein sollte, muss dunkle Materie vorhanden sein.

Literatur

  • Spektrum der Wissenschaft 10/2002 S. 34
  • Mordehai Milgrom: Does Dark Matter Really Exist?, Scientific American, August 2002

Weblinks

Quellenangaben

  1. a b A Direct Empirical Proof of the Existence of Dark Matter (englisch)
  2. Bekenstein, J. D.: The modified Newtonian dynamics - MOND - and its implications for new physics

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