Maarat an-Numan

Maarat an-Numan
arabisch ‏معرة النعمان‎, DMG Maʿarrat an-Nuʿmān
Maarat an-Numan
Maarat an-Numan (Syrien)
Maarat an-Numan
Maarat an-Numan
Basisdaten
Staat Syrien
Gouvernement Idlib
Höhe 530 m
Einwohner 90.861 (2010)
ISO 3166-2 SY-ID
Östlicher Teil der Stadt. Das Minarett nahe dem Ende der Straße lokalisiert die beiden Khane.
Östlicher Teil der Stadt. Das Minarett nahe dem Ende der Straße lokalisiert die beiden Khane.
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Maarat an-Numan, auch Maara, Marra, Maarrat, Maʿarrat al-Numān (arabisch ‏معرة النعمان‎, DMG Maʿarrat an-Nuʿmān), ist eine Marktstadt im Gouvernement Idlib im westlichen Syrien, an der Autobahn von Aleppo nach Hama. Der gegenwärtige Name ist eine Kombination aus dem traditionellen Namen und dem Namen ihres ersten islamischen Gouverneurs an-Numan ibn Baschir, eines Gefährten des Propheten Mohammed.

Inhaltsverzeichnis

Stadtbild und Geschichte

Hauptgeschäftsstraße im Zentrum
Im Innenhof des Mosaikenmuseums stehen auch Steinsarkophage aus byzantinischer Zeit
Abu Zayd verteidigt sich vor dem Kadi von Maʿarrat (um 1335)

Die antike Siedlung Arra wurde im 5. Jahrhundert von den Byzantinern eingenommen und 637 von muslimischen Arabern erobert. Es folgte eine Zeit als wohlhabendes, von Gärten umgebenes Handelszentrum. Der Ort wurde mehrfach geplündert, so 968 von den Byzantinern und 1098 von den Kreuzfahrern. Die Kreuzfahrer hielten die befestigte Siedlung besetzt, bis sie 1135 von Zengi zurückerobert wurde. Sie erlebte mit den Zengiden ab dem 12. Jahrhundert eine Blütezeit. Aus dieser Zeit stammt das Minarett der Freitagsmoschee, die an der Stelle einer früheren Basilika errichtet und das nach dem Erdbeben von 1170 wiederaufgebaut wurde. 1932 gab es 5250 Einwohner.

Im Zentrum der geschäftigen Handelsstadt befinden sich zwei gegenüberliegende Khan (Karawansereien) aus osmanischer Zeit. Das südlichere Khan ist aus der Ferne neben dem verbliebenen alten Minarett auszumachen, die Räume und der von einem Arkadengang umgebene Innenhof sind derzeit ungenutzt. Zum Gebäudekomplex des gegenüberliegenden Khan von Murad Pascha aus dem 16. Jahrhundert gehört ein etwa quadratischer Innenhof mit einer überkuppelten Moschee im Zentrum, zusammen mit einer Tekke (Versammlungsraum) und einem Hammām. In diesem Khan wurde ein Museum mit Mosaiken aus den „Toten Städten“ (spätrömisch-frühbyzantinische Siedlungen im nordsyrischen Kalksteinmassiv) eingerichtet. Es beherbergt in seinen weiten Gewölbehallen die größte Sammlung byzantinischer Fußbodenmosaiken des Landes aus dem 4. bis 7. Jahrhundert, die durch einige gut erhaltene Mosaiken aus römischer Zeit ergänzt werden.

Zur Stadt gehört die Madrasa „Abu al-Farawis“ von 1199. Die Überreste der mittelalterlichen Zitadelle finden sich auf einem Hügel im Nordwesten.

Das Massaker von Maarat an-Numan

Das ebenso bekannte wie schreckliche Ereignis geschah Ende 1098, während des Ersten Kreuzzuges. Es steht in Zusammenhang mit der Belagerung von Antiochia, wo sich das Kreuzzugsheer von Oktober 1097 bis Januar 1099 aufhielt. Zunächst belagerten die Kreuzritter Antiochia und wurden nach deren Eroberung ihrerseits in der Stadt belagert. Vor allem der Winter 1097/98 traf sie völlig unvorbereitet, ohne ausreichende Verpflegung, Kleidung und Unterkünfte. Dies betraf zunächst vor allem die einfachen Kreuzzugsteilnehmer, schließlich aber auch die Ritter, nachdem unaufhörliche Beutezüge in die Umgebung keinen ausreichenden Nachschub mehr brachten. Anfangs wurden Esel und einfache Pferde zum Fleischverzehr getötet, schließlich auch die wertvollen Schlachtrösser sowie jede Art von Kleingetier, z.B. auch Hunde. Die Chronisten berichten, dass Schuhsohlen gekocht wurden. Dazu kam, dass die einfachen Kreuzzugsteilnehmer nur noch zerlumpte Gewänder besaßen und kein Dach über dem Kopf hatten:

Der Winter brachte einen empfindlichen Mangel an Lebensmitteln und dazu noch bittere Kälte… Die Fouragekolonnen mussten immer weiter in die Umgebung streifen… Sie gerieten unvermutet an das damaszenische Heer… Mittlerweile steigerte sich die Hungersnot, das niedere Volk schreckte selbst vor Kannibalismus nicht zurück. Die sogenannten „Tafurs“ taten sich dabei besonders hervor, wilde Flamen, immer in vorderster Front kämpfend, die mit Peter dem Einsiedler gekommen waren und sich jetzt an gefallenen Türken gütlich taten.[1]

Der fränkische Chronist und Zeitgenosse Albert von Aachen berichtet:

Die Unseren scheuten nicht nur davor nicht zurück, getötete Türken und Sarazenen zu essen, sondern sie aßen auch Hunde.

Auf einem dieser Raubzüge erreichten die Kreuzritter von ihrer Stellung in Al-Bara unter dem Kommando von Raimund von Toulouse und Robert von Flandern am 27. November 1098 die befestigte Stadt Maarat an-Numan und begannen deren Belagerung. Die Stadt liegt in Luftlinie 10 Kilometer östlich von Al-Bara und etwa 100 Kilometer südöstlich von Antiochia. Nachdem sie Verstärkung durch Bohemund von Tarent bekommen hatten, erstürmten sie am 12. Dezember 1098 die Stadt und plünderten sie. Die männlichen Einwohner wurden sämtlich erschlagen, die Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft. Die Zahl der Opfer dieses Massakers wird in den Quellen mit 22.000 angeben. Wenn auch hier – wie stets in entsprechenden mittelalterlichen Quellen – mit stark überhöhten Zahlen zu rechnen ist, so kann doch kein Zweifel daran bestehen, dass die Zahl der Opfer ungewöhnlich hoch war. Andererseits war dies keineswegs ein Einzelfall auf dem Ersten Kreuzzug, wie etwa die grausam blutige Eroberung von Jerusalem zeigt, über die selbst die fränkischen Chronisten mit einigem Entsetzen berichten. Albert von Aachen: "Pudet referre quod audierim, quodque dedicerim ab ipsos pudoris auctoribus." ("Es ist beschämend zu berichten, was zu hören war und was bezeugt wird von den schamerfüllten Chronisten.")[2]

Kannibalismus

Es ist jedoch nicht die Tatsache dieses Massakers an sich, die Maarat an-Numan zu trauriger Berühmtheit brachte, sondern die Begleitumstände. Denn bei der Plünderung der Stadt wurden nur wenig der erhofften Nahrungsmittel gefunden, die die Notlage hätten abwenden können:

„Während die Fürsten zu Rugia berieten, schritt das Heer in Ma’arat en-Numan selbst zur Tat. Es war dem Verhungern nahe. Sämtliche Lebensmittel der Umgebung waren aufgebraucht; Kannibalismus schien der einzige Ausweg.“[3]

Der fränkische Chronist und Augenzeuge Raoul de Caen berichtet, wie mit den Getöteten umgegangen wurde:

„Die Unseren kochten die erwachsenen Heiden in Töpfen und steckten die Kinder auf Spieße, um sie gegrillt zu verschlingen.“

Über diese Vorgänge schrieben (in lateinischer Sprache) der Erzbischof Daimbert von Pisa, Gottfried von Bouillon und Raimund von Toulouse bald darauf im Jahre 1100 an den Papst:

„A notre Saint Père le pape, à l’église romaine, à tous les évêques et à tous les chrétiens: „An unseren Heiligen Vater den Papst, an die Römische Kirche, an alle Bischöfe und an alle Christen:
[…] […]
Nous fûmes bientôt livrés á une famine si cruelle, que quelques-uns de nôtres, dans leur désepoir, ne paraissaient pas éloignés de se nourir de chair humaine. Il serait trop long de faire le récit de tout ce que nous souffrîmes à ce sujet. [Über die Belagerung von Antiochia] "Wir wurden bald einer so grausamen Hungersnot ausgesetzt, dass einige von den Unseren in ihrer Verzweiflung nicht weit davon entfernt schienen, sich mit menschlichem Fleisch zu ernähren. Es würde zu lange dauern, Bericht über alles zu geben, wie wir aus dieser Ursache zu leiden hatten.
[…] […]
Une famine horrible qui y assaillit l’armée, la mit dans la cruelle nécessité de se nourrir des cadavres de Sarrasins, déjà en putréfaction.”[4] [Über die Eroberung von Ma’arat] Eine schreckliche Hungersnot, die unsere Armee überfiel, brachte diese zu der grausamen Notwendigkeit, sich von den Leichnamen der Sarazenen zu ernähren, die schon in Verwesung waren.”

Der fränkische Chronist Petrus Tudebodus berichtet:

„Nostri quoque pauperes peregrini coeperunt scindere corpora paganorum eò quod in ventibus eorum inveniebant reconditos bisantios; alii quoque districti fame caedebant carnes eorum per frusta et coquebant ad mandacandum.”[5] „Die Armen unter unseren Pilgern hatten begonnen, die Körper der Heiden zu zerlegen, um die in deren Mägen versteckten Goldmünzen zu finden; andere, vom Hunger gequält, zerteilten deren Fleisch in Stücke und kochten es, um es zu verzehren.“

Nachwirkungen

Diese Ereignisse hinterließen einen starken Eindruck bei den Einwohnern des Nahen Ostens. Die Kreuzritter bekamen den Ruf besonderer Grausamkeit und Barbarei gegenüber Moslems, Juden und sogar orthodoxen (nicht-katholischen) Christen.[6] Noch Jahrhunderte nach diesen Ereignissen war ihr Bild als fanatische Kannibalen in der arabischen Literatur lebendig, und die Kreuzritter werden noch heute in vielen nahöstlichen Ländern als „Kannibalen“ bezeichnet. Manche arabische Autoren deuten an, dass das Verhalten der Kreuzritter nicht aus dem Hunger entstand, sondern aus ihrem fanatischen Glauben, dass die Moslems noch tiefer als die Tiere stünden.

Ohne Kenntnis dieser Ereignisse und ihrer Verarbeitung in islamischer Sicht ist es für den Blick aus dem Westen nicht ohne weiteres verständlich, warum Al-Qaida und Kombattanten so erfolgreich den Kampf gegen die "Kreuzritter" propagieren. Der Sachbuchautor Amin Maalouf, libanesischer Christ, in Paris lebend und mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet, hat die Absicht seines Werks "Der Heilige Krieg der Barbaren. Die Kreuzzüge aus der Sicht der Araber" [7] wie folgt erklärt:

„Nach seinem Anschlag auf Papst Johannes Paul II. im Jahre 1981 erklärte der türkische Attentäter Mahmet Ali Agca, er habe den „Obersten Kriegsherren der Kreuzritter töten“ wollen - ein Eingeständnis, das einmal mehr offenbart, welch nachhaltiges Trauma die Kreuzzüge, auch mit einem Abstand von fast tausend Jahren, im kollektiven Gedächtnis der muslimischen Welt hinterlassen haben. Die Fassungslosigkeit und das Entsetzen einer hochzivilisierten Gesellschaft angesichts der "barbarischen Invasoren" aus dem Abendland, die auch vor kannibalistischen Exzessen nicht zurückschreckten, spiegelt sich in nahezu allen arabischen Chroniken und Berichten aus der Zeit zwischen 1096 und 1291 wider.“

Anmerkungen

  1. Hans-Eberhard Mayer: Geschichte der Kreuzzüge, Stuttgart 2000 (9. Aufl.), S. 52f.
  2. Joseph François Michaud: Histoire de Croisades, Bd. 1, Paris 1825 (4. Aufl.), S. 373; Übersetzung von Benutzer:Ulrich Waack)
  3. Steven Runciman: Geschichte der Kreuzzüge, München 1995 (dtv-TB 4670) ISBN 3-423-04670-8, S. 249.
  4. Joseph François Michaud: Histoire de Croisades, Bd. 1, Paris 1825 (4. Aufl.), S. 641, hat das lateinische Original („ex manuscript Signiensis Monasterii“) ins Frz. übersetzt; Übersetzung ins Deutsche Benutzer:Ulrich Waack
  5. J. F. Michaud: Bibliographie des Croisades, Bd. 1, Paris 1822; Übersetzung von Benutzer:Ulrich Waack
  6. Denn die Kreuzzüge begannen ja bald nach dem Großen Schisma von 1054
  7. Amin Maalouf: Der Heilige Krieg der Barbaren. Die Kreuzzüge aus der Sicht der Araber. München 2003, ISBN 3-423-34018-5.

Siehe auch

Weblink


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