Martine Aubry

Martine Aubry
Martine Aubry

Martine Aubry (* 8. August 1950 in Paris) ist eine französische Politikerin des Parti socialiste (PS). Sie ist seit März 2001 Bürgermeisterin von Lille und seit November 2008 erste Sekretärin (Parteivorsitzende) der PS.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

Als Tochter des Politikers und EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors schloss sie nach ihrer Schulzeit am Lycée Paul-Valéry im Jahre 1972 ihr Studium am Institut d’études politiques de Paris ab. Dem folgten anschließend Kurse an der École nationale d’administration (ENA) von 1973 bis 1975, die sie mit der Abschlussklasse Léon Blum verließ. Zur gleichen Zeit wurde sie in den Reihen der Gewerkschaft CFDT aktiv und trat 1974 dem Parti socialiste bei.

Es folgten erste Posten im Ministerium für Arbeit und Soziale Angelegenheiten unter Jean Auroux – sie war an der Ausarbeitung der Gesetze von Auroux maßgebend beteiligt – und Pierre Bérégovoy, sowie im Staatsrat und ab 1978 Lehrtätigkeiten an der ENA, bevor sie von 1989 bis 1991 in die Unternehmensgruppe Pechiney eintrat und nach Jean Gandois stellvertretende Vorsitzende wurde.

1991 schließlich wurde sie von Édith Cresson zur Ministerin für Arbeit und Berufliche Bildung ernannt und in der Folgeregierung unter Pierre Bérégovoy in diesem Amt bestätigt. Nachdem die Regierungsmacht wieder in die Hände der rechtsgerichteten Parteien fiel, gründete sie ihre Stiftung Agir contre l’exclusion (FACE) und wurde 1995 von Pierre Mauroy als seine Stellvertreterin in das Rathaus von Lille gerufen.

Manche Beobachter sahen 1995 in dem Verzicht ihres Vaters als Kandidat zur Präsidentschaft anzutreten, den Wunsch, der Karriere seiner eigenen Tochter nicht im Wege zu stehen. Lionel Jospin, dem stattdessen von der Partei diese Rolle angetragen wurde, fand Verwendung für sie als Pressesprecherin seiner Kampagne. Als er nach seiner Niederlage erneut zum Parteisekretär gekürt wurde, beabsichtigte er Martine Aubry zu seiner Stellvertreterin wählen zu lassen, diese lehnte allerdings das Angebot ab.

Nach dem Sieg der Gauche plurielle (1997) und damit verbunden ihrer Wahl zur Abgeordneten für das Département Nord, bat sie Premierminister Lionel Jospin, den Posten der Ministerin für Arbeit und Solidarität zu übernehmen. Ihr sind maßgebend die Verdienste um die Realisierung des bedeutendsten Wahlversprechens des Premierministers, dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit und die Schaffung neuer Arbeitsplätze, zuzuschreiben, indem sie mehrere Maßnahmen ergreift, insbesondere die Einführung der 35-Stunden-Woche. Letztere Maßnahme, die in den Reihen der Rechten und der Arbeitgeber auf heftige Kritik stieß, löste eine lebhafte Debatte aus. Während die eine Seite auf hunderttausende Arbeitsplätze hinwies, die dadurch entstanden sind und dem damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel, wie auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sahen andere darin ein Hemmnis für die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs, indem der Ruin einer großen Zahl kleiner und mittlerer Unternehmen herbeigeführt wird. Es wurde der Vorwurf laut, das Projekt sei voreilig durchgeführt worden und mit Zwangsmaßnahmen verbunden gewesen, ohne ausreichende Absprache mit den Sozialpartnern. De facto wurde bei der Einführung der 35-Stunden-Woche auf eine neue Form der Gesetzgebung zurückgegriffen, mit einem ersten Gesetz, das am 12. Juni 1998 verabschiedet wurde und Leitlinien und Prinzipien auf der Grundlage einer freiwilligen Verpflichtung der Sozialpartner vorgibt, gefolgt von einem zweiten Gesetz, das ab dem 1. Januar 2000 für alle verpflichtend werden sollte und auf mehr als hunderttausend Übereinkünften auf Ebene der Betriebe und Branchen beruhte. Daneben kam es zur Einführung der Emplois-Jeunes, die darauf zugeschnitten sind, Jugendlichen den Weg in den Arbeitsmarkt zu ebnen, zur Verabschiedung eines Gesetzes zur Vermeidung von Ausgrenzung und zur Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung (Couverture Maladie Universelle – CMU), sowie der Einführung individueller Zuwendungen, um die Unabhängigkeit abhängiger Senioren zu garantieren.

2000 gründete sie einen Club – Réformer – zur Reflexion über das politische Geschehen und trat gleichzeitig aus der Regierung aus, um sich der Kampagne für die Kommunalwahlen intensiver zu widmen. Bei diesen kandidierte sie für die Nachfolge Pierre Mauroys als Bürgermeisterin von Lille. Ihr gelang es, das Amt zu erringen, während andere prominente Persönlichkeiten des Parti Socialiste, wie Jack Lang oder Élisabeth Guigou, mit ihren Bürgermeister-Kandidaturen scheiterten. Nach den Niederlagen des Parti Socialiste sowohl bei den Präsidentschaftswahlen 2002 als auch bei den Wahlen zur Nationalversammlung im gleichen Jahr konzentrierte sie sich auf ihre Arbeit im Rathaus von Lille.

Im Dezember 2004 schloss sie sich wieder der Führung des Parti Socialiste an, neben Dominique Strauss-Kahn und Jack Lang dafür verantwortlich, ein Programm und Konzept im Hinblick auf die Wahlen 2007 auszuarbeiten.

Ihren Nachnamen hat sie nach der Scheidung von ihrem ersten Mann Xavier Aubry beibehalten. Am 20. März 2004 ging sie mit Jean-Louis Brochen, einem Anwalt aus Lille, eine zweite Ehe ein. Als Bürgermeisterin von Lille hat sie zu einer entscheidenden Veränderung des Stadtbildes beigetragen, vorwiegend mit dem Projekt Lille 2004, Kulturhauptstadt Europas, das innerhalb eines Jahres mehr als 9 Millionen Besucher in die Stadt gelockt hat.

Im November 2008 kandidierte Aubry auf dem Parteitag von Reims für den Posten der ersten Sekretärin (Vorsitzende) des Parti Socialiste. Sie entschied die Urwahl im zweiten Wahlgang mit einem Vorsprung von knapp 100 Stimmen (50,04 Prozent) und begleitet von Manipulationsvorwürfen gegen ihre Unterstützer gegen Ségolène Royal für sich. In die Parteiführung band sie weitere Strömungen, vor allem das Umfeld des Pariser Bürgermeisters Bertrand Delanoë und die Parteilinke um Benoît Hamon ein, womit es ihr gelang, den tief zerstrittenen PS wieder zu stabilisieren.

Für die Präsidentschaftswahl 2012 galt es als sicher, dass Aubry zugunsten von Dominique Strauss-Kahn auf eine eigene Bewerbung für die Nominierung des Parti Socialiste verzichten würde. Nachdem Strauss-Kahn aber nach Vergewaltigungsvorwürfen auf eine Bewerbung verzichtete, erklärte Aubry ihre Kandidatur für die offenen Vorwahlen (Primaires citoyennes) des PS. In ihrer Kampagne sprach sie sich unter anderem dafür aus, langfristig aus der Kernenergienutzung auszusteigen.[1] Bei den Vorwahlen erreichte sie mit 30 Prozent der Stimmen die Stichwahl,[2] die sie aber gegen François Hollande verlor.[3]

Ausbildung

  • Schulzeit in einem Pensionat
  • Abschluss einer Licence in Wirtschaftswissenschaften
  • Absolventin des Institutes für Gesellschaftswissenschaften und Arbeit
  • Absolventin des Institutes für politische Studien von Paris, im Jahre 1972
  • Absolventin der ENA (von 1973 bis 1975), in der Abschlussklasse „Léon Blum“

Laufbahn

  • 1975 – 1979: Beauftragte unter dem Leiter des Büros für Beschäftigungsverhältnisse
  • 1981: Ratgeberin in Fachfragen im Ministerium für Arbeit
  • 1983: Stellvertretende Büroleiterin für den delegierten Minister für soziale Fragen im Ministerium für Arbeit
  • 1984: Beauftragte im Ministerium für Soziale Angelegenheiten und Solidarität
  • 1987: Berichterstatterin im Staatsrat
  • 1989 – 1991: Stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Unternehmensgruppe Péchiney, unter der Leitung von Jean Gandois, später Vorsitzender des CNPF
  • 1991 – 1993: Ministerin für Arbeit und Ausbildung der Regierungen unter Édith Cresson und Pierre Bérégovoy
  • 1993: Gründungsvorsitzende der Stiftung Agir contre l’exclusion (FACE)
  • 1995: Stellvertretende Bürgermeisterin von Lille
  • 1997: Abgeordnete für das Département Nord
  • 1997 – 2001: Ministerin für Arbeit und Solidarität
  • Seit 2001: Bürgermeisterin von Lille und Beauftragte für die Wirtschaftliche Entwicklung des Gemeindeverbandes, Vorsitzende des Institut Louis Pasteur der Stadt und Vorsitzende der Gruppe zur Organisation der Veranstaltungen anlässlich der Wahl von Lille zur Kulturhauptstadt Europas 2004

Veröffentlichungen

  • Le choix d’agir, 1994 (Die Entscheidung zu handeln)
  • Petit Dictionnaire pour lutter contre l’extrême-droite, 1994 (Kleines Lexikon im Kampf gegen den Rechtsextremismus)
  • Il est grand temps, 1997 (Es ist große Zeit)
  • Loi d’Orientation et d’Incitation à la Réduction du Temps de Travail, 1998 (Richtlinie und Empfehlung zur Reduzierung der Wochenarbeitszeit)
  • C’est quoi la solidarité?, 2000 (Was heißt Solidarität?)
  • L’important c’est la santé, 2003 (Die Bedeutung der Gesundheit)
  • Culture Toujours, 2004 (Immer wieder Kultur)
  • Une vision pour espérer, une volonté pour transformer, 2004 (Eine Vision der Hoffnung, Ein Wille zum Wandel)
  • Un nouvel art de ville: le projet urbain de Lille, 2005 (Neuartige Städtische Kunst: Stadtplanungsprojekte in Lille)

Weblinks

 Commons: Martine Aubry – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Wahlkampf in Frankreich - Grüne Erhellung. Frankfurter Allgemeine Zeitung (online), 17. September 2011, abgerufen am 17. September 2011.
  2. Frankreichs Sozialisten - ein Vorbild für die SPD. Handelsblatt (online), 10. Oktober 2011, abgerufen am 10. Oktober 2011.
  3. Frankreichs Sozialisten: François Hollande wird Nicolas Sarkozy herausfordern. Die Welt (online), 16. Oktober 2011, abgerufen am 16. Oktober 2011.

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