Masora

Masora
Der Nash-Papyrus (engl. Artikel) (2. Jahrhundert v. Chr.) enthält masoretischen Text, u.a. die Zehn Gebote und das Schma-Jisrael-Gebet

Der Masoretische Text (von masorah, hebr. für Tradition) ist ein hebräischer Text des Tanach (Altes Testament der Bibel). (Kurzform MasT)

Dieser Text wurde aus heute nicht mehr bekannten Quellen gegen Ende des 1. nachchristlichen Jahrhunderts zusammengestellt. Die ältesten erhaltenen Handschriften stammen aus dem 9. Jahrhundert. Jedoch deuten ältere Bruchstücke darauf hin, dass der Text seit dem 1. Jahrhundert sehr genau überliefert wurde.

Inhaltsverzeichnis

Heutiger Gebrauch

Der Masoretische Text bildet heute den im Judentum benutzten Tanachtext. Im Christentum stellt er eine der wichtigsten Quellen für Bibelübersetzungen dar. Theologen greifen bevorzugt auf den masoretischen Text zurück.

Die Textkritik des Alten Testamentes geht infolge der Entstehungsgeschichte des Masoretischen Textes heute davon aus, dass der Masoretische Text dem zur Zeit des Urchristentums verwendeten Text des Alten Testamentes am nächsten kommt. Nur wo begründete Zweifel an diesem Text bestehen, sollte die betreffende Textstelle zugunsten einer anderen Quelle aufgegeben werden.

Kanonisierung und erste Textedition

Nach dem jüdischen Aufstand, der um das Jahr 70 n. Chr. endete, wurde ein Treffen unter dem pharisäischen Rabbi Jochanan ben Sakkai im Jahre 95 in Jamnia einberufen, um das geistliche Gremium des Judentums, den Sanhedrin, wiederherzustellen. Auf diesem auch als Synode von Jamnia bezeichneten Treffen wurde unter anderem der Kanon der heiligen Schriften diskutiert.

Unter den umstrittenen Texten waren die heute deuterokanonische Schriften bzw. Apokryphen genannten Bücher, die in der römisch-katholischen Kirche und den Ostkirchen als inspiriert gelten, sowie das Buch der Sprichwörter (= Sprüche Salomons), das Buch des Hohen Liedes und das Buch Kohelet (= Prediger Salomo). Die letzten drei Bücher wurden wahrscheinlich nur in den Kanon aufgenommen, da sie Salomo zugesprochen wurden, eine heute als unwahrscheinlich geltende These. Nach dem Talmud (Jadajim 3,5) wurde in Jamnia nur die Kanonizität von Kohelet (Rabbi Schimon ben Azzai) beziehungsweise von Kohelet und Hohelied (laut Rabbi Aqiba) diskutiert. Für eine Diskussion der „deuterokanonischen“ Schriften in Jamnia fehlt jeder Beleg.

Die Kanonisierung des Tanach war etwa um 100 nach Christus, besonders durch das Wirken Rabbi Akibas abgeschlossen. Ein verbindlicher jüdischer Text war unter anderem notwendig geworden, da es mit Vertretern des sich ausbreitenden Christentums immer wieder zu Differenzen in der Lesart und Auslegung der Heiligen Schriften kam. Dazu hatte insbesondere die Verwendung der griechischen Septuaginta durch die Christen und Juden der hellenistischen Welt beigetragen.

Es ist im einzelnen wenig darüber bekannt, nach welchen Kriterien aus den verschiedenen zu jener Zeit existierenden Textversionen ausgewählt wurde. Relativ sicher erscheint, dass Vulgärtexte, also Texte, die eine populäre und vereinfachende Sprache zeigten, zugunsten differenzierter und älterer Textversionen aufgegeben wurden. Aramäische Wörter und Passagen wurden durch ursprünglichere hebräische Textversionen ersetzt. Da nach jüdischem Brauch Schriftrollen, die nicht mehr im Gottesdienst verwendet werden konnten, in einer Genisa, d.h. einem eigens dafür geschaffenen Raum, aufbewahrt wurden, haben wichtige Schriftstücke der jüdischen Liturgie und Geschichte ab dem 8. Jahrhundert überlebt.

Seit der Kanonbildung kann man von einem sehr stabilen Konsonantentext ausgehen. Im Umlauf befindliche abweichende Schriften wurden diesem Text in der Folge entweder durch Korrektur angeglichen oder als unbrauchbar verworfen. Dieser Prozess dauerte bis ins 8. Jahrhundert. Mittelalterliche jüdische Handschriften zeigen weitgehend einheitliche Textfassungen.

Die Masoreten

Der einmal gesicherte Konsonantentext sollte durch die Tätigkeit seiner Überlieferer (Masoreten) möglichst nicht mehr verändert werden. Vielmehr wurde eine noch genauere Textfassung angestrebt.

Höhepunkt dieser Tätigkeiten war die Zeit von etwa 780–930, in der die Bewegung der Karäer ihren Einfluss auf das jüdische Geistesleben entfaltete. An dessem Ende standen die Handschriften der Masoretenfamilien Ben Ascher in Tiberias (Israel) und Ben Naftali. Obwohl die Notationsart der Ben Naftali weiter fortgeschritten erscheint, setzte sich ab dem 12. Jahrhundert die Fassung Ben Aschers durch, die auch von Maimonides favorisiert wurde.

Folgende Aufgaben wurden von den Masoreten in Angriff genommen:

  • die Vokalisierung des Textes,
  • die Phrasierung des Textes
  • die Sicherung des Textes gegen zufällige und absichtliche Änderungen,
  • die Klärung von unklaren Textstellen.

Zur Umsetzung dienten ihnen eine Reihe von Zusätzen, die dem Konsonantentext beigegeben wurden.

Vokalisation

Der hebräische Konsonantentext enthielt nur wenige Vokalzeichen. Diese wurden zudem unregelmäßig gebraucht. Daher wurden die Konsonanten durch Teamim mit Vokalen ergänzt. Dies sind verschiedene Punkte unter (infralinear), über (supralinear) oder in den Buchstaben der Quadratschrift. Diese Tätigkeit wird als punktieren bezeichnet.

Verschiedene Punktationssysteme, die teilweise voneinander abhängen, kamen zum Einsatz:

  • das babylonische System (supralinear)
  • das palästinensische System (supralinear)
  • das tiberische System (infralinear).

Letztlich setzte sich das tiberische System durch. Problematisch und teilweise bis heute strittig war die Wahl der Vokale, da die hebräische Sprache zum Zeitpunkt der Vokalisierung bereits hunderte von Jahren von der Sprache des Konsonantentextes entfernt war.

Phrasierung des Textes

Ähnlich wie bei der Vokalisierung wurden Textabschnitte durch Punkte und Akzente (hebräisch Teamim) kenntlich gemacht. In einigen heutigen Bibelausgaben wird dies vor allem am Satz des Psalters deutlich, in dem das hebräische Versmaß abgebildet werden soll.

Sicherung des Textes

Die Sicherung des Textes wurde durch die Beigabe der Masora (im engeren Sinne) erreicht. Man unterscheidet, je nach Position zum Text:

  • die Randmasora (Masora marginalis), am Seitenrand, unterteilt in
    • Masora parva, ein oder beidseitig des Textes und die
    • Masora magna, ober und unterhalb des Textes,
  • die Schlussmasora (Masora finalis) am Schluss des gesamten Textes, die das Material der Randmasora noch einmal geordnet wiedergibt.

Die Masora enthält Hinweise zur Gestalt des Textes und stellt keine Auslegung des Textes dar. So wird beispielsweise hingewiesen auf:

  • das mehrfache Vorkommen eines Wortes, oft mit Anzahl,
  • die besondere Schreibweise einzelner Wörter,
  • ähnliche Textstellen und Probleme anderenorts,
  • Textkuriositäten,
  • Abweichende Lesarten bestimmter Wörter (so genannte Ketib und Qere),
  • Bedenken gegen überlieferte Wörter (punkta extraordinaria)
  • Bedenken gegen überlieferte Versabfolgen (Nun inversum),
  • die abweichende, eigentlich erwartete Wortform (Sebirin)

Die Masora gleicht vielerorts einem ausgefeilten Zahlenspiel. Tatsächlich hatten die Sopherim (סֹפֵרִים), die Schreiber, zuallererst begonnen, jedes einzelne Wort des Textes zu zählen. Dieses bildete jedoch für die Masoreten eine unverzichtbare Möglichkeit, die Korrektheit ihrer Abschriften zu prüfen. Sie kann damit als früher Vorläufer der in der Informatik verwendeten Prüfsummen angesehen werden.

Erhaltene Textfassungen

Der Text der sogenannten zweiten Rabbinerbibel (auch Bombergiana genannt), die 1524/25 gedruckt wurde, war lange Zeit der allgemein anerkannte hebräische Text des Alten Testamentes (textus receptus hebraicus). Er war von Jakob Ben Chajim erarbeitet worden. Auf ihm basieren die ersten beiden Auflagen der von Rudolf Kittel herausgegebenen Biblia Hebraica.

Der auf 1008 n. Chr. datierte Codex Leningradensis B 19A (auch: Codex Petropolitanus) gilt als älteste vollständig erhaltene Handschrift der Hebräischen Bibel (Tanach). Er stellt eines der besten Beispiele masoretischer Texte dar. Auf ihm basiert die Biblia Hebraica ed. Kittel seit ihrer 3. Auflage sowie die Biblia Hebraica Stuttgartensia. Der Codex wurde als Abschrift eines Textes des Masoreten Aaron ben Mosche ben Ascher identifiziert. Damit ist die Handschrift gemessen an den bedeutendsten Handschriften des griechischen Alten und Neuen Testaments aus dem 4. und 5. Jahrhundert relativ jung. Der älteste hebräische Text, der den Prophetenkanon vollständig enthält, der Codex Cairensis, stammt nach den Angaben seines Kolophons aus dem Jahr 895 n. Chr. (Datierung in jüngerer Zeit bestritten, s. Codex Cairensis).

Der auf etwa 920 n. Ch. datierte Codex von Aleppo wird ebenfalls dem Umfeld Aaron Ben Aschers zugerechnet. Er gilt daher als sehr guter Textzeuge, war jedoch bis 1947 der Wissenschaft nicht zugänglich und ist seit 1947 nicht mehr vollständig.

Beziehung zu anderen Texten

Ein Vergleich mit der Septuaginta, dem zweiten wichtigen Textzeugen der Hebräischen Bibel, ergibt zahlreiche kleine und einige auch theologisch signifikante Unterschiede.

Die Schriftrollen vom Toten Meer stimmen teilweise mit dem Masoretischen Text, teilweise mit der Vorlage der Septuaginta, teilweise mit keinem der beiden Texte oder aber mit beiden überein; in etlichen Fällen haben sie jedoch gemeinsam mit der Septuaginta die gleiche Lesart gegen den Masoretischen Text. Dies macht es wahrscheinlich, dass die Septuaginta an diesen Stellen ursprünglichere hebräische Lesarten überliefert hat, und es erlaubt den Schluss, dass dies auch bei vielen derjenigen Unterschiede zwischen Septuaginta und Masoretischem Text gilt, für die es kein Vergleichsmaterial aus Qumran gibt.


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