Massaker von Paris 1961

Massaker von Paris 1961
Erinnerungsplakette für das Massaker. Text: „Zur Erinnerung an die zahlreichen Algerier, die Opfer der blutigen Unterdrückung einer friedlichen Demonstration wurden“

Als Massaker von Paris 1961 ging ein Blutbad in Paris am 17. Oktober 1961 während des Algerienkriegs (1954–1962) in die Geschichte ein. Die Pariser Polizei ging brutal gegen eine nicht genehmigte, aber friedliche Demonstration mehrerer zehntausend Algerier vor, zu der die algerische Unabhängigkeitsbewegung FLN aufgerufen hatte. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens 200 Menschen getötet wurden.[1] Sie wurden erschossen, erschlagen und in der Seine ertränkt. Die blutig verlaufene Massendemonstration wurde in den französischen Medien seinerzeit nahezu flächendeckend totgeschwiegen und erst mit großem zeitlichen Abstand zum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion in Frankreich.

Inhaltsverzeichnis

Ablauf

Bereits zwei Wochen vor dem 17. Oktober war eine nächtliche Ausgangssperre für Franzosen algerischer Herkunft in der Region Paris erlassen worden. Diese war eine Reaktion auf die kurz davor begonnenen Angriffe der FLN auf Polizisten und Gendarmen in Frankreich selbst (bis dahin waren die Kampfhandlungen auf Algerien beschränkt gewesen), bei denen mehrere Beamte getötet wurden. Entsprechend gereizt war die Stimmung bei der Polizei und der französischen Öffentlichkeit. Obwohl die Demonstration friedlich verlief (wenn auch unter Missachtung der Ausgangssperre), gingen Kräfte der Pariser Polizei, Gendarmerie und Bereitschaftspolizei CRS unter dem Kommando von Maurice Papon, der einen Schießbefehl erteilt hatte, äußerst brutal vor und töteten zahlreiche Demonstranten. Papon wurde 1998 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt, die er als hoher Beamter des Vichy-Regimes begangen hatte, aber wegen einer Generalamnestie für alle im Zusammenhang mit dem Algerienkrieg begangenen Verbrechen niemals für die Tötungen von Paris strafrechtlich belangt. Eine Klage wegen Verleumdung, die Papon 1998 gegen den Historiker Jean-Luc Einaudi einreichte, wurde ein Jahr später von einem Pariser Gericht zurückgewiesen.[2]

Die genaue Zahl der Toten ist unbekannt. Polizeiliche Angaben sprachen damals lediglich von drei Toten. Im Frühjahr 1998 wurde ein vom damaligen Innenminister Jean-Pierre Chevènement in Auftrag gegebener Bericht von Dieudonné Mandelkern, einem Mitglied des Conseil d’État, veröffentlicht, der diese Zahl auf 32 korrigierte.[2] Die Liste des Historikers Einaudi verzeichnet 384 Opfer, einschließlich aller Toten, die schon zuvor in den Gewässern rund um Paris gefunden wurden; jedoch sei die Zahl vermutlich höher, weil es bis heute ungeklärte Fälle und Vermisste gebe.[3] Die Festgenommenen wurden teilweise über mehrere Tage hinweg unter freiem Himmel interniert, ca. 500 von ihnen im Anschluss nach Algerien deportiert. Noch Wochen später wurden Leichen in der Seine gefunden. Über das Massaker wurde damals in den Medien praktisch nicht berichtet (die erhaltenen Fotos stammen fast alle von Élie Kagan), und bis heute handelt es sich um ein in der französischen Gesellschaft teilweise tabuisiertes Ereignis.

Gedenken

Am 17. Oktober 2001 wurde vom sozialistischen Bürgermeister von Paris, Bertrand Delanoë, eine Gedenktafel am Pont Saint-Michel eingeweiht, die an das Ereignis erinnert. Die konservative Opposition im Stadtrat von Paris boykottierte die Zeremonie.[4] Auch in Aubervilliers (Foto) und Saint-Denis befinden sich Gedenktafeln für das Massaker.

Filme

Jacques Panijel drehte bereits im Jahr 1961 einen Film über die Ereignisse: Octobre à Paris.

Der österreichisch-französische Spielfilm Caché (2004) von Regisseur Michael Haneke thematisierte die Tabuisierung des Massakers in der französischen Gesellschaft.[5]

Im Jahr 2005 erschien Nuit noire 17 octobre 1961 (Schwarze Nacht 17. Oktober 1961) von Alain Tasma; der dokumentarische Spielfilm wurde zunächst vom Privatfernsehsender Canal+ ausgestrahlt und kam anschließend in die Kinos. Im selben Jahr erhielt er den Grand Prix beim Festival International des Programmes Audiovisuels (FIPA) in Biarritz; 2008 wurde er auch auf TV5 gezeigt.

Das Massaker wurde ebenfalls im Dokumentarfilm Verordnetes Schweigen: Die blutige Nacht von Paris (2002) von Michael Gramberg thematisiert.

Literatur

  • Martin S. Alexander & J. F. V. Keiger: France and the Algerian War, 1954-62: Strategy, Operations and Diplomacy. 2002, ISBN 0-7146-5297-0, S. 24 (ausführliche, mehrheitlich franz. Literaturliste)
  • Jean-Luc Einaudi: La Bataille de Paris : 17 octobre 1961. éd. du Seuil, 1991 ISBN 2-02-013547-7
  • Patrice J. Proulx & Susan Ireland (Hrsg.): Immigrant Narratives in Contemporary France. 2001, ISBN 0-313-31593-0, S. 47-55
  • Jim House, Neil MacMaster: Paris 1961: Algerians, State Terror, and Memory. Oxford University Press, 2006, ISBN 0-19-924725-0 (Rez. in Le Monde vom 13. Oktober 2006. Das Buch beruht auf bisher verschlossenen Archiven. Seit 2008 auch in französischer Übersetzung erhältlich.)

Weblinks

 Commons: Massaker von Paris 1961 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten

  1. Bert Eder: 50 Jahre danach: Keiner zählte die Opfer. In: Der Standard. 21. Oktober 2011
  2. a b Bernhard Schmid: Die offizielle Version. In: Jungle World. 31. März 1999
  3. Ursula Welter: Blutbad an der Seine. In: Deutschlandfunk. 17. Oktober 2011
  4. BBC News: Paris marks Algerian protest „massacre“. 17. Oktober 2001
  5. Netzeitung: Das Massaker von 1961. 19. Oktober 2005

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Geschichte von Paris — Stadtwappen Die Geschichte der Stadt Paris reicht über 2000 Jahre zurück. Während dieser Zeit entwickelte sich der Ort von der keltischen Siedlung Lutetia des Stammes der Parisii zur heutigen Millionenstadt und Hauptstadt Frankreichs.… …   Deutsch Wikipedia

  • Massaker von Bad Wiessee — Als Röhm Putsch bezeichnete die Propaganda der Nationalsozialisten die Ereignisse um die Ermordung von Ernst Röhm, dem Stabschef der SA, im Juni / Juli 1934. Ermordet wurden außer SA Funktionären auch Gegner des Nationalsozialismus wie der… …   Deutsch Wikipedia

  • Liste von geschichtsbezogenen Filmen und Serien — Die Liste der geschichtsbezogenen Filme und Serien beinhaltet Filme und Serien, die in einer früheren Epoche spielen. Werden mehrere Epochen berührt, erscheint der Eintrag entsprechend in diesen Epochen, sofern die Epoche wesentlich im Film oder… …   Deutsch Wikipedia

  • Liste von Kriegsfilmen — Es ist teilweise umstritten, welche Spielfilme als „Kriegsfilme“ gelten können. Wie im Hauptartikel Kriegsfilm dargelegt, gibt es die Auffassung, nur die Thematisierung moderner Kriege rechtfertige das Etikett „Kriegsfilm“. Hiervon abweichend… …   Deutsch Wikipedia

  • Genozid von Ruanda — Schädel von Opfern des Völkermordes in der Gedenkstätte von Nyamata Als Völkermord in Ruanda werden umfangreiche Gewalttaten in Ruanda bezeichnet, die am 6. April 1994 begannen und bis Mitte Juli 1994 andauerten. Sie kosteten zirka 800.000 bis… …   Deutsch Wikipedia

  • Völkermord von Ruanda — Schädel von Opfern des Völkermordes in der Gedenkstätte von Nyamata Als Völkermord in Ruanda werden umfangreiche Gewalttaten in Ruanda bezeichnet, die am 6. April 1994 begannen und bis Mitte Juli 1994 andauerten. Sie kosteten zirka 800.000 bis… …   Deutsch Wikipedia

  • 61. Internationale Filmfestspiele von Cannes — Diesjähriger Jurypräsident: der Oscar prämierte Schauspieler und Regisseur Sean Penn …   Deutsch Wikipedia

  • Filmfestspiele von Cannes 2008 — Diesjähriger Jurypräsident: der Oscar prämierte Schauspieler und Regisseur Sean Penn …   Deutsch Wikipedia

  • Liste von Gedenk- und Aktionstagen — In diese Liste werden alle Feiertage (insbesondere Nationalfeiertage), Gedenktage und Aktionstage aufgenommen, an denen jährlich wiederkehrend – international oder national – an bedeutende historische weltliche oder religiöse Ereignisse erinnert… …   Deutsch Wikipedia

  • Schlacht von Cowpens — Battle of Cowpens (Ölgemälde von William Ranney, 1845) Die Schlacht von Cowpens (Cowpen: engl. Kuhweide oder Rinderpferch) fand während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges am 1. Januar 1781 bei Cowpens in South Carolina nahe der Grenze …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”