Max Bondy

Max Bondy

Max Bondy (* 10. Mai 1892 in Hamburg; † 1951 in Boston, Massachusetts) war ein deutscher Reformpädagoge jüdischer Herkunft und Mitbegründer der Landerziehungsheime. Nach Zwangsenteignung und Flucht vor der nationalsozialistischen deutschen Diktatur 1937 ging er zuerst nach Gland am Genfer See (Schweiz), dann 1939 in die USA und wurde US-amerikanischer Staatsbürger.

Inhaltsverzeichnis

Kindheit und Jugend

Max Bondy wurde am 10. Mai 1892 in Hamburg als Sohn einer assimilierten jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Sein Vater, Salomon Bondy, war erst vier Jahre zuvor, 1888, von Prag nach Hamburg gekommen und wurde 1902 in den hamburgischen Staatsverband aufgenommen. Max Bondy besuchte in Hamburg das Wilhelm-Gymnasium bis zum Abitur 1910. Im Wintersemester 1910/11 studierte er „Rechte und Nationalökonomie“ in München, belegte aber schon zahlreiche Veranstaltungen in Philosophie und Kunstgeschichte. 1911 war er offiziell für kunstgeschichtliche Studienzwecke nach Italien beurlaubt. Im Wintersemester 1912-13 studierte er in Freiburg Geschichte und Kunstgeschichte. In Freiburg kam er erstmals mit der Jugendbewegung in Kontakt und wurde schließlich zu einem führenden Mitglied der DAF (Deutsche Akademische Freischar). Im Sommersemester 1914 studierte er in Göttingen Geschichte und Germanistik. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterbrach das Studium. Max Bondy meldete sich auf dem Hintergrund seiner deutsch-nationalen Grundeinstellung sofort als Freiwilliger. Er blieb Soldat bis zur Novemberrevolution 1918, zuletzt als Offizier der Artillerie. Sein Studium beendete er 1919 in Erlangen mit einer Promotion in Kunstgeschichte. Das Thema seiner Dissertation lautete: „Baiersdorf. Eine kunstgeschichtliche Untersuchung.“ Max Bondy betonte später wiederholt, wie stark ihn die Gedankenwelt der Jugendbewegung beeinflusst habe. Wie viele andere Jugendbewegte war er durch diese Prägung in besonderer Weise an pädagogischen und gesellschaftspolitischen Fragen interessiert.

Reformpädagoge

Zusammen mit Ernst Putz, Schüler von Luserke aus der Freien Schulgemeinde Wickersdorf, gründete er 1919/20 auf dem Sinntalhof in Brückenau seine erste Schule, die "Freie Schul- und Werkgemeinschschaft Sinntalhof". Dieses Schulprojekt scheiterte wegen unüberbrückbarer Differenzen zwischen den beiden Partnern. 1923 ging Max Bondy mit einem Teil der Schüler und der Mitarbeiter nach Gandersheim in Niedersachsen. In Zusammenarbeit mit seiner Frau Gertrud Bondy, geb. Wiener (* 7. Oktober 1889 in Prag, † 30. April 1977 in Detroit), einer Ärztin und Psychoanalytikerin, die Sigmund Freud und Anna Freud noch persönlich kannte, formte er die "Schulgemeinde Gandersheim", die 1929 nach Marienau umzog und sich dann „Schulgemeinde auf Gut Marienau“ nannte - heute das Landerziehungsheim Schule Marienau.

Aus den Idealen und Vorstellungen der Jugendbewegung, den ebenfalls für die damalige Zeit typischen Lebensreformbewegungen, aber auch aus den schrecklichen Erfahrungen und politisch umwälzenden Folgen des Ersten Weltkrieges erwuchs bei Max Bony die Idee, durch Gründung einer Schulgemeinde am Wiederaufbau des krisengeschüttelten Nachkriegsdeutschlands mitwirken zu können. Der Erziehung der Jugend ordnete er eine Schlüsselfunktion zu, um so auch maßgeblich gesellschaftspolitischen Einfluss zu nehmen. Die Benennung seiner Schulen als Schulgemeinden ist zugleich auch ihr pädagogisches Programm, das ganz bewusst im Gegensatz stand zum allgemeinen und traditionell autoritären Schulsystem. So war es unter anderem ein erklärtes Ziel der Schulgemeinde, freundschaftliche Beziehungen zwischen Schülern und Lehrern zu pflegen, eine Schülerselbstverwaltung auf demokratischen Prinzipien einzuführen und die Ideale der zeitgenössischen Jugendbewegung aufrechtzuerhalten: 1. Erziehung zu Autonomie und Selbstkompetenz, das heißt also zu "selbstdenkenden" und "selbstverantwortlich" handelnden Menschen und 2. Erziehung zur Gemeinschaft und zur Menschlichkeit, das heißt zu gesellschaftlich, politisch und sozial engagierten Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und Toleranz zu üben. War Max Bondy vornehmlich geprägt durch die deutsche Jugendbewegung, durch seine freiwillige Teilnahme am Ersten Weltkrieg und sein großes Interesse an Kunst und Kunstgeschichte, so war seine Frau ihm ähnlich und doch "ganz anders"[1]. Gertrud Bondy wuchs in Prag und Wien auf, den Hochburgen moderner Kunst und Kultur des Fin de siècle. Sie stammte aus einer sehr kultivierten und hochgebildeten Familie und wollte ursprünglich Konzertpianistin werden. Unter dem Eindruck von Erlebnissen im Ersten Weltkrieg entschloss sie sich zum Studium der Medizin und absolvierte zusätzlich eine Ausbildung als Psychoanalytikerin. Diese Voraussetzungen prädestinierten sie in besonderer Weise dazu, das Konzept einer Schulgemeinde als "Kulturschule" mitzutragen, das Max Bondy zeit seines Lebens vorschwebte und das er in seinen zahlreichen "Morgensprachen"[2] aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtete.

Im Vergleich zu anderen Landerziehungsheimen waren der fast familiäre Charakter so wie die Kennzeichnung als "unglaublich fortschrittlich" dann spätestens ab Mitte der 20er Jahre das "Markenzeichen" der Bondyschen Schulgemeinde: Man wollte keine Weltfremdheit, sondern "Bejahen der Gegenwart", in jeder Hinsicht "Zeitgenossenschaft". [3]

Verfolgter des Nationalsozialismus

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde das schulische Leben schwerer. Die „Judenschule“, wie die Schule Marienau von außen auch genannt wurde, geriet unter den Einfluss der Repression deutscher Nationalsozialisten. 1937 entzogen sie dem jüdischen Schulleiter Max Bondy die Erlaubnis, die Schule zu führen. Bondy sollte für die Schulgemeinde Marienau 108.000 Mark erhalten, ein Zwangsgeld, das er jedoch nicht bekam. 58.000 Mark dienten der Zwangstilgung von Hypotheken und 50.000 Mark waren auf einem „Sperrkonto“ der Dresdner Bank vor dem Zugriff durch den jüdischen Eigentümer Bondy festgesetzt. Die Leitung der Schule Marienau übernahm der ehemalige Lehrer und Schwager von Christoph Probst, Dr. Bernhard Knoop aus dem Landerziehungsheim Schondorf am Ammersee, womit ein Wechsel vom progressiven zum eher konservativen Flügel der Landerziehungsheimidee stattfand.[4]

Das Ehepaar Bondy ging mit seinen beiden Kindern über die Schweiz (Gland) ins Exil in die USA (Lennox).

Nach der Shoa

1945, nach dem Ende der Schoa versuchte Bondy, als Verfolgter des Nationalsozialismus sein ehemaliges Eigentum, die Schule in Marienau wieder zu erhalten, um sich der „Reeducation“ der Deutschen zu widmen und seine Schule zukünftig einem internationalen pädagogischen Verbund anzuschließen. Das wurde ihm aber verwehrt, weil er inzwischen die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte und zu dieser Zeit kein Eigentum in Deutschland erwerben durfte. Sehr verbittert über diese Entscheidung erlebte er das Ende der Wiedergutmachungsverhandlungen nicht mehr. 1951 starb Max Bondy in Boston an Blutkrebs.

Max Bondys Reformpädagogik bis heute

Die Nachfolge der Schulleitung hatte Bernhard Knoop. In der Folgezeit geriet die Entstehungsperiode des Internats Schule Marienau durch den jüdischen Schulleiter Max Bondy, unter dem Einfluss der Jugendbewegung, weitestgehend in Vergessenheit. Erst Mitte der 1980er Jahren, mit dem damals neuen Schulleiter Wolf-Dieter Hasenclever, einem Gründungsmitglied der baden-württembergischen Grünen, wurde die Vergangenheit aufgearbeitet. Ein Archiv entstand 1989, das in dem neugebauten Max-Bondy-Haus eingerichtet wurde. Mit der Hinwendung zum „Ökologischen Humanismus“[5], mit deutsch-israelischen Austauschprogrammen und einer ökologischen Aufbruchbewegung der schulischen Jugend wurde seinerzeit würdig an das jüdische Erbe und an den Einfluss der Jugendbewegung angeknüpft.

Werke

  • Baiersdorf, eine kunstgeschichtliche Untersuchung. Erlangen 1923
  • Das neue Weltbild in der Erziehung. Diederichs, Jena 1922
  • „Ich muß mich dann immer damit beschäftigen, bis ich es Euch gesagt habe.“ Reden an junge Deutsche (1926–1947). Schule Marienau, Dahlem-Marienau 1998

Literatur

  • Barbara Kersken: Gertrud und Max Bondy - Wegbereiter der modernen Erlebnispädagogik? Neubauer, Lüneburg 1991, ISBN 3-88456-086-7.

Einzelnachweise

  1. Hedwig Wallis: Die pädagogische Arbeit von Max und Gertrud Bondy aus der Perspektive einer Altschülerin. Vortrag anlässlich der 50-jährigen Abiturfeier in Marienau am 21. Juni 1987. In: Marienauer Chronik. Heft 40, September 1987, S. 86-89.
  2. Max Bondy: „Ich muß mich dann immer damit beschäftigen, bis ich es Euch gesagt habe.“ Reden an junge Deutsche (1926–1947). Schule Marienau, Dahlem-Marienau 1998. Vgl. bes. die "Morgensprache" vom Oktober 1928, S. 48-52.
  3. George Roeper: Max und Gertrud Bondy gründen Marienau - die ersten Jahre. In: Marienau. Fünfzig Jahre Landerziehungsheim 1929-1979. 1929, S. 10-19.
  4. Barbara Kersken: Bericht: Archiv Schule Marienau.
  5. Wolf-Dieter Hasenclever (Hrsg.): Reformpädagogik heute. Wege der Erziehung zum ökologischen Humanismus. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 1993.

Weblinks


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