Max Erwin von Scheubner-Richter

Max Erwin von Scheubner-Richter
Max Erwin von Scheubner-Richter (1915), Aufnahme aus dem Bundesarchiv

Ludwig Maximilian Erwin von Scheubner-Richter (lettisch: Ludvigs Rihters; * 9. Januarjul./ 21. Januar 1884greg. in Riga, Lettland; † 9. November 1923 in München) war ein deutscher Diplomat und eine Führungsfigur in der Frühphase der NSDAP. Der erste Band von Hitlers Buch „Mein Kampf“ ist ihm als einem der sechzehn Nationalsozialisten, die beim Hitlerputsch umkamen[1], gewidmet.

Inhaltsverzeichnis

Biografie bis 1920

Scheubner-Richter wurde als Max Richter als Sohn eines reichsdeutschen Vaters und einer deutschbaltischen Mutter geboren. Den Namenszusatz von Scheubner erhielt er 1912 nach der Heirat mit der um 29 Jahre älteren Adligen Mathilde von Scheubner und der Adoption durch einen ihrer Verwandten. [2]

Frühe Jahre

Von 1904 bis 1906 studierte er Chemie am Polytechnikum Riga, wo er der deutschbaltischen Studentenverbindung Rubonia beitrat und die Bekanntschaft Otto von Kursells machte. Nach den revolutionären Unruhen in Russland 1904/1905 ging er nach Deutschland. Am 10. August 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger. Nach verschiedenen Fronteinsätzen, Auszeichnungen und Beförderungen wurde er in die Türkei abkommandiert.

Der Erste Weltkrieg und der Völkermord an den Armeniern

Im Rahmen seiner Tätigkeit als deutscher Diplomat war Scheubner-Richter während des Ersten Weltkrieges als deutscher Vizekonsul im türkischen Erzerum stationiert.

Am 20. Mai 1915 berichtete er an den deutschen Botschafter Hans Freiherr von Wangenheim in Konstantinopel:

„Erscheint somit die Maßregel der Aussiedlung zwecklos, so ist die Form der Ausfuehrung unsinnig. Die Massen der ausgesiedelten Armenier ziehen, von wenigen Gendarmen begleitet in breitem Strom ueber die mit Mühe frisch bestellten Felder oder lagern auf denselben. Das Vieh weidet die Saaten ab. Ein großer Teil der Aussaat um Erserum ist damit vernichtet. Es leiden darunter nicht nur Armenier, sondern auch Tuerken.

… Ich habe mich persoenlich zu den um die Stadt lagernden Ausgesiedelten begeben. Das Elend - Verzweiflung und Erbitterung sind groß. Die Frauen warfen sich und ihre Kinder vor mein Pferd und baten um Hilfe. Der Anblick dieser jammernden Armen war mitleiderregend und peinlich - noch peinlicher war aber fuer mich das Gefuehl nicht helfen zu koennen. Die armenische Bevoelkerung sieht im Vertreter des Deutschen Reiches zur Zeit ihren einzigen Schutz und erwartet von ihm Hilfe.

Das Einzige, was ich tun konnte, war - den Bischof und die Bewohner Erserums zu veranlassen fuer die Vertriebenen, welche ohne Nahrung sind, Brot zu sammeln. Das geschah und wird noch fortgesetzt. Es besteht jedoch das Verbot, daß Niemand ohne besondere Erlaubnis, die Armeniern nicht erteilt wird, die Stadt verlassen darf. Infolgedessen lasse ich, da ich dieses Verbot fuer mich und meine Angestellten als nicht existierend betrachte, durch Wagen des Konsulats dieses Brot taeglich bis zu 10 km weit hinausbringen und unter die Aermsten der Vertriebenen verteilen.“[3]

Von Scheubner-Richter gelang es zwar, einzelne Armenier zu retten, seine Interventionen in Konstantinopel und Berlin blieben jedoch wirkungslos. Wie die in der Botschaft von Konstantinopel beigefügten Randbemerkungen zu seinem Schreiben vom 20. Mai 1915 erkennen lassen, wurde sein Verhalten gegenüber den Armeniern als weltfremd und der politischen Lage nicht angemessen betrachtet.

Als Vizekonsul führte er vom August 1915 bis Juni 1916 eine militärpolitische Expedition. Danach folgten wechselnde Einsätze u. a. in Straubing (München), im Regiment unter Adolf-Friedrich von Mecklenburg, und in Stockholm, schließlich 1917/18 im Oberkommando des Heeres in Riga. Scheubner-Richter war 1917/18 nach Tropenkriegsdienstunfähigkeit schon zum Leiter der Pressestelle des AOK (Armeeoberkommando) VIII in Riga aufgestiegen und machte den Vormarsch der deutschen Truppen in Frühjahr 1918 in Estland mit, wofür er das EK I erhielt.

Die Pressestelle, in der Scheubner-Richter in Riga arbeitete, trug die Bezeichnung „Pressestelle Oberost VIII“. Hier arbeitete er zusammen mit Arno Schickedanz, Otto von Kursell und Max Hildebert Boehm für die deutschen Besatzer.[4]

Die historische Forschung nimmt an, dass Hitler später durch Scheubner-Richter Details des Völkermords erfuhr und dadurch in der Annahme bestärkt wurde, dass die anderen europäischen Mächte ein brutales – womöglich auch Massenhinrichtungen oder zumindest den Tod großer Menschenzahlen durch die Entziehung ihrer Lebensgrundlage in Kauf nehmende Maßnahmen – Vorgehen gegen die Juden im deutschen Machtbereich nachträglich protestlos hinnehmen würden, wenn man sie vor vollendete Tatsachen stellen würde und die Ermordung/Deportation der Juden in entlegene Gebiete einmal abgeschlossen sei. Als Bestätigung dieser Annahme wird häufig der von Hitler acht Tage vor dem Überfall auf Polen im September 1939 geäußerte Satz gewertet: „Wer spricht heute noch von den Armeniern?“

Kapp-Putsch

Nach dem Krieg schloss Scheubner-Richter sich den baltischen Freikorps an, wo er Alfred Rosenberg traf, der ebenfalls aus dem Baltikum stammte. Im März 1920 beteiligte sich Scheubner-Richter am Kapp-Putsch. Er war von Wolfgang Kapp als Chef des Nachrichtendienstes der neuen Putsch-Regierung vorgesehen, wozu es aber nach dem Scheitern des Putsches nicht kam. Nach dem Scheitern des Putsches musste er nach München fliehen, wo er unter anderem die „Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung“ als Verbindungsorganisation zwischen deutscher Rechter und russischen monarchistischen Emigranten gründete.

Scheubner-Richter und Hitler

Scheubner-Richter traf im Oktober 1920 erstmals mit Adolf Hitler zusammen. In der Folge wurde er zu dessen außenpolitischen Berater und zu einem Finanzier der Partei, der es auch verstand, weitere Geldquellen zu ermitteln und nutzbar zu machen. Er gilt als ein entscheidender Förderer der frühen NSDAP.

Finanzhilfe

Die finanziellen und politischen Verbindungen Scheubner-Richters liefen zu Industriellen, preußischen Junkern, Aristokraten wie den Wittelsbachern, hohen kirchlichen Stellen und vermögenden Russland-Emigranten. Scheubner-Richter nutzte diese Beziehungen – hervorzuheben sind v. a. seine weitverzweigten Kontakte zu konservativen und rechtsradikalen Kreisen in Deutschland um den Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff und zu exilierten russischen Monarchisten, die sich durch eine Unterstützung der NSDAP eine Beeinflussung der deutschen Politik in die Richtung einer Beseitigung der Sowjetunion und eine Wiedererrichtung des Zarentums in Russland erhofften – um mit außerordentlichem Geschick beträchtliche finanzielle Mittel für die Partei zu erschließen. So brachte er u. a. die Geldmittel für den Ankauf der Zeitung Münchener Beobachter auf, die unter dem Namen Völkischer Beobachter zum Parteiorgan der NSDAP wurde. Scheubner-Richter vermittelte Hitler auch den Kontakt zum „Stahlbaron“ Fritz Thyssen, der so zu einer Zeit zum finanziellen Gönner der NSDAP wurde, als die übrige Großindustrie ihr noch weitgehend ablehnend gegenüberstand.

Zur Beschaffung von Geldmitteln gründete Scheubner-Richter zwei „gemeinnützige“ Organisationen, die es seinen Freunden ermöglichte, steuerbegünstigt der NSDAP Spenden zukommen zu lassen. Um den Zahlern das Spenden attraktiver zu machen, präsentierte er ihnen respektable Galionsfiguren ihrer jeweiligen Kreise, deren Ziele vorgeblich durch die Spenden befördert würden: den Konservativen Theodor von Cramer-Klett jun., den Exilrussen die Großfürstin Viktoria Fedorowna, deren Gatte Ansprüche auf den vakanten Zarenthron geltend machte – und die ihre Juwelen zugunsten der Partei versetzte – und den ehemaligen russischen General Wassili Biskupski. Biskupski seinerseits vermittelte Scheubner-Richter und somit der NSDAP Kontakt zu dem in Paris ansässigen russischen Kommerz-, Industrie- und Handelsverband, dessen Mitglieder ebenfalls eine Umgestaltung der russischen Verhältnisse zu ihren Gunsten erhoffen. In einem Brief aus dem Jahr 1939 taxierte der General die der Partei auf Fürsprache Scheubner-Richters von Exil-Russen hin gewährte Finanzhilfe auf eine halbe Million Goldmark.

Marsch auf die Feldherrnhalle

Für den Hitlerputsch – den gewaltsamen Staatsstreich zur Beseitigung der Weimarer Demokratie – hatte Scheubner-Richter zunächst zusammen mit Alfred Rosenberg einen Putschplan entworfen, der nicht weiter verfolgt wurde. Am Abend des 8. November 1923 holte er persönlich Ludendorff aus Ludwigshöhe mit dem Auto ab und brachte ihn zu den wartenden Aufständischen in den Münchener Bürgerbräukeller. Am nächsten Morgen marschierte er neben Hitler, Ludendorff und Hermann Göring am Kopf des Demonstrationsmarsches der Putschisten zur Münchener Feldherrnhalle. Nachdem der Zug der Aufständischen bereits eine polizeiliche Postenkette hatte durchbrechen können, traf er auf dem Odeonsplatz auf einen weiteren Cordon bewaffneter Polizisten. Aus bis heute nicht vollständig geklärten Gründen kam es zu einem Schusswechsel, in dessen Folge zwölf Putschisten (später zwei weitere vor dem bayerischen Kriegsministerium) und vier Polizisten starben. Scheubner-Richter war der erste, der tödlich getroffen zu Boden sank. Hitler hatte sich bei ihm untergehakt und wurde von dem Sterbenden mit zu Boden gerissen. Dabei kugelte Hitler sich zwar den Arm aus, lag aber während des nun folgenden Schusswechsels am Boden, so dass die Kugeln über seinen Kopf hinweggingen und er weitgehend unverletzt blieb. So hat Scheubner-Richter durch seinen Tod womöglich Hitler das Leben gerettet.

Hitler widmete seinem Gefolgsmann nicht nur – wie den fünfzehn anderen toten Gefolgsleuten des gescheiterten Putsches auch – den ersten Teil seines Buches Mein Kampf, sondern meinte außerdem: „Alle sind ersetzbar, nur einer nicht: Scheubner-Richter!“

Siehe auch

Literatur

  • Otto von Kursell: Erinnerungen an Max von Scheubner-Richter, o. O. 1967
  • Johannes Baur: Die russische Kolonie in München 1900-1945. Deutsch-russische Beziehungen im 20. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Osteuropa-Instituts München; Reihe Geschichte, Bd. 65). Wiesbaden 1998

Weblinks

Belege

  1. Es wurden außerdem vier Angehörige der Polizei getötet.
  2. Kellogg, Michael: The Russian roots of Nazism: white émigrés and the making of National White Émigrés and the Making of National Socialism, 1917-1945 Cambridge. ISBN 978-0-521-84512-0
  3. Von Scheubner-Richter an den Botschafter, 20. Mai 1915.
  4. Ernst Piper: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München 2005, S. 62, ISBN 3-89667-148-0.

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