Mehrheitsprinzip

Mehrheitsprinzip

Das Mehrheitsprinzip ist Grundlage des Mehrheitsentscheids, einer Methode, mit deren Hilfe mehrere Individuen zu einer gemeinsamen Entscheidung gelangen können.

Inhaltsverzeichnis

Begriffserklärung

Das Mehrheitsprinzip besagt allgemein gesprochen, dass bei Meinungsverschiedenheiten innerhalb einer Gruppe nach dem Willen der Mehrheit verfahren werden soll. Dabei drücken die Einzelnen ihren Willen durch die Abgabe ihrer Stimme für eine der zur Entscheidung anstehenden Alternativen aus.

Stehen nur zwei Alternativen zur Auswahl, so lässt sich der Wille der Mehrheit problemlos ermitteln. Diejenige Alternative, die mehr Stimmen erhält hat als die andere, wird von einer Mehrheit gewollt. Falls Stimmengleichheit besteht, bedarf es allerdings einer zusätzlichen Entscheidung.

Wenn mehr als zwei Alternativen zur Auswahl stehen, ist es jedoch schwieriger zu bestimmen, welche Alternative von der Mehrheit gewollt wird.

Beispiel

Eine Gruppe von fünf Individuen A, B, C, D und E muss sich zwischen den vier Alternativen w, x, y und z entscheiden. Die Frage ist, welche der Alternativen dem Willen der Mehrheit entspricht.

Was die Einzelnen wollen, wird in der folgenden Tabelle jeweils durch eine entsprechende Rangfolge der Alternativen wiedergeben. Man spricht hier auch von einer Präferenzordnung, denn wenn eine Alternative x in der Rangfolge vor einer Alternative y steht, dann bedeutet dies, dass das betreffende Individuum x gegenüber y vorzieht.

In der folgenden Tabelle sind die angenommenen Präferenzen der Mitglieder A, B, C, D und E in Bezug auf die Alternativen w, x, y und z eingetragen:


Rang A B C D E
1. y y x z w
2. z x z x x
3. w z y y y
4. x w w w z


Die Frage ist: Welche der Alternativen wird von der Mehrheit gewollt?

Angenommen, die Individuen in unserem Beispiel stimmen „aufrichtig“ ab, d. h. jeder gibt seine Stimme der von ihm als die beste angesehenen Alternative. Dann stimmen A und B für y, C stimmt für x, D für z und E für w.

In diesem Fall gibt es für keine der Alternativen eine (absolute) Mehrheit. Es gibt allerdings eine relative Mehrheit für y gegenüber den anderen Alternativen: y hat von allen Alternativen die meisten Stimmen erhalten, also mehr Stimmen als irgendeine andere Alternative.

Das Abstimmungsverfahren, bei dem diejenige Alternative siegt, welche die meisten Stimmen erhält, wird als Regel der relativen Mehrheit bezeichnet. Bei Anwendung dieser Regel gilt in unserem Beispiel die Alternative y als kollektiv gewählt.

Aber ist y das, was die Mehrheit will? Fest steht nur, dass y von A und B gewollt wird. 2 Individuen stellen jedoch bei einer Gesamtzahl von 5 Individuen noch keine Mehrheit dar.

Wenn man die Präferenzordnungen in der Tabelle genauer betrachtet, stellt man fest, dass es eine Alternative x gibt, die von einer Mehrheit (C, D und E) gegenüber y vorgezogen wird. Bei einer Abstimmung zwischen x und y bekäme y folglich weniger Stimmen als x. Somit kann die Alternative y nicht das sein, was die Mehrheit will.

Man kann nun versuchen, das Problem dadurch zu beseitigen, dass man die Regel der absoluten Mehrheit anwendet. Sie besagt, dass diejenige Alternative als kollektiv gewählt gilt, die mehr als die Hälfte der Stimmen erhält.

Angenommen, mit den Stimmen von A, C und D würde die Alternative z gewählt. Ist z nun das, was die Mehrheit will? Offenbar nicht, denn aus den Präferenzordnungen der Individuen ist zu ersehen, dass für eine Mehrheit (B, C und E) die Alternative x besser ist als z. Bei einer Abstimmung zwischen x und z bekäme z also weniger Stimmen als x. Somit kann auch die Alternative z nicht das sein, was die Mehrheit will.

Dies zeigt, dass die Ergebnisse der beiden Verfahren vom Abstimmungsverhalten der Individuen abhängig und als solche wenig aussagekräftig sind.

Der französische Gelehrte Condorcet hat deshalb vorgeschlagen, zur Ermittlung derjenigen Alternative, die die Mehrheit will, zwischen den einzelnen Alternativen paarweise abzustimmen, also jede Alternative gegen jede andere Alternative antreten zu lassen. Eine Alternative, die gegen jede der andern Alternativen eine Mehrheit der Stimmen erhält, gilt als von der Mehrheit gewollt.

Man bezeichnet eine solche Alternative auch als Mehrheitsalternative (oder nach ihrem Entdecker als Condorcet-Sieger).

Das Mehrheitsprinzip bei Zulassung von Wahlkoalitionen

Bei den vorangegangenen Ausführungen wurde angenommen, dass die Individuen immer „aufrichtig“ für die von ihnen jeweils favorisierte Alternative stimmen. Dies ist allerdings kaum zu kontrollieren und noch weniger zu erzwingen.

Stattdessen liegt es für jeden Einzelnen nahe, „strategisch“ abzustimmen und durch Absprachen mit anderen zu versuchen, ein Ergebnis durchzusetzen, das für ihn möglichst vorteilhaft ist.

Wenn man annimmt, dass sich die Einzelnen über die Interessenlage der anderen informieren können und dass Wahlkoalitionen gebildet werden können, so zeigt sich die herausragende Bedeutung der Mehrheitsalternative. Spieltheoretisch gesprochen stellt die Mehrheitsalternative den einzigen stabilen Gleichgewichtspunkt in dem kooperativen Spiel „Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip“ dar.

Die Resultate w, y und z aus dem obigen Beispiel stellen keine stabilen Ergebnisse dar, da es in jedem Fall eine Mehrheit von Individuen gibt, die ein für jeden Einzelnen dieser Mehrheit vorteilhafteres Ergebnis in Gestalt der Mehrheitsalternative x durchsetzen könnten.

Nur das Ergebnis x, das die Mehrheitsalternative darstellt, ist stabil, denn es existiert keine Mehrheit, für die irgendeine andere Alternative besser ist als x.

Wenn jedes Individuum so kooperiert und abstimmt, dass das für ihn bestmögliche Ergebnis erzielt wird, so setzt sich eine vorhandene Mehrheitsalternative in allen Verfahren durch, bei denen die Einzelnen gleiches Stimmgewicht haben.

Damit kann man die Frage, was die Mehrheit will, dahingehend beantworten, dass die Mehrheit die Mehrheitsalternative will. Alle Wahlverfahren, bei denen sich eine vorhandene Mehrheitsalternative durchsetzen kann, stehen insofern im Einklang mit dem Mehrheitsprinzip.

Dies erklärt, warum die vielen ausgetüftelten Wahlverfahren praktisch nur eine geringe Rolle spielen und die einfache Abstimmung nach der Regel der relativen Mehrheit so häufig angewendet wird.

Es gibt allerdings theoretisch auch die Möglichkeit, dass die Paarvergleiche zirkulär verlaufen, z. B. x > y (x erhält mehr Stimmen als y), y > z und z > x. Damit ist der Kreis geschlossen. In diesem Fall gibt es keine Mehrheitsalternative und man kann keinen Mehrheitswillen ausmachen. Die Erfassung der Interessen in Form von Rangordnungen enthält nicht genügend Information, um solche Zirkel auszuschließen. In der Praxis stellt dies bereits von Condorcet erkannte Paradox jedoch kein Problem dar, weil gewöhnlich immer dann, wenn es zu keinem Ergebnis kommt, der bestehende Status quo weiter gilt.

Maßnahmen für die Durchsetzung der Mehrheitsalternative

Falls verbindliche Wahlvereinbarungen erschwert sind (z. B. weil die Abstimmung von einigen als eine Kundgebung der eigenen Überzeugung verstanden wird oder weil manche Wähler grundsätzlich keine Koalitionen mit bestimmten anderen eingehen wollen), so kann die Durchsetzung der Mehrheitsalternative durch spezielle Wahlverfahren und/oder begleitende Maßnahmen gefördert werden, wie z. B.:

  • paarweise Abstimmungen zwischen den aussichtsreichsten Alternativen,
  • Abstimmung nach der Regel der absoluten Mehrheit,
  • zwei oder mehr Wahlgänge, von denen nur der letzte gilt,
  • Erstellung von Meinungsbildern oder Meinungsumfragen,
  • Zeit für Informationsbeschaffung und Verhandlungen lassen.

Suboptimalität von Einzelabstimmungen

Wenig beachtet wird das Problem, dass die Anwendung des Mehrheitsprinzips zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, je nachdem, ob man über die zur Wahl stehenden Alternativen einzeln abstimmt oder ob man sie zusammenfasst und nur einmal über die dabei entstehenden Alternativenbündel abstimmt.

Dazu ein vereinfachtes Beispiel:

Angenommen eine Gruppe, bestehend aus den 3 Individuen A, B und C hat 3 Entscheidungen zwischen jeweils 2 Alternativen zu treffen: zwischn s und t, zwischen v und w und zwischen x und y.

Wenn eine bestimmte Alternative kollektiv gewählt wird, dann bekommen A, B und C jeweils eine bestimmte Stückzahl eines Gutes (z. B. Urlaubstage) zusätzlich oder abgezogen.

Dabei wird angenommen, dass jedes Individuum eine größere Menge dieses Gutes einer kleineren Menge vorzieht.

Angenommen, den 6 Alternativen entsprechen die folgenden Veränderungen der individuellen Gütermengen:

A B C
s: 0 0 0
t: 1 1 -3


A B C
v: 0 0 0
w: 1 -3 1


A B C
x: 0 0 0
y: -3 1 1

Den Tabellen kann man entnehmen, dass für A und B die Alternative t besser ist als die Alternative s, dass für A und C die Alternative w besser ist als die Alternative v und dass für B und C die Alternative y besser ist als die Alternative x.

Die Alternativen t, w und y bekommen demnach bei voneinander unabhängig durchgeführten Abstimmungen eine Mehrheit der Stimmen (2 von 3) und sind damit als Mehrheitsalternativen kollektiv gewählt.

Wenn nun die 3 Einzelentscheidungen zu einer einzigen Entscheidung zusammengefasst werden und A, B und C zwischen den Alternativenbündeln "s+v+x" und "t+w+y" abstimmen, erhält man die folgenden Werte:

A B C
s+v+x: 0 0 0
t+w+y: -1 -1 -1

Erstaunlicherweise ergibt sich, dass das Bündel aus den in den Einzelabstimmungen unterlegenen Alternativen nicht nur für eine Mehrheit sondern sogar für jedes der Individuen besser ist als das Bündel aus den siegreichen Alternativen. Serien von isolierten Einzelpunkt-Abstimmungen genügen also nicht immer dem Pareto-Prinzip.

Das heißt, dass isolierte Einzelabstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip zu suboptimalen Ergebnissen führen können.

Je nachdem, ob und wie bei einer Abstimmung die Alternativen zusammengefasst werden, kann das Mehrheitsprinzip also zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Individuen bei den Punkten, die ihnen weniger wichtig sind, zur Mehrheit gehören, während sie bei den Punkten, die ihnen wichtiger sind, überstimmt werden.

Dazu ein anschauliches Beispiel:

Rentner A steht vor der Entscheidung zwischen dem Wahlprogramm der Orange-Partei und dem Wahlprogramm der Blau-Partei.

Am Programm der Orange-Partei gefallen Rentner A mehrere Punkte nicht: 1. dass die Benzinsteuer erhöht werden soll, 2. dass Schulgebühren eingeführt werden sollen und 3. dass im öffentlichen Dienst Personal abgebaut werden soll.

Am Programm der Blau-Partei gefällt Rentner A nur ein Punkt nicht, der besagt, dass die Rentenversicherung nicht mehr aus Steuermitteln bezuschusst werden soll.

Da die Höhe der Rente für A von elementarem Interesse ist während die andern 3 Punkte für A keine so große Rolle spielen, wählt Rentner A die Orange-Partei.

Dadurch bekommen die Punkte Benzinsteuererhöhung, Schulgebührenerhöhung und Personalabbau im öffentlichen Dienst die Stimme von Rentner A, die sie bei Einzelabstimmungen niemals erhalten hätten.

Dies Ergebnis ist ein gewichtiges Argument gegen Volksentscheide zu Einzelpunkten, wie sie von Anhängern einer direkten Demokratie gefordert wird. Es spricht stattdessen für Parteien, die den Wählern umfassende Programme zur Entscheidung vorlegen.

Auf parlamentarischer Ebene folgt daraus, dass die Abgeordneten der regierenden Koalitionsparteien auf das gesamte Regierungsprogramm eingeschworen werden müssen und sich bei den Abstimmungen zu den einzelnen Gesetzen an die Fraktions- und Koalitionsdisziplin halten müssen.

Mehrheitsprinzip und Machtverhältnisse

Da die Individuen beim Mehrheitsprinzip mit gleichem Stimmgewicht versehen sind und geheim abstimmen, können die Machtverhältnisse direkt keine Rolle spielen.

Trotzdem garantiert die Anwendung des Mehrheitsprinzips nicht die Neutralisierung von Machtunterschieden zwischen den Individuen. Ein Beispiel soll dies erläutern.

Angenommen, eine Gruppe von fünf Freunden will gemeinsam eine Städtereise machen. Ein Gruppenmitglied, nennen wir es Andi, besitzt einen Kleinbus, der für die Reise in Frage käme. Bei der Frage des Reiseziels gehen nun die Meinungen auseinander: Drei Gruppenmitglieder wollen lieber nach Budapest, Andi und ein weiteres Gruppenmitglied wollen aber lieber nach Prag.

Die Mehrheitsverhältnisse scheinen klar zu sein, aber nun gibt Andi zu erkennen, dass er für eine Reise nach Budapest seinen Kleinbus nicht zur Verfügung stellen würde. Mit einem Leihwagen würde die Reise aber entschieden teurer. Unter diesen (von Andi gesetzten) Bedingungen fahren die drei Gruppenmitglieder, die eigentlich nach Budapest wollten, lieber mit Andis Kleinbus nach Prag als mit einem teuren Leihwagen nach Budapest. Deshalb stimmen auch sie bei einer vollkommen freien und geheimen Abstimmung schließlich für Prag.

Es handelt sich hier nicht um eine unzulässige Nötigung, denn es ist Andis gutes Recht, seinen Kleinbus nicht zur Verfügung zu stellen. Dies Beispiel zeigt, dass die Anwendung des Mehrheitsprinzips unterschiedliche Machtverhältnisse in einem Kollektiv nicht neutralisieren kann.

Das Mehrheitsprinzip bei Jury-Entscheidungen

Im Vorangegangenen wurde das Mehrheitsprinzip als eine Methode dargestellt, um die Präferenzen der Mitglieder einer Gruppe zu einer gemeinsamen kollektiven Präferenz zusammenzufassen. Die Einzelnen konnten so abstimmen, wie es ihrem Eigeninteresse entsprach. Bei miteinander harmonisierenden Interessen konnten sie auch Wahlbündnisse (Koalitionen) bilden, um für ihre Interessen eine Mehrheit zu erreichen.

Man kann das Mehrheitsprinzip jedoch auch als eine Methode anwenden, um aus den unterschiedlichen Meinungen der Mitglieder einer Gruppe die wahrscheinlich richtige herauszufinden. In dieser Funktion findet das Mehrheitsprinzip z. B. Anwendung bei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.

Diejenige Meinung, die von einer Mehrheit der Gruppe befürwortet wird, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit immer dann die richtige, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass sich die einzelnen Mitglieder irren, kleiner als 50 % ist.

Nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung kann man die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich mehrere Mitglieder eines Kollektivs unabhängig voneinander gleichzeitig irren, durch die Multiplikation der Irrtumswahrscheinlichkeiten für jedes einzelne Mitglied ermitteln. Wenn die Irrtumwahrscheinlichkeit der einzelnen Mitglieder z. B. bei 40 % liegt, so liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sich fünf Mitglieder gleichzeitig irren, bei nur 1 %, denn 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 ergibt 0,01024.

Die Frage ist, wie man politische Wahlen, z. B. die Bundestagswahlen, interpretieren soll.

Drücken die Einzelnen mit ihrer Stimmabgabe ihr Eigeninteresse aus? Wählen sie also diejenige Partei, die ihrem jeweiligen Eigeninteresse am ehesten entspricht? Dann würde das Mehrheitsprinzip als Methode zur Zusammenfassung (englisch „aggregation“) der individuellen Interessen zu einem Gesamtinteresse verwendet.

Oder drücken die Wähler mit ihrer Stimmabgabe ihre Ansicht von der besten Politik für das Gemeinwesen aus? Dann würde das Mehrheitsprinzip als Methode der Auswahl (englisch „selection“) der wahrscheinlich besten Politik für das Gemeinwesen verwendet.

Die Antwort auf diese Frage ist unter Theoretikern der Demokratie umstritten.

Beurteilung des Mehrheitsprinzips

  • Für die Anwendung des Mehrheitsprinzips müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. So muss geklärt sein, für wen die Beschlüsse verbindlich sind und wer abstimmen darf. Zum andern muss geklärt sein, wie die zur Abstimmung gestellten Alternativen eingebracht werden und welche Anforderungen an die Alternativen gestellt werden. Ohne Informations- und Meinungsfreiheit sind Abstimmungen wertlos. Es bedarf also immer einer normativen Grundlage in Form einer allgemein anerkannten Verfassung oder Geschäftsordnung, um das Mehrheitsprinzip anzuwenden.
  • Jede Entscheidungsfindung durch Abstimmung erfordert einen großen Aufwand an Information, denn alle Individuen müssen über die Alternativen und ihre Folgen informiert sein, damit die Abstimmung sinnvoll ist. Die Kontrolle der Abstimmung und die Auswertung der abgegebenen Stimmen erfordert ebenfalls Zeit. Aus diesem Grund eignet sich das Mehrheitsprinzip bei größeren Kollektiven nur für relativ wichtige und langfristig wirkende Entscheidungen (Wahl von Repräsentanten, Gesetzgebung, Regierungsbildung).

Möglichkeiten zur Senkung des Aufwands sind:

  1. Zusammenfassung der Individuen in Wahlkreisen, die jeweils einen Vertreter in die gesetzgebende Versammlung entsenden (Wahl von Abgeordneten als Repräsentanten auf Zeit),
  2. Einsetzung einer geschäftsführenden Regierung für laufende Entscheidungen,
  3. Dezentralisierung von Entscheidungen (Selbstverwaltung von Ländern und Gemeinden, individuelles und kollektives Eigentum),
  4. Bündelung von Einzelentscheidungen zu Programmen bzw. „Paketen“, über die als Ganzes abgestimmt wird (Parteibildung, Koalitionsbildung).
  • Mehrheitsentscheidungen sind ethisch problematisch, wenn schwach betroffene Mehrheiten elementar betroffene Minderheiten überstimmen. Dies gilt umso mehr, je knapper die Mehrheit ausfällt. Ein drastisches Beispiel: Es wird mehrheitlich eine Alternative beschlossen, die für 51 % der Individuen jeweils 5 € Gewinn bedeutet und die zugleich für 49 % der Individuen 5.000 € Verlust bedeutet.

Dies Problem wird in der Praxis dadurch abgemildert, dass sich Minderheiten zu Mehrheits-Koalitionen zusammenschließen können, um ihre jeweiligen elementaren Interessen durchzusetzen. Allerdings funktioniert dies Verfahren nicht, wenn das Kollektiv in zwei homogene Unterkollektive (z. B. zwei ethnische Gruppen mit unterschiedlicher Religion, Sprache, Wirtschaftskraft etc.) gespalten ist, so dass Koalitionen über die Grenzen dieser Unterkollektive hinweg nicht möglich sind.

  • Mehrheitsentscheidungen sind ethisch problematisch, wenn sie auch für Personen verbindlich sind, die nicht abstimmungsberechtigt sind (z. B. Ausländer als Einwohner in einem demokratischen Staat).
  • Mehrheitsentscheidungen sind ethisch problematisch, wenn davon Menschen betroffen sind, die selber nicht abstimmungsberechtigt sind (z. B. wenn in einem Staat ein mehrheitlicher Beschluss gefasst wird, einen andern Staat anzugreifen).
  • Abstimmungen können im „Patt“ enden, wenn zwei oder mehr Alternativen gleich viele Stimmen erhalten. Dies Problem besteht vor allem bei kleinen Gruppen, bei denen die Anzahl der Abstimmenden eine gerade Zahl bildet (z. B. vier, sechs oder acht). In Fall eines Patts wegen Stimmengleichheit bleibt es gewöhnlich beim Status quo, bis eine Stichwahl durchgeführt wurde.

Siehe auch

Literatur

  • Duncan Black: The Theory of Committees and Elections. Cambridge University Press, London und New York 1958.
  • R. A. Dahl: A Preface to Democratic Theory. Chicago u. a. 1956.
  • Werner Heun: Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie. Grundlagen, Struktur, Begrenzungen. Duncker & Humblot, Berlin 1983, ISBN 3-428-05348-6,

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