Memristor

Memristor
Aufnahme des in den HP Labs hergestellten Schichtverbundes von 17 Memristoren mittels eines Rasterkraftmikroskops

Ein Memristor – der Name ist ein Kofferwort aus memory (Speicher) und resistor (elektr. Widerstand) – ist ein passives elektrisches Bauelement, dessen elektrischer Widerstand nicht konstant ist, sondern von seiner Vergangenheit abhängt. Der aktuelle Widerstand dieses Bauelements ist davon abhängig, wie viele Ladungen in welcher Richtung geflossen sind. Memristoren werden manchmal neben dem Widerstand, dem Kondensator und der Spule als viertes fundamentales passives Bauelement beschrieben.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Leon Chua, von der University of California, Berkeley, beschrieb bereits im Jahr 1971 den zu dem Zeitpunkt noch nicht als passives Bauelement existierenden Memristor und seine Eigenschaften.[1] Die erste physikalische Realisierung eines Dünnschichtverbundes mit solchen Eigenschaften wurde jedoch erst im Jahr 2007 mitgeteilt.[2] Im April 2008 haben Forscher der Firma Hewlett-Packard[3] einen relativ einfach aufgebauten Schichtverbund aus Titandioxid mit Platinelektroden als Memristor vorgestellt. Ende August 2010 wurde in Arbeiten von Jun Yao von der Rice University gezeigt, dass auch einfaches Siliciumdioxid als Schichtmaterial funktioniert.[4][5]

Aufbau

Memristor aus dotiertem Titandioxid. Oben: geringe elektrische Leitfähigkeit; unten: hohe elektrische Leitfähigkeit

Im Jahre 2007 wurde unter Stanley Williams erstmals eine statische Version des Memristors hergestellt.[6][7] Dieser Memristor speichert seinen Zustand in chemischer Form durch Einlagerung von Dotieratomen in einem Halbleiter.

Der von Hewlett-Packard hergestellte Memristor besteht aus einer wenige Nanometer dicken Titandioxid-Schicht zwischen zwei Platinelektroden. Der rechte im Bild eingefärbte Teil der Titandioxidschicht ist mit Sauerstofffehlstellen dotiert (p-Dotierung) und weist eine hohe elektrische Leitfähigkeit auf. Der linke Teil der Titandioxidschicht ist ein Isolator. Wenn ein elektrisches Feld angelegt wird, driften die Sauerstoff-Fehlstellen, wodurch sich die Raumladungszone verschiebt.[8] Dadurch verringert sich die Dicke der Isolationsschicht. Mit kleiner werdender Dicke der Isolationsschicht vergrößert sich die Leitfähigkeit des Memristors, wobei der Tunneleffekt (Feldemission) eine wesentliche Rolle spielt.

Experimentell zeichnet sich ein solcher Memristor in einem u/i-Diagramm durch eine Hysteresekurve aus, die durch den Koordinatennullpunkt verläuft (pinched hysteresis loop), siehe nebenstehende Skizze. Am Nulldurchgang der u/i-Kurve erkennt man, dass es sich beim Memristor um ein passives elektrisches Bauelement handelt. Der Zustand des Memristors ist durch den Ort der Trennlinie zwischen den verschieden dotierten Bereichen gekennzeichnet.

Der Memristor der Rice University von 2010 zeichnet sich durch einen noch einfacheren Aufbau aus. Er besteht aus einer 5 bis 20 Nanometer dicken Siliziumdioxidschicht zwischen leitend dotierten Siliziumschichten. Eine ursprünglich als eigentlich aktive vorgesehene, zusätzliche Schicht aus Graphen erwies sich als überflüssig. Das Bauelement braucht dann nur noch zwei Anschlüsse wie ein Widerstand (im Gegensatz zu dreien bei einer Flash-Speicherzelle) und kann auf einer Fläche von ca. 10 Nanometer Kantenlänge und aufgrund der einfachen Struktur extrem preiswert realisiert werden. Die Funktion besteht darin, dass sich in der Oxidschicht bei Anlegen der Programmierspannung Pfade aus reinen Siliziumnanokristallen (ohne den Sauerstoff, Kristalle je ca. 5 Nanometer lang) zu einer leitenden Struktur arrangieren, die durch eine andere Spannung wieder reproduzierbar und wiederholt zerstört werden kann.

Funktionsgleichungen

Hysteresekurve beim Memristor in Abhängigkeit von der Kreisfrequenz ω mit ω1 < ω2

Ein Memristor ist definiert als ein Bauteil, in dem der Fluss \Phi=\Phi_0 + \int_0^t U(t) dt und die elektrische Ladung q über eine zeitunabhängige, im allgemeinen nichtlineare Funktion Φ = f(q) gekoppelt sind. Diese Memristanz-Funktion ist definiert über die Rate der Änderung des Flusses mit der Ladung.

M(q)=\frac{\mathrm{d}\Phi}{\mathrm{d}q}

Die Größe M hat die Einheit Ohm (Ω) und wird auch als (inkrementelle) Memristanz bezeichnet. Der Fluss Φ ist über das Zeitintegral der am Memristor anliegenden Klemmenspannung U(t) definiert und weist dieselbe Einheit auf wie der magnetische Fluss (vgl. Spannungszeitfläche). Tatsächlich entsteht am Memristor beim Anlegen einer elektrischen Spannung idealtypisch betrachtet jedoch kein magnetisches Feld. Denn anders als bei der elektrischen Spule bildet sich auch innerhalb des Memristors ein elektrisches Feld aus, das der von außen angelegten Spannung entspricht. Die Umlaufspannung (induzierte Spannung) im Stromkreis ist daher gleich Null, so dass keine Induktion stattfindet.

Das Verhalten des Memristors ähnelt dem der drei anderen fundamentalen Bauelemente

elektrische Ladung elektrischer Strom
Elektrische
Spannung
(reziproke) Kapazität

\frac{1}{C}=\frac{\mathrm{d}U}{\mathrm{d}q}=\frac{\mathrm{d}\dot \Phi}{\mathrm{d}q}

Resistivität

R=\frac{\mathrm{d}U}{\mathrm{d}I}=\frac{\mathrm{d}\dot \Phi}{\mathrm{d}\dot{q}}

Magnetischer Fluss Memristivität

M=\frac{\mathrm{d}\Phi}{\mathrm{d}q}

Induktivität

L=\frac{\mathrm{d}\Phi}{\mathrm{d}I}=\frac{\mathrm{d}\Phi}{\mathrm{d}\dot{q}}

mit der elektrischen Ladung q, dem elektrischen Strom I, der elektrischen Spannung U und dem Fluss Φ.

Wie gezeigt gelten die Zusammenhänge

I(t) = \frac{\mathrm{d}q}{\mathrm{d}t}

und

U(t) = \frac{\mathrm{d}\Phi}{\mathrm{d}t}

Die Spannung U an einem Memristor hängt über den Strom I direkt von der Memristanz ab:

U(t) = M(q(t)) \cdot I(t)

Für jeden Augenblick verhält sich ein Memristor wie ein normaler Widerstand, allerdings hängt sein „Widerstand“ M(q) von der Vergangenheit des Stroms ab. Ein linearer Memristor (mit konstantem M) ist von einem elektrischen Widerstand mit M = R nicht zu unterscheiden.

Für den Strom I gilt umgekehrt:

I(t) = W(\Phi(t))\cdot U(t)

mit

W(\Phi(t))=M(q(t))^{-1}=\frac{\mathrm{d}q}{\mathrm{d}\Phi}

Die Größe W wird als inkrementelle Konduktanz bezeichnet und besitzt die Einheit Siemens (S).

Die im Memristor gespeicherte Ladung ergibt sich als Integral des elektrischen Stroms über die Zeit

q(t) = \int\limits_{-\infty}^{t} I(t)\ \mathrm{d}t = q(t_0) + \int\limits_{t_0}^{t} I(t)\ \mathrm{d}t,

während der im Memristor vorhandene Fluss durch das Integral der elektrischen Spannung über die Zeit gegeben ist.

\Phi(t) = \int\limits_{-\infty}^{t} U(t)\ \mathrm{d}t = \Phi(t_0) + \int\limits_{t_0}^{t} U(t)\ \mathrm{d}t

Diese Integration verläuft in der praktischen Realisierung aufgrund der begrenzten Zahl an Ladungsträgern weder unbegrenzt noch linear, weist sehr wohl aber einen monotonen Verlauf auf.

Die im Memristor umgesetzte elektrische Leistung P ist gegeben durch

P(t) = U(t)\cdot I(t) = M(q(t))\cdot I(t)^2=\frac{U(t)^2}{M(q(t))}

Da es sich beim Memristor um ein passives Bauelement handelt, gilt wegen {}_{M(q(t)) \ge 0} auch {}_{P(t) \ge 0}.

Hypothetische Anwendung

Vorläufiges Symbol eines Memristors (Vorgeschlagen durch Chua; nicht genormt)

Erste Prototypen und Muster von Memristoren wurden im Jahr 2007 hergestellt. Mit Stand von Ende 2010 gibt es noch keine praktischen Anwendungen. Es ist jedoch denkbar, dass Memristoren – in Bereichen, bei denen keine Verstärkung benötigt wird – Transistoren ersetzen könnten. Der praktische Nachweis dieser Ablöse in Form von am Markt verfügbaren Memristoren fehlt allerdings.

Im Mai 2008 waren die Wissenschaftler bei Hewlett-Packard in den 15-Nanometer-Bereich vorgestoßen; als Grenze bei herkömmlichen Fertigungsverfahren gelten 16 Nanometer (siehe: Fotolithografie). Ein Merkmal von Memristoren ist es, nicht nur die Binärwerte 0 und 1 speichern zu können, sondern – in Form von Analogtechnik – beliebige Zwischenwerte.

Patente auf Memristoren beinhalten Anwendungen auf den Gebieten der programmierbaren Logik[9], der elektronischen Signalverarbeitung[10], künstlichen neuronalen Netzwerken[11] und von Steuerungssystemen[12].

„Technische Neuronen“

Die Art der Speicherung soll es Memristoren ermöglichen, wie biologische Synapsen zu funktionieren, und prädestiniere sie angeblich für Anwendungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz.[13]

Jedoch ist zu beachten, dass es sich beim Memristor um ein einfaches Bauelement handelt, das eine derartige Funktionalität nicht von selbst, sondern nur in Form von Bauelementen in sehr komplexen Schaltungen bereitstellen kann. Bezüge wie etwa auf Künstliche Intelligenz dürfen daher als Schlagworte betrachtet werden, welche dazu dienen, Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit zu bewirken.

Ein Einsatz der Memristoren wird vielmehr im Bereich der künstlichen neuronalen Netzwerke erwogen. Damit ist etwa ein Einsatz im Bereich der Regelungstechnik, der Audioverarbeitung (z. B. Rauschunterdrückung, Spracherkennung), der Bildverarbeitung (z. B. Objekterkennung) oder des Neuromorphings denkbar. Dabei ersetzen Memristoren Transistoren zur Simulation von Synapsen. Da eine solche Simulation viele Transistoren erfordert, kann der Einsatz von Memristoren die Größe der Schaltung und damit die Kosten reduzieren.

Speicher

Die Stromaufnahme bei Speichern mit Memristoren als Speicherelement ist weit geringer als die Stromaufnahme herkömmlicher DRAM-Chips. Allerdings erreichen die nicht-flüchtigen Memristoren derzeit erst rund ein Zehntel der Geschwindigkeit der Letzteren. Ein weiterer Vorteil ist die hohe Packungsdichte. Der von HP vorgestellte „Crossbar“-Speicher hat eine Packungsdichte von 100 Gibit·cm−2, während die im selben Zeitraum verfügbaren Speicher eine Dichte von 16 Gibit·cm−2 aufweisen. Memristoren können mit denselben Prozessen wie auch Halbleiterstrukturen gefertigt werden und lassen sich daher in mikroelektronischen Schaltungen integrieren.

Neben der viel geringeren Stromaufnahme würden Rechner, die mit Memristoren ausgestattet sind, u. a. auch den Vorteil bieten, nach dem Einschalten ohne Booten sofort betriebsbereit zu sein.[14] Ein weiterer Vorteil ist, dass der Memristor, wenn er mit Hilfe von Wechselstrom ausgelesen wird, seinen Speicherinhalt beibehält.[15]

Literatur

  • Dmitri B. Strukov, Gregory S. Snider, Duncan R. Stewart, R. Stanley Williams: The missing memristor found. In: Nature. 453, Nr. 7191, 1. April 2008, S. 80–83, doi:10.1038/nature06932.
  • R. Stanley Williams: How we found the missing memristor. In: IEEE spectrum. 45, Nr. 12, 2008, S. 28–35 (HTML).
  • Yogesh N. Joglekar, Stephen J. Wolf: The elusive memristor: properties of basic electrical circuits. (PDF, PS).
  • Frank Y. Wang: Memristor for introductory physics. (PDF, PS).

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Memristor – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Commons: Memristors – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Leon O. Chua: Memristor—The Missing Circuit Element. In: IEEE Transactions on Circuit Theory. 1971 (PDF, abgerufen am 16. Mai 2010).
  2. Q. Wang, D. S. Shang, Z. H. Wu, L. D. Chen, X. M. Li: “Positive” and “negative” electric-pulse-induced reversible resistance switching effect in Pr0.7Ca0.3MnO3 films. In: Appl. Phys. A. 86, 2007, S. 357–360.
  3. HP Labs: Memristor found: HP Labs proves fourth integrated circuit element
  4. Heise-Newsticker: Memristor aus Siliziumoxid-Nanodrähten
  5. Mike Williams: Silicon oxide circuits break barrier (engl.)
  6. Jonathan Fildes: Getting More from Moore's Law. BBC, September 2007.
  7. Bulletin for Electrical and Electronic Engineers of Oregon, September 2007
  8. Dmitri B. Strukov, Gregory S. Snider, Duncan R. Stewart, Stanley R. Williams: The missing memristor found. In: Nature. 453, 2008, S. 80–83.
  9. Patent US7203789.
  10. Patent US7302513.
  11. Patent US7359888.
  12. Patent US7609086: Crossbar control circuit. Veröffentlicht am 27. Oktober 2009, Erfinder: Blaise Laurent Mouttet.
  13. John Markoff: H.P. Reports Big Advance in Memory Chip Design. New York Times, 1. Mai 2008.
  14. HP erfindet elektrischen Widerstand mit Gedächtnis (heise online, 1. Mai 2008)
  15. Ethan Gutmann, Maintaining Moore's law with new memristor circuits, Ars Technica, Mai 2008

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