Merowingerzeit

Merowingerzeit
Dieser Artikel behandelt das Königsgeschlecht der Merowinger. Für die Figur aus Matrix siehe Matrix Reloaded. Für den Krawattenknoten siehe Krawattenknoten.

Die Merowinger (oder Merovinger) waren das älteste bekannte Königsgeschlecht der Franken vom frühen 5. Jahrhundert bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts. Sie wurden vom Geschlecht der Karolinger verdrängt. Nach ihnen wird die historische Epoche des Übergangs von der Spätantike zum frühen Mittelalter im gallisch-germanischen Raum Merowingerzeit benannt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Merowinger sind möglicherweise aus dem germanischen Stamm der Sugambrer hervorgegangen. Teils wird vermutet, dass bereits einige der fränkischen Kleinkönige, die Anfang des 4. Jahrhunderts von Kaiser Konstantin dem Großen bekämpft wurden, Merowinger waren, doch ist diese nur auf Namensähnlichkeiten basierende Annahme nicht beweisbar.

Siegelring mit dem Bildnis Childerichs und Aufschrift CHILDERICI REGIS

In Tournai wurde im Jahr 1653 die Grabstätte von Childerich I., einem König der Salfranken, gefunden. Von Childerich, einem Sohn des Königs Merowech, stammen alle späteren Merowinger ab. Ihm waren zahlreiche kostbare Grabbeigaben ins Grab gelegt worden. So besaß er die Kleidung eines römischen Offiziers, vom Mantel war eine goldene Zwiebelknopffibel erhalten. Childerich hatte tatsächlich als Föderat für Westrom und später für den römischen Heermeister Aegidius gekämpft, der sich nach 461 einen eigenen Machtbereich in Nordgallien aufbaute. Childerichs Sohn Chlodwig I. herrschte von 482 bis 511. Er beseitigte 486 den letzten römischen Machthaber Syagrius, den Sohn des Aegidius, und erhob das Frankenreich durch Siege über die benachbarten fränkischen Kleinkönigreiche (Sigibert von Köln, Ragnachar, Chararich), Alamannen und die Westgoten sowie durch die Annahme des katholischen Christentums zu weltgeschichtlicher Bedeutung. Dabei bewahrten die Merowinger die gallo-römische Kultur, bedienten sich der Kenntnisse der alten gallo-römischen Aristokratie und lehnten sich an die spätrömische Verwaltungspraxis an. Chlodwig teilte das Reich unter seinen vier Söhnen, doch starben drei Linien aus, so dass Chlothar I. von 558 bis 561 das inzwischen um Thüringen und Burgund erweiterte Reich wiedervereinigen konnte. Damals hörten die Merowinger auf, die nominelle Oberhoheit des (ost-)römischen Kaisers weiter anzuerkennen (siehe auch Völkerwanderung).

Unter Chlothars Nachfolgern wurde das Reich wieder geteilt und durch Bruderkriege zerrissen, von Chlothar II. jedoch 613 wieder vereinigt. Chlothar II. und Dagobert I. waren die letzten mächtigen Herrscher aus dem Geschlecht der Merowinger, doch fing bereits unter ihnen der Einfluss der Hausmeier (maior domus) an zu wachsen. In dieser Situation erhob sich das mit den Arnulfingern verbündete Geschlecht der Pippiniden zu solcher Macht, dass Grimoald, der Sohn von Pippin dem Älteren, 656 den Versuch unternahm, statt des Merowingers Dagobert II. seinen eigenen Sohn zum König von Austrasien (Hauptstadt Metz) zu erheben. Weil die anderen mächtigen Familien dies aber (noch) nicht duldeten, behielten die Merowinger ihre Königswürde noch ein weiteres Jahrhundert. Obwohl im Lauf der Zeit zahlreiche Merowinger ermordet wurden, oft von nahen Verwandten, wurde die Dynastie als solche für unantastbar gehalten. Daher mussten die Karolinger, als sie schließlich selbst den Thron bestiegen, eine neue Form der Herrschaftslegitimation suchen.

Seit 687 herrschten offenbar faktisch die aus den Arnulfingern und Pippiniden hervorgegangenen Karolinger. Karl Martell konnte schließlich die karolingischen Hausmeier-Ämter in seiner Hand vereinigen. Einer seiner Söhne, Pippin der Jüngere, erhob 743 noch einmal einen Merowinger, Childerich III., zum König, ließ ihn aber 751 nach Einholung eines päpstlichen Gutachtens absetzen und ins Kloster weisen. Um seine Herrschaft zu legitimieren, suchte und erhielt Pippin angeblich die ausdrückliche Zustimmung der Kirche (in der neuesten Forschung wird diese Version der Ereignisse allerdings bezweifelt).[1] Damit endete die Herrschaft der Merowinger, die zuletzt wohl nur noch zeremoniell gewesen war - wie reibungslos der Dynastiewechsel verlief und wie machtlos die letzten Merowinger wirklich waren, ist allerdings unklar: In jüngerer Zeit äußern Historiker wie Ian N. Wood oder Johannes Fried vermehrt Zweifel an der Zuverlässigkeit der späten und parteiischen Quellen aus der Karolingerzeit. Demnach sei die überlieferte Darstellung der Ereignisse eine spätere Konstruktion.

Ursprungssage und Frage des Sakralkönigtums

Schwierig zu klären sind die seit langem diskutierten Fragen nach dem Ursprung und der Legitimation des merowingischen Herrschaftsanspruchs. Es handelt sich um folgende Fragen:

  • War das Königtum der Merowinger in vorchristlicher Zeit durch eine Sage legitimiert, in der eine göttliche Abstammung des Geschlechts behauptet wurde? Welcher Stellenwert kam dieser Sage gegebenenfalls zu?
  • Haben die christlichen Merowingerkönige weiterhin von dem Ansehen profitiert, das der Ursprungsmythos ihren Vorfahren verschafft hatte? Haben sie den Mythos aus diesem Grund trotz seiner Unvereinbarkeit mit der christlichen Lehre propagieren lassen?
  • Inwieweit lassen sich aus einzelnen Angaben erzählender Quellen der Merowinger- und der Karolingerzeit fortdauernde Überreste einer vorchristlichen sakralen Tradition des merowingischen Königtums erschließen? Gestatten es diese Belege, dieses Königtum in den Zusammenhang eines antiken germanischen Sakralkönigtums einzuordnen?

In der Forschung stehen sich zwei extreme Positionen gegenüber, diejenige von Karl Hauck und diejenige von Alexander C. Murray. Hauck war der konsequenteste Vertreter der modernen Theorie vom fränkischen Sakralkönigtum. Seine Auffassung hat die Forschung seit der Veröffentlichung eines wegweisenden Aufsatzes im Jahr 1955 nachhaltig geprägt.[2] Alexander Murray hat dieser Sichtweise 1998 vehement widersprochen.[3] Andere Forscher wie Ian Wood äußern sich zurückhaltender.

Im Mittelpunkt der Kontroversen steht die Herkunftssage (Origo gentis), die in der Fredegar-Chronik (7. Jahrhundert) überliefert ist. Sie berichtet von Chlodio, dem ersten als historische Persönlichkeit namentlich fassbaren König der Salfranken, der im zweiten Viertel des 5. Jahrhunderts regierte. Der Sage zufolge begegnete Chlodios Frau, als sie sich zum Baden ans Meer begab, einem Meeresungeheuer (bistea Neptuni, „Untier Neptuns“), das dem Quinotaurus ähnlich war. Darauf gebar sie einen Sohn, den späteren König Merowech, Großvater Chlodwigs I. (zweifellos eine historische Gestalt). Der Name Quinotaurus erinnert an die antike griechische Sage von Minotauros, einem Mischwesen aus Mensch und Stier; vielleicht ist das Q nur ein Schreiberversehen. Die Formulierung in der Chronik lässt die Frage offen, ob das Untier selbst der Vater Merowechs war oder ob die Begegnung der Königin mit ihm nur als Vorzeichen zu verstehen ist und Chlodio der Vater war. Der Chronist fügt hinzu, nach diesem Merowech seien dessen Nachkommen, die Frankenkönige, später Merohingii genannt worden.[4]

Karl Hauck, der hier mit Methoden der Vergleichenden Religionswissenschaft arbeitet, deutet die Erzählung konsequent im Sinne einer sakralen Königsidee. Er versteht den Text so, dass Merowech nicht entweder von dem Ungeheuer oder von Chlodio gezeugt wurde, sondern beides zugleich: Das aut ... aut („entweder – oder“) habe im Vulgärlatein auch „sowohl – als auch“ bedeutet, das Ungeheuer sei niemand anders als Chlodio selbst gewesen, der zeitweilig als theriomorphes (tiergestaltiges) Wesen auftrat und damit seine göttliche Natur erwies. So habe sich durch den Zeugungsakt das „Wirken der Zeugungs- und Schöpfungsmacht des Hauptgottes“ gezeigt, das den Stammvater des Geschlechts hervorbrachte; die Stiergestalt stehe für die „Urgewalt der göttlichen Schöpferkraft“ eines Fruchtbarkeitsgottes.[5] Die Sage sei im Sinne des Konzepts der „heiligen Hochzeit“ (Hierogamie) aufzufassen. In diesem Zusammenhang verweist Hauck auf eine besondere Bedeutung des Stiers für die Merowingersippe; so wurde im Grab von Merowechs Sohn und Nachfolger Childerich I. ein goldenes Stierhaupt gefunden. Dem Mythos habe auch ein ansatzweise rekonstruierbarer Kultus entsprochen; er habe schon lange vor dem fünften Jahrhundert bestanden und sei dann auf jüngere Repräsentanten des heiligen Königsgeschlechts übertragen worden.[6]

Diese Interpretation, die aus dem Text der Chronik auf die Existenz einer altgermanischen, ursprünglich mündlich überlieferten Sage schließt, fand in der Forschung grundsätzlich weithin Anklang. Allerdings wurde die Gleichsetzung des quasi göttlichen Ungeheuers mit Chlodio meist nicht akzeptiert, sondern an der Übersetzung „entweder – oder“ festgehalten. Anstoß erregte seit jeher der Umstand, dass die Chronik zwei relativ unbedeutende historische Kleinkönige des 5. Jahrhunderts zu den Protagonisten des Mythos macht. Daher und aus sprachlichen Überlegungen setzte sich die Auffassung durch, dass sich die Sage in ihrer ursprünglichen Version nicht auf Merowech bezog, sondern auf eine weit ältere Sagengestalt namens Mero als Stammvater der damals so genannten „Merohinger“. Erst in einer jüngeren Fassung sei sie wegen der Namensähnlichkeit auf Chlodio und Merowech übertragen worden. Dadurch sei der Irrtum entstanden, der Name der Merowinger sei von dem historischen König Merowech abgeleitet.[7]

Murray hat seine radikale Gegenposition zu dieser Sichtweise ausführlich begründet. Er meint, Stierdarstellungen seien in der Kunst verbreitet und nicht notwendigerweise religiös zu deuten; außerdem könne es sich um keltische Importware handeln.[8] Die mutmaßliche Sagengestalt Mero sei rein spekulativ erschlossen und ihr fehle jede Basis in den Quellen; vielmehr gehe der Name Merowinger auf den historischen Merowech zurück. Die Erzählung in der Fredegar-Chronik habe keinen heidnischen Hintergrund, sondern sei erst im sechsten oder siebten Jahrhundert entstanden. Es handle sich nicht um eine echte Sage, sondern nur um einen Versuch eines gebildeten Christen, den Namen Merowech nach einer damals verbreiteten Gewohnheit etymologisch zu erklären. Dieser gelehrte Franke habe den Namen Merowech als „Meer-Vieh“ gedeutet und sei so darauf gekommen, einen Zusammenhang mit dem Neptun-Ungeheuer herzustellen. Den Minotauros-Mythos habe er gekannt, denn dieser wurde von populären Autoren wie Vergil, Ovid und Apuleius behandelt bzw. erwähnt und war noch in der Spätantike gut bekannt. Der Minotauros-Sage zufolge war Minotauros der Sohn eines Stiers, den der Gott Poseidon (Neptun) aus dem Meer emporsteigen ließ. Von dieser Vorstellung angeregt sei der christliche Franke auf die Idee gekommen, die Minotauros-Sage für seinen Zweck umzugestalten.[9]

Ian Wood zieht die Möglichkeit in Betracht, dass die Erzählung in ihrer überlieferten Form als Verspottung mythischer Deutungen einer sakralen Herkunft des Merowingergeschlechts gemeint war.[10]

Das Erscheinungsbild der Merowinger wurde von ihren langen Haaren geprägt, was bereits auf dem Siegel Childerichs I. erkennbar ist und auch von mehreren Chronisten bestätigt wird. Doch ist unklar, wie genau dieses Merkmal zu deuten ist: Während etwa Eugen Ewig und John Michael Wallace-Hadrill die Haartracht mit dem Heerkönigtum und einer herrschaftlichen Sphäre verbinden, betrachten sie Forscher wie Reinhard Schneider eher als Zeichen der Zugehörigkeit zur Herrscherfamilie.[11]

In der Endphase der Merowingerherrschaft, als die Merowinger nur noch Schattenkönige waren, und nach der Beseitigung ihrer Dynastie wurden sie als Bewahrer altertümlicher Bräuche wahrgenommen. Auch darin hat man in der Moderne letzte Überreste oder Nachklänge einer nicht mehr verstandenen sakralen Herrscheridee aus vorchristlicher Zeit vermutet. Angaben aus der Karolingerzeit, die das traditionsgebundene Verhalten der letzten Merowinger als seltsam und antiquiert erscheinen lassen, dürften übertrieben und verzerrt sein, da sie der Rechtfertigung des Dynastiewechsels von 751 dienen sollten.

So schreibt Einhard, der in karolingischer Zeit eine Biographie Karls des Großen verfasste, die letzten Merowinger hätten sich auf einem von Ochsen gezogenen Karren (carpentum) herumfahren lassen. Was der karolingerzeitliche Autor als Kuriosität schilderte, war ein Element der spätantiken Herrscherrepräsentation gewesen: Ammianus Marcellinus berichtet, Kaiser Constantius II. sei 357 auf einem carpentum in Rom eingezogen,[12] und noch im 6. Jahrhundert reisten römische Präfekten laut dem im Ostgotenreich wirkenden Gelehrten und Politiker Cassiodor meist in Karren. Darüber hinaus wurde der Ochsenkarren der Merowinger in der Forschung oft auf einen heidnischen Kultwagen zurückgeführt und als zusätzliches Indiz für den vermuteten sakralen Charakter des merowingischen Königtums genannt. Dagegen wendet Murray ein, dass Einhard den Ochsenkarren nur mit den letzten Merowingern in Verbindung bringt und ihn nicht als herrscherliches Merkmal oder Privileg kennzeichnet, und dass keine einzige der älteren Quellen solche Karren als Fahrzeuge der merowingischen Könige erwähnt.[13]

Die letzten Merowinger wurden trotz ihrer Machtlosigkeit nicht allgemein als lächerliche Figuren wahrgenommen; anderenfalls hätten die Karolinger den Dynastiewechsel leichter und früher durchführen können und wären dafür nicht auf die Autorität des Papstes angewiesen gewesen. Die Hausmeier mussten lange Zeit Rücksicht auf die tief verwurzelte Tradition nehmen, nach der nur Merowinger zur Königswürde legitimiert waren. Der Historiker Julius von Pflugk-Harttung sprach für die Jahre nach 687 von einer „planmäßigen Entwöhnung“ von der Herrscherfamilie.[14] Diese quasi religiöse Scheu gegenüber der Dynastie dient oft als Argument dafür, dass ihr bis zuletzt ein sakraler Charakter zugeschrieben worden sei, dessen Wurzeln in archaischen heidnischen Vorstellungen zu suchen seien. Da jedoch ein Beweis dafür bisher nicht erbracht wurde, bleibt die Frage offen.[15]

Der Name „Merowinger“ kommt – in der Form Mervengus – erstmals um 640 bei Jonas von Bobbio vor,[16] etwas später in der Fredegar-Chronik und dann erst wieder im 8. Jahrhundert.

Herrscher

Aufgrund der ständigen Teilungen des Reiches unter die Söhne der Merowinger herrschten teilweise bis zu vier Brüder oder andere Verwandte gleichzeitig in Teilreichen. Die beiden wichtigsten waren Austrasien im Osten und Neustrien im Westen des Kerngebietes des fränkischen Königreichs.

Zu den verwandtschaftlichen Beziehungen siehe: Stammliste der Merowinger

Siehe auch: Falsche Merowinger

Archäologie

Merowingische Nekropole in Civaux

Neben den schriftlichen Quellen zur Epoche der Merowinger zieht die historische Forschung heute wesentliche Informationen aus archäologischen Quellen. In erster Linie stehen hierfür Gräber zur Verfügung, deren genaue Dokumentation bei der Ausgrabung die Voraussetzung ist für eine aussagekräftige Interpretation. Denn durch Ausgraben einer Nekropole wird diese unwiederbringlich zerstört, und daher ist es erforderlich, jede Kleinigkeit zu dokumentieren und auf diese Art als Information zu erhalten.

In der Archäologie haben sich Methodik und Fragestellung im Laufe der Zeit geändert. Waren frühere Generationen noch besonders interessiert am Fund großer Reichtümer, fragt der heutige Frühgeschichtler vor allem nach den Lebensumständen auch der einfachen Bevölkerung. Zumindest Informationen über wirtschaftliche Kraft und Jenseits-Vorstellungen lassen sich aus dem Inventar und dem Bau (Einbauten wie Grabkammer oder einfache Baumsärge, Ausrichtung der Bestattung etc.) eines Grabes mit einiger Sicherheit ableiten.

Die Vorstellung, dass nach der „zivilisierten“ Epoche der Spätantike eine dunkle und wenig zivilisierte Zeit der Merowinger folgte, muss heute teilweise revidiert bzw. relativiert werden. Zwar diskutiert die Frühgeschichte ebenso wie die Alte Geschichte noch immer das Problem von Kontinuität oder Diskontinuität in der Übergangsphase von der spätantiken römischen Zeit zum Frühmittelalter, doch kann anhand von Bodenfunden schon heute angenommen werden, dass zumindest die frühen Merowinger einen sehr eigenen ästhetischen Anspruch an ihre Ausstattung hatten. Es gibt gute Gründe, die merowingische Geschichte bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts noch zur Spätantike zu rechnen, da die Kontinuitäten zur römischen Zeit damals noch dominierten, auch wenn natürlich bereits „mittelalterliche“ Elemente erkennbar sind. Insgesamt lässt sich allerdings ein deutliches Absinken des Niveaus der materiellen Kultur sowie ein Niedergang der antiken Bildung zwischen 450 und 700 kaum leugnen.

Eine hohe Bedeutung bei der kulturellen Erforschung der Merowingischen Epoche hat der umfangreiche ehemalige Fundbestand des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangten die Funde als sogenannte Beutekunst in die Sowjetunion und sind heute im Besitz des Moskauer Puschkinmuseum bzw. in anderen Museen der GUS. Seit April 2007 ist nach 60 Jahren Verborgenheit dieser umfangreiche Schatz wieder in einer Ausstellung in Moskau der Öffentlichkeit und der Wissenschaft zugänglich.

Merowingische Scheibenfibeln

Neben einer sehr großen Anzahl unterschiedlichster Perlen und unterschiedlicher Trachten wurden auch mit Almandin verzierte Scheibenfibeln als Gewandnadeln getragen. Neben goldenen Schmuckplättchen trugen die Frauen aus wirtschaftlich potenten Familien zu ihrer Bestattung auch eine Vielzahl von Glasperlen unterschiedlicher Formen und Farben. In die Kleidung oder in das Leichentuch kann ein feiner Goldfaden (Goldlahn) eingewebt gewesen sein. Silberner Schmuck wie Ohrringe aber auch Gürtelschnallen oder die typisch merowingischen Beingurte, deren praktischer Charakter im Halten eines den Unterschenkel verdeckenden Tuches gesehen werden muss, sowie Ringe aus Edelmetall gehörten ebenfalls zur Ausstattung. Dabei finden sich in Adelsgräber noch bis nach 600 recht oft auch Münzen und Schmuck aus Ostrom, mit dem weiterhin Kontakt bestand: Noch unter Kaiser Maurikios (582–602) wurden oft Gesandtschaften ausgetauscht, und Ostrom versuchte wiederholt, die Merowinger zu Angriffen auf die Langobarden zu bewegen.

Sicher kann in der prachtvollen Beisetzung „adliger“, zumindest aber wirtschaftlich besser gestellter Personen ein Symptom für einen erheblichen Gruppendruck der Gemeinschaft gesehen werden: In das Grab kam nur das, was aufzugeben sich die Familie des Toten leisten konnte, denn es war ja durch die Beisetzung dem Zugriff entzogen. Zugleich war während der Bestattung für alle erkennbar, dass die betreffende Familie reich genug war, auch Kostbarkeiten aufzugeben. Dass dieser Zustand nicht für alle Zeiten war, wird aus der hohen Anzahl von später beraubten Gräbern deutlich, aus denen Mitglieder der Gemeinschaft – in der Regel einige Zeit nach der Beisetzung – die besten Stücke des Inventars stahlen.

Seltener beraubt, weil nicht so reich ausgestattet, sind die Gräber der wirtschaftlich nicht so gut gestellten Familien oder der romanisierten Bevölkerung, die ein anderes Beigabenmuster haben. Hier konnte oder wollte man nicht die wertvollen und noch für das Überleben oder den Status wichtigen Gegenstände durch die Bergung in der Erde aufgeben. So wurde in solchen Fällen früher oft zu leichtfertig von „armer“ Bevölkerung gesprochen.

Diese Bevölkerungsgruppe ist es auch, die Chronologie-Systeme von Archäologen ins Wanken bringen kann. Oftmals wurden Gegenstände erst aufgegeben, wenn sie völlig aus der Mode gekommen waren, und ihr Tragen keinen Wert mehr in der Gesellschaft hatte. So verschiebt sich die Beigabe etwa eines Ohrringpaares, das eine relativ begrenzte chronologische Laufzeit haben sollte, manchmal um einige Jahrzehnte und wirft eine – in der Regel generell sehr empfindliche – Feinchronologie fast um. Die Berücksichtigung auch dieser Tatsache macht die Auswertung einer archäologischen Quelle – wie etwa eines merowingerzeitlichen Gräberfeldes – so komplex.

Quellen

Literatur

  • Waltraut Bleiber: Das Frankenreich der Merowinger. Böhlau, Wien 1988. ISBN 3-205-05103-3.
  • Eugen Ewig: Die Merowinger und das Frankenreich. 5. aktualisierte Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2006. ISBN 3-17-019473-9.
    [Standardwerk; fachwissenschaftliche Rezension (zusammen mit Bleibers und Gearys Darstellungen).]
  • Patrick J. Geary: Die Merowinger. Europa vor Karl dem Großen. Beck, München 1996, 2003. ISBN 3-406-40480-4.
    [Populärwissenschaftliche, gut lesbare Darstellung.]
  • Martina Hartmann: Aufbruch ins Mittelalter. Die Zeit der Merowinger. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 2003, ISBN 3-534-15829-6.
    [Populärwissenschaftliche, reich bebilderte Darstellung.]
  • Reinhold Kaiser: Das römische Erbe und das Merowingerreich (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 26). 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Oldenbourg, München 2004. ISBN 3-486-56722-5.
    [Guter, knapper Überblick mit Forschungsteil und Bibliographie.]
  • Theo Kölzer: Merowinger. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 17, Duncker & Humblot, Berlin 1994, S. 167–173.
  • John Michael Wallace-Hadrill: The Long-Haired Kings. Methuen, London 1962.
  • Margarete Weidemann: Kulturgeschichte der Merowingerzeit nach den Werken Gregors von Tours. Habelt, Bonn 1982. ISBN 3-88467-003-4.
  • Ian N. Wood: The Merovingian Kingdoms, 450–751. Longman, London 1994, 2000. ISBN 0-582-49372-2.
    [Wichtige Gesamtdarstellung, in der aber teilweise von der Mehrheitsmeinung abweichende Forschungspositionen bezogen werden.]

Weblinks

Anmerkungen

  1. „Diese Darstellung unterlag somit einer anachronistischen Konstruktion und diente der nachträglichen Legitimation des Unlegitimierbaren“, so Johannes Fried: Das Mittelalter. München 2008, S. 53.
  2. Karl Hauck: Lebensnormen und Kultmythen in germanischen Stammes- und Herrschergenealogien, in: Saeculum 6 (1955) S. 186-223.
  3. Alexander Callander Murray: Post vocantur Merohingii: Fredegar, Merovech, and ‚Sacral Kingship’, in: After Rome’s Fall. Narrators and Sources of Early Medieval History, hrsg. A. C. Murray, Toronto 1998, S. 121-152.
  4. Fredegar-Chronik 3.9, hrsg. Bruno Krusch, Monumenta Germaniae Historica Scriptores rerum Merovingicarum Bd. 2, S. 95.
  5. Hauck S. 197f.
  6. Hauck S. 197-204.
  7. Erich Zöllner: Geschichte der Franken bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. München 1970, S. 29 Anm. 2; Reinhard Wenskus: Artikel Chlodio, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 4 (1981) S. 477; Eugen Ewig: Trojamythos und fränkische Frühgeschichte, in: Die Franken und die Alemannen bis zur "Schlacht bei Zülpich" (496/97), hrsg. Dieter Geuenich, Berlin 1998, S. 14.
  8. Murray S. 124-127.
  9. Murray S. 137-147.
  10. Ian N. Wood/Heinrich Tiefenbach: Artikel Merowech, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 19 (2001) S. 575.
  11. Zusammenfassend Kaiser, Das römische Erbe und das Merowingerreich, S. 111.
  12. Ammian 16,10.
  13. Murray S. 129-132.
  14. Pflugk-Harttung: Zur Thronfolge in den germanischen Stammesstaaten. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 11 (1890), S. 177ff., hier S. 185.
  15. Die neuerdings zunehmende Skepsis gegenüber der Annahme sakraler Ursprünge des merowingischen Königtums teilt beispielsweise Stefan Esders: Artikel Merowinger, in: Der Neue Pauly Bd. 8 (2000) Sp. 10.
  16. Jonas von Bobbio: Vita Columbani.

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