Mihaly Karolyi

Mihaly Karolyi
Mihály Károlyi 1918

Mihály Károlyi [ˈmihaːj ˈkaːroji], vollständiger Name: Mihály (Michael) Adam Georg Nikolaus Graf Károlyi von Nagykároly (* 4. März 1875 in Budapest; † 20. März 1955 in Vence bei Nizza) war ein ungarischer Politiker der als Ministerpräsident 1918 die Republik Ungarn ausrief.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Herkunft

Mihály war Spross einer der ältesten und reichsten Aristokratenfamilien Ungarns. Er wuchs standesgemäß auf und erlernte mehrere Sprachen, Englisch, Französisch und Italienisch, litt jedoch unter einer angeborenen Sprachstörung. Seine Hauptsprache war Deutsch, während er das Ungarische in der Schriftsprache nie vollkommen beherrschte. Der junge Aristokrat führte ein ausschweifendes Leben zwischen Paris, London, Wien und Budapest. Die Wintermonate verbrachte er mit seinem Onkel in Menton an der französischen Riviera. Bis zu seiner Eheschließung 1914 mit Katinka Andrássy (1892-1985), der fast 20 Jahre jüngeren Stieftochter des Magnaten Gyula Andrássy, verlor er als Kartenspieler riesige Summen, so dass seine Schulden die Höhe von 12 Millionen Kronen erreichten.[1]

Politik bis 1914

Seine politische Karriere begann Károlyi im konservativen Lager, von dem er sich aber bald löste. 1909 wurde er Präsident des ungarischen Agrikulturvereins (OMGE) und 1913 Führer der oppositionellen Vereinigten Unabhängigkeitspartei. Vor 1914 galt die ungarische Politik als Spielfeld von nur vier adeligen Politikern: Károlyi, Tisza, Apponyi und Andrássy.[2] Die politischen Auseinandersetzungen unter den Magnaten eskalierten am 2. Januar 1913 sogar in einem Säbelduell zwischen Károlyi und Tisza. Beide wurden leicht verletzt.[3]

Károlyi strebte mit seiner Partei eine größere Selbständigkeit Ungarns in Form einer reinen Personalunion mit Österreich an und war für das allgemeine Wahlrecht, eine bessere Sozialpolitik und eine Bodenreform.[4] 1914 warb er auf einer Vortragsreise durch die Vereinigten Staaten für sein Konzept einer Föderalisierung Ungarns unter demokratischen Verhältnissen.

Erster Weltkrieg

Bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges galt Károlyi als Entente-freundlicher Politiker.[5] Unter dem Eindruck des Krieges wurde er fast zum Pazifisten. Im Krieg wollten Károlyi und seine oppositionelle linke Unabhängigkeitspartei einen annexionslosen Frieden, der die territoriale Integrität Österreich-Ungarns sichert. Károlyi sah in einem etwa notwendigen (Sonder-)Frieden, in dem Österreich das Trentino, einen Teil Galiziens und die Bukowina abtritt, sogar eine Stärkung der Übermacht Ungarns gegenüber dem dadurch geschwächten österreichischen Reichsteil.[6]

Im Herbst 1917 trug er seine Ideen auch in der neutralen Schweiz vor. Seine außenpolitische Orientierung stand im krassen Gegensatz zur Linie der meisten ungarischen Magnaten und führte zum Bruch mit ihnen. Im Juli 1916 trat er mit 23 anderen Abgeordneten aus der Unabhängigkeitspartei aus, als diese auf den Kriegskurs der Regierung einschwenkte und gründete die Neue Unabhängigkeitspartei.[7] Mit anderen Parteien (Demokratische Partei und Sozialdemokraten und Bürgerlichradikalen) erfolgte im Juni 1917 die Errichtung des Wahlrechtsblocks. Am 25. Oktober 1918 bildete Károlyis Partei mit den Bürgerlichradikalen und den Sozialdemokraten den Ungarischen Nationalrat.

Regierung

In der Nacht zum 31. Oktober 1918 besetzten militärische Einheiten, die sich dem Nationalrat angeschlossen hatten im Rahmen der bürgerlichen „Astern-Revolution“ die Hauptstadt Budapest. König Karl IV. musste daraufhin, gegen den Widerstand der alten ungarischen Führungsschicht um Andrássy, Károlyi zum Ministerpräsidenten ernennen. Ungarn beendete am 31. Oktober die Realunion mit Österreich. Nachdem König Karl am 13. November 1918 auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften in Ungarn verzichtet (aber formal nicht abgedankt) hatte, rief die Regierung Károlyi am 16. November 1918 die Republik Ungarn aus. In deren Verfassung wurden die Redefreiheit und das allgemeine Wahlrecht für Männer und Frauen verankert.[8]

Vom Nationalrat wurde Károlyi am 11. Januar 1919 zum Präsidenten der Republik gewählt. Er bildete eine sozialistisch-bürgerliche Regierung. Sein Handlungsspielraum war jedoch denkbar klein, da das Waffenstillstandsabkommen durch tschechoslowakische, rumänische, serbische und besonders französische Truppen nicht eingehalten wurde. Die Lage war für Ungarn aussichtslos, so dass alle wichtigen Reformvorhaben wie Bodenreform oder neues Wahlgesetz letztlich auf der Strecke blieben. Károlyi ging dennoch bei der Bodenreform voran und begann am 23. Februar 1919 auf seinem Besitz in Kálkápolna der 30.000 Hektar umfasste persönlich mit der Landverteilung.[9]

Hauptaufgabe seiner Regierung waren Maßnahmen gegen Plünderungen und die Aufstellung eines republikanischen Heeres aus der in Auflösung begriffenen alten k.u.k. Armee. Verhandlungen über die Umwandlung Ungarns in einen föderativen Staat erfolgten zu spät, da die Nationalitäten schon im Begriff waren, sich an die Nachbarstaaten anzuschließen. Gleichzeitig sammelten sich konservative und rechtsgerichtete Kräfte.

Am 20. März 1919 ordneten die Alliierten einen weiteren Rückzug der Ungarn zu neuen Demarkationslinien im Südosten an, der auch magyarisch besiedelte Gebiete abtrennte und vom französischen Oberstleutnant Fernand Vix, dem Leiter der alliierten Militärmission in Budapest, als endgültige politische Grenze bezeichnet wurde. Ein Sturm der Entrüstung brach los und Károlyi musste am 21. März zurücktreten.[10]

Nutznießer der chaotischen Verhältnisse war die kleine Kommunistische Partei von Béla Kun, die einen Pakt mit den Sozialdemokraten geschlossen hatte. Károlyi übergab die Macht an den von Sozialdemokraten und Kommunisten gebildeten Revolutionsrat. Dieser rief eine Räterepublik aus und formierte in kurzer Zeit eine schlagkräftige Armee.

Exil

Károlyi distanzierte sich nicht von der Räterepublik, verließ jedoch im Juli 1919 das Land und ging nach Prag. Später zog er nach Jugoslawien, wo er an der dalmatinischen Küste lebte. Weitere Exilstationen waren Paris und London.

In den späten 1920er und frühen 1930er Jahren arbeitete er dann eng mit der ungarischen Kommunistischen Partei zusammen, was ihm den Beinamen Roter Graf oder Graf der Komintern eintrug. Das Horthy-Regime klagte ihn wegen Landesverrats an und konfiszierte sein Vermögen. Im Februar 1946 rehabilitierte ihn das frei gewählte ungarische Parlament. Ab 1947 war er noch ungarischer Botschafter in Paris, ein Amt das er 1949 aus Protest gegen den Stalinismus in seiner Heimat niederlegte.

1955 starb Károlyi im französischen Exil. 1961 erlaubte János Kádár das posthume Begräbnis seiner sterblichen Überreste auf dem Kerepesi temető in Budapest. Für Lendvai war er ein „aufrichtiger Idealist ohne staatsmännische Fähigkeiten“.[11]

Werke

  • Gegen eine ganze Welt. Mein Kampf um den Frieden. Verlag für Kulturpolitik, München 1924.
  • Memoirs of Michael Karolyi. Faith without illusion. Verlag Dutton, New York 1956.

Literatur

  • Holger Fischer: Oszkár Jászi und Mihály Károlyi. Ein Beitrag zur Nationalitätenpolitik der bürgerlich-demokratischen Opposition in Ungarn von 1900 bis 1918 und ihre Verwirklichung in der bürgerlich-demokratischen Regierung von 1918 bis 1919. Verlag Trofenik, München 1978, ISBN 3-87828-130-7
  • Endre Koczó: Graf Mihály Károlyi, der nationalliberale Oppositionspolitiker. Ungedr. Diss. Wien 1975

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Paul Lendvai: The Hungarians. A thousand years of victory in defeat. Verlag Hurst, London 2003, ISBN 1-85065-673-8, S. 361
  2. Paul Lendvai: The Hungarians. A thousand years of victory in defeat. Verlag Hurst, London 2003, ISBN 1-85065-673-8, S. 361
  3. Mihály Károlyi: Gegen eine ganze Welt. Mein Kampf um den Frieden. Verlag für Kulturpolitik, München 1924, S. 37
  4. József Galántai: Der Sturz der Tisza-Regierung im Jahre 1917. In: Annales Universitatis Scientiarum Budapestinensis de Rolando Eötvös nominatae. Sectio historica 5 (1965) S. 127-145, hier: S. 129
  5. Paul Lendvai: The Hungarians. A thousand years of victory in defeat. Verlag Hurst, London 2003, ISBN 1-85065-673-8, S. 361-362
  6. Leo Valiani: The End of Austria-Hungary. Verlag Secker & Warburg, London 1973, ISBN 0-436-55230-2, S. 126
  7. Paul Lendvai: The Hungarians. A thousand years of victory in defeat. Verlag Hurst, London 2003, ISBN 1-85065-673-8, S. 363
  8. Paul Lendvai: The Hungarians. A thousand years of victory in defeat. Verlag Hurst, London 2003, ISBN 1-85065-673-8, S. 364-365
  9. Paul Lendvai: The Hungarians. A thousand years of victory in defeat. Verlag Hurst, London 2003, ISBN 1-85065-673-8, S. 365-366
  10. Peter F. Sugar (Hrsg.): A history of Hungary. Verlag Indiana University Press, Bloomington 1990, ISBN 0-253-20867-X, S. 302-303 und Paul Lendvai: The Hungarians. A thousand years of victory in defeat. Verlag Hurst, London 2003, ISBN 1-85065-673-8, S. 367
  11. Paul Lendvai: Die Ungarn - Eine tausendjährige Geschichte. Verlag Goldmann, München 2001, ISBN 3-442-15122-8

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