Multipendel

Multipendel

Bei einem Multipendel handelt es sich um ein Fadenpendel, an dessen Arm beliebig viele weitere Pendel gehängt werden.

Es entsteht ein unvorhersehbares Bewegungsmuster, welches bereits bei geringfügigen Störungen stark variiert. Es lassen sich chaotische Prozesse leicht simulieren, weshalb es sich zu einem beliebten Modell in der Chaostheorie entwickelt hat.

Inhaltsverzeichnis

Modellvorstellung

Das Modell des Multipendels n-ter Stufe ist ein idealisiertes System eines Fadenpendels, an dessen schwingendem Massenpunkt n − 1 weitere baugleiche Fadenpendel gekoppelt sind. Die verbindenden Fäden zwischen Aufhängepunkt und den Massenpunkten werden als vollkommen unelastische, massenlose Stäbe betrachtet. Das gesamte System wird als reibungsfrei aufgefasst.

Bewegungsgleichungen des Multipendels n-ter Stufe

Aufbau: Multipendel

Die Bewegungsgleichungen für ein Multipendel n-ter Stufe lassen sich mit dem Lagrange-Formalismus zweiter Art herleiten.

Generalisierte Koordinaten 1,...,φn)

Mittels Trigonometrie erhält man:

x1 = l1sin φ1

y1 = − l1cos φ1

x2 = l1sin φ1 + l2sin φ2

y2 = − l1cos φ1l2cos φ2

...

xn = l1sin φ1 + ... + lnsin φn

yn = − l1cos φ1 − ... − lncos φn


Folglich können die kartesischen Koordinaten (xk | yk) der Massenpunkte mk für k ∈ {1,...,n} und ihre zeitlichen Ableitungen in folgender Form geschrieben werden:

x_k = \sum_{i=1}^{k} l_i \sin\varphi_i

\dot{x}_k = \sum_{i=1}^{k} l_i \dot{\varphi}_i \cos\varphi_i


y_k = -\sum_{i=1}^{k} l_i \cos\varphi_i

\dot{y}_k = \sum_{i=1}^{k} l_i \dot{\varphi}_i \sin\varphi_i

Lagrange-Funktion L(\varphi_1,...,\varphi_n,\dot{\varphi}_1,...,\dot{\varphi}_n)

Kinetische Energie T und Potential V ergeben:

T(\varphi_1,...,\varphi_n,\dot{\varphi}_1,...,\dot{\varphi}_n) = \sum_{k=1}^{n} \frac{m_k}{2} (\dot{x}_k^2+\dot{y}_k^2)

V(\varphi_1,...,\varphi_n) = g \sum_{k=1}^{n} m_k y_k

Somit ist die Lagrange Funktion L = TV:

L(\varphi_1,...,\varphi_n,\dot{\varphi}_1,...,\dot{\varphi}_n) = \frac{1}{2} \sum_{k=1}^{n} m_k \left[\left(\sum_{i=1}^{k} l_i \dot{\varphi}_i \cos\varphi_i\right)^2+\left(\sum_{i=1}^{k} l_i \dot{\varphi}_i \sin\varphi_i\right)^2\right] + g \sum_{k=1}^{n} \sum_{i=1}^{k} m_k l_i \cos\varphi_i

Bewegungsgleichungen

Die Bewegungsgleichungen des Multipendels n-ter Stufe ergeben sich aus


{d\over dt}{\partial{L}\over \partial{\dot{\varphi}_j}} - {\partial{L}\over \partial{\varphi_j}} = 0

bzw.

{d\over dt}{\partial{T}\over \partial{\dot{\varphi}_j}} - {\partial{}\over \partial{\varphi_j}} (T-V) = 0

für j ∈ {1,...,n}.


Die Bewegungsgleichungen für die generalisierten Koordinaten (φ1,...,φn) stellen ein nichtlineares System von n Differentialgleichungen zweiter Ordnung dar, welches für n > 1 analytisch nicht lösbar ist.


Es kann bei 2n bekannten Nebenbedingungen, beispielsweise der Startwerte


\left( \varphi_1(t=0),...,\varphi_n(t=0),\dot{\varphi}_1(t=0),...,\dot{\varphi}_n(t=0) \right)


mittels numerischer Verfahren gelöst werden. Zwecks Vereinfachung der Bewegungsgleichungen können Kleinwinkelnäherungen vorgenommen werden.

Für Stufen n > 1 entstehen chaotische Bewegungsmuster. Hier führen bereits geringfügige Änderungen der lokalen Koordinaten und/oder ihrer zeitlichen Ableitungen zu deutlichen Änderungen im weiteren Bewegungsablauf.

Bewegungsgleichungen für j ∈ {1,2,3}

Mathematisches Pendel

Für n = 1 ergibt sich der einfache Fall des mathematischen Pendels.


Hier ergeben sich kinetische Energie T und Potential V zu

T(\varphi,\dot{\varphi}) = \frac{m}{2} l^2 \dot{\varphi}^2

V(φ) = − mglcos φ

mit m: = m1,l: = l1,φ: = φ1.


Entsprechend ist die Bewegungsgleichung:

\ddot{\varphi} + \frac{g}{l} \sin\varphi=0

Mit der Kleinwinkelnäherung \sin\varphi\approx\varphi lässt sich die Gleichung vereinfachen:

\ddot{\varphi} + \frac{g}{l} \varphi=0

Eine zweckmäßige Lösung der Bewegungsgleichung ist

\varphi(t)=\varphi(0) \cos\left(\sqrt{\frac{g}{l}} t + \alpha\right),

sodass bei bekannten Startbedingungen für den Parameter α gilt:

\alpha=\arcsin\left(-\frac{\dot{\varphi}(0)}{\varphi(0)} \sqrt{\frac{l}{g}} \right)


Das Pendel schwingt entsprechend harmonisch mit der Periode:

T = 2\pi\sqrt{\frac{l}{g}}

Doppelpendel

Der Fall n = 2 stellt das Doppelpendel dar.

Hier ergeben sich kinetische Energie T und Potential V zu:

T(\varphi_1,\varphi_2,\dot{\varphi}_1,\dot{\varphi}_2) = \frac{m_1}{2} l_1^2 \dot{\varphi}_1^2 + \frac{m_2}{2} \left( l_1^2 \dot{\varphi}_1^2 + l_2^2 \dot{\varphi}_2^2 + 2 l_1 l_2 \dot{\varphi}_1 \dot{\varphi}_2 \cos(\varphi_1-\varphi_2) \right)


V12) = − (m1 + m2)gl1cos φ1m2gl2cos φ2


Entsprechend sind die Bewegungsgleichungen:

m_{2}l_{2}\ddot{\varphi}_{2}\cos\left(\varphi_{1}-\varphi_{2}\right)+\left(m_{1}+m_{2}\right)l_{1}\ddot{\varphi}_{1}+m_{2}l_{2}\dot{\varphi}_{2}^{2}\sin\left(\varphi_{1}-\varphi_{2}\right)+\left(m_{1}+m_{2}\right)g\sin\varphi_{1}=0

und

l_{2}\ddot{\varphi}_{2}+l_{1}\ddot{\varphi}_{1}\cos\left(\varphi_{1}-\varphi_{2}\right)-l_{1}\dot{\varphi}_{1}^{2}\sin\left(\varphi_{1}-\varphi_{2}\right)+g\sin\varphi_{2}=0

Triplependel

Der Fall n = 3 stellt das Triplependel dar.

Hier ergibt sich die kinetische Energie T zu:

T(\varphi_1,\varphi_2,\varphi_3,\dot{\varphi}_1,\dot{\varphi}_2,\dot{\varphi}_3) = \frac{m_1+m_2+m_3}{2} l_1^2 \dot{\varphi}_1^2 + \frac{m_2+m_3}{2} l_2^2 \dot{\varphi}_2^2 + \frac{m_3}{2} l_3^2 \dot{\varphi}_3^2 + (m_2+m_3) l_1 l_2 \dot{\varphi}_1 \dot{\varphi}_2 \cos(\varphi_1-\varphi_2)

+ m_3 l_1 l_3 \dot{\varphi}_1 \dot{\varphi}_3 \cos(\varphi_1-\varphi_3) + m_3 l_2 l_3 \dot{\varphi}_2 \dot{\varphi}_3 \cos(\varphi_2-\varphi_3)


Für das Potential V gilt:

V123) = − (m1 + m2 + m3)gl1cos φ1 − (m2 + m3)gl2cos φ2m3gl3cos φ3



Entsprechend sind die Bewegungsgleichungen:


m_{3}l_{3}\ddot{\varphi}_{3}\cos(\varphi_{1}-\varphi_{3})+ (m_2+m_{3})l_{2}\ddot{\varphi}_{2}\cos(\varphi_{1}-\varphi_{2}) + (m_1+m_2+m_{3})l_{1}\ddot{\varphi}_{1} + m_3 l_3 \dot{\varphi}_{3}^2 \sin(\varphi_{1}-\varphi_{3})

+ (m_2+m_3) l_2 \dot{\varphi}_{2}^2 \sin(\varphi_{1}-\varphi_{2}) + (m_1+m_2+m_3) g \sin\varphi_1=0


und


m_{3}l_{3}\ddot{\varphi}_{3}\cos(\varphi_{2}-\varphi_{3}) + (m_2+m_{3})l_{2}\ddot{\varphi}_{2}+ (m_2+m_{3})l_{1}\ddot{\varphi}_{1} \cos(\varphi_{1}-\varphi_{2}) - (m_2+m_3) l_1 \dot{\varphi}_{1}^2 \sin(\varphi_{1}-\varphi_{2})

+ m_3 l_3 \dot{\varphi}_{3}^2 \sin(\varphi_{2}-\varphi_{3}) + (m_2+m_3) g \sin\varphi_2=0


und


l_{3}\ddot{\varphi}_{3} + l_{2}\ddot{\varphi}_{2} \cos(\varphi_{2}-\varphi_{3}) + l_{1}\ddot{\varphi}_{1} \cos(\varphi_{1}-\varphi_{3}) - l_2 \dot{\varphi}_{2}^2 \sin(\varphi_{2}-\varphi_{3}) - l_1 \dot{\varphi}_{1}^2 \sin(\varphi_{1}-\varphi_{3}) + g \sin\varphi_3=0

Simulation der Trajektorien

Literatur

  • Georg Hamel: Theoretische Mechanik. Springer, Berlin 1967. Berichtiger Reprint 1978, ISBN 3-540-03816-7
  • Friedhelm Kuypers: Klassische Mechanik. 5. Auflage. VCH, Weinheim 1997, ISBN 3-527-29269-1
  • Landau / Lifšic: Lehrbuch der theoretischen Physik. Band 1: Mechanik. 14. Auflage. Deutsch, Thun 1997, ISBN 3-8171-1326-9

Quellen

Siehe auch

Weblinks


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