NS Otto Hahn

NS Otto Hahn
Die „Otto Hahn“ im Hamburger Hafen 1970
Schornstein der Otto Hahn auf dem Gelände des Deutschen Schiffahrtsmuseums, Bremerhaven

Der Frachter NS Otto Hahn wurde als drittes ziviles Schiff nach dem sowjetischen Eisbrecher „Lenin“ und der amerikanischen „Savannah“ von einem Kernreaktor angetrieben. Das Schiff wurde nach dem Kernchemiker und Nobelpreisträger Otto Hahn benannt, der beim Stapellauf 1964 persönlich anwesend war. Es war als Symbol einer „strahlenden“ Zukunft gedacht und blieb das einzige deutsche Schiff mit Kernenergieantrieb, im Volksmund auch das „Atomschiff“ genannt. Ein zweites Frachtschiff mit dem Namen "Nukleares Container-Schiff 80" (NCS-80) war in Planung, wurde aber nie gebaut.[1]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Planung und Bau

Den Anfang für den Bau des Schiffes machte 1960 die Ausschreibung der GKSS, Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schifffahrt mbH, Geesthacht, über ein nuklear angetriebenes Handelsschiff mit der Betonung des Vorranges von Forschungsaufgaben. Deutsche Werften lieferten 1961 Vorschläge für ein Schiff ab, welches sich für den Einbau einer solchen Antriebsanlage eignen könnte. Ursprünglich war ein Tanker vorgesehen, die GKSS hatte jedoch auch Alternativen erbeten, so fiel die Wahl auf einen Erzfrachter, wie er von den Howaldtswerken-Deutsche Werft (HDW) angeboten worden war. Als Reaktor war zum damaligen Zeitpunkt noch ein Typ mit organischem Moderator und Kühlmittel (OMR) vorgesehen. Im Laufe des Jahres 1962 nahm man von diesem Typ jedoch wieder Abstand, da technische Schwierigkeiten sein wirtschaftliches Potential zunichte gemacht hatten. Am 27. November 1962 wurde im Hamburger Hotel Atlantic der Werftbauvertrag unterzeichnet. Ein Jahr später konnte aus den Angeboten verschiedener Reaktorbauer der Antrieb festgelegt werden.

Das Schiff wurde zwischen 1963 und 1968 in Kiel mit Baukosten von 56 Millionen DM gebaut, an denen sich die Euratom mit 16 Millionen beteiligte. Die Arbeiten am nuklearen Antrieb beanspruchten den größten Teil der Bauzeit: Die Schiffshülle war bereits im Sommer 1964 in Beisein ihres Namensgebers getauft worden. Als Energiequelle diente ein Druckwasserreaktor von Babcock-Interatom mit Wasser als Kühlflüssigkeit und Moderator im Primärkreislauf, welcher von der Deutschen Babcock & Wilcox Dampfkessel-Werke AG in Friedrichsfeld (Niederrhein) gebaut wurde. Im Sekundärkreislauf wurde der Antriebsdampf für die konventionelle Dampfturbine erzeugt. Heute lagert nur noch der Druckbehälter bei der GKSS in Geesthacht.

Fortschrittlicher Druckwasserreaktor

Fortschrittlich bei diesem Reaktortyp im Vergleich zu den konventionellen Druckwasserreaktoren ist die Verlagerung von bisher außerhalb des Reaktordruckbehälters angeordneten Komponenten, in den Reaktordruckbehälter hinein. Tragkonstruktionen für die Komponenten und die verbindenden Rohrleitungen können entfallen.

Der Sekundärdampferzeuger und der Druckhalter für den Primärkreislauf sind beim fortschrittlichen Druckwasserreaktor Teil der Druckbehältereinbauten. Die Druckhaltung im Primärsystem erfolgt durch das Dampfpolster im oberen Teil des Reaktordruckbehälters. Die Temperatur des Primärwassers am Reaktorkernaustritt bestimmt hierbei den Dampfdruck des Dampfpolsters. Die Umwälzung des Primärwassers erfolgt mit drei freistehenden Primärumwälzpumpen, die mit kurzen Rohrkrümmern am Boden des Druckbehälters angebracht sind. Im Innenrohr des Krümmers erfolgt der Rückfluss zum Reaktorkern. Durch das Dampfpolster, der statischen Höhe des Primärsystems und der Abkühlung des Primärwassers am Sekundärdampferzeuger wird der erforderliche Zulaufdruck für die Primärumwälzpumpen auch bei stärkerem Seegang gewährleistet.

Die Reaktorabschirmungen außerhalb des Reaktordruckbehälters werden durch die kompakte Bauweise des fortschrittlichen Druckwasserreaktors vereinfacht.

Betrieb und Forschung

Das nuklear angetriebene Schiff absolvierte am 11. Oktober 1968 seine erste Probefahrt. Die „Otto Hahn“ war ein Forschungsschiff, die Verwendung als Frachtschiff war sekundär. Das zeigt auch ihr ungewöhnliches Aussehen mit der bugseitigen Brücke und den umfangreichen heckseitigen Aufbauten, die neben den Kabinen für bis zu 36 Forscher, einem Besprechungsraum und zwei Labors auch zwei Salons sowie diverse Messen und Empfangsräume für Repräsentationszwecke umfassten. Man wollte mit diesem Schiff Erfahrungen für zukünftige Nuklearschiffsanlagen sammeln, sie jedoch gleichzeitig bereits im quasi-kommerziellen Einsatz als Erzschiff verwenden. Da die „Otto Hahn“ ausländische Häfen nicht in gewünschtem Umfang für Atomschiffe öffnen konnte, wurde das Experiment 1979 schließlich eingestellt. Auch für die in den 1970er-Jahren erdachten Containerschiffe NCS 80 und NCS 240 fand sich kein Reeder, der trotz staatlicher Förderung ein solches Schiff selbst in Auftrag geben wollte.

Bis zur Stilllegung des Atomantriebs hat das Schiff 33 Häfen in 22 Staaten angelaufen. Während ihrer Betriebszeit hatte die „Otto Hahn“ jedoch hauptsächlich Häfen in Südamerika und Afrika anlaufen dürfen, viele davon nur einmal durch eine Ausnahmegenehmigung. Eine Passage durch den Suez- oder den Panamakanal hatte man ihr stets verwehrt. International gültige Richtlinien für die Betreiber von Kernenergieschiffen waren trotz zahlreicher Seerechtskonferenzen in den 1960er-Jahren nie zustande gekommen.

Ab 1969 war für mehr als zehn Jahre Heinrich Lehmann-Willenbrock Kapitän der „Otto Hahn“. Die letzte Reise des Schiffes nach Durban ist beschrieben in dem Roman Der Abschied von Lothar-Günther Buchheim.

Seit kurzem zugängliche geheime Akten der deutschen Regierung aus den Jahren 1959 bis 1962 legen einen zusätzlichen militärischen Nutzen der Forschung am Atomantrieb nahe. Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß betrieb zu dieser Zeit den Bau von U-Booten mit atomarem Antrieb, konnte sich jedoch mit den Plänen innerhalb der Regierung und bei den internationalen Bündnispartnern nicht durchsetzen. Der Atomantrieb der 1962 in Auftrag gegebenen „Otto Hahn“ war für ein Frachtschiff klein und so dimensioniert, dass er in ein großes U-Boot gepasst hätte. Die Ernennung des früheren U-Boot-Kommandanten und Flottillenkommandeurs Lehmann-Willenbrock zum Kapitän des Schiffs wird in diesem Zusammenhang gesehen.[2]

Stilllegung und Umbau

Nach insgesamt 650.000 Seemeilen wurde der Atomantrieb 1979 stillgelegt. Die „Otto Hahn“ wurde 1982 zu einem Containerschiff mit Dieselantrieb umgebaut. Ihr außergewöhnliches Aussehen ging dabei völlig verloren. Die heckseitigen Aufbauten wurden entfernt und durch die ursprünglich vorne gelegene Brücke ersetzt. Sie wechselte mehrfach ihre Besitzer, fuhr unter den Namen „Trophy“ (1983), „Norasia Susan“ (1983), „Norasia Helga“ (1985), „Carmen“ (1985), „Hua Kang He“ (1989) und fährt immer noch als „Madre“ mit dem Rufzeichen „9HKU6“ unter der Flagge Maltas.

Das ehemalige Bugwappen der „Otto Hahn“ ist heute auf einer Wiese hinter dem Freibad in Geesthacht zu finden. Die Schiffsglocke befindet sich bei der GKSS im Archiv. Der Schornstein, der mehr eine Zierfunktion hatte, steht auf dem Außengelände des Deutschen Schiffahrtsmuseums in Bremerhaven. Er wurde nur beim Einsatz der Hilfsmaschinen benötigt.

Technische Daten

Baudaten

  • Schiffsname: „Otto Hahn“
  • Eigner: GKSS-Forschungszentrum Geesthacht GmbH
  • Bauwerft: Kieler Howaldtswerke AG (später HDW)
  • Baunummer: 1103
  • Schiffsklasse: + 100 A4E durch Germanischer Lloyd und Bureau Veritas
  • Schiffstyp: Erzschiff, Fahrgastschiff, Kernenergieschiff
  • Heimathafen: Hamburg
  • Unterscheidungssignal: DAOH
  • Kiellegung: 31. August 1963
  • Stapellauf: 14. Juni 1964
  • Fertigstellung: 1. Oktober 1968
  • BRT: 16.870
  • NRT: 7.257
  • LüA: 172,05 m
  • Lpp: 158,20 m
  • Breite auf Spanten: 23,40 m
  • T beladen: 9,22 m
  • Freibord: 5,33 m
  • Seitenhöhe bis Deck: 14,50 m
  • Tragfähigkeit (tdw): 14.079 ts
  • Leistung der Hauptmaschine: 7.355 kW
  • Besatzung: 63 Mann
  • Forschungspersonal: 36 Mann (max.)
  • Geschwindigkeit: 17 Kn

Antrieb

  • Propelleranlage normal/max: 10.000/11.000 PS
  • Drehzahl normal/max: 97/100 U/min
  • Dampfmenge Haupt-/Hilfsturbine: 48,8/5,7 t/h
  • Primärsystem Betriebsdruck: 63,5 bar
  • Ein-/Auslasstemperatur: 267/278 °C
  • Dampfsekundärsystem Speisewasser-Dampftemperatur: 185/273 °C
  • Dampfdruck: 31 bar

Reaktor

  • Thermische Leistung: 38 MW
  • Einsatzzeit bei Volllast: 900 d
  • Mittlerer Abbrand: 23.000 MWd/tU
  • Eingesetzte UO2-Menge: 1,7 t
  • Mittlere Anreicherung: 3,5/6,6 %
  • Mittlerer therm. Neutronenfluss: 1,1 × 1013 /cm2s1
  • Zahl der Elemente/Brennstäbe: 12/2810
  • Äquivalenter Kerndurchmesser: 1050 mm
  • Aktive Kernhöhe: 830 mm
  • Brennstabdurchmesser: 11,4 mm
  • Wandstärke der Hüllrohre: 0,8 mm
  • Hüllrohrwerkstoff: Zirkalloy-4

Reaktordruckbehälter

  • Durchmesser/Höhe licht: 2360/8580 mm
  • Innenvolumen: 35 m³
  • Wand-/Plattierungsstärke: 50/8 mm
  • Auslegungs-Druck/Temperatur: 85 kp/cm²/300 °C

Literatur

Einzelnachweise

  1. Information zum Containerschiff NCS-80, Bundesarchiv
  2. Rüstung - Begehrliche Wünsche, Der Spiegel, Ausgabe 18/2008, Seite 50

Weblinks


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