Rüge, die

Rüge, die

Die Rüge, plur. die -n, ein altes, im Hochdeutschen größten Theils veraltetes Wort, welches so wie alle folgende Ableitungen und Zusammensetzungen nur noch hin und wieder in den Gerichten und in der gerichtlichen Sprechart vorkommt. Es bedeutete, 1) die Beschuldigung eines Verbrechens, so wohl eine jede Beschuldigung im gesellschaftlichen Leben, als auch eine Anklage, die Anzeige der von einem andern begangenen Übertretung des Gesetzes an den Richter, in welchem letztern Verstande es durch das ausländische Denunciation zwar sehr, aber doch nicht ganz verdränget worden. Die Rüge thun, die Denunciation. Die Gewissensrüge kommt von der Anklage, von der Beschuldigung des eigenen Gewissens noch zuweilen vor. 2) Eine Übertretung des Gesetzes, es sey nun ein eigentliches Verbrechen, oder eine geringere Vergehung, wo es noch hin und wieder in den Gerichten, besonders in den Untergerichten auf dem Lande und in den Provinzen üblich ist. Feldrügen, Verbrechen wider die Feld- und Gränzordnung. Mord, Diebstahl, Brand, und Nothzucht wurden ehedem die vier hohen Rügen oder Hauptrügen genannt. In Meißen auf dem Lande ist die versäumte pflichtmäßige Begleitung einer Leiche unter dem Nahmen der Rüge bekannt, welche gemeiniglich mit 1 Gr. 4 Pf. Buße belegt wird. 3) Die gerichtliche Untersuchung eines Verbrechens, die Inquisition; auch nur noch in einigen Gegenden. Eine Rüge anstellen. Die Rüge erkennen. 4) Die Ahndung eines Vergehens, es sey nun eine Ahndung im gesellschaftlichen Leben, oder eine gerichtliche Bestrafung; wo es nur noch in dieser letztern Bedeutung in einigen Gegenden üblich ist. Besonders wird das Niedersächsische mit dem Blaselaute verstärkte Wroge noch sehr häufig von einer Geldstrafe auf solche Vergehen gebraucht, welche unter dem Nahmen der Rügen oder Wrogen bekannt sind. Bey dem Notker ist Vruoge Rache, und unser Rache selbst scheint ein Intensivum davon zu seyn. 5) Ein Gericht, ein zur Ahndung und Bestrafung der Übertretungen des Gesetzes niedergesetztes Collegium; wo es noch an vielen Orten von gewissen Untergerichten üblich ist, welche allerley Vergehungen wider die Polizey und gute Ordnung ahnden und bestrafen, und wo es im Oberdeutschen auch die Rug lautet. S. Rügegericht. 6) Eine Verordnung zur Aufrechthaltung der äußern Ordnung und Polizey, ein Polizey-Gesetz; gleichfalls nur in einigen Gegenden. Dorfrügen, Dorfsordnungen. Dahin gehöret denn vermuthlich auch die noch im Niedersächsischen gangbare Bedeutung, wo Wroge das Eichen oder die Berichtigung des Maßes und Gewichtes ist, da es denn auch wohl das obrigkeitliche Zeichen bedeutet, womit die Maße und Gewichte bezeichnet werden.

Anm. Bey den ältern Oberdeutschen Schriftstellern Ronge, im Niedersächsischen mit dem in mehrern Fällen üblichen Blaselaute Wroge. S. Rügen. Auch im Pohlnischen ist Rug die Inquisition.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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