Verderben

Verderben

Verdêrben, verb. irreg. & regul. welches in der erstern Gestalt auf folgende Art abgewandelt wird: ich verderbe, du verdirbst, er verdirbt; Conj. ich verderbe, verderbest, verderbe. Imperf. ich verdarb; Conj. verdürbe. Mittelw. verdorben. Imper. verdirb. Es ist auf eine doppelte Art üblich.

I. Als ein Neutrum, welches das Hülfswort seyn erfordert, wo die irreguläre Conjugation ohne Ausnahme üblich ist.

1. Unbrauchbar, untauglich werden, die zu seiner Bestimmung und Absicht nöthige Eigenschaft verliehren. Das Bier verdirbt, wenn es schal und sauer wird. Der Wein ist verdorben. Verdorbenes Obst. Alles verderben lassen. Das Fleisch ist verdorben, wenn es riechend geworden ist. Die Waare ist in der Nässe verdorben, wenn sie verstockt, verfault u.s.f. ist. Es wird in diesem eigentlichen Verstande am häufigsten von solchen Dingen gebraucht, welche durch eine innere Gährung oder ähnliche Veranlassung von innen die zu ihrer Absicht nöthige Brauchbarkeit verliehren; das folgende Activum aber wird in einem weitern Umfange der Bedeutung gebraucht. Wenn man daher sagt, das Werkzeug ist schon verdorben, das Pferd ist bereits verdorben u.s.f. so scheint es hier das Activum zu seyn, und ist verdorben für ist verdorben worden, zu stehen, weil man nicht sagt, das Werkzeug verdirbt, oder das Pferd verdarb, sondern wird und ward verdorben.

Besondere, doch nur in der vertraulichen Sprechart übliche R.A. sind. An dir ist ein Lobredner verdorben, Less. d.i. du hättest dich zum Lobredner geschickt, wenn du deine Fähigkeiten ausgebildet hättest. So auch: an ihm ist ein Soldat, ein Poet, ein Advocat u.s.f. verdorben. Hingegen: ich bin zum Comödianten verdorben, Less. bedeutet, ich tauge nicht dazu.

2. In weiterer und figürlicher Bedeutung. (1) Im theologischen Verstande, in welchem doch das Mittelwort der vergangenen Zeit am gangbarsten ist, heißt die menschliche Natur verdorben, so fern sie durch die Sünde ihre ursprüngliche Vollkommenheit verlohren hat, zu ihrer ursprünglichen Bestimmung unfähig geworden ist; in welchem Verstande es doch bey vielen regulär verderbt lautet, unser verderbtes Fleisch, der verderbte Wille, da es denn zu dem folgenden Activo gehören würde. Aber die Erde war verderbt vor Gottes Augen und voll Frevels, 1 Mos. 6, 11. (2) In Verfall der Nahrung gerathen, doch nur im gemeinen Leben; wo man sagt, ein Kaufmann sey verdorben, wenn er banquerout geworden ist. (3) Im höchsten Grade unglücklich werden, umkommen, zu Grunde gehen, eine in der Deutschen Bibel noch sehr gangbare Bedeutung, welche aber in der edlern Schreibart immer mehr zu veralten anfängt, obgleich das Hauptwort das Verderben noch in derselben üblich ist. Siehe, wir verderben und kommen um, 4 Mos. 17, 12. Es ist besser, ein Mensch sterbe für das Volk, denn daß ganze Volk verderbe, Joh. 11, 50. Vor Hunger verderben; Hiob 80, 3. Du hast dich meiner Seele herzlich angenommen, daß sie nicht verdürbe, Es. 38, 17. Wer sich gern in Gefahr begibt, der verdirbt darinnen, Sir. 3, 27. Wer sehr pranget, der verdirbt, Kap. 20, 10.

II. Als ein Activum, wo es im Hochdeutschen gemeiniglich auch irregulär, im Oberdeutschen aber regulär abgewandelt wird.

1. Ein Ding zu seiner Absicht, zu seiner Bestimmung untauglich machen, aus dem gehörigen guten Zustande in einen schlimmen versetzen; wo es ein Wort von sehr weitem Umfange ist, welches alle besondere Arten unter sich begreift, daher auch in manchen einzelnen Fällen bestimmtere Ausdrücke üblicher sind. Ein ungeschickter Schneider verdirbt das Kleid, welches er verfertigen soll. Wenn jemand seinen Knecht in ein Auge schlägt, und verderbet es, 2 Mos. 21, 26. Die wilden Thiere haben deinen Weinstock verderbt, Ps. 80, 14. Ein Hümpler verdirbt ein Ding, Sprichw. 26, 10. Mehlthau verdirbt die Frucht, Kap. 28, 3. Ein einiger Bube verdirbet viel Gutes, Pred. 9, 18. Ein Widerspenstiger verdirbt ein mildes Herz, Kap. 7, 8. Ein schlechter Reiter verdirbt ein gutes Pferd. Böse Exempel verderben gute Sitten. Seine Gesundheit durch Ausschweifungen verderben. Das verdirbt mir die ganze Sache. Jemanden das Spiel verderben. Jemanden seine Freude verderben. Kein Ekel verderbt ihm die immer neuen Freuden, die die Schönheiten der Natur in endloser Mannigfaltigkeit ihm anbiethen, Geßn. Dieß verdarb mir den ganzen Abend, brachte mich um den angenehmen Genuß desselben. Es mit niemanden verderben, seine Gunst verscherzen, ihn sich zum Feinde machen. Mit der Tugend werde ichs von freyen Stücken niemahls verderben, Herr Orgon bey Gell. Er hat es mit mir verdorben. Von einer Person, welche ein guter, ein angenehmer Gesellschafter ist, sagt man, sie verderbe keine Gesellschaft. Der Hochmüthige, der Mißmüthige verdirbt alle Gesellschaften.

2. Unglücklich machen, besonders im höchsten Grade unglücklich machen. Das ein ledic wib mich verderbet gar ane schulde. Es fängt in dieser Bedeutung an zu veralten, indessen kommt sie von zeitlichem Unglücke noch zuweilen, von der Versetzung in das ewige Unglück, d.i. von der Verdammniß, in der theologischen Schreibart noch häufig vor. Netze stellen zu verderben, Ps. 35, 7. Fürchtet euch vor dem, der Leib und Seele verderben mag in die Hölle, Matth. 10, 28.

3. Den völligen Untergang eines Dinges bewirken, zerstören, tödten, umbringen, gleichfalls als ein sehr allgemeines und unbestimmtes Wort, daher es in dieser Bedeutung noch mehr veraltet ist, als in der vorigen. Die Sündfluth soll alles Fleisch verderben, 1 Mos. 6, 17. Ehe der Herr Sodoma und Gomorra verderbte, Kap. 13, 10. Herr, Herr, verderbe dein Volk nicht, 5 Mos. 9, 26. Pfeile zu verderben zurichten, Ps. 7, 14. Mit dem Schwert verderben, Jer. 8, 17. Plötzlich rede ich wider ein Volk, daß ichs ausrotten, zerbrechen und verderben wolle, Jer. 18, 7.

Daher die Verderbung, welches doch nur in einigen wenigen Fällen der ersten Bedeutung des Activi gebraucht wird.

Anm. 1. Im Oberdeutschen unterscheidet man das Activum von dem Neutro sehr genau, auch in der Conjugation und macht das erste regulär, das letztere aber irregulär.


Wer nicht verderbet wird durch Liebe, der verdirbet,

Opitz.


Allein, im Hochdeutschen ist dieser Unterschied nicht angenommen worden, sondern man macht daselbst das Activum eben so irregulär, als das Neutrum, obgleich einzelne Schriftsteller den Unterschied zu beobachten gesucht haben. Das verderbt ihren Werth, Gell. In der Deutschen Bibel wird das Activum bald regulär, bald irregulär abgewandelt, wie schon aus den im vorigen angeführten Beyspielen erhellet, daher sich diejenigen irren, welche glauben, daß Luther den Unterschied allemahl auf das genaueste beobachtet habe. Indessen kann diese Ungleichheit auch von den Herausgebern und Correctoren herrühren. Zu wünschen wäre es freylich, daß man das Activum von dem Neutro in gleichlautenden Zeitwörtern, da, wo es das Alterthum hergebracht hat, auch in der Conjugation unterschiede, so wenig solches auch im Hochdeutschen geschiehet. S. auch Brennen.

Anm. 2. Im Nieders. verdarfen und bedarfen, im Schwed. förderfva. Das Wort ist alt, ob es gleich in dieser Gestalt bey unsern ältesten Oberdeutschen Schriftstellern vor den Zeiten der Schwäbischen Dichter nicht vorkommt, als welche dafür fürwerden, verwerden, verneißen, Notk. verniuzzen, ohne Zweifel als der Gegensatz von genesen gebrauchen. Wachter, Frisch, und andere leiten es von derb her, und legen der Partikel ver hier eine destruirende Bedeutung bey. Allein, da in den verwandten Sprachen auch das einfache derben in eben derselben Bedeutung vorkommt, wohin das Schwed. derfva, das Angels. derven, und selbst das vom Hickes angeführte Alemannische derben gehören, welche insgesammt verderben bedeuten, so findet diese Ableitung hier wohl nicht Statt, und ver kann hier keine andere als intensive Bedeutung haben. Bey dem Ottfried und andern alten Schriftstellern kommt ein Zeitwort daron, schaden, verletzen, vor, welches das nächste Stammwort von diesem derben zu seyn scheinet, und mit der zweyten Hälfte des Lat. per-dere vermuthlich ein und dasselbe Wort ist. Indessen ist es wahrscheinlich, daß das Activum verderben, perdere, von dem Neutro verderben, perire, auch in der Abstammung verschieden ist, und da läßt sich jenes, als einen Verwandten von dem schon gedachten daren, verletzen, dem Angels. teran, zerreißen, zerren, von stören in zerstören, ansehen, dieses aber zu darben, sterben und ihren Verwandten rechnen. Der Unterschied der Conjugation, welcher im Oberdeutschen, als der ältesten Mundart, schon alt ist, wie aus den Schwäbischen Dichtern erhellet, bestätiget diesen Unterschied in der Abstammung.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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