Ortsbestimmung

Ortsbestimmung

Ortsbestimmung, die Ermittelung der geographischen Breite und Länge eines Punktes auf der Erdoberfläche. Man unterscheidet solche am Land und auf See.

I. Am Lande. a) Die geographische Breite oder Polhöhe eines Ortes wird durch Messung der Meridianzenitdistanz eines Gestirns bestimmt. Unter Meridianzenitdistanz eines Gestirns versteht man den Kreisbogen an der Himmelskugel zwischen dem Zenit des Beobachtungsortes und dem Gestirn zur Zeit der Kulmination desselben, d.h. in dem Augenblick, in dem es den Meridian des Beobachtungsortes passiert, oder den Winkel zwischen Zenit und Gestirn, gemessen vom Erdmittelpunkt. Summe oder Differenz der Meridianzenitdistanz und der bekannten oder zu berechnenden Deklination des Gestirns gibt die Polhöhe des Beobachtungsortes. Die Meridianzenitdistanz wird mit Hilfe eines Universalinstruments oder Zenitteleskops gemessen und durch Anbringung einfacher Korrektionen auf den Erdmittelpunkt reduziert. An Stelle der Meridianzenitdistanzen werden auch Zirkummeridianzenitdistanzen, d.h. Zenitdistanzen in der Nähe des Meridians, gemessen und diese auf den Meridian reduziert. b) Die Bestimmung der geographischen Länge beruht auf der Ermittelung des Zeitunterschiedes des Beobachtungsortes und des als Ausgangspunkt für das Längensystem angenommenen Meridians, Nullmeridians (Greenwich, Paris etc.), in ein und demselben Augenblick; da die Länge gleich dem Winkel zwischen dem letztern und dem Ortsmeridian oder gleich dem Unterschiede der Stundenwinkel ein und desselben Gestirns, von den beiden Meridianen gerechnet, ist, so gibt der genannte Zeitunterschied direkt die Länge. Zur Bestimmung der Ortszeit wird die Zenitdistanz eines Gestirns gemessen und aus derselben, der bekannten Polhöhe und der Deklination des Gestirns, der Stundenwinkel desselben und hieraus die Ortszeit berechnet.

Die Zeit des Nullmeridians wird auf verschiedene Weise ermittelt. 1) Methode der Monddistanzen. Infolge der schnellen Bewegung des Mondes an der Himmelskugel (ca. 13° an einem Tage) verändert er verhältnismäßig schnell seine Stellung zu den übrigen Himmelskörpern, und da einer bestimmten Stellung ein bestimmter Zeitmoment entspricht, so läßt sich aus der erstern der letztere feststellen. In den astronomischen und nautischen Jahrbüchern und Ephemeriden sind die Distanzen des Mondes von der Sonne, den Planeten und einer Anzahl in der Nähe der Mondbahn liegender hellern Fixsterne für bestimmte Zeiten des Nullmeridians angegeben, und mit Hilfe derselben läßt sich für eine beobachtete Distanz die zugehörige Zeit des Nullmeridians finden. Die Distanz zwischen Mond und Gestirn wird mit einem Spiegelinstrument (Sextant, Kreis) gemessen und durch Anbringung verschiedener Korrektionen auf den Erdmittelpunkt reduziert und für diese die Zeit des Nullmeridians gefunden. Gleichzeitig wird die Ortszeit zur Zeit der Beobachtung bestimmt, der Vergleich beider Zeiten ergibt die Länge. Dieses Verfahren ist schon 1499 von Vespucci angewendet worden. 2) Die Methode der Mondkulminationen. Man beobachtet die Meridiandurchgangszeit des Mondes, hieraus ergibt sich die Rektaszension des Mondes für diesen Moment. Aus den Ephemeriden stellt man nun fest, welcher Zeit des Nullmeridians diese Mondrektaszension entspricht, die Differenz gegen die beobachtete Ortszeit ergibt sodann den Längenunterschied. Diese Methode ist zuerst 1615 von Bassin angewandt worden. 3) Die Methode der Mondhöhen. Dieselbe beruht auf demselben Prinzip wie die vorhergehende, die Mondrektaszension zur Beobachtungszeit wird jedoch rechnerisch ermittelt aus der Beobachtung einer in der Nähe des ersten Vertikals gemessenen Mondhöhe. Man bedarf bei ihr daher keiner festaufgestellten Instrumente und deshalb empfiehlt sie sich sehr bei geographischen Ortsbestimmungen auf Reisen. 4) Die Methode der Sternbedeckungen durch den Mond ist der Methode der Monddistanzen verwandt, indem sie ebenfalls das schnelle Fortschreiten des Mondes benutzt, um aus seinem Stand in einem bestimmten Augenblick die demselben entsprechende Zeit des Nullmeridians abzuleiten. Man beobachtet den Moment des Verschwindens und Wiedererscheinens eines Sternes hinter der Mondscheibe, bestimmt daraus die Koordinaten des wahren, d.h. vom Erdmittelpunkt aus gesehenen Mondortes und weiter aus diesen und mit Hilfe der in den Ephemeriden gegebenen Elemente die Zeit des Nullmeridians. 5) Telegraphische Längenbestimmung. Die genaueste Methode der Längenbestimmung besteht in der Benutzung des elektrischen Telegraphen in Verbindung mit Chronographen. An den beiden Orten, dessen Längenunterschied man ermitteln will, bestimmt man durch Beobachtung der gleichen Sterne den Stand der Stationsuhren gegen Ortszeit und vergleicht alsdann die beiden Uhren auf telegraphischem Weg, indem man beide gleichzeitig Signale auf demselben Chronographen verzeichnen läßt, und findet so die Differenz der beiden Ortszeiten oder den Längenunterschied beider Orte. Diese Methode ist von Gauß 1839 angegeben, aber erst 1844, zuerst in Nordamerika von Wilkes, angewandt worden; gegenwärtig sind für alle wichtigern, an das Telegraphennetz angeschlossenen Punkte, besonders für alle Sternwarten, die Längenunterschiede auf solche Weise mit großer Genauigkeit bestimmt worden. Für geringere Entfernungen gibt man von einer Station zur andern Signale durch Pulverblitze oder mit dem Heliotrop (s. d.) und beobachtet an beiden Stationen die Ortszeiten. In neuester Zeit verwendet man auch die drahtlose Telegraphie zum Austausch der Signale. 6) Eine andre Methode besteht in der an beiden Stationen auszuführenden Beobachtung von Ereignissen am Himmel, die überall im selben Moment eintreten, wie Mondfinsternisse und Verfinsterungen von Jupitertrabanten.

II. Die Ortsbestimmungen auf See können wegen der schwierigen Beobachtungsverhältnisse auf einem in Bewegung befindlichen, seinen Standort ändernden und schwankenden Schiff und bei der Unmöglichkeit einer festen Ausstellung von Präzisionsinstrumenten nicht mit derselben Genauigkeit ausgeführt werden wie am Lande. Für die praktischen Bedürfnisse der Schiffahrt ist eine solche auch nicht erforderlich, vielmehr genügt in den meisten Fällen eine Genauigkeit von 1–2 Bogenminuten.

a) Breiten(Polhöhen-)bestimmungen. 1) Meridianbreiten. Die Methode ist dieselbe wie diejenige der Meridianzenitdistanzen am Lande, nur wird an Stelle der Zenitdistanz die Höhe des Gestirns über dem Horizont, die gleich dem Komplement der erstern ist, gemessen. Allgemein werden zu den astronomischen Ortsbestimmungen auf See die Höhen der Gestirne über dem Seehorizont, der Kimm, d.h. die Winkel zwischen dieser bei klarem Wetter scharf begrenzten Linie und dem Gestirn, mit einem Spiegelinstrument (Sextant, Oktant, Kreis) gemessen; bei der Sonne und dem Mond beobachtet man Oberrands- oder Unterrandshöhen, d.h. Höhen dieser Ränder über dem Horizont. Durch verschiedene an die beobachteten Höhen anzubringende Korrektionen werden dieselben auf den Erdmittelpunkt, d.h. als ob dieselben von dem letztern aus gemessen wären, reduziert. Zu der Breitenbestimmung auf See wird gern und hauptsächlich die Sonne benutzt, die Beobachtung wird also im wahren Mittag, d.h. wenn die Sonne den Meridian passiert, angestellt. 2) Außermeridianbreiten, d.h. die Bestimmungen der Breite durch Beobachtungen eines Gestirns außerhalb des Meridians, werden seltener angewendet, da sie weniger bequem sind als die Meridianbreiten. Für diese Bestimmungen muß der Stundenwinkel des Gestirns bekannt sein; deshalb muß schon eine Zeitbestimmung vorangegangen sein, nach welcher der Stundenwinkel des beobachteten Gestirns zur Zeit der Beobachtung abgeleitet werden kann. Aus dem Stundenwinkel, der Deklination und der gemessenen Höhe des Gestirns wird die Breite berechnet. Sind Gestirnshöhen in unmittelbarer Nähe des Meridians gemessen, so lassen sie sich auf einfache Weise auf den Meridian reduzieren und sodann zur Breitenbestimmung wie Meridianhöhen behandeln. 3) Polarsternbreite. Auf der nördlichen Erdhalbkugel bietet der Polarstern ein bequemes Mittel zur Breitenbestimmung, da er, sich nur 11/2° vom Nordpol entfernend, stets in der Nähe des Meridians steht. Zur Erleichterung dieser Bestimmung sind Korrektionen in Tabellenform berechnet, welche die Höhe des Polarsterns jederzeit auf die Höhe des Poles, die Breite, reduzieren.

b) Längenbestimmung. 1) Mit Hilfe des Chronometers. Aus der beobachteten Höhe eines Gestirns wird der Stundenwinkel desselben und die Ortszeit berechnet; das an Bord befindliche Chronometer (vgl. Chronometer) gibt die Zeit des Nullmeridians an, der Unterschied beider die Länge. 2) Durch Monddistanzen und Sternbedeckungen wie am Lande, doch werden diese Methoden fast nur noch zur Kontrolle der Chronometer angewandt, nachdem fast alle Schiffe mit guten Chronometern ausgerüstet sind. 3) Kombinierte Methode der Breiten- und Längenbestimmung durch Beobachtung mehrer Gestirnshöhen. Um Breite und Länge gleichzeitig zu bestimmen, sind gleichzeitige Beobachtungen von Höhen zweier Gestirne erforderlich, von denen die eine sich zur Ableitung der Breite (Gestirn in der Nähe des Meridians), die andern zur Ableitung der Länge (Gestirn in der Nähe des ersten Vertikals) eignet. Die Aufgabe, aus zwei Höhen eines Gestirns und der zwischen beiden Beobachtungen verflossenen Zeit Breite und Länge zu bestimmen, hat die verschiedensten Lösungen gefunden; die Unterschiede derselben liegen im wesentlichen in der größern oder geringern Genauigkeit der zur Rechnung benutzten Breite und Deklination und in der Benutzung oder Nichtbenutzung einer angenäherten Breite überhaupt für die Rechnung. Eine der bequemsten und gebräuchlichsten Methoden, die für die O. auf See epochemachend war, ist die von dem amerikanischen Kapitän Sumner zuerst angewandte und nach ihm benannte Methode, nach welcher der geometrische Ort eines Schiffes durch eine Linie bestimmt wird. Denkt man sich um ein Gestirn als Pol Parallelkreise auf der Erdoberfläche konstruiert, so werden sämtliche auf einem solchen Kreise liegenden Orte die gleiche Höhe des Gestirns messen. Das ganze System dieser Höhenkreise folgt der Bewegung des Gestirns und kommt daher jeder Punkt der Erdoberfläche fortwährend in einen neuen Höhenkreis. Die Sumnersche Methode besteht nun darin, den durch den Beobachtungsort gehenden Höhenkreis oder vielmehr einen kleinen Teil desselben auf der Karte zu konstruieren. Wird, nachdem der Beobachtungsort in einen andern Höhenkreis getreten ist, auch dieser auf der Karte projiziert, so gibt der Durchschnittspunkt beider Kreise den Beobachtungsort. Zur Lösung der Aufgabe beobachtet man eine Höhe und berechnet gewöhnlich mit dieser und zwei um 10–20 Minuten verschiedenen ungefähren Breiten zwei Längen; die beiden so erhaltenen Punkte werden in der Karte eingetragen und durch eine gerade Linie verbunden, die einen Teil des Höhenkreises, auf dem der Beobachtungsort liegen muß, darstellt. Zur Konstruktion des zweiten Kreises wird eine zweite Höhe gemessen und im übrigen ebenso verfahren.

In der Nähe der Küste und in Sicht des Landes erfolgt die O. mit Hilfe der der Lage nach bekannten Landobjekte, indem entweder die Richtungen bestimmt (gepeilt) werden, in denen sich das Schiff von zwei solchen Objekten befindet (der Schnittpunkt beider Richtungslinien ist der Beobachtungsort), oder indem man von einem Objekt Richtung und Abstand oder schließlich zwischen drei Objekten Winkel mißt. Vgl. Albrecht, Formeln und Hilfstafeln für geographische Ortsbestimmungen (3. Aufl., Leipz. 1894); Jordan, Grundzüge der astronomischen Zeit- und O. (Berl. 1885); Sumner, Neue Methode, den Standpunkt eines Schiffes auf der See durch Projektion auf Mercators Karte zu bestimmen (deutsch, Hamb. 1855); Wislicenus, Handbuch der geographischen Ortsbestimmungen auf Reisen (Leipz. 1891); Ambronn, Breitenbestimmungen zur See (Hamb. 1894); Bolte, Die Methoden der Chronometerkontrolle an Bord zum Zwecke der Längenbestimmung (das. 1894) und Die Praxis der Sumnerschen Standlinien an Bord (das. 1894); »Lehrbuch der Navigation«, herausgegeben vom Reichsmarineamt (2. Aufl., Berl. 1906, 2 Bde.); Güßfeldt, Grundzüge der astronomisch-geographischen O. auf Forschungsreisen (Braunschw. 1903); Marcuse, Handbuch der geographischen O. (das. 1905); Brünnow, Lehrbuch der sphärischen Astronomie (4. Aufl., Berl. 1881); Herr und Tinter, Lehrbuch der sphärischen Astronomie und ihre Anwendungen auf geographische O. (Wien 1887).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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