Bunsen

Bunsen

Bunsen, 1) Christian Karl Josias, Freiherr von, deutscher Staatsmann und Gelehrter, geb. 25. Aug. 1791 zu Korbach im Waldeckischen, gest. 28. Nov. 1860 in Bonn, studierte 1808–13 Theologie, dann Philologie und machte sich durch eine gekrönte Preisschrift: »De jure Atheniensium hereditario« (Göttingen 1813), in der gelehrten Welt bekannt. Dann begab er sich seiner Sprachstudien wegen nach Wien, an den Rhein und nach Holland, 1813 nach Kopenhagen (Isländisch) und lernte Ende 1815 in Berlin Niebuhr kennen. Im April 1816 ging er nach Paris, um Persisch und Arabisch zu treiben, und wandte sich Ende 1816 nach Rom. Hier verheiratete er sich 1. Juli 1817 mit einer reichen Engländerin, Fanny Waddington (geb. 4. März 1791), und wurde auf Niebuhrs Empfehlung 1818 Gesandtschaftssekretär. Für seine weitere Laufbahn wurde der Besuch König Friedrich Wilhelms III. in Rom entscheidend, wo B. dem König seine Ansichten über Agende und Liturgie darlegte. 1823 zum Legationsrat ernannt, übernahm er im Frühjahr 1824 die Geschäfte der Gesandtschaft, ward 1827 preußischer Ministerresident beim päpstlichen Stuhl, erhielt den Auftrag, die Unterhandlungen über die gemischten Ehen zu führen, und erwirkte von Pius VIII. das unklar gefaßte Breve vom 25. März 1830, das Gregor XVI. später zu Ungunsten Preußens auslegte. B. förderte wissenschaftliche Bestrebungen (Lepsius); unter seiner Mitwirkung erfolgte 1829 die Gründung des vom damaligen Kronprinzen, nachherigen König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, in Anregung gebrachten Archäologischen Instituts. Auch gründete B. auf dem tarpejischen Felsen ein protestantisches Hospital. Daneben beteiligte er sich an der »Beschreibung der Stadt Rom« (1830–13, 3 Bde.); eine Frucht dieser Studien war auch das Prachtwerk »Die Basiliken des christlichen Rom« (mit 50 Kupfertafeln von Gutensohn u. Knapp, Münch. 1843; neue Ausg. 1864; franz. Ausg. von Ramée, Par. 1872). Nachdem er 1834 die Regierung zur Annahme des Breves Pius' VIII. und zur Übereinkunft mit den westdeutschen Bischöfen vom 19. Juni bestimmt hatte, veranlaßte das schroffe Verhalten des Kölner Erzbischofs Droste zu Vischering (s.d.) 1837 doch den Streit zwischen der Kurie und Preußen. B., wieder nach Berlin berufen, rechtfertigte die Verhaftung des Erzbischofs in der »Denkschrift über die katholischen Angelegenheiten in den westlichen Provinzen Preußens vom 25. August«, wurde aber, 1838 nach Rom zurückgekehrt, vom Papst nicht empfangen und erhielt daher längern Urlaub, den er in München und England verbrachte. Ende 1839 erhielt er den Gesandtschaftsposten bei der Eidgenossenschaft in Bern, ward von da 1841 nach Berlin zurückberufen und von dem ihm befreundeten König Friedrich Wilhelm IV. mit einer außerordentlichen Mission zur Errichtung eines evangelischen Bistums in Jerusalem (vgl. Bunsens Schrift »Das evangelische Bistum zu Jerusalem«, Berl. 1842) nach London betraut, worauf 1842 seine Ernennung zum preußischen Gesandten daselbst erfolgte. Gegen den Verdacht, als befürworte er die Einführung anglikanischer Formen in der protestantischen Kirche, verteidigte er sich in dem Werk »Die Verfassung der Kirche der Zukunft« (Hamb. 1845). In den Verfassungsfragen 1844 vom König zu Rate gezogen, arbeitete er den Entwurf zu einer der englischen nachgebildeten preußischen Verfassung aus. 1848 von den Schleswigern in das deutsche Parlament gewählt, in das er aber nicht eintreten konnte, überreichte er 8. April 1848 Lord Palmerston sein »Memoir on the constitutional rights of the duchies of Schleswig and Holstein«, fand aber kein Verständnis für seine Pläne und ging deshalb 1848 und 1849 auf längere Zeit nach Deutschland. Trotz der österreichischen Ränke hielt ihn der König auf seinem Posten, und B. unterzeichnete, obwohl er 1850 die Beteiligung an den Londoner Konferenzen über Schleswig-Holstein abgelehnt hatte, doch das Londoner Protokoll vom 8. Mai 1852. Im übrigen genoß B. die Freundschaft der Königin, des Prinzen Albert und Peels, war seinen deutschen Landsleuten stets ein treuer Berater und rief das deutsche Hospital zu Dalston bei London ins Leben. Beim Ausbruch des orientalischen Krieges befürwortete er ein Bündnis Preußens mit den Westmächten; doch der am Berliner Hofe mächtigere russische Einfluß bewirkte im Juni 1854 seine Abberufung. B. siedelte nach Heidelberg über, wo er gegen ultramontane und unionsfeindliche Ränke unter anderm »Die Zeichen der Zeit, Briefe an Freunde über die Gewissensfreiheit und das Recht der christlichen Gemeinde« (Leipz. 1855, 2 Bde; 3. Aufl. 1856) schrieb. Bei seiner Erhebung in den erblichen Freiherrenstand 1857 ward er Mitglied des Herrenhauses; wegen eines Leidens verbrachte er zwei Winter in Cannes und kaufte sich 1860 in Bonn an. Neben seiner diplomatischen Wirksamkeit und seiner ausgedehnten Korrespondenz über politische und kirchliche Angelegenheiten war B. unausgesetzt literarisch tätig. Sein bedeutendstes archäologisches Werk ist: »Ägyptens Stelle in der Weltgeschichte« (Hamb. u. Gotha 1845–57, 5 Bde.); den Mittelpunkt seiner Bestrebungen aber bildeten biblische, kirchengeschichtliche und liturgische Studien. Seine wichtigsten Werke in diesem Fach sind: »Hippolytus und seine Zeit« (Leipz. 1853, 2 Bde.; in der zweiten englischen Ausgabe u. d. T.: »Christianity and mankind. Their beginnings and prospects« auf 7 Bände erweitert); »Ignatius von Antiochien und seine Zeit« (Hamb. 1847); »Die drei echten und die vier unechten Briefe des Ignatius von Antiochien« (das. 1847) und das unvollendete »Bibelwerk für die Gemeinde«, dessen Fortsetzung von Kamphausen und Holtzmann besorgt wurde (Leipz. 1858–1869, 9 Bde.). Den Briefwechsel Bunsens mit Friedrich Wilhelm IV. gab L. Ranke (Leipz. 1873), »Briefe an B. von römischen Kardinälen und Prälaten, deutschen Bischöfen und andern Katholiken aus den Jahren 1818–1837« Reusch (das. 1897) heraus. – Vgl. die Biographie von seiner (23. April 1876 in Karlsruhe verstorbenen) Witwe (»B. aus seinen Briefen und nach eignen Erinnerungen geschildert«, deutsch von Nippold, Leipz. 1868–71, 3 Bde.), dazu Hare, Freifrau v. B., ein Lebensbild aus ihren Briefen (deutsch, 6. Aufl., Gotha 1890); Bähring, Christian Karl Josias Freiherr von B. (Leipz. 1892.) –(Über seine Söhne s. unten 3).

2) Robert Wilhelm, Chemiker, geb. 31. März 1811 in Göttingen, gest. 16. Aug. 1899 in Heidelberg, studierte seit 1828 in Göttingen, Paris, Berlin und Wien, habilitierte sich 1833 als Privatdozent in Göttingen, wurde 1836 Professor der Chemie am polytechnischen Institut zu Kassel, 1838 Professor in Marburg, 1851 in Breslau, wo er den Plan zu dem chemischen Institut entwarf, und 1852 in Heidelberg. 1889 trat er in den Ruhestand. B. arbeitete über die Doppelcyanüre, die Kakodylreihe, die chemische Verwandtschaft und das Schießpulver. Auch empfahl er Eisenhydroxyd als Gegengift gegen arsenige Säure. 1846 machte er in Island chemisch-geologische Untersuchungen, die zur bessern Erkenntnis des Vulkanismus wesentlich beitrugen. Weitere Untersuchungen lieferte er über das spezifische Gewicht von Dämpfen, über das Gesetz der Gasabsorption, über den Einfluß des Druckes auf den Erstarrungspunkt geschmolzener Materien (besonders wichtig für die Bildung der plutonischen Gesteine), über die Diffusion, über die Verbrennungserscheinungen der Gase, über die elektrolytische Gewinnung der Alkali- und Erdalkalimetalle, über Photochemie, Thermoelektrizität und die Theorie der galvanischen Elemente; auch konstruierte er mehrere nach ihm benannte Apparate, wie den Gasbrenner, ein galvanisches Element, ein Photometer, einen Trockenapparat mit selbsttätiger Regulierung u. a. B. stellte Magnesium in größerer Menge dar und entdeckte 1860, daß es beim Verbrennen ein ungemein glänzendes und chemisch wirksames Licht liefert. Er bereicherte auch die analytische Chemie durch Einführung der Flammenreaktionen, arbeitete über die Bestimmung des Harnstoffes und bildete namentlich die Gasanalyse aus; die glänzendste Entdeckung aber, die er 1860 in Gemeinschaft mit Kirchhoff machte, ist die Spektralanalyse, über die beide Gelehrte das Werk »Chemische Analyse mit Spektralbeobachtungen« (Wien 1861) veröffentlichten. Die Spektralanalyse führte ihn zur Entdeckung des Rubidiums und Cäsiums, die er auch isolierte. Er schrieb noch: »Enumeratio ac descriptio hygrometrum« (Götting. 1830); mit Berthold: »Das Eisenoxydhydrat, ein Gegengift des weißen Arseniks oder der arsenigen Säure« (das. 1834, 2. Aufl. 1837); »Schreiben an Berzelius über die Reise nach Island« (Marb. 1846); »Über eine volumetrische Methode von sehr allgemeiner Anwendbarkeit« (Heidelb. 1854); »Gasometrische Methoden« (Braunschw. 1857, 2. Aufl. 1877); »Anleitung zur Analyse der Aschen und Mineralwässer« (Heidelb. 1874, 2. Aufl. 1887); »Flammenreaktionen« (das. 1880, 2. Aufl. 1886). Sein Bildnis s. Tafel »Chemiker II«. Vgl. »Robert Wilhelm B., ein akademisches Gedächtnisblatt« (Heidelb. 1900); Debus, Erinnerungen an R. W. B. (Kassel 1901).

3) Georg von, Politiker, vierter Sohn von B. 1), geb. 7. Nov. 1824 in Rom, gest. 22. Dez. 1896 in London, studierte Philosophie und Geschichte, reiste viel und widmete sich auf einem Landgut bei Bonn der Landwirtschaft. 1862–79 gehörte er dem preußischen Abgeordnetenhaus, 1867–87 auch dem norddeutschen und deutschen Reichstag (seit 1884 als Mitglied der Deutsch-freisinnigen Partei) an und lebte zuletzt in London. Vgl. Marie v. Bunsen, Georg von B., ein Charakterbild aus dem Lager der Besiegten (Berl. 1900). – Von seinen vier Brüdern widmete sich der älteste, Heinrich, geb. 1818 in Rom, in England dem geistlichen Stand und starb 19. März 1855 als Pfarrer in Donnington bei Wolverhampton; der zweite, Ernst, geb. 1819, preuß. Hauptmann a. D., lebt gegenwärtig in London und übersetzte ein anonymes englisches Werk: »William Penn, oder die Zustände Englands 1644–1718«, ins Deutsche (Leipz. 1854) und schrieb: »Die Einheit der Religionen im Zusammenhang mit den Völkerwanderungen der Urzeit und der Geheimlehre« (Berl. 1870, Bd. 1); »The chronology of the Bible« (Lond. 1874; deutsch: »Biblische Gleichzeitigkeiten«, Berl. 1875); »Das Symbol des Kreuzes bei allen Nationen« (das. 1876); »Die Plejaden und der Tierkreis« (das. 1879); »Die Überlieferung« (Leipz. 1889, 2 Bde.); »Islam« (Lond. 1889) u. a. Karl v. B., geb. 1821, gest. 13. März 1887 in Biebrich, stand im diplomatischen Dienst. Theodor, geb. 3. Jan. 1832 in Rom, gest. 7. Jan. 1892 in Heidelberg, begleitete als Attaché die preußische Expedition nach Ostasien, ging 1864 als Legationssekretär nach Rio de Janeiro, wurde 1871 Geschäftsträger in Peru, 1873 in Stockholm, dann in Brüssel, 1874 in Washington, hierauf Generalkonsul in Alexandria, verließ 1876 den Staatsdienst, war 1877–81 nationalliberales Mitglied des deutschen Reichstags.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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