Epiphyten

Epiphyten

Epiphyten (griech., hierzu Tafel »Epiphyten«), auf andern Organismen lebende Gewächse, speziell auf andern Pflanzen wachsende Schmarotzerpilze, die mit dem Mycelium und den Fruktifikationsorganen auf der freien Oberfläche der befallenen Organe der Nährpflanze sich aufhalten, im Gegensatz zu den Endophyten, bei denen das Mycelium im Innern der Gewebe der Nährpflanze lebt. Bei den übrigen Pflanzen unterscheidet man die E. als Überpflanzen oder Scheinschmarotzer von den echten Schmarotzerpflanzen (s. d.) oder Parasiten, die ihre Nahrung einem lebenden Pflanzenkörper entnehmen, während die Scheinschmarotzer denselben nur als Unterlage benutzen; sie werden auch als atmosphärische Pflanzen im Gegensatz zu den Bodengewächsen bezeichnet. Reich entwickelt als besondere Pflanzengenossenschaft treten die E. in den Tropen auf, während in den gemäßigten Klimaten Europas und Nordamerikas die baumbewohnende Vegetation meist nur aus Flechten, Moosen und einigen Algen besteht. Man kann die epiphytische Lebensweise als eine Anpassung betrachten, welche die E. dem Kampf mit den bodenständigen Pflanzen entrückt und sie instandsetzt, ohne den Materialaufwand, den die Ausbildung hochragender Stämme erfordert, ihre Laubausbreitung in günstiger Lichtlage zu entfalten. Die Eigenart des Standortes bedingt bei den E. eine Reihe eigentümlicher Einrichtungen. Die Befestigung des Vegetationskörpers an dem Substrat wird bei vielen E. durch eigne Haftwurzeln bewirkt, die, ähnlich wie die Ranken der Kletterpflanzen gegen Berührung reizbar, sich um die Baumzweige wickeln oder sich dicht den Unebenheiten der Rindenoberfläche anschmiegen und haftscheibenartig mit denselben verwachsen. Schon bei den Keimpflanzen bildet sich bisweilen, z. B. bei der Cyrtandree Aeschynanthus, ganz wie bei echten Parasiten eine Haftscheibe aus, die den Keimling in seiner exponierten Lage befestigt. Bei der zu den Bromeliazeen gehörigen Tillandsia usneoides (Fig. 8) ist dagegen die Wurzel bis auf früh verschwindende Anhängsel verkümmert. Die langen, fadenartig schlaffen Sprosse aber wirren sich infolge ihrer Biegsamkeit leicht im Geäste der Bäume fest und entwickeln sich zu lang herabhängenden moosgrauen Baumbärten, die häufig das Laub des sie tragenden Baumes völlig verdecken. Man unterscheidet bodenständige und rindenständige E. Jene bilden neben den Haftwurzeln lange Nährwurzeln, die, an dem Stamm des Wirtsbaumes abwärtsstrebend, bis zum Erdboden hinabdringen und von dort aus die Pflanze mit Wasser und Nährstoffen versorgen. Hierher gehören Arten von Carludovica, Anthurium und Philodendron und von dikotylen Clusia rosea und einige Feigenbaumarten, wie Ficus religiosa (Fig. 5), sogen. Baumwürger, die mit ihren Nährwurzeln bisweilen den Stamm des Stützbaumes in dichten Maschen umstricken. Sie senden auch von ihren Zweigen Luftwurzeln herab, die allmählich zu stammähnlichen Pfeilern erstarken und der weit ausgreifenden Krone Halt geben, selbst wenn der ursprünglich umklammerte Stützbaum zu Grunde geht.

Die rindenständigen E. sind in bezug auf ihre Wasserversorgung auf das nur zeitweilig zur Verfügung stehende Tau- und Regenwasser angewiesen und zeigen mancherlei Anpassungserscheinungen, die diesem Umstand Rechnung tragen. Manche von ihnen können, wie die epiphytischen Moose und Flechten an unsern einheimischen Bäumen, eine vorübergehende Austrocknung ohne Schaden überstehen. Andre sammeln das ihnen zeitweilig zuströmende Wasser und speichern es auf für den Bedarf zur Zeit der Trockenheit. So besitzen viele epiphytische Orchideen und Arazeen an ihren Wurzeln eine lufthaltige Wurzelhülle (Velamen), die das Wasser wie Löschpapier aufsaugt und in kapillaren Hohlräumen gegen Verdunstung geschützt festhält. Viele Bromeliazeen (z. B. Tillandsia bulbosa, Fig. 6) bilden mit den Scheiden ihrer Blätter Wasserbehälter, von denen aus das Wasser durch eigentümliche Schuppenhaare direkt in das Gewebe aufgenommen werden kann. Auch die eigentümlichen Urnen- oder Schlauchblätter, welche die javanische Asklepiadazee Dischidia Rafflesiana (Fig. 1) neben den gewöhnlichen Laubblättern trägt, dienen als Wasserspeicher, von denen aus die in die Höhlung eindringenden Wurzeln den Sproß auch in der regenfreien Zeit versorgen können. In ähnlicher Weise fungieren bei Dischidia imbricata (Fig. 3) die fleischigen, muschelförmig ausgehöhlten und dem Baumstamm angeschmiegten Laubblätter als Schutzorgane des von ihnen bedeckten Wurzelsystems gegen Austrocknung. Die gleiche Einrichtung des Wurzelschutzes zeigt auch die epiphytische Orchidee Oncidium Limminghii (Fig. 4), bei der sich die Wurzeln im Schutze der abgeflachten Knollen und der muschelförmigen Blattflächen ausbreiten. Diese Pflanze zeigt in ihren Knollen zugleich die Einrichtung innerer Wasserspeicher, die bei den rindenständigen E. gleichfalls eine große Rolle spielen. Meist ist in den Blättern oder angeschwollenen Blattstielen oder in Sproßknollen ein eignes Wassergewebe entwickelt, dessen Zellen bei reichlicher Wasserzufuhr prall gefüllt sind, bei Trockenheit aber unter Zusammenziehung und Faltung ihrer Zellwände ihr Volumen verringern und das Wasser an die wasserbedürftigen Gewebe abgeben können. Als eine Anpassung an die Schwierigkeit der Wasserversorgung bei den rindenständigen E. darf schließlich wohl auch die bei einigen auftretende weitgehende Reduktion des vegetativen Apparates angesehen werden. Bei einigen epiphytischen Orchideen der Gattungen Taeniophyllum und Polyrrhiza besteht z. B. der ganze Vegetationskörper der Hauptsache nach aus einem der Baumrinde angeschmiegten Wurzelsystem, dessen stark abgeflachte Äste grün gefärbt sind und außer der Festheftung und Nahrungsaufnahme zugleich auch die Assimilation, die normale Funktion des hier fehlenden Laubes mit übernehmen. Kleinern E. genügen für ihre Ernährung im allgemeinen die mit dem Wasser zugeführten Nährsalze und die im Moosrasen und in dem Rindenschorfe der von ihnen bewohnten Baumstämme vorhandenen humosen Substanzen; wo aber der Körper des E. eine größere Ausdehnung erreicht, da finden sich vielfach eigne Einrichtungen zum Aufsammeln der im tropischen Urwald stets reichlich vorhandenen Humusmassen. Bei vielen Orchideen, soz. B. dem riesigen Grammatophyllum speciosum Javas, bildet das aufwärts wachsende Wurzelgeflecht ein vogelnest- oder korbartiges Gefüge, in dem sich große Massen herabfallenden Laubes, Zweig- und Rindenstücke, Moose und Flechten ansammeln, die, von den Regengüssen immer tiefer in das Wurzelgeflecht hineingeschwemmt, mächtige Ballen eines humusreichen Detritus bilden, der von den Nährwurzeln der Pflanze durchwuchert und ausgenutzt wird. Auch unter den Farnen finden sich einige vogelnestbildende E. Das riesige Asplenium Nidus und Polypodium Heracleum bilden zwischen den Basen ihrer breiten Blattflächen humussammelnde Behälter. Bei Polypodium quercifolium (Fig. 2) und Platycerium grande (Fig. 7) sind neben den Sporangien tragenden Laubblättern eigenartige Mantel- oder Nischenblätter vorhanden, die sich mit ihrem Grund an den Baumstamm anlehnen und die vom Regen herabgeschwemmten Pflanzenreste aufsammeln.

Die Zahl der zur Pflanzengenossenschaft der E. beisteuernden Familien ist verhältnismäßig sehr gering, einzelne Familien aber, wie Farne, Orchideen, Bromeliazeen, Arazeen und Gesnerazeen, sind durch sehr zahlreiche epiphytische Arten vertreten. Bei allen baumbewohnenden Gewächsen sind die Samen zur Übertragung auf Baumäste geeignet, wo sie hängen bleiben und keimen. Ihre Früchte und Samen haben nämlich teils eine fleischige Hülle und pflegen in diesem Fall von baumbewohnenden Tieren weggetragen zu werden, teils sind sie, wie die Samen der Orchideen und die Sporen der Farne, so leicht und klein, daß sie vom Wind in Rindenrisse oder Moospolster verweht werden, teils endlich besitzen sie besondere Flug- oder Haftapparate. Viele E. bewohnen wegen dieser Verbreitungsfähigkeit ihrer Samen oder Sporen ein sehr großes Gebiet; manche Farne, Lykopodiazeen und auch einige Phanerogamen finden sich sowohl auf der westlichen als der östlichen Halbkugel; sehr zahlreiche E. folgen dem tropisch amerikanischen Urwald in seiner ganzen Ausdehnung und gehen teilweise über seine Grenzen hinaus. Fast überall zeigen die E. Amerikas trotz ihrer Artunterschiede einen gleichartigen physiognomischen Charakter; vorwiegend treten dort Bromeliazeen (Tillandsia, Aechmea u.a.), zwei Gattungen der Arazeen (Anthurium, Philodendron), viele Orchideen (Pleurothallis, Epidendrum u.a.) in Hunderten von Arten, außerdem Peperomien, Gesnerazeen, Kakteen und viele Farne auf, während E. aus andern Familien, mit Ausnahme von Clusia und einigen Ficus-Arten, sehr zurücktreten. Die üppigste Entwickelung zeigen die E. an Bergabhängen, an denen die Luft mit Wasserdampf beinahe vollständig gesättigt ist, sowie reichlicher Tau und Regen die Wurzeln der Pflanzen und ihre Unter lage stets feucht erhalten; oberhalb der in den amerikanisch-tropischen Gebirgen zwischen 1300 und 1600 m liegenden Wolkenregion sinkt die Zahl der E., keineswegs aber infolge der Temperaturabnahme, da an den feuchten südlichen Abhängen des östlichen Himalaja die E. bis in die Nähe der Baumgrenze aufsteigen; zwischen 1200 und 1800 m treten dort zahlreiche Pflanzentypen der gemäßigten Zone (z. B. Arten von Rhododendron, Vaccinium, Pirus, Ribes, Evonymus u.a.) als E. auf, so daß also unzweifelhaft auch nichttropische Pflanzen epiphytische Lebensweise anzunehmen imstande sind, sofern nur der Wasserdampfgehalt der Luft und die Regenmenge groß genug werden, um den Bodenpflanzen das Übertreten zum atmosphärischen Baumleben zu gestatten. Ein zweiter kleinerer Entstehungsort der E. findet sich nur noch im antarktischen Waldgebiet, speziell in Südchile, dessen außerordentliche Feuchtigkeit ähnlich wie in Neuseeland eine eigenartige, wenn auch an Artenzahl wenig umfangreiche Vegetation von E., darunter besonders merkwürdige baumbewohnende Liliazeen (Luzuriaga in Südchile, Astelia in Neuseeland), hervorgerufen hat. Nur diejenigen Gebiete der Erde, die, wie im tropischen Amerika, in Sikkim, auf dem Malaiischen Archipel, in Südchina etc., eine jährliche Regenmenge von mehr als 200 cm aufweisen, besitzen eine eingeborne Flora von E.; da in Afrika derartige Gebiete wenig umfangreich sind, so erklärt sich die auffallende Armut dieses Weltteils an E. Vgl. Schimper, Die epiphytische Vegetation Amerikas (Jena 1888); Göbel, Pflanzenbiologische Schilderungen, Bd. 1 (Marb. 1889); Haberland, Eine botanische Tropenreise (Leipz. 1893).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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