Fideïkommíß

Fideïkommíß

Fideïkommíß (Fidĕicom missum), nach röm. Recht ursprünglich jede formlose letztwillige Verfügung, deren Erfüllung bloß dem Gewissen (fidei) des Erben überlassen und deren Vollzug nicht erzwingbar war. Nach gemeinem Recht verstand man unter F. die letztwillige Verfügung eines Erblassers (fidei-committens), wodurch derselbe seinen Erben oder wer sonst etwas mit seinem Willen auf Kosten des Nachlasses zugewendet erhält, verpflichtet, einem Dritten (Fideikommissar) eine vermögensrechtliche Leistung zu machen.

Das Wesen des Familienfideikommisses, in Sachsen Familienanwartschaft genannt, besteht im deutschen Rechte darin, daß ein Vermögensinbegriff, insbes. Grundbesitz, durch Beschränkung der Veräußerung und Belastung und durch die Ausstellung einer den Mannesstamm bevorzugenden Nachfolgeordnung der Bestimmung zugeführt wird, einer Familie in der Person des jeweiligen Fideikommißbesitzers eine wirtschaftlich sichere und damit zugleich eine in der Gesellschaft hervorragende Stellung zu verschaffen. Der Nachfolger tritt ex pacto et providentia maiorum ein; der Anwärter leitet sein Recht nicht von dem Vorgänger, sondern von dem Stifter und aus der Stiftung ab. Die Errichtung des Fideikommisses erfolgt sowohl durch Rechtsgeschäft unter Lebenden als durch Verfügung von Todes wegen; gemeinrechtlich bedarf sie der obrigkeitlichen Bestätigung nich t, dagegen ist partikularrechtlich vielfach richterliche, auch landesherrliche Bestätigung gefordert (Preußen, Bayern, Sachsen, Österreich). Der jeweilige Inhaber des Fideikommisses hat die volle Nutzung des Gutes mit der Verpflichtung, dasselbe in gehörigem Stande zu erhalten. Das F. haftet seiner Substanz nach nur für die sogen. Fideikommißschulden, d. h. solche, die der Stifter selbst auf das F. gelegt hat, und solche, die zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Gutes kontrahiert wurden. Der sukzessionsfähige Anwärter hat mit seiner Geburt ein unentziehbares Folgerecht in das F. Nach dem sächsischen Familienanwartschaftengesetz (§ 74) kann jedoch der Anwartschaftsbesitzer den Sohn aus denselben Gründen von der Nachfolge ausschließen, aus denen er ihm den Pflichtteil entziehen kann. Die Sukzessionsfähigkeit ist in den einzelnen Gesetzen verschieden geregelt. Die Erbfolge in das F. ist Singularsukzession; der Fideikommißfolger braucht nicht Allodialerbe des frühern Inhabers zu sein; ist der Fideikommißfolger nicht oder nicht allein Allodialerbe, so findet eine Sonderung nach Analogie der Lehnssonderung statt. Die Sukzessionsordnung bestimmt sich zunächst nach Verfügung des Stifters, eventuell nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts; partikularrechtlich ist mit dem F. vielfach eine besondere Erbfolgeordnung, namentlich eine solche nach den Grundsätzen der Primogenitur (s.d.) oder des Majorats, Seniorats verbunden. Eine Aufhebung des Fideikommisses tritt ein mit dem Tode des letzten sukzessionsfähigen Anwärters, mit dem das betreffende Gut freies Eigentum wird. Partikularrechtlich (z. B. in Preußen, Österreich, Bayern, Sachsen) wird das F. auch aufgehoben durch übereinstimmenden Beschluß der gegenwärtigen Interessenten unter Zustimmung eines Kurators für die noch ungebornen Folger. In Frankreich wurden die Familienfideikommisse durch die Revolution beseitigt. Durch die Einführung des Code Napoléon in verschiedenen deutschen Ländern trat das darin enthaltene Verbot der Fideikommisse auch dort in Kraft. Außerdem besteht es auch z. B. in Oldenburg. Durch Art. 59 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch bleiben die landesrechtlichen Vorschriften über deutschrechtliche Familienfideikommisse unberührt. Die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen finden sich für a) Preußen: Allgemeines Landrecht II, 4, § 47–226. Gesetz über Familienschlüsse vom 15. Febr. 1840; Gesetz, die Kompetenz der Gerichtsbehörden in Familienfideikommißsachen betreffend, vom 5. März 1855; hannöversches Gesetz über die Errichtung von Familienfideikommissen vom 13. April 1836. Ein neues Gesetz ist in Vorbereitung und der »Vorläufige Entwurf eines Gesetzes über Familienfideikommisse« Ende 1903 bereits der Öffentlichkeit übergeben worden. b) Bayern: Edikt über die Familienfideikommisse vom 26. Mai 1818 (Beilage VII zum Titel V der Verfassungsurkunde); Gesetz, die Anwendung und Vollziehung einiger Bestimmungen über Familienfideikommisse betreffend, vom 11. Sept. 1825; c) Sachsen: Gesetz über Familienanwartschaften vom 7. Juli 1900; d) Baden: Landrecht, Satz 577 c a bis c v; e) Hessen: Gesetz, die Familienfideikommisse betreffend, vom 13. Sept. 1858, Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 17. Juli 1899, Art. 277ff.; f) Mecklenburg-Schwerin: Verordnung zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuches vom 9. April 1899, § 125–145; g) Sachsen-Weimar: Gesetz über die bei Errichtung von Familienfideikommissen und ähnlichen Stiftungen zu beobachtende Form vom 22. April 1833; h) Braunschweig: Gesetz, die Errichtung von Familienstammgütern betreffend, vom 20. Mai 1358. Das in fürstlichen Häusern vorhandene Familienfideikommißgut wird Kronfideikommiß genannt (s. Domäne). Vgl. Lewis, Das Recht des Familienfideikommisses (Berl. 1868); Hager, Familienfideikommisse (Jena 1897).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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