Astrophysik

Astrophysik

Astrophysik (physikalische Astronomie; hierzu die Tafel »Astrophysikalische Instrumente« mit Text), der Teil der praktischen Astronomie (s. d.), der mittels physikalischer Methoden vorwiegend die Erforschung der physischen Beschaffenheit der Himmelskörper bezweckt: die Astrophotographie baut auf der Photographie der Gestirne die Forschung auf, die Astrophotometrie bestimmt die Helligkeit der Gestirne, die Astrospektroskopie, die Spektralanalyse der Gestirne, untersucht die Spektren der Gestirne. Die A. entstand erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh., ist aber in dem letzten Jahrzehnt zu hoher Entwickelung gelangt und hat bereits zu den wichtigsten Entdeckungen geführt. Zur Pflege der A. sind besondere astrophysikalische Institute errichtet worden, so in Heidelberg, Potsdam, Meudon, Washington etc. Die Beschreibung der benutzten Instrumente s. auf beifolgender Tafel. Die Astrophotographie entstand bald nach Daguerres Erfindung der Photographie. Das erste Daguerreotyp der Sonne erhielten Foucault und Fizeau in Paris 1845 mit einer Belichtung von 1/60 Sekunde. 1857, nach Erfindung des nassen Kolodiumverfahrens, erhielt Bond schon bei einer Belichtung von 8 Sekunden ein Bild des Doppelsternes ζ (Mizar) im Großen Bären, das eine genaue Messung des Abstandes und Positionswinkels der Komponenten gestattete. Von 1858–72 führte Warren de la Rue mit seinem Photoheliographen fortlaufend photographische Aufnahmen der Sonne aus, die einen hohen wissenschaftlichen Wert besaßen. Bei der totalen Sonnenfinsternis von 1851 erhielt Barkowski in Königsberg ein Daguerreotyp, das die Korona zeigt; in systematischer Weise aber wurde die Photographie erst bei der Finsternis vom 18. Juli 1860 in Spanien verwendet, und die Übereinstimmung der Aufnahmen, die Warren de la Rue zu Rivabellosa und Secchi in Desierto de las Palmas, 88 km weiter südöstlich, erhalten hatten, hat vorzugsweise die reelle Existenz der Protuberanzen und ihre Zugehörigkeit zur Sonne bewiesen. Mit Erfolg wurde auch, besonders von Franzosen und Amerikanern, die Photographie bei den Venusdurchgängen von 1874 und 1882 verwendet, um das Fortschreiten der Venus über die Sonnenscheibe aufzuzeichnen, und aus diesen Aufnahmen wurden sehr gute Bestimmungen der Sonnenparallaxe erhalten. Vorzügliche photographische Aufnahmen von Fixsternen und Sterngruppen (Plejaden, Praesepe u. a.) lieferte Rutherford, der zuerst 1864 ein Fernrohr mit einem für chemisch wirksame Strahlen achromatisierten Objektiv von 28 cm Öffnung konstruierte. Nach der Erfindung der photographischen Trockenplatte durch Maddox (1871) wurde die Astrophotographie mit großem Erfolg auf fast alle Himmelskörper angewendet. Von der Sonne und ihrem Fleckenzustande werden jetzt regelmäßig Aufnahmen auf verschiedenen Observatorien angefertigt; auch die Fackeln und Protuberanzen können photagraphiert werden mit dem von Hale konstruierten Spektroheliographen, der Aufnahmen im monochromatischen Licht, im Lichte der K-Linie, gestattet, welches Licht von den Fackeln und Protuberanzen besonders intensiv ausgestrahlt wird. Die photographischen Aufnahmen der Sonnenfinsternisse haben unsre Kenntnis von der Natur der Korona und von der Sonnenatmosphäre wesentlich erweitert (vgl. Sonne). Bei den großen Planeten hat die Astrophotographie keine besondern Erfolge gehabt. Die Photographien der Oberflächen von Jupiter und Saturn lassen zwar mancherlei Detail erkennen, bleiben jedoch weit hinter den nach Okularbeobachtungen angefertigten Zeichnungen zurück Dagegen ist für die Auffindung von kleinen Planeten die Photographie mit großem Erfolg angewendet worden. Wenn man mit einem photographischen Fernrohr (vgl. Tafel) von einer Gegend des Himmels eine Daueraufnahme von etwa einer Stunde macht, so wird ein kleiner Planet, der in jener Gegend gestanden hat, sofort leicht auf der photographischen Platte erkannt, da er infolge seiner eignen Bewegung als ein kleiner Strich erscheint, während die Fixsterne als Punkte abgebildet sind. Die Größe und Richtung dieses Striches gibt zugleich ein Maß der Bewegungsgröße und -Richtung des Planeten. Auf diese Weise fand zuerst Wolf in Heidelberg 22. Dez. 1891 den Planeten (323) Brucia, dem seitdem noch viele andre gefolgt sind. Bis Ende 1901 sind über 150 kleine Planeten auf photographischem Wege entdeckt worden. Sehr große Erfolge hat auch die Photographie der Mondoberfläche geliefert, besonders durch die auf der Lick-Sternwarte und in Paris (durch Loewy u. Puiseux) hergestellten Ausnahmen. Die erste photographische Aufnahme eines Kometen gelang Janßen beim Kometen 1881 III, seitdem sind von den meisten der hellern Kometen Aufnahmen gefertigt worden, die wichtige Resultate für die Konstitution dieser Himmelskörper ergeben haben; auch sind bereits mehrere Kometen auf photographischem Wege entdeckt worden. Auch für die genaue Erforschung der lichtschwachen Nebelflecke, die von verschiedenen Beobachtern ganz verschieden beschrieben und gezeichnet worden sind, ist die Photographie von besonderer Bedeutung geworden, weil für die photographische Platte die Lichtschwäche durch die längere Dauer der Belichtung kompensiert werden kann. So hat eine vierstündige Aufnahme des großen Andromeda-Nebels durch Roberts ergeben, daß derselbe ein Spiralnebel ist (vgl. Tafel »Nebel«), und bei andern Nebelflecken hat sich Ähnliches ergeben. Auch sind viele neue Nebelflecke durch die Photographie entdeckt worden. Von besonderer Wichtigkeit ist die Photographie des Fixsternhimmels, da sie ermöglicht, in sehr kurzer Zeit auf der photographischen Platte ein getreues Abbild des jeweiligen Zustandes eines großen Teiles des Fixsternhimmels festzulegen, der spätern Zeiten die Erkenntnis von Veränderungen der Stellung der Gestirne oder ihrer Helligkeit wesentlich erleichtert. Schon jetzt war es möglich, bei der Entdeckung von neuen Sternen und beim Planeten Eros, diese auf ältern, vor der betreffenden Entdeckung aufgenommenen Platten aufzufinden und ihr Verhalten vor ihrer Entdeckung festzustellen. In noch höherm Maße wird dies möglich sein nach Vollendung der photographischen Himmelskarte, deren Herstellung von dem 1887 in Paris versammelten internationalen astronomischen Kongreß beschlossen wurde. Das Unternehmen, an dem sich 18 Sternwarten der Nord- und Südhalbkugel beteiligen, zerfällt in zwei Teile. Der eine Teil bezweckt photographische Aufnahmen zur Herstellung eines Sternkatalogs, der die genauen Positionen aller Sterne des nördlichen und südlichen Himmels bis zur 11. Größe herab angibt; die Zahl dieser Sterne beträgt ungefähr 2 Mill. Bei den hierfür benutzten photographischen Refraktoren (vgl. Tafel) genügt eine Exposition von 3 Minuten, um die Sterne bis zur 11. Größe abzubilden. Jede der 18 Sternwarten muß für den Katalog ungefähr 1200 Platten aufnehmen, um zweimal die Gegend des Himmels zu bedecken, die ihr zugeteilt war. Ein großer Teil dieser Arbeit ist bereits vollendet. Den zweiten Teil des Unternehmens bildet die eigentliche Himmelskarte, die alle Sterne bis zur 14. Größe enthalten soll. Die Expositionszeit muß für diese Platten viel länger sein als für die Katalogplatten, und man hat für normale Luftbeschaffenheit eine Exposition von einer Stunde festgesetzt. Infolgedessen wird die Ausführung dieser Arbeit viel längere Zeit erfordern. Die Zahl der Sterne, welche die ganze Karte enthalten wird, schätzt man auf 30 Mill. Von dieser Karte sind im August 1902 bereits 328 Blätter in Heliogravüre erschienen.

Für die Astrophotometrie hatte bereits Lambert die theoretischen Grundlagen in seiner »Photometria« (1760) geliefert, dach hat die praktische Anwendung derselben erst in der neuesten Zeit Erfolge gehabt. Herschels Astrometer und Aragos Vorschläge erwiesen sich als unbrauchbar, erst Steinheils Prismenphotometer, das auf Verbreiterung der Sterne zu Lichtflächen und Vergleichung der Helligkeit der letztern basiert, genügte den Anforderungen der Praxis, und Seidel hat damit die ersten wertvollen Messungen gemacht. In den letzten Jahrzehnten sind besonders drei Instrumente zur Ermittelung genauer numerischer Werte für die Helligkeit der Sterne angewendet worden: Zöllners Polarisations-Astrophotometer, Pickerings Meridianphotometer und Pritchards Keilphotometer. Bei Zöllners Polarisationsphotometer wird der Stern mit dem Licht einer Petroleumflamme verglichen, das durch polarisierende Medien so weit abgeschwächt wird, daß es genau die Helligkeit des Sternes erreicht. Abbildung und Beschreibung eines Zöllnerschen Polarisationsphotometers des astrophysikalischen Observatoriums in Potsdam s. Tafel, S. II u. III. Mit diesem Instrument wird von Müller und Kempf in Potsdam eine »Photometrische Durchmusterung des nördlichen Himmels, enthaltend alle Sterne der Bonner Durchmusterung bis zur Größe 7,5«, durchgeführt, wovon bis jetzt 2 Teile erschienen sind (Leipz. 1894–99). Auch bei dem Meridianphotometer von Pickering wird die Polarisation des Lichtes zur Abschwächung der Intensität verwendet; hier wird aber ein jeder Stern, wenn er im Meridian oder in dessen Nähe steht, mit dem Polarstern oder dem Stern λ im Kleinen Bären verglichen. Mit diesem Instrument sind in Cambridge (Vereinigte Staaten) von Pickering u. a. zahlreiche Helligkeitsmessungen von Sternen der Bonner Durchmusterung bis zur Größe 9,0 ausgeführt worden. Das Keilphotometer von Pritchard, dessen Idee schon 1843 von Piazzi, Smyth und 1862 von E. Kayser entwickelt worden ist, besteht aus einem keilförmigen Stück von alle Farben gleichmäßig absorbierendem Glas, das in den Weg der Lichtstrahlen so weit eingeschoben wird, bis der Stern erlischt. Da die Lichtabsorption proportional der Dicke der im Keil durchlaufenen Schicht ist, so ergibt sich die Lichtstärke des Sternes, wenn man die Anzahl Skalenteile, um die der Keil bis zum Verschwinden des Sternes verschoben werden mußte, mit einer gewissen konstanten Zahl multipliziert. Pritchard hat in der »Uranometria nova Oxoniensis« (Oxford 1885) die in Oxford mit einem solchen Instrument an 2786 zwischen dem Nordpol und 10° südl. Deklination liegenden, mit bloßem Auge sichtbaren Sternen ausgeführten Messungen veröffentlicht. Das Keilphotometer läßt sich leicht an jedem Instrument anbringen und bequem handhaben; doch wird seine Anwendung durch die Helligkeit des Himmelsgrundes und die veränderliche Empfindlichkeit des Auges für verschwindende Lichteindrücke wesentlich beeinflußt. Bei der photographischen Aufnahme von Sternen erscheinen dieselben als kleine, ziemlich scharf begrenzte Scheibchen, sofern man ein für die chemischen Strahlen achromatisiertes Objektiv oder einen Spiegel für die Aufnahme verwendet. Je heller ein Stern, desto größer ist der Durchmesser des von ihm erzeugten Scheibchens, und die gemessenen Durchmesser der Sternscheibchen gestatten daher einen Schluß auf die Sterngrößen, doch ist es erforderlich, für jede Platte das relative Verhältnis von Sterngröße und Durchmesser der Bildscheibchen aus bekannten Anhaltsternen zu ermitteln.

Die Astrospektroskopie oder die Spektralanalyse der Gestirne bezweckt die Bestimmung der Beschaffenheit der Himmelskörper durch die Untersuchung ihrer Spektren. Begründet ist sie durch Fraunhofers Entdeckung der Absorptionslinien im Sonnenspektrum und durch Kirchhoffs Satz von der Beziehung zwischen Absorptions- und Emissionsspektrum. Die Anwendung dieses Satzes auf die Spektren der Gestirne ergibt direkten Aufschluß über ihre physische Konstitution und führte zu einer zuerst von Secchi aufgestellten, dann von Vogel modifizierten Klassifikation der Fixsterne (s. d.) nach ihrem spektroskopischen Verhalten. Wesentliche Fortschritte brachte die Einführung der Photographie in die Spektralanalyse, die Spektrographie, an Stelle der bis dahin ausschließlich ausgeführten Okularbeobachtung der Sternspektren. Huggins, Vogel und Pickering erzielten die ersten Erfolge auf diesem Wege und begründeten einen neuen Zweig der Astrospektroskopie, die Bestimmung von Bewegungen der Gestirne aus ihren Spektren unter Zugrundelegung des Dopplerschen Prinzips. Dies führte zur Entdeckung mehrerer Doppelsterne durch die auf einzelnen Photographien auftretende Verdoppelung der sonst einfachen Spektrallinien, eine Erscheinung, die sich nach dem Dopplerschen Prinzip aus der entgegengesetzten Bewegung der beiden Komponenten des Sternes in Richtung der Gesichtslinie und der bei beiden Komponenten nach entgegengesetzter Richlung erfolgenden Verschiebung ein und derselben Spektrallinie erklärt. Auf diese Art ist besonders der Hauptstern des Doppelsternes Mizar (ζ im Großen Bären) von Pickering als doppelt erkannt worden (vgl. Fixsterne). Auch die Bewegung der Sterne in der Gesichtslinie kann, wie Vogel zuerst zeigte, auf diese Weise untersucht werden. Hierbei wird die Lage einer bestimmten Spektrallinie des Sternes verglichen mit derselben Linie im Spektrum einer ruhenden Lichtquelle, deren Licht in derselben Richtung wie das des Sternes auffällt, und aus Richtung und Größe der Verschiebung der Linie im Sternspektrum gegen diejenige der festen Lichtquelle ergibt sich dann Richtung und Größe der Bewegung des Sternes in der Gesichtslinie. Vgl. Artikel »Fixsterne« und Scheiner, Photographie der Gestirne (Leipz. 1897); Derselbe, Spektralanalyse der Gestirne (das. 1890); G. Müller, Photometrie der Gestirne (das. 1897).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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