Deutsche Mythologie

Deutsche Mythologie

Deutsche Mythologie, die Religion der in der Germania magna (s. Deutschland, a. Geogr.) wohnenden Völker, als Alemannen, Sachsen, Franken, Friesen, Katten, Thüringer etc. Die auf unsere Zeit gekommenen Nachrichten von derselben sind wenig u. ohne Zusammenhang; griechische u. römische Schriftsteller nennen nur einzelne Götternamen nach der Ähnlichkeit der Bedeutung der von ihren Völkern verehrten Götter, u. auch die christlichen Schriftsteller geben ihre Nachrichten meist von ihrem Standpunkte nicht rein u. ungetrübt; selbst die Vergleichung der Nordischen Mythologie (s.d.), welche doch ursprünglich mit der D. M. innig verwandt gewesen ist, gibt für diese keine sichere Quelle, da sie selbst in der uns bekannten Gestalt erst später in umgestalteter u. modificirter Weise aufgezeichnet worden ist. Einmischungen fremder Religionsansichten u. Culte zeigen sich bei den Grenzvölkern; so sind bei den Alemannen u. Franken celtische, in den nordöstlichen Landen slawische, lithauische, finnische Mythen eingedrungen; auch zeigen sich Beziehungen zu dem griechischen Glauben. Die Deutschen verehrten mehrere Götter; Cäsar sagt, nur solche, welche sie sahen u. durch deren Gaben u. Wohlthaten sie sichtbar unterstützt wurden, u. nennt bes. drei mit römischen Namen, Sonne, Vulcan u. Mond. Die einheimischen Namen waren Wuotan (Wodan, s.d.), der oberste Gott, seine Gemahlin Freia (s.d.), die Göttin des Hauses u. der Ehe; Zio (s.d.), der Kriegsgott; Fro (s.d.), welcher das Gedeihen der Saaten gab, u. seine Gemahlin Frouwa; dazu wohl noch der erst spät erwähnte Phol od. Paltar (der nordische Balder, s.d.) u. Fosite (s.d.); Thunar (Donar, s.d.), der Wolkensammler u. Gewittersender; als allgemein verehrter Stammvater des Volkes galt Tuisko, welcher die Idee des griechischen Uranos u. Zeus vereinigen soll, u. sein Sohn Mannus, welchen man mit dem anderwärts genannten Irmin u. mit dem griechischen Herakles identificirt. Specialgötter einzelner Stämme waren: Nerthus (s.d., sonst gewöhnlich Hertha), die Göttin der Fruchtbarkeit u. Jagd auf einer Insel an der norddeutschen Küste; die Alces, ein Brüderpaar (wie Castor u. Pollux, in einem Haine bei den Nahavalen), Eostra bei den Sachsen etc. verehrt. Andere Göttinnen scheinen nur verschiedene Namen derselben Götterwesen zu sein, so Hludana (Frau Holle) u. Cisa (s. b.) dieselben wie Freia etc. Als Neben- u. Untergottheiten (Dämonen) galten die Riesen (s.d.), ein plumpes, rohes, der Menschenbildung an Gestalt sich näherndes Geschlecht aus der frühesten Vergangenheit, die sich von den Menschen zurückgezogen hatten u. auf Bergen u. Felsen hausten, Steine u. Felsen waren ihre Waffen, Bergversetzungen u. ungeheuere Bauten ihre Beschäftigung; das Christenthum schuf sie zu Teufeln um. Im geraden Gegensatz zu ihnen stehen die Zwerge, sie erschienen bei den Menschen bald gutartig u. menschenfreundlich u. bei feierlichen od. besonderen Anlässen, um Geschenke u. Hülfe zu bringen; bald als boshafte Gesellen u. arge Zauberer, welche den Menschen neckten u. Böses brachten. Berggeister, als Elbe (Elfen), unter ihnen Bilwiz (s.d.); Waldgeister, bes. der Wilde Jäger, Schrat (s. b.); Wassergeister sind bes. die Nixen (s.d.); zahlreich waren die freundlichen u. vertraulichen Hausgeister (s. Kobolde), die mit den Menschen unter dem Dach od. wenigstens im Gehöfe wohnten; Plage- u. Quälgeister störten durch nächtliches Poltern u. Pochen den Hauseigenthümer in seiner Ruhe u. warfen Steine auf die Vorübergehenden. Heilige Thiere waren Pferde u. Rinder; mit Scheu betrachtete man den Bären, Wolf u. Fuchs; in Vögel verwandelten sich gern Götter u. Göttinnen, heilig war bes. der Adler, Rabe, Specht; der Kukuk hatte die Gabe der Weissagung. Schlangen waren wegen ihrer Schrecklichkeit bes. geehrt, aus ihnen entstanden die Sagen vom Drachen. Die Kosmogonie der D. M. scheint bei den verschiedenen Stämmen u. in verschiedenen Zeiten mannichfaltig umgebildet gewesen zu sein; gemeinschaftlich war der Glaube, daß die Götter aus dem Chaos hervorgegangen u. Bildner u. Ordner der Welt waren. Die eschatologischen Ansichten setzten ein Fortleben nach dem Tode in der großen Todtenstätte Walhalla (s.d.).

Der Cultus in Vergleich mit dem der Römer u. Griechen, selbst mit dem der Celten, war einfach; Göttersitze (Götterstühle) waren nicht allgemein Häuser, sondern Bäume u. Haine; da wohnte die Gottheit u. offenbarte sich in dem Rauschen der Blätter. Einzelne Gottheiten hausten auch auf Bergen, in Felsenhöhlen od. Flüssen. Indeß finden sich auch von Tempeln in alten Quellen Zeugnisse, in denen wohl auch geschnitzte Götterbilder warendenn obgleich Cäsar u. Tacitus beides leugnen, so ist doch in der christlichen Zeit öfter von Zerstörung der Idole der Deutschen (vgl. Irmensul) die Rede, u. dergleichen in kleinerem Maßstabe, namentlich von Sonne u. Mond, haben sich bei Ausgrabungen gefunden (welche aber freilich auch von anderen eingewanderten Völkern, wie Celten u. Slawen stammen können). Heilige Plätze waren: Berge u. Hügel, namentlich der Blocksberg, das Riesengebirge, der Meißner, der Todtenstein (s.d.a.) etc.; in hohem Ansehen standen Wälder u. Bäume, bes. Eichen, auch Buchen u. Linden. Haine waren einzelnen Gottheiten, Bäume einzelnen Elben, Wald- u. Hausgeistern heilig; die Haine durften nicht von Profanen betreten, die Bäume nicht des Laubes od. der Zweige beraubt od. gar umgehauen werden. Der Cultus bestand in Gebet zu den Göttern, die Opfer waren Dank- u. Sühnopfer, man opferte auch vor der Weissagung, nach Siegen, bei Königswahlen u.a. außerordentlichen Gelegenheiten. Als Opfer wurden gebracht Pferde, Rinder, Eber, Widder, Böcke, selbst Menschen; die Farbe der Opferthiere war bes. weiß; außerdem ließ man den Göttern einen Haufen Ähren stehen, bekränzte die heiligen Bäume, stellte den Hausgöttern bei Festmahlen einen Theil der Speise hin. Feste werden zwar nicht in den Quellen der D. M. genannt, doch aber hatten die Deutschen wahrscheinlich als Hauptfeste das Juel-, das Oster- u. Sommerfest. Die Priester waren beim Gottesdienst u. bei Volksversammlungen u. Volksgerichten thätig, bei dem Heere trugen sie die heiligen Zeichen gegen den Feind; für Hausangelegenheiten konnte auch der Hausvater die Stelle des Priesters vertreten. Die Weihsage besorgten bes. heilige Frauen, Alrunen (s.d.); u. zwar weissagten sie aus dem Wiehern der Pferde (s.d.),[920] aus den Eingeweiden bei Opferthiere, aus dem Blute geschlachteter Kriegsgefangener, aus geworfenen Loosen, aus der Wasserschau etc. Vgl. Schedius, De diis germanis. Amsterd. 1648; G. Schütz, Exercitationes ad Germaniam sacram gentilem facientes, Lpz. 1748; Möser, De vett. Germanorum et Gallorum theologia. 1749; Meyer, Erörterung des ehemaligen Religionswesens der Deutschen. Lpz. 1756; Hermann, De puriori Dei cultu naturali veterum Germanorum. Baireuth 1761; Siebenkees, Von der Religion der alten Deutschen, Altdorf 1771; Reinhold, Beiträge einer Mythologie der alten deutschen Götter, Münst. 1791; Loos, Die Götterlehre der alten Deutschen, Köln 1804; Scheller, Mythologie der nordischen u. deutschen Völker, Regensb. 1816; Braun, Die Religion der alten Deutschen, Mainz 1819; Mone, Geschichte des Heidenthums im nördlichen Europa, Lpz. 1819–23, 2 Bde. (bes. Bd. 2); Bönisch, Die Götter Deutschlands (vorzüglich Sachsens u. der Lausitz), Kamenz 1830; Legis, Handbuch der altdeutschen u. nordischen Götterlehre, Lpz. 1831; Barth, Altdeutsche Religion, ebd. 1832; I. Grimm, Deutsche Mythologie, Gött. 1835, 2. A. 1844; Simrock, Handbuch der Deutschen Mythologie, Bonn 1852–55; Panzer, Beitrag zur Deutschen Mythologie, Münch. 1848–55, 2 Bde.; J. W. Wolf, Zeitschrift für Deutsche Mythologie u. Sittenkunde, Gött. 1853–55, 2 Bde.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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