Tataren [2]

Tataren [2]

Tataren (Gesch.). Die T. waren ursprünglich ein Stamm des großen Mongolenvolkes (dessen Geschichte s.u. Mongolen) u. erst seit dem 13. Jahrh. wurde der Name T. Bezeichnung für die westlichen Mongolen u. die von denselben unterworfenen verwandten od. ähnlichen Stämme, wie die Türken (s.d.), indem nach Dschingiskhans Tode, 1227, dessen Oheim Tuschi das Reich Kiptschak (Kaptschak) an der Wolga gründete u. Tuschi's Sohn, Batu, erobernd durch die Länder am Kaspischen Meer, Rußland u. Ungarn bis Schlesien drang u. in Europa diese Horden wie aus der Unterwelt (Tartarus) Gekommene Tartaren genannt wurden. A) Das Reich Kiptschak od. die Goldene Horde. Das Reich Kiptschak bestand aus den Ländern an der Wolga, aus Großbulgarien, den Reichen Kasan u. Astrachan u. sämmtlichen russischen Fürstenthümern. Batu's Sohn, Bereke, verlegte 1256 seine Residenz nach Sarai (s.d.) an der Wolga u. nahm bald darauf mit seinem Volke statt des Buddhismus den Islam an. Schon 1248 hatte Batu die Districte am Aralsee seinem Bruder Scheibani Khan gegeben, welcher das Reich Turan od. der Usbeken (s.d.) gründete; der Sohn desselben, Bahadur, zog später unter Bereke noch die Weiße Horde nach sich. 1261 trennten sich auch die Nogaitataren unter dem Khan Nogai (s. unten B) von dem Reiche Kiptschak, ja Nogai erhielt solche Macht, daß er den Nachfolger Bereke's, Tellebuga, absetzen u. tödten, dessen Bruder, Tochta Khan, aber zum Khan der Goldenen Horde u. von Kiptschak erheben konnte. Tochta Khan hielt die Russen in Zaum, erschlug Nogai u. st. 1312. Sein Sohn, der kaum 16jährige Usbek, verfuhr bes. hart gegen die Russen, trieb den Zins von Weltlichen u. Geistlichen streng ein u. verheerte das Land mit Feuer u. Schwert. Er ließ den Großfürsten Michael von Moskau, welcher in seine Residenz Sarai kam, um Frieden zu bitten (1320), u. dessen Sohn Dimitri (1324) hinrichten u. setzte Alexander als Großfürsten von Rußland ein (s. Russisches Reich S. 521). Als die Twerer, aus Furcht zum Islam gezwungen zu werden, 1328 eine tatarische Gesandtschaft erschlugen, eroberte u. zerstörte Usbek Twer u. mehre Städte, tödtete die Einwohner od. führte sie als Sklaven fort u. ließ 1338 den Großfürsten Alexander u. dessen Sohn nebst andern russischen Fürsten hinrichten, erregte aber hierdurch große Erbiterung unter den Russen. Unter Usbek's Nachfolger, Tschanibek (Berdibek), welcher seine beiden Brüder ermordet hatte, um zum Throne zu gelangen, kam der Friede mit den Russen, welche unter Iwan I. einen erbitterten Krieg gegen die T. geführt hatten, unter dem Großfürsten Simeon zu Stande, dagegen fielen die T.[272] 1351 in Polen u. Ungarn ein, aber König Ludwig von Ungarn trieb sie zurück. Tschanibek st. 1359; sein Sohn Kulpa aber, dessen beide Söhne Christen geworden waren, wurde bald nach ihm von Nawelus, einem Nachkommen Dschingiskhans, ermordet. Nawelus ernannte den Fürsten Dimitri von Susdal zum Großfürsten von Rußland, wurde. aber von seinem Feldherrn Chidyr ermordet, welcher nun Großkhan wurde, aber von seinem Sohne Temir Koscha 1361 erschlagen ward, welchen wiederum Mamai, ein Hordenführer, nach sechs Tagen tödtete. Nun wurde Awdul zum Khan erhoben, hoch regierte Mamai fast ganz für ihn. Unter dem Großfürsten Dimitri IV. dachten die Russen ernstlich daran das Joch der T. abzuwerfen u. schlugen mehre tatarische Einfälle in Rußland ab. Innere Zerrüttungen hatten das Tatarenreich geschwächt; as schien aber aufs Neue aus seinem Verfall sich zu erheben, als 1370 Mamai-Khan zum Großkhan erhoben wurde. Er versöhnte sich mit Dimitri IV., welcher selbst in die Horde kam, u. erließ ihm einen Theil des Tributs. Doch bald erregte die Ermordung einer tatarischen Gesandtschaft 1374 zu Nischnei Nowgorod den Krieg aufs Neue, bis die T. am 11. August 1378 in der Schlacht an der Wascha unterlagen, der erste entscheidende Sieg, welchen die Russen über die T. erfochten. Mamai verband sich mit den Polowzern, Tscherkessen, Jassen, Burtanen, Armeniern u. auch mit dem Fürsten Oleg von Rjäsan, ward aber wiederum am 8. Septbr. 1380 geschlagen. Rache dafür an den Russen zu nehmen hinderte ihn eine Empörung Tochtamisch's, eines Nachkommen Dschingiskhans, welcher sich mit Tamerlan, der damals schon über die beiden Buchareien herrschte, gegen ihn verband. Mamai wurde am Asowschen Meere gänzlich geschlagen u. floh, von den Seinigen verlassen, zu den Genuesern nach Kassa, wo er ermordet wurde. Tochtamisch drang, als ihm die Russen den Tribut verweigerten, 1381 in Rußland ein, vereinigte sich mit Oleg von Rjäsan u. eroberte Moskau. Dimitri IV. mußte nun den Frieden mit schwerem Tribut erkaufen u. seinen Sohn Wassilj als Geisel nach der Goldenen Horde senden. Nach Dimitris IV. Tode, 1389, erkannte der Khan dessen Sohn Wassilj als Oberherrn von Nischnei Nowgorod u. Susdal an u. bezwang 1392 den Freistaat Wjätka. Als er Tamerlan (Timur) nicht als Oberherrn in der Bucharei erkennen wollte, wurde er von demselben 1393 geschlagen, doch zog sich Tamerlan nach 11 Monaten nach Samarkand zurück u. Tochtamisch nahm Kiptschak wieder in Besitz. Tamerlan erschien aber 1395 von Neuem, schlug ihn zwischen Terek u. Kur u. setzte Koiritschak Aglan als Herrscher über Kiptschak ein. Darauf brach Tamerlan in Rußlaud ein, zerstörte dann Asow, verbrannte Sarai u. zog sich endlich wieder in sein Land zurück. Drei Khane stritten nun in Kiptschak, während des Kriegs nach außen, um die Herrschaft: Tochtamisch, Koiritschak Aglan u. Timur-Kutluk, alle aus Batu's Geschlecht. Letzter überfiel Tochtamisch, besiegte ihn u. eroberte Sarai; Tochtamisch floh 1399 mit seinen beiden Söhnen u. dem Schatze nach Kiew, um Hülfe bei dem Großfürsten Witold von Lithauen zu suchen. Während Witold in das Land der T. einfiel, aber 12. August beim Übergang über die Worskla von Mursa Edigei geschlagen wurde, machte der Großfürst Wassilj II. von Rußland einen Zug nach Bulgarien u. eroberte Kasan u. tödtete den Khan von Kasan. Die Zerstörung von Kasan schwächte das Reich der Goldenen Horde ungemein. Timur-, Kutluk blieb Herr, st. aber schon 1400, u. sein Sohn. Schadibek besiegte Koiritschak Aglan u. tödtete Tochtamisch 1405 bei Tjumen. Tochtamisch's beide Söhne fanden bei Wassilj II. eine Zuflucht, u. Schadibek wagte es nicht den Großfürsten deshalb zur Verantwortung zu ziehen. Als Schadibek 1407 von Bulat Sultan vom Throne verdrängt wurde, blieb dieser, eben so wie seine Vorgänger, von Edigei abhängig. Letzter überfiel nun den Großfürsten Wassilj II. u. belagerte Moskau, wurde aber plötzlich zurückgerufen, um eine Empörung zu dämpfen. 1411 wurde Bulat von Temir gestürzt, dieser aber mußte bereits im folgenden Jahre dem Prätendenten Seleni-Sultan, einem der Söhne des Tochtamisch u. Bundesgenossen Witolds, weichen. Dieser ließ Wladimir plündern u. ernannte für Nischnei Nowgorod einen eigenen Fürsten. Um Frieden zu erlangen, erschien der Großfürst Wassilj II. selbst in der Horde, aber bereits war Seleni-Sultan von seinem Bruder Kerimberdel ermordet worden, u. dieser, des Schutzes eingedenk, welchen er von dem Großfürsten genossen hatte, nahm ihn freundlich auf. Witold rief 1415 den Fürsten Bedsabula zum Khan von Kiptschak aus, aber Kerimberdel schlug denselben u. ließ ihn enthaupten, fiel jedoch selbst durch seinen Bruder Geremserden. 1430 gebot Mahmud Khan über die Goldene Horde, unter welchem der Mursa Teginja großen Einfluß hatte. Bei diesem erschienen der neue russische Großfürst Wassilj III. u. sein Oheim Jurje, um ihren Streit wegen der Herrschaft zu schlichten; der Khan entschied nach dem Beschlusse eines Fürstengerichts für Wassilj III. Da Mahmud u. Wassilj III. von Empörungen bedrängt waren, so unterhielten sie ein freundschaftliches Verhältniß; Mahmud erließ Rußland den Tribut u. suchte, 1437 von seinem Bruder Kitschim vertrieben, seine Zuflucht in Rußland; aber von Wassilj nicht gelitten, wendete er sich nach Kasan, um dort ein Reich zu errichten (s. unten). Währenddem wurde Kitschim durch Empörungen beunruhigt, bezwang sie aber alle. Gleichwohl wurde der Verfall des Tatarenreiches immer größer, u. Kitschims Nachfolger, Achmed, vermochte nicht denselben aufzuhalten. Unter ihm brach der Großfürst Iwan III. von Rußland auch die letzten Bande, welche ihn an das Tatarenreich fesselten, indem er sich weigerte in der Goldenen Horde zu erscheinen, dem Großkhan die Huldigung zu leisten u. auch nur geringen Tribut zu entrichten. Achmed wurde von den Russen stets zurückgeschlagen, so 1465, u. die Empörung seines Neffen Kassedar hinderte ihn mehre Jahre lang sich gegen Rußland zu wenden. Erst 1480 unternahm er, mit Polen verbündet, einen neuen Zug gegen Iwan III., welcher die Krimschen u. Nogaischen T. für sich hatte. Beide Heere standen den ganzen Sommer an der Oka einander gegenüber, als aber der Winter eintrat, zogen sich beide Theile zurück. Von Iwal, dem Haupt der Tjumerischen T., u. Jamgurtschei, dem Haupt der Nogaischen Horde, verfolgt, wollte Achmed sich nach Asow in die Winterquartiere ziehen, ward aber unterwegs von jenen überfallen u. getödtet. Mit seinem Tode war vollends die Tatarenmacht gebrochen u. die Suprematie der Goldenen Horde aufgehoben. Mortosa, Achmeds ältester Sohn, zog mit der Goldeuen Horde nun am Don umher u.[273] 1485 nach Taurien, wo er von Mengli Gherai, dem Khan der Krimschen T., angegriffen u. gefangen wurde. Ein anderer Feldherr der Goldenen Horde, Temir, vereinigte sich das Jahr darauf mit einem Sohn Achmeds, Seid Achmed (Schiz Achmed), u. befreite Mortosa, worauf Beide bald mit den Nogaiern, bald mit den Astrachanern, bald mit den Lithauern verbunden, gegen die Russen u. Krimschen T. fochten; endlich wurde die Goldene Horde 1502 von Mengli Gherai überfallen u. gänzlich zerstört. Der Überrest floh zu den Nogaischen T., der Khan aber u. seine Brüder nach Constantinopel u. von da zu König Alexander von Polen, seinem ehemaligen Verbündeten, welcher ihn jedoch einkerkern ließ. Durch den Untergang der Goldenen Horde wurde für immer der Zusammenhang der T. aufgehoben u. die einzelnen Horden standenn. handelten für sich. Vgl. Hammer-Purgstall, Geschichte der Goldenen Horde im Kiptschak, Pesth 1840.

B) Die Nogaitataren od. die Blaue Horde empörten sich nach Oktai's u. Batu's Tode, um 1260, gegen dessen Nachkommen. Ihr Führer Nogai gebot an den Küstenländern des Schwarzen Meers u. zwischen diesem u. dem Aralsee, verbündete sich mit dem griechischen Kaiser Michael Paläologus u. heirathete dessen natürliche Tochter Euphrosyne. Sein Feldherr Mengu Timur Khan unterstützte 1273 die Russen gegen die Lithauer, belagerte Nowogrodek vergebens, bekriegte dann Daghestan u. Bulgarien u. zog den russischen Großfürsten mehrmals zu Hülfe. Auch bei der Goldenen Horde vertrieb er den Khan Telebuga 1291 u. setzte dessen Bruder Tochta Khan auf den Thron. Bald überzog dieser aber die Nogaier mit Krieg u. tödtete Nogai um 1295. Im 14. u. zu Anfang des 15. Jahrh. blieben nun die Nogaischen T. unbedeutend; die Khane gehorchten dem Großkhan von Kiptschak weniger od. mehr, je nachdem derselbe mehr od. minder mächtig war. Erst in der Mitte des 15. Jahrh. forderte Sedi-Achmed von den Russen Tribut u. verbrannte die Vorstädte von Moskau, mußte aber abziehen u. wurde darauf bei neuen Einfällen 1455 u. 1458 von den Russen zurückgewiesen Von den Krimschen T. besiegt, flüchtete er nach Lithauen, wo er aber, mit seinen neun Söhnen festgehalten, in Kowno starb. Darauf verbündeten die Nogaier sich mit den Russen gegen die Goldene Horde u. unterstützten dieselbe 1480 in der Entscheidungsschlacht gegen Khan Achmed. Ende. des 15. Jahrh. waren sie Bundesgenossen des Sohnes Achmeds, griffen 1500 vergebens Kasan an u. verbündeten sich 1505 mit den Kasanern gegen Rußland, wurden aber geschlagen u. überzogen, mit den Krimschen T. verbündet, Astrachan 1523 mit Krieg, jedoch verrieth u. erschlug Khan Mam-mai den mit ihm verbündeten Mahmud Khan von der Krim. 1530 waren sie wieder mit den Kasanern gegen die Russen verbündet; zwar schloß 1534 ihr Khan Schidschek mit den Russen ein Bündniß, doch war ihre Horde immer der Zufluchtsort der von den Russen verjagten Khane anderer Horden. Um 1553 wurde ihr Khan Jussuf von seinem Bruder Ismael umgebracht; dieser sammelte nun die zerstreuten Horden u. blieb den Russen treu. Später wurde aber ein Theil derselben den Russen untreu; schon 1558 unterstützten viele von ihrem Khane abgefallene Nogaier die Krimschen T., u. 1582 stand die ganze Horde den Tscheremissen, welche das russische Joch abgeworfen hatten, bei, doch wurden sie bald beruhigt; sie erhoben sich jedoch 1587 wieder. Sie wanderten seit 1855 aus russischem Gebiet nach der Türkei aus, s. unten S. 275.

C) Kasan hatte bald nach Dschingiskhans Einfall eigene Khane. Sie waren dem Großkhan von Kiptschak, später den russischen Großfürsten zinspflichtig. Als aber die Kasaner Nowgorod eroberten u. plünderten, schickte Wassilj II. seinen Bruder Jurje ab, welcher Kasan 1396 (nach And. 1399) belagerte u. eroberte, dessen Khan das Land wüste liegen ließ. Erst nach 40 Jahren, als Mahmud Khan aus seinem Besitzthum Kiptschak von seinem Bruder Kitschin vertrieben wurde, wendete er sich hierher u. gründete mit seinen 16,000 Reitern ein neues Kasanisches Reich, wo sich viele von den Nachbarvölkern einfanden. Im Jahr 1438 zog er vor Moskau, konnte aber die Stadt nicht nehmen; 1439 eroberte er Nischnei-Nowgorod, mußte sich aber nach einer Niederlage zurückziehen; 1445 schlug er den Großfürsten von Susdal u. nahm ihn gefangen. Währenddem hatte sich ein Empörer, Libei, Kasans bemächtigt, wurde aber von Mamutek, des Khans Sohn, umgebracht, welcher indeß nachher auch seinen Vater Mahmud tödtete. Mamutek that nun einen Raubzug in das Russische Gebiet; doch wurde sein Heer geschlagen u. ertrank fast ganz in der Wetluga. Erst 1458 schloß Mamutek mit den Russen Frieden. Ihm folgte Khan Ibrahim, welchen sein Stiefvater Kassim mit Hülfe der Russen entthronen wollte, doch Ibrahim zog dem Kassim entgegen u. schlug im Spätherbst 1467 die Russen zurück, mußte aber, nachdem sich das Glück den Russen zugewendet hatte, mit denselben 1469 Frieden machen, welcher die Freigebung aller seit 40 Jahren gemachten russischen Gefangenen bedingte. Ibrahim st. 1482; sein Sohn Allegam bewies sich ebenfalls feindlich gegen Rußland, daher Iwan III. den Daniel Cholmzky gegen ihn sendete, welcher Kasan 1487 eroberte, Allegam gefangen nahm u. dessen jüngsten Bruder Mahmud Amim unter russischer Lehnsbarkeit auf den Thron von Kasan setzte. Auch die tatarischen Zinsländer, Wjätka u. Arszk, wurden 1489 befreit. Mahmud Amim mußte auf Iwans III. Befehl die Nogaischen T. u. Achmed, Sohn des Khans von Kiptschak, bekriegen u. wurde 1496 von den Kasanern vertrieben; da jedoch der neue Khan Mamuk noch grausamer als Mahmud war, so baten sie 1497 den Czar Iwan III. um einen andern Khan, welcher ihnen den jüngsten Bruder Mamuks, Abdul Letif, sendete, aber 1502 wieder entsetzte. Mahmud Amim bestieg nun den Thron von Neuem, fiel aber 1505 von den Russen ab, plünderte u. ermordete russische Handelsleute, drang mit den Nogaiern in Rußland ein u. belagerte Nishnel Nowgorod, mußte aber, da er sich mit den Nogaiern entzweite u. das russische Entsatzheer nahte, die Belagerung aufheben; die Russen folgten 1506 u. warfen Mahmud nach Kasan zurück, fielen aber hierbei in einen Hinterhalt u. wurden gänzlich geschlagen. Trotz dieses Siegs unterwarf sich aber Mahmud Amim den Russen freiwillig wieder u. Wassilj IV. setzte, als Mahmud 1519 starb, dessen Enkel, Schig Ali, zum Khan von Kasan ein. Doch sein Oheim Saïp Gherai erschien 1521 mit einem Heere vor Kasan, u. Schig Ali mußte ihm den Thron überlassen u. erhielt dafür freien Abzug nach Rußland. Anfangs blieb Saïp in Frieden mit den Russen, als aber sein Bruder 1523 Astrachan eroberte, ließ er alle Russen, selbst die Gesandten, in Kasan ermorden. Als nun 1524 ein [274] Heer Wassiljs IV. erschien, erklärte sich Saïp, um der Rache zu entgehen, als Vasallen der Pforte; diese aber suchte die Sache auf dem Wege des Vergleichs zu schlichten; da jedoch Wassilj IV. den Krieg gegen ihn fortsetzte, entfloh Saïp nach der Krim u. das Volk wählte Saïps 13jährigen Neffen, Sapha Gherai, zum Khan, welcher sich aber nicht als Vasallen Rußlands erklären wollte. Die Russen belagerten nun Kasan, konnten es aber nicht erobern; endlich kam es zu einem fünfjährigen Waffenstillstand u. Sapha versprach die Huldigung zu leisten. Da er indeß bald sein Wort zurücknahm, erschien 1531 wieder ein russisches Heer, u. nun wurde Emalei Gherai, Bruder des Schig-Ali, zum Khan eingesetzt, welcher sich Rußland unterwarf, aber von Sapha Gherai wieder verjagt wurde. Vergebens suchte 1536 ein russisches Heer den frühern Khan Schig-Ali wieder einzusetzen. 1540 ließ sich Sapha in ein geheimes Bündniß mit Saïp Gherai, Khan der Krim, mit Astrachan u. den Nogaischen T. ein, um die Macht Rußlands zu brechen; aber die Russen sammelten sich schnell u. schlugen die Kasaner; Sapha floh, kehrte jedoch zurück u. unterdrückte eine Verschwörung; aber als 1544 die Russen wieder anrückten, machten die Kasaner einen neuen Aufruhr, nöthigten Sapha zu den Nogaiern zu entfliehen u. nahmen nun den Schig-Ali wieder zum Khan an. Doch schon 1546 wurde Sapha zurückberufen u. Schig-Ali floh nach Rußland, dessen Wiedereinsetzung Czar Iwan IV. 1548 vergebens versuchte. Sapha starb im März 1549, u. sein Sohn, Utemisch, ein zweijähriges Kind, wurde von den Großen zu seinem Nachfolger ernannt, indeß verlangte Iwan IV. Schig-Alis Wiedereinsetzung u. erzwang sie 1551 nach Kasans Eroberung. Als aber Schig-Ali aus Rachsucht u. aus Furcht vor Verschwörung 70 Große bei einem Gastmahl tödten ließ, verjagten ihn die Kasaner u. trugen Rußland die vollständige Unterwerfung der Stadt Kasan unter einem russischen Statthalter an. Gleichwohl verschlossen sie dem hergesendeten Statthalter die Thore u. erhoben den astrachanischen Mursa, Ediger-Mahmud, zum Khan, verpflichteten denselben zur unversönlichen Feindschaft gegen Rußland u. veranlaßten Dewlet Gherai, Khan der Krim, in Rußland einzufallen u. Moskau zu erobern. Indeß nach der Besiegung Dewlets wurde Kasan von 150,000 Russen vom 19. Aug. an belagert u. nach der verzweifeltsten Vertheidigung am 2. Octbr. 1554 genommen u. der Khan Ediger gefangen u. zum Christenthum bekehrt. Den entflohenen tatarischen Einw. wurde die Rückkehr u. freie Religionsübung gestattet, doch in der Stadt die russische Regierungsform eingeführt. Dessenungeachtet weigerten sich noch die Wotjäken u. Steppen-Tscheremissen Tribut zu bezahlen, ermordeten die russischen Beamten u. streiften von den baschkirischen Wäldern aus in das Russische Gebiet. Erst 1555 wurden 10,000 T. niedergemetzelt u. 20,000 Mann gefangen, der Rest unterwarf sich.

D) Astrachan trennte sich schon im 13. Jahrh. von Kiptschak, blieb ihm aber lehnbar. Als das Reich Kiptschak 1502 endete, wurde Senibek in Astrachan Khan, u. unter seinem Sohne Hussein Khan überfiel der Khan der Krim, Mahmud Gherai, mit dem Khan der Nogaitataren, Mammai, verbündet 1523 Astrachan, eroberte es u. vertrieb den dortigen Khan; die Nogaier argwöhnten aber, daß Mahmud auch ihre Unterwerfung beabsichtige, überfielen ihn daher, tödteten ihn u. verjaaten sein Heer. Hussein Khan nahm nun sein Reich wieder in Besitz, doch bald wurde er durch Saïp Gherai, Khan von Kasan, abermals verjagt u. Astrakhan zerstört. Der neue Khan Kassiand schloß einen Bund mit Rußland, dennoch eroberten die Tscherkessen Astrachan 1532 u. erschlugen den Khan. Sein Nachfolger Akubek wurde 1534 gestürzt, u. dessen Nachfolger, Abdul-Raman, schloß mit Rußland ein Bündniß, hielt sich aber nur wenige Monate, worauf ihn die Nogaier vertrieben u. Derwelhetel wählten. 1547 wurde Astrachan von den Krimschen T. zum zweiten Mal erobert u. zerstört, aber schnell wieder erbaut, u. der Khan Jamgurtscha schloß mit Rußland einen Bund gegen die Krimschen T. Bald wechselte er aber das System u. verbündete sich mit seinen vormaligen Feinden gegen Rußland; er wurde daher von den Russen 1554 mit Krieg überzogen u. durch Derwisch Khan ersetzt. Als dieser sich in Bündnisse gegen Rußland eingelassen hatte, wurde er erdrückt u. Astrachan mit Rußland vereinigt.

E) Die Krimschen T. waren nach Dschingiskhans u. Oktais Tode bald der Goldenen Horde unmittelbar, bald der Nogaischen Horde unterthan. 1411 war der bisherige Feldherr der Kiptschakschen T., Edigei, bei der Thronrevolution der Goldenen Horde ans Schwarze Meer gedrängt worden. Er machte sich dort unabhängig u. plünderte 1416 Kiew, schloß aber bald Friede mit ihnen. 1416 st. Edigei, u. der Streit über die Erbfolge unter seinen Söhnen hinderte die Krimschen T. eine Zeitlang an Einfällen in Polen u. Rußland. Endlich wählte die Horde Asi Gherai, einen Nachkommen des Tochtamisch, zum Khan, u. dieser kriegte mit Rußland gegen die Goldene Horde u. schlug dieselbe 1465. Als Asi Gherai 1467 st., folgte ihm von seinen sechs Söhnen der älteste, Nordulat-Gherai; er wurde von dem vierten, Mengeli-Gherai, gestürzt u. suchte in Polen Schutz. Aber auch dieser ward 1475 durch seinen Bruder Aidar-Gherai verdrängt, floh zu den Genuesen nach Kassa u. wurde hier von den Türken, welche die Stadt eroberten, gefangen u. nach Constantinopel abgeführt. Dort schenkte ihm Sultan Muhammed II. die Freiheit u. zugleich die eben eroberte Krim, wogegen sich Aidar-Gherai u. seine Nachfolger als türkische Lehnsträger u. als Zinsleute bekannten. Zwar wurde Mengeli-Gherai schon 1476 von dem Sohne Achmeds von der Goldenen Horde überfallen u. der Tatarprinz Senibek als Khan eingesetzt, aber schon 1480 mußte dieser dem Mengeli-Gherai wieder weichen u. floh nun nach Rußland zu Iwan III., wo schon Nordulat- u. Aidar-Gherai eine Zuflucht gefunden hatten u. von Iwan abgehalten wurden in die Krim zurückzukehren. Anfangs eng mit Rußland verbunden, hatte Mengeli-Gherai viel zur Unterdrückung der Goldenen Horde beigetragen, 1483 Kiew erobert u. in Polen immerwährende Einfälle gemacht. Aber durch die Absetzung seines Stiefsohns Abdul Letif, Khans von Kasan, u. durch polnische Emissäre gegen Rußland gereizt, schickte er 1512 u. 15 seine T. unter seinen Söhnen Achmed u. Burnusch-Gherai gegen Rußland. Auch sein Sohn Mahmud, welcher ihm 1515 folgte, machte 1517–18 Streifzüge gegen Rußland, dann aber verband er sich zur Besitznahme Kasans mit dem Czar Wassilj IV. gegen Polen, drang bis gegen Krakau vor u. schlug den Kosackenhetman Ostrowski; da inzwischen der Czar Bedenken hegte Kasan u. die Krim unter Eine Herrschaft zu bringen,[275] bemächtigte sich Mahmud insgeheim durch seinen Bruder Saïp der Regierung in Kasan, schlug die Russen an der Oka, vereinigte sich mit dem kasanschen Heere bei Kolomna, ging im Juli 1521 gerade auf Moskau los u. bedrängte diese Stadt so, daß die Bojaren im Namen des Großfürsten versprachen ihm zinsbar zu sein. Darauf überfiel er mit Mamai, Khan der Nogaier, 1523 Astrakhan u. verjagte den Khan, wurde aber nebst allen Söhnen u. Großen von den Nogaiern in seinem Zelte niedergestoßen. Die entkommenen Reste des Heers suchten, da die Kosacken unter Daschkowitsch in der Krim einfielen, in Perekop bei den Türken Schutz. An Mahmuds Stelle wurde sein Bruder Saidet Gherai als Khan von der Pforte bestätigt, aber von seinem Neffen Islam verjagt. Gegen diesen erhob sich der aus Kasan vertriebene Saïp Gherai, von Polen u. der Pforte unterstützt, u. erschlug 1535 den Khan Islam. Während der Minderjährigkeit des Czaren Iwan IV. von Rußland wollte Saïp Gherai mit den Khanen von Kasan u. Astrachan, mit den Nogaiern u. Türken verbunden, Rußland bezwingen; schon 1541 machte er einen Versuch; sein Nachfolger Dewlet Gherai, 1551, setzte den Krieg mit abwechselndem Glück bis 1563 fort, wurde aber durch mehre Einfälle der Russen in die Krim geschwächt u. machte Frieden mit Rußland. Aber schon 1564 verbündeteer sich mit Polen, rückte mit 60,000 Mann unvermuthet nach Rjäsan, mußte aber wieder abziehen. In dem neuen, 1567 begonnenen Feldzug wurde er durch die Donischen Kosacken zurückgeworfen; im Frühjahre 1571 brach er wieder mit 100,000 Mann in Rußland ein u. erschien am 24. Mai vor Moskau, das er in Brand steckte u. mit Ausnahme des Kremls nahm; er wandte sich dann gegen Südosten u. verwüstete diese Provinzen. Iwan IV. bot ihm Frieden an, jedoch Dewlet wies alle Anerbietungen ab u. rückte 1572 aufs Neue mit 120,000 Mann gegen Moskau vor, wurde aber am 1. Aug. 1572 bei Molody von den Russen unter Worotynski besiegt u. kam mit kaum 20,000 Mann in die Krim zurück. Dort war Hungersnoth, die Kosacken waren vom Dniepr eingefallen u. hatten Asow erobert u. ein Aufruhr war zu fürchten; Dewlet verlor daher den Muth zu neuen Unternehmungen gegen Rußland u. st. 1577. Sein Sohn Mahmud Gherai unternahm einen Einfall in Lithauen u. forderte von Rußland Astrachan zurück, ohne jedoch dieser Forderung Nachdruck zu geben. Mahmud fiel 1586 durch seinen Bruder Islam Gherai, welcher von der Pforte zum Khan erhoben u. von türkischen Truppen unterstützt worden war. Dieser wurde aber bereits 1587 von seinen Neffen Saidet u. Murat mit Hülfe der Nogaier vertrieben u. floh nach Kassa, kehrte jedoch, von 4000 Janitscharen begleitet, zurück u. bemächtigte sich der Herrschaft wieder. Islam st. 1588, u. sein Bruder Kassi Gherai unternahm 1591, von Schweden beredet, mit 150,000 Mann einen Krieg gegen Rußland. Er gelangte, da die russische Hauptmacht eben gegen Schweden im Felde stand, ungehindert bis nach Moskau, wurde aber hier nach einem großen Verluste von Leuten zum Rückzug genöthigt. Dieser Feldzug brach die Macht auch der Krimschen Horde; Kassi Gherai schloß 1595 mit Rußland Frieden u. sollte jährlich ein Geschenk von 10,000 Rubel erhalten. Seitdem durch Rußlands wachsende Macht unter dem Hause Romanow alle Aussicht verschwunden war die Asiatischen Reiche mit der Krim zu vereinigen, sank letztere zur völligen Unbedeutendheit herab u. war nur noch türkische Provinz. Die Khane, in raschem Wechsel ab- u. eingesetzt, hingen ganz allein von der Pforte ab, wurden von türkischen Paschas beobachtet u. beschränkt u. häufig, wenn sie den Unwillen des Sultans od. des Großveziers erregt hatten, wie gemeine Verbrecher bestraft. Seit der Mitte des 17. Jahrh. waren die Krimschen u. Nogaischen T. nur noch in den Kriegen der Türken u. in einzelnen Raubzügen gegen Rußland u. Polen thätig. In dem Kriege zwischen Rußland u. den Türken von 1770–74 wurde die Krim von Rußland erobert u. in dem Frieden von Kutschuk Kainardschi für unabhängig erklärt; doch in der That war der Khan völlig abhängig von Rußland. Als 1779 die T. ihren Khan Sabin Gherai vertrieben, setzten ihn die Russen wieder ein. Darauf aber nöthigte der Czar den Khan der Herrschaft gegen ein Jahrgehalt völlig zu entsagen u. verband die Krim 1783 völlig mit dem Russischen Reiche. Obgleich den T. von den russischen Behörden ihre Religion, Sitten u. Gesetze gelassen wurden, so wurden sie doch in ihrer Selbstbestimmung wesentlich beschränkt, u. es kam nicht zu einem guten Einverständniß zwischen den T. u. Russen. Die ungünstige Stimmung der T. gegen Rußland benutzten die Franzosen in dem letzten Russisch-Türkischen Kriege u. erließen einen Aufruf an die T. u. Nogaier in der Krim, um dieselben gegen Rußland aufzuwiegeln. In der That ließ sich ein Theil der Stammhäupter auch dazu verleiten, u. um diese so Compromittirten nicht der Rache Rußlands Preis zu geben, so stipulirten die Westmächte in dem Pariser Frieden den T. u. Nogaiern die Freiheit der Auswanderung aus der Krim. Und diese machten von dieser Freiheit einen so ausgedehnten Gebrauch, daß 1855–61 von der 321,000 betragenden Seelenzahl der T. u. Nogaier bereits 230,000 nach der Dobrutscha ausgewandert waren, wo namentlich in der Gegend von Karassu eine neue Stadt für sie erbaut wurde.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Tataren [1] — Tataren (eigentlich Tattern, unrichtig Tartaren), großer Volksstamm in Mittelasien, Nordasien u. Osteuropa. Das Wort T. soll nach Ein. von dem angeblichen Stammvater der T., Tatar, nach And.[270] vom Fluß Tartar herkommen; es bedeutet aber… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Tataren — Tataren,   fälschlich Tartaren, ursprünglicher Name eines mongolischen Stammes (Tatar) im Nordosten der Mongolei zur Zeit Dschingis Khans, im mittelalterlichen Europa übertragen auf zentralasiatische Steppenvölker allgemein; nach dem Zerfall der… …   Universal-Lexikon

  • Tatāren — Tatāren, ursprünglich Name eines mongol. Volksstammes, der aber nach Ausrichtung des asiatischen Großreichs durch Dschengis Chan auf alle Mongolen und die unterworfenen verwandten Völker übertragen wurde. Heute nennt man T. einen Zweig des… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Tataren — Tataren, im 13. und 14. Jahrhunderte der Schrecken Europa s, wo sie als die wilden, kriegerischen Nomadensöhne der asiatischen Wüste, erst als Besiegte, dann vereinigt in überwiegender Anzahl mit den Mongolen, Alles verheerend, gegen Westen… …   Damen Conversations Lexikon

  • Tataren — Tatāren (fälschlich Tartaren), ursprünglich Name eines mongol. Volks, später Kollektivname verschiedener Völkerschaften, bes. der Mongolen, Tungusen und Türken, jetzt Bezeichnung des hochasiat. (ural altaischen) Völker und Sprachstamms [Tafel:… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Tataren [1] — Tataren, bezeichnete ursprünglich eine mongolische Horde am obern Amur, welche von Dschingiskhan unterworfen bei seinem Vordringen gegen Westen den Vortrab bildete. Später begriff man unter T. die eigentlichen Mongolen und die mit ihnen ziehenden …   Herders Conversations-Lexikon

  • Tataren [2] — Tataren, die reitenden Couriere in der Türkei …   Herders Conversations-Lexikon

  • Tataren — Die Verbreitung der Turko Tataren Tataren (Eigenbezeichnung: Tatar oder Törk Tatar, Pl. Tatarlar oder Törk Tatarları) oder – älter – Tartaren ist seit dem Mittelalter eine Bezeichnung für verschiedene Völker und Bevölkerungsgruppen. So wurden in… …   Deutsch Wikipedia

  • Tataren-Melde — (Atriplex tatarica) Systematik Ordnung: Nelkenartige (Caryophyllales) Familie …   Deutsch Wikipedia

  • Tataren (Begriffsklärung) — Tataren steht für: Tataren, (auch Turktataren, Turkotataren und älter Turko Mongolen), verschiedene turkstämmige und turksprachige Völkergruppen in Eurasien; namensgebende turksprachige Ethnie in der russischen Republik Tatarstan, namhafte… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”