Thatbestand

Thatbestand

Thatbestand (lat. Corpus delicti), der Inbegriff der gesetzlichen Merkmale, aus denen eine verbrecherische That besteht, also der Begriff des Verbrechens selbst. Man unterscheidet hierbei gewöhnlich a) allgemeinen u. besonderen T. u. versteht unter dem ersteren den Inbegriff derjenigen Merkmale, welche allen Verbrechen gemeinsam sind u. daher überall vorhanden sein müssen, wenn von einem Verbrechen überhaupt gesprochen werden soll; unter dem besonderen T. die Merkmale, welche zum Begriff eines bestimmten, einzelnen Verbrechens erfordert werden. Der besondere T. setzt daher immer als eine nothwendige Grundlage den generellen voraus, indem die ihrem T-e nach verschiedenen Verbrechensarten nur verschiedenartige Erscheinungen u. besondere Gestaltungen des allgemeinen Verbrechensbegriffes bilden. Von dem juristischen Dasein des allgemeinen T-es hängt es ab, ob überhaupt ein Verbrechen begangen worden ist u. ob eine Criminalstrafe zuerkannt werden kann; die Prüfung des speciellen T-es entscheidet darüber, welches Verbrechen begangen worden u. mit welcher Criminalstrafe dasselbe zu belegen ist. Ferner unterscheidet man b) den objectiven u. subjectiven T., ohne aber immer mit diesen Bezeichnungen gleiche Begriffe zu verbinden. In der Regel versteht man unter dem letzteren die Merkmale, welche die widerrechtliche Willensrichtung eines Angeschuldigten an sich tragen muß, um sie als eine verbrecherische zu charakterisiren; unter dem ersteren dagegen die Beschaffenheit der äußeren Handlung u. des nachtheiligen Erfolges, welche zum Begriffe des Verbrechens vorausgesetzt wird. Frühere Rechtslehrer verstanden unter dem subjectiven T. wohl auch nur die Merkmale, welche das Subject des Verbrechens bei gewissen strafbaren Handlungen haben muß, z.B. Verwandtschaft mit dem andern Concumbenten beim Incest, noch andere die Beweise u. Thatumstände, welche gerade ein bestimmtes Subject als den Thäter des Verbrechens darstellen. Bezüglich des objectiven T-es ist es bes. die äußere, durch den verbrecherischen Willen in das Dasein gerufene Handlung, welche man vorzugsweise als den Kern des T-es betrachtet u. daher auch namentlich bei dem lateinischen Ausdruck Corpus delicti in das Auge gefaßt hat. In noch engerem Sinne bezog man das Wort wohl auch nur auf die äußeren Spuren, welche gewisse Verbrechen in der Sinnenwelt zurücklassen, wie z.B. bei einer Tödtung die Leiche des Getödteten mit den Zeichen der ihm angethanen Gewalt. Die Unterscheidung in c) wesentlichen u. außerwesentlichen T., wonach unter dem ersteren die Merkmale eines Verbrechens begriffen werden, ohne welche das Verbrechen gar nicht als solches bestehen würde, unter dem letzteren aber die, welche nur in zufälliger Verbindung damit stehen u. vielleicht nur die Strafbarkeit mindern od. erhöhen, hat keinen inneren Werth. Der unwesentliche T. kann im eigentlichen Sinne dem Begriffe des T-es gar nicht unterstellt werden.

Zum allgemeinen T-e eines jeden Verbrechens gehört nothwendig a) ein menschliches Wesen als Subject des Verbrechens, u. zwar ein solches, welches einen Strafrichter über sich anzuerkennen hat. Verletzungen, welche nichtmindestens indirect durch Menschen herbeigeführt worden sind, können nie als Verbrechen bestraft werden. Aber auch Corporationen als solche, obschon sie aus menschlichen Individuen zusammengesetzt sind, können nach neueren Rechtsansichten nie das Subject eines Verbrechens bilden (Universitas nunquam delinquere potest). Zwar ist es an sich wohl denkbar, daß eine Corporation den ihr vom Staate beigelegten Charakter der juristischen Persönlichkeit mißbraucht, um als Gesammtheit u. in der äußerlich gewahrten Verfassungsform eine Handlung vorzunehmen, in welcher die Übertretung eines Strafgesetzes liegt; allein immerhin kann eine solche Übertretung dann nicht als Verbrechen der Universitas, sondern höchstens nur als Verbrechen der einzelnen mitgewirkt habenden Personen betrachtet werden, u. daher nach Befinden die etwaige Strafe auch immer nur diese einzelnen Personen treffen. Der Grund hiervon liegt darin, daß eine juristische Zurechnung ihrem ganzen Wesen nach auf Individualität u. Gesinnungsfähigkeit des einzelnen Menschen beruht, daß sie aber einer Corporation als einem bloßen Begriffswesen offenbar mangelt. Ebenso müssen die Thathandlungen wahrer Souveräne ausgeschlossen bleiben; denn da Souveräne gar keinen äußeren Richter über sich anerkennen, so. können auch ihre Handlungen, selbst wenn sie im Übrigen gegen den Inhalt eines Strafgesetzes verstoßen sollten, doch nicht unter das Strafgesetz gestellt werden. Sollte in einer Regierungshandlung des Staatsoberhauptes der T. eines Verbrechens, z.B. einer Verfassungsverletzung, liegen, so sind in constitutionellen Staaten die Minister, welche zu der Regierungshandlung ihren Namen hergeliehen u. dieselbe dadurch formell legalisirt haben, für das fragliche Verbrechen verantwortlich. b) Keine Handlung stellt sich schon an sich als ein Verbrechen dar; sie kann es nur dadurch werden, daß sie zugleich aus einer widerrechtlichen Willensrichtung entsprang. Wer eine fremde Sache wegnimmt, einen Menschen tödtet, ist deshalb allein noch kein Dieb, Mörder etc.; er unterfällt erst dann einer Strafe, wenn er kein Recht zur Vornahme der Handlung hatte. Je nach den einzelnen Verbrechen genügt es aber bald, wenn nur allgemein ein widerrechtlicher Wille vorhanden war, so daß es dann gleichgültig ist od. doch nur auf die Strafbemessung Einfluß äußert, ob die That aus Vorsatz od. auch nur aus Fahrlässigkeit entsprang, z.B. bei der Tödtung, Brandstiftung etc.; bald wird aber auch eine bestimmtere Willensrichtung zum T. des Verbrechens verlangt, sei es im Allgemeinen Vorsatz od. selbst eine bestimmte Absicht, bei welcher der Thäter darauf ausgeht, das Verbrechen zu verüben, um dadurch einen gewissen Zweck (z.B. bei dem Diebstahl die Erlangung eines Gewinnes, bei der Bestechung den Zweck, daß der Bestochene sich zu einer ungesetzlichen Parteilichkeit herbeilasse) zu erreichen. c) Die Handlung selbst muß eine äußere (Factum externum) sein. Bloße Gedanken u. Gesinnungen als solche allein sind, wie überhaupt juristisch, so auch criminalistisch, gänzlich indifferent u. von dem Strafgesetz nicht erreichbar (Cogitationis poenam nemo patitur); erst wenn der Wille thätig in die Erscheinungswelt getreten ist, kann er von dem Strafgesetz erfaßt werden. Regelmäßig besteht diese äußere Handlung in einer positiven Thätigkeit; allein sie kann auch[444] in einer Unterlassung od. sogenannten negativen Handlung bestehen. Doch ist das Letztere nur ausnahmsweise da der Fall, wo die Staatsbürger überhaupt od. einzelne von ihnen durch specielles Gesetz zu einer positiven Thätigkeit verpflichtet sind u. sie also bei deren Unterlassung für die schädlichen Folgen ihrer Unthätigkeit eine Verantwortlichkeit trifft, wie z.B. wenn ein zur Anzeige von Vergehen bestellter Beamter die Anzeige eines ihm bekannt gewordenen Verbrechens unterläßt od. die Mutter dem von ihr geborenen Kinde nicht die nöthige Pflege angedeihen läßt etc. Nicht nothwendig ist dagegen, daß die äußere Thathandlung bereits einen Schaden u. Nachtheil verursacht habe; denn auch schon das blos versuchte Verbrechen (vgl. Versuch) bleibt strafbar. Nur insofern man auch schon die Gefahr, d.h. die nahe Möglichkeit eines Schadens, als einen nachtheiligen Erfolg auffassen will, kann man allerdings auch den Satz aufstellen, daß zum T. eines jeden Verbrechens ein nachtheiliger Erfolg gehöre. Bei manchen Verbrechen läßt sich aber auch von einem materiellen Schaden gar nicht reden, sie begründen daher nicht einmal die Gefahr eines solchen, z.B. wenn Jemand nur unsittliche Schriften od. Bilder verbreitet, welche an sich vielleicht von Manchen eher gesucht werden. Der schädliche Erfolg ist aber alsdann hier darin zu erblicken, daß durch die Handlung sittliches Ärgerniß erregt worden ist.

Die Erörterung u. Feststellung des T-es (Investigatio corporis delicti) durch Aufsuchung aller zum Begriffe eines Verbrechens od. Vergehens gehörigen Merkmale bildet eine der Hauptaufgaben bei jeder strafrechtlichen Untersuchung. Der Regel nach hat dabei der Untersuchungsrichter zunächst vorzugsweise die Feststellung des objectiven T-es in das Auge zu fassen, ehe er auf die Eruirung des subjectiven T-es eingeht, u. dies um so mehr, je schneller sich oft die Spuren des verübten Verbrechens verwischen, u. je leichter es wird durch eine genaue u. sichere Kenntniß dieser Spuren die Aussagen der Zeugen u. des Angeschuldigten zu controliren. Doch kann nach den Umständen auch der umgekehrte Weg geboten sein, bes. wenn zu besorgen steht, daß der muthmaßliche Thäter sich bei längerem Verzuge der Strafgerechtigkeit entziehen u. damit den ganzen Zweck der einzuleitenden Procedur vereiteln möchte. Eine bestimmtere Reihenfolge der einzelnen, auf Feststellung des T-es abzielenden criminalprocessualischen Vorschritte läßt sich daher nicht aufstellen, vielmehr muß in dieser Beziehung ein gewisser Takt u. Erfahrung dem Untersuchungsrichter den richtigen Weg vorzeichnen. Bei Verbrechen, welche äußere Spuren ihrer Verübung zurücklassen (sogenannte Delicta facti permanentis), stellte eine frühere Doctrin den Satz auf, daß die Feststellung des objectiven T-es bezüglich derselben nothwendig durch gerichtlichen Augenschein erfolgen müsse, u. erachtete deshalb zur Überführung des Angeschuldigten es nicht hinreichend, wenn auch der Angeschuldigte die That unumwunden zugestand. Die neueren Rechtslehrer erkennen dagegen an, daß, wenn auch die Augenscheineinnahme bei solchen Verbrechen einen vorzüglichen Werth hat u. für den Fall, daß für ein solches Verbrechen ausnahmsweise einmal, z.B. wegen Länge der inzwischen verstrichenen Zeit, keine Spuren mehr zu entdecken sind, die Ursachen dieser ungewöhnlichen Erscheinung genau eruirt werden müssen, doch die Augenscheinseinnahme zur Feststellung des T-es nicht unbedingt nothwendig ist, sondern dieselbe eben so gut durch andere tüchtige Beweismittel erfolgen kann. Bei den Delicta facti transeuntis, Verbrechen, welche ihrer Natur nach keine Spuren zurücklassen, wurde das Geständniß auch schon früher immer als genügendes Beweismittel anerkannt. Vgl. Stübel, Über den T. der Verbrechen, Wittenb. 1805; Kitka, Über die Erhebung des T-es der Verbrechen, Wien 1831; Luden, Über den T. des Verbrechens, Gött. 1840.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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