Tischendorf

Tischendorf

Tischendorf, Lobegott Friedrich Constantin, geb. 18. Jan. 1815 zu Lengenfeld im sächsischen Voigtlande, erhielt seine wissenschaftliche Vorbildung auf dem Gymnasium in Plauen, studirte 1834–38 in Leipzig Theologie u. Philologie, habilliirte sich 1839 daselbst, machte, um Materialien zu einer Textreform des N. T. zu sammeln, 1840–42 eine Reise nach Holland, Frankreich, England, 1843–1844 durch die Schweiz, Südfrankreich, Italien, nach Ägypten, der Libyschen Wüste, dem Sinai, Palästina, Syrien, Kleinasien, Constantinopel, Griechenland u. brachte eine reiche Sammlung alter griechischer, syrischer, koptischer, arabischer, georgischer, äthiopischer u. arabisch-drusischer Manuscripte mit. Er wurde 1845 außerordentlicher u. 1859 ordentlicher Professor der Theologie in Leipzig, uuter gleichzeitiger Ernennung zum Professor der biblischen Paläographie u. Hofrathe. Um die auf eine Reform der Textkritik des N. T. u. der Septuaginta abzielenden Forschungen zu ergänzen, das Literaturgebiet der neutestamentlichen Apokryphen u. der alttestamentlichen Pseudepigraphen kritisch anzubauen u. zu bereichern u. eine neue griechische Paläographie vorzubereiten, machte er ferner Reisen 1849 nach Frankreich u. England, 1853 u. 1859 wieder nach dem Orient, bes. nach Ägypten u. der Sinaitischen Halbinsel (wo er den Sinaitischen Codex [s.d.] entdeckte u. für den russischen Kaiser erwarb, sowie er auch von beiden Reisen reiche Sammlungen von griechischen u. orientalischen Handschriften, zum großen Theile von höchstem Alter u. der seltensten Art, mitbrachte), 1855 abermals nach England u. 1856 nach München, St. Gallen u. Zürich. Er schr.: Doctrina Pauli Apostoli de vi mortis Christi satisfactoria, Lpz. 1837 (Preisschrift); Maiknospen (Gedichte), ebd. 1838; (pseudonym) D. Fritz, Der junge Mystiker (theologischer Roman), ebd. 1839; De Christo pane vitae, ebd. 1839 (Preisschrift); Die Geißler, namentlich die Geißlerfahrt nach Strasburg, ebd. 1840; Reise in den Orient, Lpz. 1845 f., 2 Bde. (englisch von Schuchard, Lond. 1847); De evangeliorum apocryphorum origine et usu, Haag 1851 (Preisschrift); Pilati circa Christum judicio quid lucis afferatur ex Actis Pilati, 1855; Anecdota sacra et profana ex oriente et occidente allata, Lpz. 1855, 2. A. 1861 (worin auch die aus dem Oriente 1844 u. 1853 mitgebrachten Manuscripiensammlungen verzeichnet stehen); Notitia editionis codicis bibliorum Sinaitici auspiciis imperatoris Alexandri II. susceptae, item Catalogus codicum nuper ex oriente Petropolin perlatorum, item Origenis scholia in Proverbia Salom., ebd. 1860; Aus dem Heiligen Lande, ebd. 1862; gab heraus: Bibliotheca monumentorum sacrorum critica, welche enthält: Codex Ephraemi Syri rescriptus, Lpz. 1843–45, 2 Bde.; Fragmenta Novi Testamenti, 1843; Fragm. Veteris Testamenti, 1845; Monumenta sacra inedita, 1846, u. Mon. sacr. ined. neue Sammlung, 1855–62, bis jetzt 3 Bde.; Codex Friderico-Augustanus (Fragmente der griechischen Übersetzung des A. T. aus dem Sinaicodex), 1846; Evangelium Palatinum ineditum (Fragmente einer vorhieronymianischen lateinischen Übersetzung der vier Evangelien), 1847; Codex Amiatinus (die hieronym. Übersetzung des N. T. aus dem ältesten vorhandenen Codex), 1850, n. A. 1854; Codex Claramontanus (die Paulinischen Briefe griechisch u. lateinisch), 1852; ferner das N. T. in verschiedenen Ausgaben: Novum Testamentum graec., kritisch bearbeitet, Lpz. 1841, 1849, 1859 (letztere die 7. Ausgabe genannt, u. theils in edit. major u. minor), Paris 1842 (die eine Ausgabe ohne, die andere mit der lateinischen Übersetzung), bei Tauchnitz, Lpz. 1850 u. 1862; N. T. triglottum (griechisch, lateinisch u. deutsch), Lpz 1854, daraus separat das N. T. graece, edit. academica, ebd. 1855, 3. A. 1861; ferner N. T. gr. et latine, ebd. 1858, u. das N. T. deutsch, Luthers Übersetzung nach der Originalausgabe revidirt, ebd. 1855; Synopsis evangelica, ebd. 1851, 2. A. 1863; dann Vetus Test. graece, die Septuaginta mit dem Römischen Texte als Grundlage, kritischem Apparate u. Prolegomenen, ebd. 1850, 2 Bde., 3. A. 1860. Der Codex Sinaiticus umfaßt das A. u. N. T. nebst dem Briefe des Barnabas u. dem Pastor des Hermas, herausgeg. in 4 facsimilirten Prachtbänden im Auftrag des Kaisers Alexander II., Petersburg (doch gedruckt zu Leipzig, nur photolithographirt in 10 Tafeln zu Petersburg) 1862, u. daraus Handausgaben, zunächst: Nov. Test. Sinaiticum, Lpz. 1863. Zu dem Artikel Sinaitischer Codex sei hier noch nachgetragen, daß die genauesten Mittheilungen über[617] die auf T-s erste orientalische Reise 1844 zurückgehende Auffindung u. spätere Wiederauffindung desselben in den obengenannten Bearbeitungen des Codex mit Einschluß der vorausgegangenen Notitia u. in seinem zweiten Reisewerke: Aus dem H. Lande, niedergelegt sind. Das Alter des Codex setzt T. auf die Mitte des 4. Jahrh. fest; derselbe besitzt darnach die Priorität vor allen vorhandenen Bibelurkunden, sowie er auch die einzige vollständige unter sämmtlichen tausendjährigen Handschriften des N. T. ist. Über die gegen den Codex u. zugleich gegen T. als Entdecker u. Herausgeber hervorgetretenen Widersprüche vgl. die beiden 1863 in Leipzig von T. ausgegangenen Flugschriften: Die Anfechtungen der Sinaibibel u. Waffen der Finsterniß wider die Sinaibibel. Schon früher gab er heraus: Acta Apostolorum apocr., Lpz. 1851; Evangelia apocrypha, ebd. 1853, woran sich die Apocalypses apocr. ineditae anschließen werden. Vgl. Volbeding, Const. T. in seiner fünfundzwanzigjährigen schriftstellerischen Wirksamkeit, ebd. 1862.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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