Voltaire

Voltaire

Voltaire (spr. Woltähr), Marie Francis Arouet de V. (hieß eigentlich Arouet u. legte sich den Namen V. ohne weiteren Grund zu, blos weil ihm der alte nicht gefiel), geb. 20. Febr. 1694 in Chatenay bei Sceaux, der Sohn eines Advocaten, welcher später Schatzmeister bei der Rechnungskammer war. Er studirte auf dem College Louis le Grand u. widmete sich dann den Rechtswissenschaften. Durch seinen Pathen. den Abbé Chateauneuf, bei der Ninon de l'Euclos eingeführt, lernte er dort Chaulieu u. la Fare u. mit ihnen die Grundsätze des Epikureismus kennen. Als er im 17, Jahre sein Trauerspiel Oedipe schrieb, versagte ihm die Akademie den Preis, u. als er sich dafür durch Epigramme rächte, wurde er von seinem Vater aus dem Hause gewiesen u. ging mit der französischen Gesandtschaft nach Holland. Durch den Entschluß sich mit Ernst der Jurisprudenz zu widmen versöhnte er zwar seinen Vater wieder, aber die Trockenheit jenes Studiums schreckte ihn bald wieder zurück, u. eine von ihm entworfene satirische Darstellung der letzten Regierungsjahre Ludwigs XIV. zog ihm 1716 eine Gefangenschaft in der Bastille zu. Bald nach seiner Befreiung 1718 erhielt sein Trauerspiel Oedipe von der Akademie den Preis u. wurde mehre Male mit großem Beifall aufgeführt. Doch gerieth er, nach einem Aufenthalte zu Brüssel, in Paris in mehre verdrießliche Handel, welche ihn 1725 aufs Neue in die Bastille brachten. Nach sechsmonatlicher Hast wieder befreit, aber aus Frankreich verwiesen, wandte sich V. 1726 nach England, wo er seine Henriade, welche er bei seiner ersten Gefangenschaft in der Bastille angelangen hatte, drucken ließ. 1730 nach Paris zurückgekehrt, trieb er mit Glück Handelsgeschäfte u. schr. bei dem damaligen Streite über die Bulle Unigenitus eine Schrift, die Thorheiten beider Parteien betitelt. In dem Zeiträume von 1730–1735 mußte er sich wiederholt von Paris entfernen. Das Parlament ließ seine Lettres philosophiques wegen der darin enthaltenen Ausfälle auf die Religion verbrennen u. wegen seiner Pucelle d'Orleans wurde er nochmals mit Haft bedroht, welcher er sich indeß 1736 durch schnelle Flucht zu seiner Freundin, der Marquise von Chatelet, nach Cirey in Lothringen entzog. Als Friedrich II., welcher ihn bereits als Kronprinz eines schmeichelhaften Schreibens gewürdigt hatte, 1740 den Thron bestieg, bot er ihm Ehrenämter u. Besoldungen an, welche V., jedoch ausschlug. Nachdem er wieder in Paus erscheinen durfte, verscherzte er die Achtung des französischen Ministeriums, welches ihn in geheimen Aufträgen an Friedrich II. gesandt hatte, bald wieder durch gehässige Anspielungen auf die Christliche Religion in seinem Trauerspiel Mahomet. Doch verschaffte ihm die Gunst der Pompadour 1746 die Mitgliedschaft der Akademie u. die Stelle eines Kammerherrn u. Historiographen von Frankreich. Der wiederholten Einladung Friedrichs II. folgte V erst 1750. In Sans-Souci huldreich empfangen, erhielt er den Orden pour le mérite, den Kammerherrnschlüssel, eine Pension von 1000 Louisd'or, Wohnung im Schlosse u. einen Platz an der königlichen Tafel. Indeß durch seine Streitigkeiten mit Maupertuis verscherzte V. bald die Gunst des Königs, u. als er sich 1753 entfernte, wurde er in Frankfurt a. M. arretirt, wo man ihm die mitgenommenen Gedichte Friedrichs abforderte. Nach einigem Umherirren in Colmar, Luneville u. Lyon kaufte er sich zwei Landgüter in der Nahe des Genfer Sees, Tourney u. Ferney, u. lebte vorzugsweise auf dem letzteren. Die Enkelin des großen Corneille, welche in Dürftigkeit schmachtete, nahm er um diese Zeit zu sich, schrieb einen Commentar zu den Trauerspielen ihres Großvaters u. eröffnete eine Subscription zu ihrem Besten, an welcher fast alle Fürsten Europas Theil nahmen. Er hatte ein Einkommen von 140,000 Livres, u. Ferney wurde durch seine Sorgfalt eine Colonie von 1200 Personen, unter denen sich mehre Künstler, bes. Uhrmacher, befanden. Mit Friedrich II. u. Katharina II. blieb er in fortwährender Korrespondenz. Die Letztere schickte ihm ihr mit Brillanten besetztes Bildniß u. Friedrich schrieb auf die aus Porzellan gefertigte Statue V-s mit eigener Hand die Worte: Viro immortali. Dagegen ging Joseph II., als er Haller besuchte u. in die Nähe von Ferney kam, an ihm vorbei. Er st. 30. Mai 1778 in Paris. Seinen freigeistigen Ansichten war V. bis zum letzten Augenblicke treu geblieben, daher der Pfarrer von St. Sulpice ihm ein christliches Begräbniß versagte. V-s Familie ließ seinen Körper einbalsamiren u. unbemerkt aus Paris 30 Meilen weit nach Scellières bringen, aber zwölf Jahre darnach wurde derselbe unter großem Pomp im Pantheon zu Paris beigesetzt; indeß im Mai 1814, nach der Rückkehr der Bourbonen, ließen die wieder aus Ruder gekommenen Royalisten V-s u. Rousseau's Leichen aus den Särgen im Pantheon nehmen u. dieselben als der verbüßten Philosophen, welche die Urheber der Revolution gewesen wären, in eine vor der Barriere de la Gare, Bercy gegenüber gelegene Grube werfen. Seine Meisterschaft als Dichter bewährte V. im leichten Gedicht, in der Satire (Le temple du goût, 1733), der Poetischen Epistel, dem komischen Epos (La Pucelle d'Orleans, 1755), der Novelle, Erzählung u. dem Tendenzromane (Zadig, (Gengischan, Candide, 1758, La princesse de Babylon, L'ingenu etc.); außerdem schrieb er ein Epos, die Henriade (früher unter dem Titel La ligue), die Trauerspiele: Oedipe, Artémise, Mariamne, Brutus, Zaïre (1731), César (1735), Alzire, Mahomet, Merope Tancred, 1760 (beide letztere übersetzt von Goethe, Tüb. 1799 u. 1800), Semiramis, Orestes, Rome sauvée, Olympia, die Scythen, das Triumvirat; u. die historischen u. philosopischen Arbeiten: Siècle de Louis XIV. et Louis XV., Histoire de Charles XII. (deutsch von Ludwig. Hamb. 1856), Histoire de la guerre de 1741, Hist. de Russe [676] sous Pierre I (1759), Essai sur l'histoire générale, Sur les moeurs et l'esprit des nations, Pyrrhonisme de l'histoire (1765), Idées republicaines (1762), Catechisme de l'honnête homme (1763), Dictionnaire philosophique, Droits de l'homme (1768), Bible commentée (1776). Oeuvres: Dresden 1749, Genf 1756, 40 Bde., ebd. 1768, 30 Bde., ebd. 1775, 40 Bde. (Edition encadrée), Kehl u. Basel 1773, 40 Bde., Bas.u. Gotha 1785, 71 Bde., Par. 1795, 45 Bde., ebd. 1817, 50 Bde., ebd. 1820, 16 Bde., von Beuchot, Par. 1829–34, 70 Bde., von Dupont, Par. 1827, 70 Bde. Gleichzeitig erschienen: Pièces inédites de Mr. de V., u. 1823 fand man in der Eremitage zu St. Petersburg mehre ungedruckte Werke V-s, unter anderen einen bitteren Commentar über Rousseaus Contract social. Deutsche Übersetzungen von W. E. S. Mylius, Bresl. 1783–1797, 29 Bde.; Auserlesene Werke (von Fr. Gleich, Th. Hell u. A,), Lpz. 1825–1830, 30 Bdchn.; Sämmtliche Werke neu übersetzt von L. G. Förster u. F. H. Ungewitter (unvollendet), Quedlinb. 1827–30, 3 Bde.; neu übersetzt Lpz. 1844 u. f., von Ellisen, ebd. 1854. Vgl. Luchet, Vie littéraire de V., Par. 1781, 6 Bde.; Duvernet, Vie de V., ebd. 1786, u.a. 1797; Mercier, Vie de V., Genf 1788, Condorcet, Vie de V., deutsch Berl. 1791; Mazure Vie de V., Par. 1821; Paillet de Warcy, Vie de V., ebd. 1824, 2 Bde.; Linguet, Examen des ouvrages de Mr. de V., Par. 1788. n. A. 1817; Wagnière u. Longchamp (seine Secretäre), Mémoires sur V. et sur ses ouvrages, ebd. 1826, 2 Bde.; Harel, Discours sur V., ebd. 1844; J. V. Meyer, V. u. Rousseau in ihrer socialen Bedeutung dargestellt, Berl. 1856; Lettres inédites de Madame la Marquise de Chatelet et supplément à la correspondence de V. avec le Roi de Prusse etc, Par. 1818.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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