Wurmkrankheit

Wurmkrankheit

Wurmkrankheit (Helminthiasis, Verminatio), krankhafte Zustände, welche durch das Vorhandensein von Würmern im Darmkanale hervorgerufen werden können. Beim Menschen kommen als Darmparasiten vor: A) von den Cestoden od. Bandwürmern: a) Bothriocephalus latus (Dibrothiumlatum, Taenia lata), bewohnt den Dünndarm, tritt meist im östlichen Europa u. der Schweiz auf; b) Taenia solium, gemeiner Band- od. Kettenwurm, im Dünn- u. Dickdarm, findet sich nur in einem, selten in zwei od. mehren Exemplaren bei demselben Individuum vor, fehlt mit Ausnahme der Schweiz in den Gegenden, wo Bothriocephalus latus vorkommt; c) Taenia mediocanellata, in Mitteleuropa u. einigen Gegenden Afrikas; d) Taenianana (Zwergbandwurm), in Ägypten, s.u. Bandwurm. B) Von den Nematoden, Rund- od. Fadenwürmern: a) Oxyuris vermicularis (Ascaris vermicularis, Springwurm, Madenwurm), findet sich im Dickdarm, bes. im Rectum, s.u. Ascariden; b) Ascaris lumbricoides (Spulwurm), sehr häufig, oft zu Hundert im Dünndarm, s. ebd.; c) Trichocephalus dispar (Peitschenwurm, Haarkopf), im Dick-, bes. Blinddarm, s.u. Fadenwürmern; d) Ancylostomum duodenale im Duodenum u. Jejunum. Während man früher annahm, daß die Würmer im Darmkanale selbst durch die sogenannte Generatio aequivoca bei einer krankhaften Disposition der[393] Darmschleimhaut entstehen könnten, ist diese Ansicht jetzt vollkommen widerlegt u. bes. durch Küchenmeisters Untersuchungen klar erwiesen worden, daß dieselben meist mit den Nahrungsstoffen (bes. im Schweinefleisch als Finne), als Ei od. auf einer Vorstufe in den Darmtractus gelangen u. sich dort erst zu dem letzten Glied des Generationswechsels, zu vollkommenen Würmern, entwickeln. Sämmtliche Darmwürmer nämlich scheinen einem Generationswechsel unterworfen zu sein; von der Taenia solium allein sind indessen diese einzelnen Entwickelungsphasen genau bekannt. Die Erscheinungen, welche durch die Eingeweidewürmer hervorgerufen werden, sind nach der Art u. Menge derselben, der Individualität des von ihnen bewohnten Organismus sehr verschieden; auch gestatten sie blos vermuthungsweise einen Schluß auf Anwesenheit von Eingeweidewürmern. Sie sind die Folge theils einer örtlichen Reizung, theils eines Nervenreflexes. Dahin gehören: Aufstoßen, Brechneigung, starke Speichelabsonderung, häufiges leeres Schlingen, Durchfall, Leib- u. Magenschmerzen, Aufgetriebensein des Leibes, mit Heißhunger wechselnder Appetit, Übelbefinden nach gewissen scharfen Speisen, als Häringen, Zwiebeln, Knoblauch, Essig; blasses gedunsenes Aussehen, Abmagerung, tiefe Ränder um die Augen, trüber, Bodensatz bildender Urin, träges Verhalten, Veränderlichkeit des Pulses, der Gemüthsstimmung, schnell wechselnde Gesichtsfarbe, erweiterte Pupille, Auffahren im Schlafe, Knirschen mit den Zähnen, Krämpfe, Kopfweh, Ohrenbrausen. Als besondere Erscheinungen beim Bandwurm werden genannt: häufige Nervenzufälle (vorzüglich Epilepsie), das Gefühl einer sich im Leibe bewegenden lästigen Masse, öfteres Eintreten von Heißhunger, Mattigkeit, Schwere in den Gliedern. Die Spulwürmer können vom Darm aus in den Magen wandern, heftiges Erbrechen erregen, selbst mit ausgebrochen werden od. durch die Speiseröhre in den Kehlkopf gelangen u. starken Hustenreiz verursachen, zu großen Mengen in dem Darm zusamengeballt, selbst die Zeichen des Ileus, in den Gallengang Icterus od. in die Lebergänge gelangt, eine Leberentzündung hervorrufen. Zuweilen mögen Spulwürmer Darmkatarrh u. leichte Fiebererscheinungen veranlassen, allein in den meisten Fällen haben die abgehenden Spulwürmer mit dem Fieber, welches man auf ihre Rechnung bringt, nichts zu thun. Die Oxyuren erzeugen, wenn sie sich dem After nähern od. aus demselben hervorkriechen, durch ihre beständigen Bewegungen ein lästiges Jucken, welches sich gegen Abend u. des Nachts durch die Bettwärme zu steigern pflegt; öfters gesellt sich fortwährender Stuhldrang hinzu; od. sie kriechen bei Mädchen in die Vulva u. bedingen hier ein beständiges Jucken, welches zu Katarrh der Scheide, ebenso wie des Mastdarmes führen kann. Der Trichocephalus dispar macht gar keine Erscheinungen. Alle jene Zeichen trügen; denn scheinbar ganz gesunde Personen beherbergen oft in ihren Eingeweiden Mengen von Würmern. Der einzige sichere Hinweis auf das Vorhandensein von Würmern wird erst durch das Abgehen derselben od. einzelne Stücke (bes. beim Bandwurm, Proglottiden) mit dem Stuhl od. durch das Ausbrechen von solchen geliefert Die Aussicht zur Heilung von der W. ist eine günstige, wenn gleich dieselbe oft sehr hartnäckig ist u. allen Mitteln längere Zeit trotzt. Die durch die Würmer bedingten Zufälle verlieren sich nach gelungener Cur dann bald, ohne irgend welche Nachtheile für den Organismus zu hinterlassen. Man sucht dieselben entweder langsam zu schwächen u. darauf durch Abführmittel abzutreiben, od. durch ihnen widrige u. schädliche Mittel zu tödten u. rasch aus dem Darme zu entfernen. Die Menge der zu diesem Zweck angewandten Mittel (Wurmmittel, Anthelmintica), ist eine sehr große. Manche, wie das gefeilte u. gekörnte Zinn, Eisen, Dolichos s. Stizolobium pruriens, gepulverte Holzkohle, gelbe Rüben u. Möhren, Erdbeeren greifen die Würmer auf mechanische Weise an. Eigentliche Wurmmittel sind: Zittwersamen (Semen cinae) u. das aus ihm dargestellte Santonin, Chenopodium anthelminticum, Baldrianwurzel, Wermuth, Zwiebeln, Knoblauch, Rainfarrn, Wurmmoos (Helminthochortos), Angelicarinde, Spigelia anthelmia u. S. marylandica, die Rinde von Geoffroya surinamensis, Sabadillsamen, die grüne Schale unreifer Wallnüsse, Farrenkrautwurzel, Granatwurzelrinde, Kousso, Stinkasand, Campher, Cajeputöl, Dippels thierisches Öl, Chapertsches Öl etc. Von diesen zahlreichen Mitteln wendet man heutzutage meist nur noch die am sichersten wirkenden an, nämlich die Farrenkrautwurzel (Cortex radicis filicis maris), die Granatwurzelrinde (Cort. rad. granatorum), den Kousso (Flores brayerae anthelminticae) als Pulver, Infusum, Decoct od. ätherisches Extract an; diese Mittel sind meist gegen den Bandwurm in Gebrauch, während man den Semen cinae u. seine Präparate, bes. sein wirksames Princip, das Santonin (s.d.), vorzüglich gegen die Spulwürmer in Anwendung bringt. In hartnäckigen Fällen pflegt man der eigentlichen Cur eine Vorcur vorangehen zu lassen, um die Würmer zu schwächen. Diese besteht in knapper Diät, Vermeiden aller mehligen Speisen, Genuß von Speisen, welche den Würmern zuwider sind, als Zwiebeln, Knoblauch, Häringssalat; darauf gibt man Morgens nüchtern das eigentlich wirkende Mittel u. läßt ein starkes Abführmittel, wie Ricinusöl, Crotonöl, Calomel, Jalappe, Sennesblätter etc. folgen; gehen die Würmer noch nicht ab, od. sind Reste, bes. beim Bandwurm der Kopf, zurückgeblieben, so fängt man die Cur nach einiger Zeit von Neuem an. Um die Oxyuren aus dem Mastdarme zu vertreiben, wendet man am besten Klystiere von Wasser mit Essig, Knoblauch, Sublimatlösung an; doch muß man große Klystiere geben u. den Gebrauch derselben länger fortsetzen. Zu den W-en gehört ferner noch die Trichinenkrankheit, s.d.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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