Neptunbrunnen (Sankt Petersburg)

Neptunbrunnen (Sankt Petersburg)
Der Neptunbrunnen in Peterhof

Der St. Petersburger Neptunbrunnen ist ein großer Gartenbrunnen am Schloss Peterhof, der Sommerresidenz des Zaren Peter des Großen, der auf einen älteren barocken Stadtbrunnen für Nürnberg zurückgeht. Er gilt als größter Brunnen barocken Ursprungs nördlich der Alpen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

1797 kaufte Zar Paul I. die Figuren des ursprünglich 1656 von Georg Schweigger und Christoph Ritter für den Nürnberger Hauptmarkt als "monumentum pacis" als Mahnmal für den Dreißigjährigen Krieg entworfenen Barockbrunnens für 66.000 Gulden von der Stadt Nürnberg, ließ sie nach Peterhof bei Sankt Petersburg verschiffen und frontal vor dem 'Großen Palast' im 'Oberen Garten' im Park seiner Sommerresidenz aufstellen. Entsprechend dem Standort und auch dem geändertem Zeitgeschmack wurde das Arrangement gegenüber dem ursprünglichen Entwurf (der als barocker Architekturbrunnen im städtischen Kontext konzipiert war) bei der Aufstellung in Peterhof nach den Plänen des klassizistischen Hofarchitekten Franz Brauer stark verändert. Die nunmehr in einem neugeschaffenen oktogonalem Großbecken (92 x 33 m) zentral positionierte Figurengruppen wurden weiter auseinandergezogen der neue Mittelsockel (Podest der Neptunstatue) wurde in der Höhe deutlich verringert. Später wurden noch Ergänzungen um weitere kleinere Figuren (Fische) vorgenommen. Er korrespondiert mit dem Eichenbrunnen, dem Undefinierbaren Brunnen und der Quadratfontäine und ist somit integrativer Teil eines großräumigen Wassergartens.

1895 aufgenommene Verhandlungen des kaiserlichen Außenministeriums über den Rückkauf des zwischenzeitlich als wertvolles Zeugnis des deutschen Frühbarock erkannten Brunnens nach Deutschland scheiterten.[1] Als Versöhnungs- und Verständigungsgeste gestattete der Zar jedoch die Abformung. Mit den vom Gipsformer Ludwig Leichmann 1896 unmittelbar in Peterhof genommenen Abdrücken entstand ein Zweitguß des verkauften Brunnens, der in der ursprünglichen barocken Komposition (entsprechend den Forschungsarbeiten von Friedrich Wanderer) 1902 Aufstellung auf dem Hauptmarkt in Nürnberg fand. (Damit ergab sich die kuriose Situation, dass in Peterhof in der Barockzeit gegossene Figuren in einer Komposition des frühen 19. Jahrhunderts standen und in Nürnberg Figuren die im späten 19. Jahrhundert gegossen waren in der Komposition der Barockzeit.)

1941 wurde der Neptunbrunnen von Angehörigen des "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg" erfasst und später als Kriegsbeute abgebaut, nach Nürnberg verbracht und dort im Paniersbunker eingelagert. Kurioserweise überlebte er den Krieg unbeschadet, weil er deswegen nicht dem Artilleriebeschuss im Rahmen der Rückzugsgefechte ausgesetzt war. Zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Original, das in Nürnberg nie aufgestellt worden war, (in den Originalkisten des Kunstraubs von 1942) nach Russland zurückgeführt und zunächst in Leningrad (heute Sankt Petersburg) dann in Peterhof eingelagert. Zu einer Wiederaufstellung gelangte es aus politischen Gründen zunächst nicht, da die sowjetischen Kulturbehörden den Brunnen als faschistisches Kulturgut[2] oder als bourgois betrachteten. Bei der Rückführung des Brunnens war auch eine Neridenstatue verloren gegangen (in der so beschrifteten Kiste wurde stattdessen ein erbeutetes Motorrad transportiert).[1] Nach dem Ende der Stalin-Ära wurde der Brunnen 1956 an seinem ursprünglichen Platz, zunächst ohne die fehlende Neride, wieder aufgebaut. Silikonabgüsse am Petershofer Original und an dem Nürnberger Zweitguß ermöglichten eine Restaurierung verlorengegangener und zerstörter Teile beider Brunnen. 1970 wurde im Rahmen des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion abgeschlossenen Kulturabkommens (Anhang des Vertrages über die Verbesserung der bilateralen Beziehungen [3]) die Wiederherstellung der verlorengegangen Neride ermöglicht. Der russische Bildhauer W.I. Tatarowitsch fertigte die verlorene Figur nach der Vorlage des Nürnberger Zweitgusses erneut. 1996 wurde der Brunnen nochmals restauriert. Dabei wurden mehrere Details, die im Laufe der Jahrhunderte (durch Kriegswirren, oder bereits durch Entfernung bei der klassizistischen Uminterpretation) verlorengegangen waren (Zügel, Peitschen, Rutenbündel, Muschelhörner, etc.) nach der Vorlage des Nürnberger Zweitgusses rekonstruiert. Bei dieser Gelegenheit wurde auch das ursprünglich vorgesehenen Wappen mit dem Habsburger Doppeladler angebracht.

Aussehen

Auf zwei übereinandergestellten kubischen Marmorblöcken (anstelle des von Georg Schweigger vorgesehenen hohen Bronzesockels) in der Mitte des Brunnens steht die Bronzestatue des römischen Gottes Neptun, zu seinen Füßen zwei Reiter auf geflügelten Pferden und zwei Nymphen mit Rudern, die auf die Flüsse Rednitz und Pegnitz, die durch Nürnberg fließen, symbolisieren. Umringt wird das Ensemble vierseitig von Tritonen, Neriden und Gruppen auf einem Drachen reitender Putten, Delfinen und einem Seelöwen, allesamt allegorische Meeresfiguren. Das gesamte Arrangement steht auf einer Grundplatte, die sich etwas über den Wasserspiegel des Großbeckens erhebt und ist (im Verhältnis zum ursprünglich barocken Entwurf) weit auseinandergezogen. Zwei hinzugefügte Meerjungfrauen stellen symbolhaft die russischen Süßwasserflüsse im allgemeinen Sinne dar. Auf der Vorderseite des Postaments prangt der Zarenadler des Herrscherhauses Romanow, anstelle des für die Aufstellung in Nürnberg vorgesehenen Habsburger Doppeladlers. Auf der rückwärtigen Sockelseite blieb das Nürnberger Stadtwappen als Reminiszenz an die Herkunft des Brunnens erhalten. Sämtliche allegorische Figuren sind ihres 140 Jahre älteren Ursprungs gemäß (barocktypisch) in extremer Bewegung dargestellt, was dem Konzert der Figuren eine für den Klassizismus ungewöhnliche Dynamik verleiht[2].

Nicht unbedingt zeittypisch für den frühen Barock verwendete das Arrangement ausschließlich Figuren und Symbole der griechischen Mythologie und Allegorien des Wassers; die Bildsprache des Brunnens ist frei von christlicher Symbolik. Er ist damit auch Ausdruck und Zeugnis der gut 130 Jahre nach Durchsetzung der Reformation und unter dem starken Einfluss des Humanismus (Melanchthon) fortgeschrittenen Verweltlichung des Lebens im Nürnberg des 16. Jahrhunderts. Das Figurenprogramm eignete sich insofern gut für ein Neuarrangement im Sinne des repräsentativen Klassizismus des frühen 18. Jahrhunderts.

Literatur

  • V.E. Ardikuza: Pedrodvorec, parky, fontany, dvorcy, Lenizdat 1968
  • Ruth Bach-Damaskinos: Neptunbrunnen. In: Michael Diefenbacher, Rudolf Endres (Hrsg.): Stadtlexikon Nürnberg. 2., verbesserte Auflage. W. Tümmels Verlag, Nürnberg 2000, ISBN 3-921590-69-8 (Gesamtausgabe online).
  • Helmut Beer: Der Neptun-Brunnen – eine fast unendliche Geschichte. NZ-Serie: 200 Jahre Franken in Bayern. Nürnberger Zeitung Nr. 27 vom 2. Februar 2006, S. 18
  • Anton Bosch Zwei Nürnberger Neptunbrunnen machen Geschichte. In Rußland-deutsche Zeitgeschichte Band 4, ISBN 3-9809613-2-X, dort S. 14.
  • Ernst Mummenhoff: Der Neptunbrunnen zu Nürnberg, seine Entstehung und Geschichte, Nürnberg 1902.
  • Erich Mulzer: Neptuns Irrfahrten (Geschichte des Neptunbrunnens). In: Nürnberger Altstadtberichte, Hrsg.: Altstadtfreunde Nürnberg e.V., Heft 13 (1988)
  • Nürnberger Zeitung (NZ): Brunnen im Abseits. Wie Nürnberg mit einem großen Werk umging.", NZ vom 18. Februar 2003, S. 13.
  • Friedrich Wanderer: Die Geschichte des Nürnberger Peuntbrunnens, Mitteilungen des Vereins zur Geschichte Nürnbergs, Bd. 3, 1881 (s.u. Weblink)
  • Hans Robert Weihrauch: Georg Schweigger (1613-1690) und sein Neptunbrunnen für Nürnberg, Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1940-1953, Berlin, 1954, S. 87-143

Weblinks

Quellen

  1. a b Anton Bosch Zwei Nürnberger Neptunbrunnen machen Geschichte, Nürnberg/München 2004
  2. a b V.E. Ardikuza: Pedrodvorec, parky, fontany, dvorcy, Lenizdat 1968
  3. Breschniew-Brandt-Abkommen, szt. allg. "Ostverträge" betitelt.
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