Nestorianische Kirche

Nestorianische Kirche

Die Assyrische Kirche des Ostens (auch Apostolische Kirche des Ostens; vollständige Bezeichnung: Heilige Apostolische und Katholische Assyrische Kirche des Ostens) ist eine autokephale und völlig eigenständige Ostkirche syrischer Tradition in Nachfolge des altchristlichen Katholikats von Seleukia-Ktesiphon.

Sie besitzt einen mit dem Papst in Rom unierten Zweig heute mindestens gleicher Stärke in Gestalt der Chaldäisch-Katholischen Kirche unter dem Patriarchen von Babylon. Katholisches Gegenüber der Indischen Metropolie der „Kirche des Ostens“ ist die erheblich größere Syro-Malabarische Kirche. Beide zählen zu den Thomaschristen.

Die nicht mit Rom geeinte „Kirche des Ostens“ der sog. Nestorianer ist seit den 1960er Jahren gespalten in die weltweit agierende „Heilige Apostolische und Katholische Assyrische Kirche des Ostens“ mit Sitz in Chicago und die auf den Irak konzentrierte, aber auch in den USA und Deutschland präsente „Alte Apostolische und Katholische Kirche des Ostens“ mit Sitz in Bagdad.

Inhaltsverzeichnis

Namen

Der ursprüngliche Name lautet Kirche des Ostens. Damit wurde ausgedrückt, dass sie für die Christen östlich der Grenze des Römischen Reiches zuständig war. Sie bildet das altkirchliche „Katholikat von Seleukia-Ktesiphon“; denn der historische Sitz ihres Oberhauptes, des Katholikos bzw. Katholikos-Patriarchen, ist – jetzt nur nominell – Seleukia-Ktesiphon (auch „Babylon“ genannt) im heutigen Irak. Als einzige der altchristlichen Kirchen war sie niemals Staatskirche, sondern unterstand immer nichtchristlicher Herrschaft. Nach ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet wird sie auch „Persische Kirche“, „Mesopotamisch-Persische Kirche“ oder „Ostsyrische Kirche“ genannt.

Andere Bezeichnungen sind „Chaldäische / Chaldäisch-syrische / Chaldäisch-assyrische Kirche“ (diese Begriffe meinen heute meist die mit Rom unierte Chaldäisch-Katholische Kirche, werden aber teilweise auf die autokephale Assyrische Kirche ausgedehnt).

Die Beifügungen „chaldäisch“ (ab 15. Jh.) sowie „assyrisch“ (ab 19. Jh.) sind neuzeitlich und beide europäischer Herkunft. Sie sind ursprünglich sprachlich (chaldaica seu syriaca) bzw. historisch-geographisch gemeint; ihr eigentlicher Zweck war die Vermeidung der Bezeichnung „nestorianisch“ für jene Teile der „Kirche des Ostens“, die sich der römisch-katholischen bzw. anglikanischen Kirchengemeinschaft angenähert oder angeschlossen hatten. Das Beiwort „nestorianisch“ und der Name „Nestorianer“ werden heute als Selbstbezeichnung auch von den Nicht-Katholiken abgelehnt. In theologischer und historischer Fachliteratur hingegen ist die Bezeichnung „Nestorianische Kirche“ noch weit verbreitet. Manche sprechen widersinnig sogar von „katholischen Nestorianern“. Teil eines kirchlichen Eigennamens wird das Adjektiv „assyrisch“ in der 2. Hälfte des 20. Jh.

Vom Namen „Kirche des Ostens“ lässt sich schwer ein Adjektiv ableiten, das nicht, wie etwa „ostkirchlich“, zu Missverständnissen Anlass bietet. Üblich sind „ostsyrisch“ (konfessionell neutral), „chaldäisch“ (katholisch konnotiert), „assyrisch“ (vorwiegend nicht-katholisch), auch „assyro-chaldäisch“ (zusammenfassend oder katholisch).

Die ostsyrischen Christen wurden manchmal auch als „Protestanten des Ostens“ bezeichnet, gehören jedoch traditionell einer Kirche des katholischen Typs an. Nur kleine Gruppen wurden seit dem 19. Jh. evangelisch.

Von der „Assyrischen bzw. Alten Kirche des Ostens“ zu unterscheiden sind:

Zusammengefasst bilden sie die „Kirchen der Syrischen Tradition“ bzw. das „Syrische Christentum“. In neuerer Zeit werden die Mitglieder dieser Kirchen auch als Aramäer bezeichnet.

Gegenwart

Verbreitung

Heute gehören vermutlich etwa 300.000 bis 400.000 Gläubige in Iran, Irak, Syrien, der Türkei, den USA, Europa und Australien der autokephalen Assyrischen Kirche an. Davon lebt gegenwärtig etwa die Hälfte nicht im Nahen Osten, sondern in der Diaspora, vor allem in den USA, etwa 80.000 allein in der Gegend von Chicago. Alle Zahlenangaben sind nur geschätzt und verfolgen auch andere als statistische Zwecke. Neuzeitliches Zentrum und Sitz des Patriarchen war bis zum 1. Weltkrieg Qudshanis in der heutigen Ost-Türkei. Aus politischen Gründen ist es derzeit Chicago in den USA; im Irak residiert der Gegenpatriarch Addai II.

In Deutschland gibt es zwei Gemeinden in Wiesbaden/Mainz, darunter eine der Altkalendarier mit eigenem Bischof: Mar Timotheus Shalita Odisho (*1936), in Österreich eine Mission in der Boltzmanngasse in Wien.

Lehre

Die Beschlüsse der ökumenischen Konzilien von Nicäa 325 und Konstantinopel 381 werden voll anerkannt.

Das grundlegende Glaubensbekenntnis ist das Nicäno-Konstantinopolitanum. Die Mysterien der Trinität und der Inkarnation sind zentrale Punkte der Lehre. In der Christologie vertritt sie, dass Jesus Gott und Mensch war, und dass seine zwei Naturen unvermischt und unverändert sind. Doch während die Monophysiten die beiden Personen als in keiner Weise trennbar – weder real noch in der Anschauung – betrachten, sehen die Duophysiten sie in gewisser Weise getrennt. Das Menschliche ist irgendwie der Träger des Göttlichen in dem einen Gott-Mensch; Maria ist „nur“ die Mutter des Menschlichen in ihm, deshalb wird der Begriff Muttergottes oder Theotokos (Gottesgebärerin) für die Jungfrau Maria abgelehnt, der Begriff „Mutter Christi“ wird bevorzugt. Im ökumenischen Dokument von 1994 (siehe unten) heißt es: „In Jesus Christus ist der Unterschied zwischen der göttlichen und menschlichen Natur in allen Eigenschaften, Fähigkeiten und Handlungen erhalten.“ Er ist eine Person mit zwei kompletten Naturen, in ihm unauflöslich verbunden, aber nicht vermischt.

Sakramente sind die Eucharistie (Qurbana), die Taufe, die Priesterschaft, die Vergebung der Sünden, heilige Salbung, der Sauerteig, der dem Brot des Abendmahls beigegeben wird und das Zeichen des heiligen Kreuzes (On the Church Sacraments, Book of Marganitha, Teil IV, nestorian.org).

Einen verpflichtenden Zölibat gibt es nur für Bischöfe und Mönche. Priester dürfen heiraten, im Gegensatz zu den übrigen Ostkirchen auch nach der Priesterweihe.

Gottesdienst und Praxis

Die „Kirche des Ostens“ hat eine eigene Gottesdienstordnung ausgebildet: die Ostsyrische Liturgie, auch Chaldäischer Ritus genannt.

Die Kirchensprache ist das zum Aramäischen gehörende Syrisch. Die Verwendung moderner Sprachen im Gottesdienst ist umstritten. Die Bräuche sind ähnlich wie in den anderen altorientalischen Kirchen. Ikonen werden allerdings abgelehnt. Bei den Katholiken sind Bilder und sogar Statuen üblich.

Die Eucharistie wird als Qurbana (Opfer, vgl. Hebräisch Korban) bezeichnet und wird jeden Sonntag gefeiert. Es wird immer ein Teil des eucharistischen Brotes wieder in den neuen Brotteig gemischt; dieser Brauch geht nach dem Glauben der Kirche bis auf das allererste heilige Abendmahl zurück, das Jesus Christus selbst abhielt. Die Kirche verwendet in der Eucharistie heute noch eine Liturgie unter dem Namen des Theodor von Mopsuestia aus dem 5. Jahrhundert. Das Hauptformular ist nach den Gründermissionaren Addai und Mari benannt. Die Gemeinde steht während des Gottesdienstes. Weihrauch gehört zur Liturgie.

In der siebenwöchigen Fastenzeit vor Ostern wird auf Fleisch, Eier und Milchprodukte verzichtet.

Kirchenfeste sind Christi Geburt, Epiphanias, Palmsonntag, Auferstehung, Himmelfahrt, Pfingsten, Fest des Kreuzes, und Heiligung der Kirche.

Von Theodor von Mopsuestia hat die Assyrische Kirche, als einzige Ostkirche, das Konzept der Allversöhnung in die Liturgie aufgenommen.

Organisation

Episkopat

Die Assyrische Kirche des Ostens wird von Bischöfen in Apostolischer Sukzession geleitet. Das Bischofsamt existiert in drei besonderen Weihestufen: Katholikos-Patriarch, Metropolit und (einfacher) Bischof. Jedes dieser Ämter wird durch eine eigene Ordination übertragen.

Das Oberhaupt der Assyrischen Kirche des Ostens ist der Katholikos-Patriarch. Er beansprucht seit alters (wie der Papst in Rom) die „petrinische Schlüsselgewalt“ nach Mt 16,19; 18, 18 und wird daher heute auch „Petrus unserer Zeit“ genannt.

Gegenwärtige Inhaber des Amtes sind:

  • In Chicago: Seine Heiligkeit Mar Dinkha IV.(gewählt 1976 bei London).
  • In Bagdad: Seine Heiligkeit Mar Addai II. (gewählt 1972 als Nachfolger des Thomas Darmo).

Ein Bischof muss durch mindestens zwei (oder mehr) Bischöfe geweiht werden, die ihrerseits in der Apostolischen Sukzession und vollen Kommunion mit der Kirche stehen. Er bleibt so lange ordentlicher Bischof, wie er selbst in der vollen Kommunion mit der „Kirche des Ostens“ steht.

Der Episkopat beider Jurisdiktionen umfasst heute weltweit etwa zwölf bzw. sieben Bischöfe. Vor allem im Irak und in den USA stehen beide Episkopate in Konkurrenz miteinander. Daneben amtieren drei einzelne Bischöfe unklarer Rechtsstellung in USA und Deutschland (Mainz). Innerkirchliche Spannungen sind periodisch zu beobachten, erneut 2005/06.

Patriarchen wie Bischöfe leben ehelos, entstammten lange Zeit dem Mönchtum, das in organisierter Form heute nicht mehr besteht.

Besonderheiten

Seit etwa 1400 wurden sowohl das Patriarchen- wie das Bischofsamt durch Erbfolge, meist Onkel – erstgeborener Neffe, in bestimmten Familien besetzt. Darüber kam es nicht selten zu Auseinandersetzungen, mehrfach sogar zur Kirchenspaltung, zuletzt in den 1960er Jahren. Heutige Bischöfe sind fast ausnahmslos gewählt.

Bis in das 3. Viertel des 20. Jh. mussten sich alle Bischöfe der „Kirche des Ostens“ von Jugend an fleischlos ernähren. Daher verzichteten die Mütter möglicher Bischöfe während der Schwangerschaft auf das Fleisch, so noch im Fall von Mar Dinkha IV. Ein Mädchen, das aus einer derartigen Schwangerschaft hervorging, hatte – vor allem falls Schwester oder Tante des amtierenden Patriarchen – eine herausragende Stellung in der Gemeinschaft. Dies erklärt die besondere Rolle von Lady Surma-Hanim (27. Januar 1883 – 7. Dezember 1975), Schwester von Shimun XXI. und Shimun XXII., die besonders in den ersten Jahrzehnten des Patriarchen Shimun XXIII. als Sprecherin der assyrischen Nation öffentlich auftrat.

Gemeinden

Die Assyrische Kirche des Ostens hat heute rund 120 Pfarreien und 20 Missionen (Gemeinden ohne Priester am Ort) in 16 Ländern. Die meisten Pfarreien besitzen eigene Kirchen. An ihnen sind mehr als 125 Priester und Hunderte von Diakonen tätig. 120 Priester sind oder waren verheiratet, einige wenige leben zölibatär.

Geschichte

Die Assyrische Kirche des Ostens führt sich selbst zurück auf den Apostel Thaddäus (aramäisch: Mar Addai), der zwischen den Jahren 37 und 65 in Mesopotamien predigte, rechnet sich also zu den apostolischen Kirchen und den ältesten Kirchen der Welt (nach Jerusalem und Antiochia). Gegenwärtig wird sogar eine Gründung der Kirche von Seleukia-Ktesiphon/Babylon durch den Apostel Petrus beansprucht, gefolgert aus 1 Petr. 5, 13: „Es grüßt euch die Gemeinde in Babylon …“.

Der erste syrisch-sprachige Bischofssitz war Edessa in der heutigen Türkei, dann ab dem dritten Jahrhundert war der zentrale Bischofssitz für Persien Seleukia-Ktesiphon im heutigen Irak. Nach den pseudo-nicaenischen Konzilsakten wurde letzterer 325 den westlichen Patriarchalsitzen gleichgestellt, historisch ist die Errichtung des Katholikats wohl erst auf 334 mit der Wahl Mar Papas anzusetzen.

In der Rivalität der Lehre zwischen der Alexandrinischen Schule und der Antiochenischen Schule hielt sich die Assyrische Kirche an Antiochia.

Die autokephale Entwicklung wird in der theologischen Literatur allgemein mit der Synode in Beth-Lapat 484 in Verbindung gesetzt. Nestorius wurde früh um 430 von Kyrill von Alexandrien der Häresie bezichtigt und versucht zu exkommunizieren. Auf dem Konzil von Ephesos 431 und 433 wurde Nestorius' Lehre offiziell abgelehnt und er zog sich zurück, später musste er ins Exil nach Oasis. Im nestorianischen Streit des frühen 5. Jahrhunderts nahm die Assyrische Kirche Partei für Nestorius, weil dieser nach ihrer Sicht nicht der ihm vorgeworfenen Häresie schuldig war und ein orthodoxes Christentum lehrte. Folgerichtig weigerte sie sich daher, ihn zu exkommunizieren. Jedoch gewann in Mesopotamien die Lehre Nestorius' einige Anhänger, so dass sich diese Kirchen von den westlicheren Kirchen distanzierten und deren Monophysitismus und dessen theotokos-Begriff.

Auf der oben erwähnten Synode von Beth-Lapat wurde die Lehre der Assyrischen Kirche, die Elemente der Lehre des Nestorius aufnahm, verbindlich für das Patriarchat von Seleukia-Ktesiphon, der christlichen Kirche im Sassanidenreich. Es wird bezweifelt, dass es vorher eine autokephale Assyrische Kirche des Ostens gab. Entgegen weitverbreiteten Annahmen wurde die Assyrische Kirche des Ostens jedoch nicht von Nestorius gegründet – Nestorius stammte aus Antiochia und war Patriarch von Konstantinopel. In der Assyrischen Kirche spielt vor allem Theodor von Mopsuestia eine bedeutende Rolle.

Missionarische Tätigkeit

Sie gehörte jahrhundertelang zu den lebendigsten christlichen Kirchen, die in großen Teilen Asiens missionarisch tätig war. Im Sassanidenreich wurde sie seit dem 5. Jahrhundert als Kirche geduldet (teils sogar gefördert; so war der wichtigste Finanzbeamte Chosraus II., Yazdin, selbst ein Mitglied dieser Kirche), da sie der oströmischen Reichskirche in Konstantinopel feindlich gegenüberstand und die Sassaniden so nicht eine römische „Unterwanderung“ befürchten mussten. Wichtige Informationen zum Leben der Christen in Persien liefert die Chronik von Seert.

In Arabien waren viele Kirchen gegründet worden, die jedoch verschwanden, als um 636 die Islamische Expansion begann und die Araber sowohl den römischen Orient als auch das Sassanidenreich eroberten. Die dortigen Christen waren teils Repressionen ausgeliefert, die im Laufe der Zeit zunahmen. Zunächst durften sie jedoch – wenigstens solange sie eine besondere Steuer zahlten, ihren Glauben nicht in der Öffentlichkeit ausübten und keine Waffen trugen – ihren Glauben ausüben. Die meisten Araber konvertierten schließlich zum Islam, ähnlich wie in Persien die Moslems im 10. Jahrhundert die Mehrheit bildeten. In Zentralasien wurde die Missionstätigkeit der „Nestorianer“ jedoch weiter und teils sehr erfolgreich fortgesetzt.

In Mesopotamien hielten sich die Christen lange in der Mehrheit, trotz arabischer Herrschaft. Ihr Bildungswesen kam den Arabern zugute, und die Christen in Nisibis übersetzten Werke der griechische Philosophie und Wissenschaften ins Arabische. Die Zahl der Christen nahm jedoch im islamischen Herrschaftsbereich schließlich ab. Nach einer erneuten Blütezeit im 12./13. Jahrhundert durch die Mongolen, die anfänglich die Christen privilegierten, folgte allerdings schnell der Untergang, nachdem die Mongolen sich dem Islam zugewandt hatten. Die christliche Mehrheit schwand. Die Kirche erodierte bis zu ihrem praktischen Verschwinden im 14. Jahrhundert.

Es gab ostsyrische Gemeinden entlang der ganzen Seidenstraße. Von hier aus kam es auch zur Christianisierung der Uighuren in Zentralasien. Ab 635 gab es auch Christen im Kaiserreich China. Sie wurden geduldet, blieben jedoch eine Religion der Ausländer. Im 17. Jh. grub man die Stele von Si-an-fu aus, die aus dem Jahr 781 stammt. Die Inschriften zeigen, dass die christliche Lehre zu dieser Zeit teilweise so sehr an die Umwelt adaptiert war, dass die christliche Kernbotschaft vom Kreuz und Auferstehung Jesu nur am Rande vorkam. 845 wurde ein kaiserliches Edikt erlassen, das (nicht nur christliche) Mönchtum einzuschränken. In Folge der Restriktionen verschwand die Kirche aus China. In der Mongolen-Zeit des 13. Jahrhundert – in der Yuan-Dynastie – kamen noch einmal Christen nach China, die jedoch Mitte 14. Jahrhundert beim Wechsel zur Ming-Dynastie wieder verschwanden. Nach Ansicht mancher Forscher drangen die Christen bis nach Japan und Korea vor.

In der mongolischen Hauptstadt Karakorum befand sich um 1250 eine chaldäische Kirche. Daher kann davon ausgegangen werden, das das ostsyrische Christentum im Mongolenreich bis um 1350 eine verbreitete Glaubensrichtung war. Nachdem die Mongolen sich dem Islam (und teilweise dem Buddhismus) zuwendeten, verschwand die Kirche jedoch bis zum 14. Jh.

Nach Indien kam das Christentum schon sehr früh durch den Apostel Thomas. Als im 6. Jh. die Christen nach Indien kamen, fanden sie die Thomaschristen im Süden Indiens vor. Die übrigen Christen verteilten sich in kleinen Minderheiten über ganz Indien. Eine Überlieferung fehlt leider. Jedoch verschwanden die Gemeinden im Laufe des 13. und 14. Jhs. während des islamischen Mameluken-Sultanats. Danach fanden sich nur noch die Thomaschristen in Südindien.

Im 13. und 14. Jahrhundert fanden europäische Reisende an der indischen Südküste und in Ceylon alteingesessene christliche Kirchen, deren Kirchensprache das Syrische war. Im 13. Jahrhundert hatte der Patriarch der Nestorianer eine Hierarchie von 25 Metropoliten und etwa 250 Bischöfen (zum Vergleich: am etwa gleichzeitigen 4. Laterankonzil, einem der Höhepunkte der mittelalterlichen Papstkirche, nahmen 400 Bischöfe teil). Im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit schrumpfte die Kirche aber unter dem ständigen Druck von Islam, Hinduismus und Buddhismus stark zusammen.

Neuzeit: Spaltungen und Verluste

Der Katholikos-Patriarch von Seleukeia-Ktesiphon residierte von 773 bis 1295 in Bagdad und in späterer Zeit im Kloster Rabban Hormizd bei Alqosh. Nach den Einfällen der Mongolen beschränkte sich in der Neuzeit das Verbreitungsgebiet der „Kirche des Ostens“ im wesentlichen nur noch auf das Gebiet zwischen Mardin und Urmia sowie zwischen Van und Kirkuk. Siedlungsschwerpunkte waren das Hochgebirge von Hakkari, das Gebiet von Urmia und die Ebene von Mosul. Die seit der Spätantike bestehende Jurisdiktion über die indischen Thomaschristen ging vom 16. bis zum 19. Jh. verloren, weil die Portugiesen ihren Anschluss an die römisch-katholische Kirche durchsetzten bzw. ihre Abwanderung in die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien provozierten.

Im 15. Jahrhundert wurden Katholikat und Bischofsstühle der „Kirche des Ostens“ Erbgut bestimmter Familien und z. T. bis in das 20. Jh. durch Erbfolge, meist Onkel – Neffe, besetzt. Dies führte mehrfach zu Opposition und Kirchenspaltung. Der erste gewählte Katholikos-Patriarch der Oppositionsfraktion, Mar Shimun Sulaqa, ließ sich 1553 in Rom ordinieren und begründete die jüngere Patriarchenlinie sowie eine erste Chaldäisch-Katholische Kirche. Der Sitz des Katholikos-Patriarchen der älteren Linie war inzwischen von Seleukia-Ktesiphon über dessen Nachfolgesiedlung Bagdad nach Alqosh bei Mosul gewandert. Sitz des oppositionellen Katholikos-Patriarchen war zunächst Diyarbakir, schließlich, nach mehreren Zwischenstationen, Qudshanis. Die jüngere Linie löste um 1662 die Gemeinschaft mit Rom, so dass es von da an zwei nicht-katholische Patriarchenlinien gab:

  • die südliche der Mar Elias im Kloster Rabban Hormizd bei Alqosh („Patriarchat der Ebene“), Rechtsnachfolger des altchristlichen Katholikats von Seleukia-Ktesiphon, und
  • die nördliche, ehemals katholische der Mar Shimun in Qudshanis im Gebirge von Hakkari („Patriarchat der Berge“).

In den 1670er Jahren vereinigte sich der Bischof von Diyarbakir (Amida) mit der Kirche von Rom und erhielt gleichfalls Titel und Rang eines Patriarchen (Patriarchat von Diyarbakir). Eine weitere, bis heute bestehende Teilunion mit Rom erfolgte im 19. Jh. Die ältere Linie der Katholikoi-Patriarchen starb 1804 aus bzw. sie wurde katholisch mit Johannes Hormizd, dem Neffen des letzten „nestorianischen“ Patriarchen der Familie, Elijah XIII Išō'yahb (1778-1804). Vorübergehend gab es damit auch zwei miteinander konkurrierende katholische Patriarchate:

  • das der Mar Joseph von Diyarbakir und
  • das katholisch gewordene „Patriarchat der Ebene“ von Mosul (vormals Katholikat von Seleukia-Ktesiphon).

Die Nichtkatholiken des Gebiets um Mosul akzeptierten die (inzwischen ebenfalls erblich gewordene) Hierarchie des von Rom getrennten Patriarchats von Qudshanis. Diese assyrische Kirche wurde im 19. Jh. von nahezu sämtlichen Konfessionen des Westens (der römisch-katholischen, der russischen Orthodoxen Kirche, den Anglikanern, amerikanischen Protestanten und deutschen Lutheranern) umworben und verlor an diese einen Teil ihrer Mitglieder, selbst ganze Diözesen. Die schwersten Verluste an Gebiet, Gut und Leben erlitt sie freilich in den Kämpfen mit Türken, Kurden, Iranern und Irakern zur Zeit des 1. Weltkriegs und Anfang der 1930er Jahre unter den Katholikoi Shimun XXI., Shimun XXII. und Shimun XXIII.

Kulturell spielte die ostsyrische Kirche eine wichtige Rolle bei der Tradierung des Wissens der Antike: es waren christliche Ostsyrer, die am Hof der arabischen Kalifen die griechischen Philosophen, vor allem Aristoteles, übersetzten – die dann über diesen Umweg einige hundert Jahre später auch in Europa wieder bekannt wurden.

Ökumene

Die Assyrische Kirche des Ostens ist Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen. Sie steht jedoch mit keiner anderen Kirche katholischen Typs (Orientalisch-Orthodoxe, Byzantinisch-Orthodoxe, Katholiken) in Kommuniongemeinschaft.

Zwischen Mar Dinkha IV. und dem römisch-katholischen Papst Johannes Paul II. gab es am 11. November 1994 ein historisches Treffen im Vatikan, bei dem auch eine in zehnjähriger Arbeit vorbereitete Konsenserklärung zur Christologie unterzeichnet wurde. Dabei erklärten beide Seiten die „volle Kirchengemeinschaft“ zum Ziel ihres weiteren „Theologischen Dialogs“.

Danach verbesserten sich die Beziehungen auch zur mit Rom unierten Chaldäisch-katholischen Kirche, so dass seit 2001 unter gewissen Bedingungen eine gegenseitige Teilnahme an der Eucharistie möglich ist. 2005 beschloss die 10. Synode der Assyrischen Kirche des Ostens (31. Oktober – 7. November 2005), eine von ihre als unterschriftsfähig bewertete Joint Declaration on Sacramental Life („concerning the seven [!] sacraments“) von Assyrischer und Römisch-Katholischer Kirche einstweilen nicht zu unterzeichnen, weil die nach der Unterschrift einzuleitende dritte und abschließende Phase des Gemeinsamen Dialogs zur Anerkennung der Autorität der Kirche von Rom führen könnte.[1] Ein Grund der Verzögerung scheinen aktuelle und andauernde innerkirchliche Auseinandersetzungen, unter anderem über die künftige Verbindung der Assyrischen mit der Römisch-katholischen sowie der Chaldäisch-katholischen Kirche, zu sein. Ihren deutlichsten Ausdruck finden sie mit der umstrittenen Amtsenthebung des Bischofs Mar Bawai Soro (bürgerlich Ashur Soro), die Gegenstand gerichtlicher und publizistischer Auseinandersetzungen wurde. Am 31. Oktober 2008 wurde Ashur Bawai Soro auf einer im Irak versammelten Bischofssynode exkommuniziert.[2] Am 21. Juni 2007 besuchte Mar Dinkha IV. den römischen Papst Benedikt XVI. im Vatikan und führte Gespräche mit Kardinal Walter Kasper über die mögliche Fortsetzung des Dialogs zwischen beiden Kirchen.

Kontroversen

Anfang des 20. Jahrhunderts beschuldigten die Türken den assyrischen Patriarchen Shimun XXI. der Kollaboration mit dem russischen Reich. Den darauffolgenden militärischen Auseinandersetzungen fiel 1918 auch der Patriarch zum Opfer. Vor der anhaltenden Bedrängung durch kurdische und irakische Truppen floh der Nachfolger Shimun XXII. 1918 mit den assyrischen Stämmen in den Irak. Nach dessen Unabhängigkeit wurde der neue Patriarch, Shimun XXIII., 1933 des Landes verwiesen. Er residierte zunächst in England, seit 1940 in den USA. Die Annahme des gregorianischen Kalenders und Kritik an der weiterbestehenden Erblichkeit des Patriarchats führten seit 1964 zur Abspaltung zunächst unter Mar Thomas Darmo, dann unter Mar Addai II., Katholikos-Patriarch in Bagdad. Diese Kirche, die im Irak seit 1972 staatlicherseits anerkannt wurde, wird zur Unterscheidung Alte Apostolische und Katholische Kirche des Ostens genannt.

Bedeutende Angehörige der Ostsyrischen Kirche

Religiöse Persönlichkeiten

Literatur

  • Wilhelm Baum und Dietmar W. Winkler: Die Apostolische Kirche des Ostens. Kitab, Klagenfurt 2000. ISBN 3-902005-05-X. [Guter, knapper Überblick. Engl. Übersetzung: The Church of the East: a concise history. Routledge – Curzon, London – New York 2003, ISBN 0-415-29770-2.]
  • Wolfgang Hage: Nestorianische Kirche. In: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 24 (1994), S. 264–276.
  • Friedrich Huber: Das Christentum in Ost-, Süd- und Südostasien sowie Australien, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2005.
  • C. Detlef G. Müller: Geschichte der orientalischen Nationalkirchen, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1981.
  • Jean Étèvenaux : Histoire des missions chrétiennes, Éd. Saint-Augustin, Paris, 2004 ISBN|2880113334 Chap. V : les missions de l'Église de l'Est en Asie jusqu'au XIVe siècle
  • Raymond Le Coz : Les médecins nestoriens au Moyen Âge: les maîtres des Arabes, L'Harmattan (col. Comprendre le Moyen-Orient), Paris, 2004 ISBN|2747564835
  • Jean-Pierre Valognes : Vie et mort des Chrétiens d'Orient, Fayard, Paris, 1994 ISBN|2213030642
  • Joseph Yacoub : Babylone chrétienne: géopolitique de l'Église de Mésopotamie, Desclée de Brouwer, Paris, 1996 ISBN|222003772X
  • John Stewart: Nestorian Missionary Enterprise, T. & T. Clark, Edinburgh 1928.
  • Klaus Wetzel: Kirchengeschichte Asiens, R. Brockhaus, Wuppertal 1995.
  • J. F. Coakley: The Church of the East and the Church of England. Clarendon Press, Oxford 1992. ISBN 0-19-826744-4.
  • David Wilmshurst: The Ecclesiastical Organisation of the Church of the East, 1318-1913. (Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium 582 / Subs. 104). Peeters, Leuven 2000. ISBN 90-429-0876-9.
  • John Joseph: The Modern Assyrians of the Middle East. Brill, Leiden – Boston – 2000.
  • Helga Anschütz: Die Gegenwartslage der „Apostolischen Kirche des Ostens“ und ihre Beziehungen zur „assyrischen“ Nationalbewegung. In: Ostkirchliche Studien 18 (1969) 122-145.
  • Gabriele Yonan: Assyrer heute. Gesellschaft für bedrohte Völker, Hamburg 1978.
  • Raymond Le Coz: L'Église d'Orient. Chrétiens d'Irak, d'Iran et de Turquie. Du Cerf, Paris 1995, ISBN 2-204-05114-4
  • Joseph Yacoub: Babylone chrétienne. Géopolitique de l'Église de Mésopotamie. Desclée de Brouwer, Paris 1996. ISBN 2-220-03772-X
  • H. L. Murre-Van den Berg: The Church of the East in the Sixteenth to the Eighteenth Century: World Church or Ethnic Community ?. In: J. J. Van Ginkel u. a. (Hrsg.): Redefining Christian Identity (Orientalia Lovanensia Analecta 134). Leuven: Peeters 2005, 301-320. ISBN 90-429-1418-1
  • J. C. J. Sanders: Assyro-chaldese christenen in oost-Turkije en Iran: hun laatste vaderland opnieuw in kaart gebracht. Hernen: A.A. Brediusstichting 1997. ISBN 90-71460-07-X

Siehe auch

Weblinks

Quellen

  1. [1]
  2. Bekanntgabe der Exkommunikation

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