Netzneutralität

Netzneutralität

Die Netzneutralität ist eine Bezeichnung für die wertneutrale Datenübertragung im Internet. Sie bedeutet, dass Internetdienstanbieter (englisch internet service provider) alle Datenpakete von und an ihre Kunden unverändert und gleich gut übertragen, unabhängig davon, woher diese stammen, zu welchem Ziel sie transportiert werden sollen, was der Inhalt der Pakete ist oder welche Anwendung die Pakete generiert hat.

Inhaltsverzeichnis

Positionen

Es gibt zwei grundsätzliche Möglichkeiten, wie Internetdienstanbieter den Transport von großen Datenmengen im Internet bewältigen können: Entweder erhöhen sie die Kapazität ihrer Netze und transportieren alle Daten gleichberechtigt (Best-Effort-Prinzip) – dann bleiben diese Netze „neutral“. Oder sie transportieren verschiedene Daten unterschiedlich schnell und in unterschiedlicher Qualität. Massstab für diese Qualität sind hauptsächlich Datenrate (im Alltagsgebrauch oft als Bandbreite bezeichnet), Verzögerung (englisch delay), Varianz und Paketverlust.

Viele Betreiber von Telekommunikationsnetzen lehnen die neutrale Datenübertragung ab und wollen auf ihren Netzen Daten in unterschiedlicher Qualität übertragen. Sie machen geltend, die Netzwerkverwaltung sei eine effizientere Möglichkeit, um einen Datenstau zu verhindern und um wichtige Daten mit einer garantierten Übertragungsqualität zu übertragen. Ausserdem weisen sie darauf hin, dass unterschiedliche Daten verschiedene Transportbedürfnisse haben: Bei einem Telefongespräch über das Internet ist eine geringe Verzögerung wichtiger als beim Herunterladen eines Videofilms, dafür ist beim Videofilm die Datenrate wichtiger. Gleichzeitig werden durch das weiter steigende Datenaufkommen große Investitionen in den Netzausbau nötig, weshalb auch neue Preismodelle für Kunden oder aber Gebühren von Anbietern erwogen werden.[1]

Demgegenüber befürworten sowohl Anbieter von über das Internet angebotenen Inhalten, Diensten und Anwendungen als auch Konsumentenorganisationen und Künstler[2] die Netzneutralität. Sie argumentieren, dass die Chance auf Innovationen bei über das Internet angebotenen Inhalten, Diensten und Anwendungen bisher deshalb so groß war, weil alle an das Internet angeschlossenen Kunden solche Innovationen entwickeln konnten. Es reichte aus, diese Innovation auf einem über das Internet erreichbaren Computer anzubieten (Server). Den übrigen an das Internet angeschlossenen Personen blieb es überlassen, aus dem Angebot an Innovationen das Gewünschte auszuwählen (innovation without permission). Die Anbieter fürchten, dass nicht genau die von den Kunden gewünschten Innovationen Erfolg haben werden, wenn die Betreiber von Telekommunikationsnetzen darüber entscheiden können, welche Angebote die ans Internet angeschlossenen Kunden in guter Qualität erreichen. Darüber hinaus weisen sie darauf hin, dass die Betreiber von Telekommunikationsnetzen versucht sein könnten, fremde Inhalte, Dienste und Anwendungen absichtlich schlecht zu übertragen, damit ihre Kunden stattdessen die Inhalte, Dienste und Anwendungen ihres eigenen Betreibers von Telekommunikationsnetzen benutzen.[3][4]

Daneben betonen Internetpioniere wie Tim Berners-Lee die besondere Wichtigkeit der freien Rede im Internet und die Neutralität als technischen Ausdruck einer Unabhängigkeit von den Zensurversuchen der Regierungen.[5][6]

Anlässlich der IFA 2010 (Internationale Funkausstellung Berlin) rückte das Thema Netzneutralität ins öffentliche Interesse. Viele der dort vorgestellten neuen Fernsehgeräte sind zwar internetfähig, das Betrachten per Internet gelieferter Filme ist jedoch auf absehbare Zeit – wegen des „Staus auf der Datenautobahn“ – nur selten ruckelfrei möglich.[7]

Verletzung der Netzneutralität

  1. Netzbetreiber könnten von Serviceanbietern für den Zugang zu ihrer Kundschaft Geld verlangen. Dabei bestünde technisch auch die Möglichkeit, den Zugang exklusiv, also nur noch einem Serviceanbieter zu gewähren. Der Netzbetreiber könnte die Zugangsrechte dabei an den meistbietenden Serviceanbieter versteigern.[8]
  2. Neue Technologien ermöglichen es den Netzbetreibern, Produkten, mit denen sie selbst auf dem Servicemarkt präsent sind, Marktvorteile zu verschaffen. Ein Netzwerkbetreiber, der beispielsweise einen Internettelefonie-Dienst betreiben will, könnte versucht sein, andere Anbieter von Internettelefonie von seiner Kundschaft fernzuhalten oder hinsichtlich Übertragungsqualität zu diskriminieren. T-Mobile verhindert zum Beispiel die Nutzung von Skype auf dem iPhone und begründet dies unter anderem mit einer eventuell hohen Netzauslastung.[9] Auch andere Dienste werden auf diese Art blockiert. Beispielsweise wird in Frankreich (Bouygues "Internet Illimité") die Nutzung von bestimmten Diensten (z.B. Verschlüsselte Privatnetze (VPN), IMAP Emaildienste sowie sämtliche Datagramm (UDP) Dienste) gesperrt und auf "unerlaubte professionelle Nutzung" verwiesen. Gleichermaßen werden Verbindungen, die über 10MB Datenvolumen übertragen, automatisch getrennt.[10]
  3. Einige Internetprovider gehen dazu über, Filesharing in ihren Netzen zu drosseln oder ganz zu unterbinden. Im einfachsten Fall wird die Kommunikation über einen bestimmten Port eingeschränkt oder gesperrt, fortgeschrittenere Techniken untersuchen den übertragenen Datenstrom und unterbrechen die Verbindung selektiv. Auf diese Weise wird versucht, die per Filesharing üblicherweise großen übertragenen Datenmengen zu reduzieren und so die Kosten zu senken.[11]
  4. Die Vergabe von getrennten IP-Adressgruppen nach Ländern ermöglicht es Anbietern von Inhalten, einzelne Länder als gesamtes von eigenen Angeboten auszuschließen.[12]

Deutsche UMTS-Internetdienstanbieter greifen mit Proxys, Deep Packet Inspection und JavaScript in die Anwendungsschicht des Datenverkehrs ihrer Kunden ein.[13]

Politische Diskussion

Aktuell wird in der Europäischen Union und in den USA eine heftige Diskussion über Netzneutralität geführt. Mit Gesetzesentwürfen soll die Netzneutralität verankert werden. Bislang wurden indessen in den USA alle Gesetzesentwürfe abgelehnt, die die netzneutrale Datenübermittlung hätten gesetzlich verankern sollen.[14][15]

Die EU-Kommission geht davon aus, dass ausreichender Wettbewerb zwischen den Netzwerkbetreibern die Netzneutralität weitgehend gewährleisten wird. Sie will indessen den Wettbewerb stärken, indem die Netzwerkbetreiber verpflichtet werden, ihre Kunden über die Qualität des angebotenen Internetzugangs zu informieren.[16][17] Bei Änderungen dieser Qualitätsinformationen können die Kunden ihren Vertrag beenden.[18] Falls erforderlich können nationale Regulierungsbehörden eine Mindestqualität für den Internetzugang vorschreiben.[19] Sollte dies wider Erwarten nicht ausreichen, können die nationalen Regulierer die Netzbetreiber zudem gestützt auf die im November 2009 novellierte Rahmenrichtlinie zur Netzneutralität verpflichten.[20]

Deutschland

In Deutschland ist Netzneutralität gesetzlich nicht vorgeschrieben, die schwarz-gelbe Koalition hat 2011 jedoch die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft beauftragt eine Empfehlung zu erarbeiten. Die Abstimmung darüber wurde mehrmals verschoben und wird voraussichtlich erst im Herbst stattfinden.[21][22]

Niederlande

In den Niederlanden wurde am 23. Juni 2011 Netzneutralität im Mobilfunk gesetzlich vorgeschrieben.[23] Damit ist es beispielsweise erlaubt VoIP-Programme wie Skype zu nutzen. Ein Verstoß seitens der Betreiber kann zu hohen Geldstrafen führen.

Norwegen

In Norwegen wurde im Jahr 2009 eine Branchenvereinbarung zur Netzneutralität abgeschlossen.[24]

Siehe auch

Weblinks

 Commons: Netzneutralität – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Britische Provider fordern Breitbandmaut von der BBC. Heise.de. Abgerufen am 5. August 2010.
  2. Rock the Net
  3. Tim Wu Network Neutrality, Broadband Discrimination
  4. Barbara van Schewick Internet Architecture and Innovation in der Google Buchsuche
  5. Long Live the Web: A Call for Continued Open Standards and Neutrality, Tim Berners-Lee, Scientific American vom 22. November 2010
  6. [1]
  7. Marcus Rohwetter: Die Zeit Nr. 39 vom 2. September 2010
  8. Von Gleichheit und Mauthäuschen im Netz. Heise.de (3. Dezember 2009). Abgerufen am 5. August 2010.
  9. T-Online wird Skype auf dem iPhone sperren. Pcpraxis.de. Abgerufen am 5. August 2010.
  10. Alexis Bezverkhyy (19. April 2011): Bouygues Télécom filtre malhonnêtement son réseau 3G et inspecte vos données. grapsus.net. Abgerufen am 6. Juli 2011.
  11. Viel Spass mit Kabel Deutschland. netzpolitik.org (13. März 2008). Abgerufen am 5. August 2010.
  12. Felix Disselhoff (25. Juni 2008): Hulu in Europa: Ländersperre wirkungslos. Netzwertig.com. Abgerufen am 5. August 2010.
  13. zdnet.de: Internet per UMTS: So fälschen deutsche Provider Webinhalte. 14. Oktober 2009.
  14. US-Justizministerium stellt sich gegen die Netzneutralität. Heise.de (7. September 2007). Abgerufen am 5. August 2010.
  15. Nicole Markwald (12. Januar 2010): USA streiten über Neutralität des Internets – Wer hat Vorfahrt auf dem Datenhighway?. Tagesschau.de. Archiviert vom Original am 5. August 2010. Abgerufen am 5. August 2010.
  16. Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 2 der Universaldienstrichtlinie
  17. Simon Schlauri: Network Neutrality, Netzneutralität als neues Regulierungsprinzip des Telekommunikationsrechts, Law and Economics of International Telecommunications Bd. 60, Baden-Baden/Zürich/St. Gallen 2010 = Habil. Zürich 2010, 255 f.. Nomos/Dike. Abgerufen am 12. November 2010.
  18. Artikel 20 Absatz 4 der Universaldienstrichtlinie
  19. Artikel 22 Absatz 3 der Universaldienstrichtlinie
  20. Schlauri, a.a.O, 248 ff.
  21. https://netzpolitik.org/2011/demokratie-live-schmierenkomodie-in-der-enquete/
  22. http://blog.fefe.de/?ts=b0ef6ef9
  23. http://www.heise.de/newsticker/meldung/Niederlande-schreiben-Netzneutralitaet-im-Mobilfunk-vor-1266347.html
  24. Network neutrality (englisch; PDF  45 KB) – Branchenvereinbarung zur Internetneutralität bei Post- og teletilsynet, vom 24. Februar 2009

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