Arthur von Posadowsky-Wehner

Arthur von Posadowsky-Wehner
Arthur von Posadowsky-Wehner. Fotografie von Nicola Perscheid.

Arthur Adolf Graf von Posadowsky-Wehner Freiherr von Postelwitz (* 3. Juni 1845 in Groß-Glogau; † 23. Oktober 1932 in Naumburg (Saale)) war ein deutscher Politiker.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Frühe Jahre

Posadowsky-Wehner entstammte schlesischem Uradel, sein Vater war der königliche Oberlandesgerichtsrat Adolf Eduard Graf von Posadowsky-Wehner, seine Mutter Amalie von Plötz. Er legte 1864 am evangelischen Gymnasium in Glogau das Abitur ab, um danach, der väterlichen Tradition folgend, Rechts- und Staatswissenschaften in Berlin, Heidelberg und Breslau zu studieren. Besonderes Interesse hegte er dabei für das Staats- und Kirchenrecht.

Nach der Promotion zum Dr. jur. 1867 absolvierte er zunächst ein zweijähriges Referendariat am Breslauer Stadtgericht und schloss seine Ausbildung 1869 mit dem zweiten Staatsexamen ab. Er kehrte jedoch nicht in den Staatsdienst zurück und erwarb stattdessen ein Gut, das er in der Folgezeit bewirtete. 1871 heiratete er Elise von Moeller, die Tochter eines Berufungsgerichtspräsidenten. Mit ihr hatte er zwei Söhne, von denen einer früh verstarb, sowie zwei Töchter.

Politischer Aufstieg in Posen

Da die landwirtschaftliche Arbeit ihn nicht zu befriedigen vermochte, betrat Posadowsky-Wehner 1871 wieder die politische Bühne und erhielt eine Position in der Provinzialregierung von Posen. Zwischen 1873 und 1882 war er als Landrat tätig, zunächst im Kreis Wongrowitz, dann im Kreis Kröben. Geschickt nutzte Posadowsky-Wehner in dieser Stellung seine weitgehende Unabhängigkeit und bemühte sich maßvoll um einen Ausgleich zwischen der polnischen Bevölkerungsmehrheit und den deutschen Einwohnern der Landkreise, ohne zugleich die Interessen des Deutschen Kaiserreiches zu vernachlässigen.

Als Mitglied der Freikonservativen Partei saß er von 1882 bis 1885 im Preußischen Abgeordnetenhaus. Danach leitete er die frisch aus der Taufe gehobene Provinzialselbstverwaltung Posens und konzentrierte sich vor allem auf die Verbesserung der Infrastruktur. 1885 wurde Posadowsky-Wehner zum Landeshauptmann Posens ernannt.

Staatssekretär im Reichsschatzamt

Reichsschatzsekretär Graf von Posadowsky, 1894

Auch in Berlin wurde man auf den aufstrebenden Schlesier aufmerksam. Kaiser Wilhelm II. berief ihn am 1. September 1893 zum Staatssekretär des Reichsschatzamtes, außerdem wurde er Bevollmächtigter im Bundesrat. Posadowsky-Wehners Politik stärkte die Rolle des Reichsschatzamtes gegenüber dem dominierenden preußischen Finanzministerium. Er verlangsamte den Anstieg der Schulden, begann mit deren Tilgung und setzte Regelungen zum Schutz der Landwirtschaft durch.

Deutscher Vizekanzler

Nachdem der ursprünglich für diese Ämter vorgesehene Johannes von Miquel abgelehnt hatte, stieg Posadowsky-Wehner am 1. Juli 1897 zum Staatssekretär des Reichsamt des Innern, Vizekanzler und zum preußischen Staatsminister ohne Geschäftsbereich auf. Unter ihm vollzog sich ein Paradigmenwechsel in der Frage, wie der monarchische Staat mit der Sozialdemokratie umgehen sollte.

Den Anlass für eine Neuorientierung lieferte die sogenannte Zuchthausvorlage. Mit diesem Gesetz, das von Posadowsky-Wehner auf Anregung des Kaisers 1899 in den Reichstag eingebracht wurde, sollten Personen, die einen Arbeiter an der Ausübung seiner Arbeit hindern oder zum Streik verleiten, mit Gefängnis bestraft werden können. Gegen die Stimmen der Konservativen lehnte der Reichstag die Vorlage am 20. November 1899 ab. Der erneute Versuch, der SPD durch eine Erweiterung des Katalogs repressiver Maßnahmen das Wasser abzugraben, war damit gescheitert. Posadowsky-Wehner zog aus der Niederlage Konsequenzen und etablierte eine neue Ausgleichspolitik gegenüber der Sozialdemokratie, indem er auf ihre Forderungen einging und die Sozialgesetzgebung fortführte.

Zu den herausragenden Leistungen der „Ära Posadowsky“ zählte das Gesetz zur Gewerbeordnung vom 1. Juni 1901. Es führte die Sonn- und Feiertagsruhe für Arbeiter im Industrie- und Baubereich ein, verbot die Kinderarbeit unter 13 Jahren, verbesserte den Mutterschutz und untersagte die Nachtarbeit. In Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern wurden Gewerbegerichte eingerichtete, die über Arbeitsstreitigkeiten urteilen sollten. Weitere Gesetze verbesserten die Arbeiter- und Invalidenversicherung, verdoppelten die bisher auf 13 Wochen beschränkte Zahlung des Krankengelds und verpflichteten den Staat, sich am Bau von Arbeiterwohnungen zu beteiligen. Die Weiterentwicklung des Sozialstaates wurde von der SPD im Reichstag unterstützt und steigerte das Ansehen Posadowsky-Wehners bei der Sozialdemokratie.

Außerdem führte Posadowsky-Wehner in der Zolltarifkommission einen Kompromiss zwischen den Forderungen des Bund der Landwirte, der eine drastische Erhöhung der Getreidezölle von 3,50 Mark auf 7,50 Mark je Doppelzentner verlangte, und der Gegenseite, die vor Vergeltungszöllen für deutsche Produkte warnte, herbei. Das neue Zollgesetz, welches am 14. Dezember 1902 mit den Stimmen des Zentrums, der Nationalliberalen und der gemäßigten Konservativen ratifiziert wurde, legte eine Erhöhung der Zölle von 3,50 Mark auf 5,00 Mark für Roggen und auf 5,50 Mark für Weizen fest. Damit waren die Zolltarife des Jahres 1892 wiederhergestellt.

Im weiteren Verlauf seiner Amtszeit sah sich Posadowsky-Wehner zunehmendem innenpolitischen Druck ausgesetzt. Sein sozialpolitischer Eifer und seine enge Zusammenarbeit mit dem Zentrum brachten die Liberalen und Konservativen gegen ihn auf. Als Reichskanzler Bernhard von Bülow 1907 die Kollaboration mit dem Zentrum aufgrund von Meinungsverschiedenheiten in der Kolonialpolitik beendete, wurde Posadowksy-Wehner die politische Arbeitsgrundlage entzogen. Daher trat er am 24. Juni 1907 zurück.

Die Anerkennung, die Posadowsky-Wehner aufgrund seines sozialpolitischen Versöhnungskurses auch unter Arbeitern genoss, illustriert eine Anekdote, die Marie von Bunsen überliefert:

„In der Rudelsburg stand ich mit ihm vor einer aufgemalten Landkarte, wir suchten den geeigneten Rückweg. Da blieb ein einfach, aber anständig gekleideter junger Mann stehen, wies auf den gegebenen Richtweg und fragte dann: "Habe ich die Ehre mit Herrn Grafen Posadowsky zu sprechen?" "Jawohl." "Dann möchte ich Ihnen doch sagen, wie genau wir Arbeiter wissen, was wir Ihnen schulden. Sie haben viel für uns getan, und das werden wir Ihnen niemals vergessen." Er grüßte und ging.[1]

Ausgang des Kaiserreichs und Weimarer Republik

Fortan lebte Posadowsky-Wehner als Dechant des protestantischen Domkapitels „Rechtsritter des Johanniterordens“ in Naumburg. Er blieb der Politik jedoch erhalten und saß von 1907 bis 1918 im Preußischen Herrenhaus und von 1912 bis 1918 als parteiloser Abgeordneter für den Wahlkreis Bielefeld im Reichstag.[2] Zwischen 1915 und 1917 vertrat er seinen erkrankten Sohn Nikolaus als Landrat von Elbing.

Die Niederlage des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg bedauerte Posadowsky-Wehner zutiefst. Er missbilligte die neue Staatsordnung der Weimarer Republik, die Zersplitterung der Parteien schien ihm die Einheit des Deutschen Reiches zu gefährden. Trotzdem setzte er auch nach 1918 sein politisches Wirken fort. Er kandidierte am 11. Februar 1919 gegen Friedrich Ebert bei der Wahl zum Reichspräsidenten, unterlag jedoch in der Weimarer Nationalversammlung mit 49 zu 277 bei insgesamt 379 Stimmen. Bis 1920 war er Fraktionsvorsitzender der DNVP. Nach dem Kapp-Putsch, der von vielen DNVP-Mitgliedern begrüßt wurde, ging er auf Distanz zur Partei, die ihm zu radikal geworden war, und verließ sie schließlich Ende 1920.

Als die Inflation in den Jahren 1923 und 1924 kulminierte, setzte er sich für Aufwertungs- und Entschädigungsforderungen der Betroffenen ein. 1925 wählte man ihn in den Provinziallandtag der Provinz Sachsen, von 1928 bis 1932 saß er für die kleine Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung im preußischen Landtag, dessen erste Sitzung der neuen Legislaturperiode er als Alterspräsident eröffnete. Er starb 1932 im Alter von 87 Jahren in Naumburg.

Ehrungen und Mitgliedschaften

Veröffentlichungen

  • Über die Altersversorgung der Arbeiter (1883)
  • Geschichte des schlesischen adligen Geschlechtes der Grafen Posadowsky-Wehner, Freiherren von Postelwitz (1891)
  • Luxus und Sparsamkeit (1909)
  • Die Wohnungsfrage als Kulturproblem (1910)
  • Volk und Regierung im neuen Reich (1932)

Einzelnachweise

  1. Vgl. Bunsen: Zeitgenossen, die ich erlebte. Leipzig 1932, S. 91.
  2. Kaiserliches Statistisches Amt (Hrsg.): Die Reichstagswahlen von 1912. Heft 2. Berlin: Verlag von Puttkammer & Mühlbrecht, 1913, S. 92 (Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 250)

Weblinks


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