Nordische Gesellschaft

Nordische Gesellschaft
Das 1821 von Joseph Christian Lillie erbaute Haus Breite Straße 50 um 1900, ab 1926 Sitz der Nordischen Gesellschaft bis zur Zerstörung 1942

Die Nordische Gesellschaft war eine 1921 in Lübeck gegründete und dort ansässige Gesellschaft, die sich um wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen im Ostseeraum und um die „Pflege des nordischen Gedankens“ bemühte. Im Mittelpunkt ihrer völkischen und rassistischen Ideologie stand der Gedanke, in der „nordischen Rasse“ manifestiere sich die germanisch-deutsche Kulturüberlegenheit.[1]

Inhaltsverzeichnis

Gründung

In den Jahren nach der Deutsch-Nordischen Handels- und Industrie-Ausstellung in Lübeck 1896 entstanden verschiedene Pläne zur Verbesserung der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen (Nord)deutschlands nach Skandinavien. Jedoch wurde der Grundgedanke erst nach dem Ersten Weltkrieg durch die Nordische Woche (1. bis 11. September 1921) wieder aufgenommen. Das äußerst kontrovers diskutierte Plakat dieser Veranstaltung, geschaffen von dem Gebrauchsgraphiker Alfred Mahlau, prägte die weitere Stadtwerbung Lübecks bis die 1960er-Jahre. Er hatte plakativ eine Vielzahl von Fischkuttern mit roten und schwarzen Masten um einen roten Duckdalben vertäut dargestellt. Das Plakat wurde in der Presse als blutiges Stachelschwein bezeichnet und vom Reichskunstwart Edwin Redslob dagegen „als eines der am besten gelösten Plakate, welches die letzte Zeit gefunden hat“ bezeichnet.[2].

Die Nordische Woche 1921 bestand aus mehreren Veranstaltungen nebeneinander, mit denen die Hansestadt sich aus ihrer Isolation in einer Randlage befreien und an ihre Zentralität im Ostseeraum erinnern und neu anknüpfen wollte. Das lokale Handwerk und die Lübecker Industrie stellten sich in einer Messe vor dem Holstentor vor. In der Katharinenkirche als Museumskirche wurden „Emil Noldes religiöse Bilder“ gezeigt, ergänzt durch religiöse Plastik im Hauptschiff der Kirche. Im Unterchor der Kirche wurde eine Ausstellung über deutsche und nordische Architekten gezeigt und im Oberchor Urkunden, Siegel und Inkunabeln aus eigenen Beständen. Das Behnhaus zeigte Lübecker Kunst und das Schabbelhaus die Kunst aus Skandinavien. Das Programm wurde ergänzt durch Musikveranstaltungen und Konzerte sowie zahlreiche Vorträge. Thomas Mann sprach über Goethe und Tolstoj, der Kunsthistoriker Johnny Roosval über Beziehungen Lübecker Kunst zu Skandinavien. Im Bereich darstellender Kunst gab Hans Holtorf den Totentanz, der Bühnenstar Grete Stückgold gab einen Liederabend und Mary Wigman einen Tanzabend.[2] Im selben Jahr und in diesem Zusammenhang entstand anschließend die Nordische Gesellschaft.

Gleichschaltung und Ausweitung

Zunächst noch unabhängig und parteipolitisch nicht gebunden, wurde die Nordische Gesellschaft, die bis dahin nie mehr als lokale Bedeutung besessen hatte,[3] ab Sommer 1933 gleichgeschaltet und im Juni 1934 dem Außenpolitischen Amt der NSDAP (APA) unterstellt. Für die Verbreitung ihrer Ideologie und Kulturpropaganda veranstaltete sie neben Veranstaltungen und Sonnwendfeiern als Höhepunkt jährliche Reichstagungen. Neben der Zentrale, dem Reichskontor in Lübeck, gab es zuletzt mehr als vierzig (mit den Gauen der NSDAP zusammenfallende) Kontore im ganzen Reich. Daneben existierten Verbindungsleiter in den Hauptstädten der nordischen Länder.

Am 2. Juni 1934 übernahm Hinrich Lohse, der Gauleiter der NSDAP in Schleswig -Holstein den Vorsitz dieser Gesellschaft, der diese Position bis 1945 beibehielt.[4] Verbindungsmann des APA zur Nordischen Gesellschaft war bis 1938 Rosenbergs Privatsekretär, Thilo von Trotha.[5] Zum „großen Rat“ dieser Gesellschaft gehörten neben Hinrich Lohse auch Heinrich Himmler und Walther Darré.

Im Oktober 1935 verfasste Rosenberg einen Tätigkeitsbericht seines APA, aus dem ersichtlich wird, dass er und Hinrich Lohse mit der Nordischen Gesellschaft vor allem politische Ziele mit internationaler Ausrichtung verfolgt haben. Dem Bericht ist unter anderen zu entnehmen:

Handelspolitisch sind meines Erachtens viel mehr Unterlassungssünden begangen worden und so hat sich das A.P.A bewußt mehr auf die kulturpolitischen Aufgaben beschränkt. Zu diesem Zweck hat es die Nordische Gesellschaft ausgebaut, die früher kleine Gesellschaft ist in diesen 2 Jahren der Betreuung durch das A.P.A. zu einer entscheidenden Vermittlungsstelle der gesamten deutsch-skandinavischen Beziehungen geworden. Ihr Leiter (Lohse) ist vom A.P.A. bestimmt, die Kontore in allen Gauen werden vom entsprechenden Gauleiter geleitet. Mit Wirtschaftsgruppen und anderen Organisationen und Gliederungen der Partei, die nach Skandinavien hin Beziehungen unterhalten, sind entsprechende Abkommen getroffen worden, so daßder nahezu ganze Verkehr zwischen Deutschland und Skandinavien heute durch die Hand der Nordischen Gesellschaft geht.“[6]

Bereits seit den Anfangstagen der Gesellschaft dabei war Reichsgeschäftsführer Ernst Timm, der 1938 aus diesem Amt zurücktreten musste und von Hans-Jürgen Krüger, dem bisherigen Leiter der Organisation, abgelöst wurde. Nomineller Präsident war der Oberbürgermeister Lübecks, Otto-Heinrich Drechsler. Künstlerischer Beirat war Alfred Mahlau, die Kulturabteilung wurde zunächst von Alfred J. Domes, später von Heinrich Jessen geführt. Des Weiteren zählten in diesen Jahren zu den Mitgliedern des „Großen Rates“ der Gesellschaft unter anderen Heinrich Himmler, Thilo von Trotha und Alfred Rosenberg, Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP.

1936 verschmolz die Nordische Gesellschaft mit dem Nordischen Ring, einer Organisation, die zehn Jahre zuvor vom Ministerialrat Hanno Konopacki-Konopath gegründet worden war und sich vor allem der Verbreitung der Rassenlehre von Hans F. K. Günther widmete. [7]Die daraus resultierende Gleichschaltung sollte eine Aufsplitterung in viele kleinere nordische Gruppen verhindern. Diesen Schritt begrüßte auch Günther, der den „Nordischen Gedanken“ zu einem festen Begriff konstituiert und sich eigentlich zuvor für eine einfache Weggenossenschaft der Vertreter der Nordischen Bewegung ausgesprochen hatte.

Aufgelöst wurde die Nordische Gesellschaft erst 1957.[1]

Ideologie

Die Nordische Gesellschaft verfolgte hauptsächlich drei Ziele:

  1. Enge Beziehungen zwischen Deutschland und dem Norden, basierend auf einen „Nordischen Gedanken“.
  2. Förderung dieses „Nordischen Gedankens“ in Deutschland.
  3. Alle „nordisch“ ausgerichteten Bemühungen sollten in der Nordischen Gesellschaft ihren Mittelpunkt finden.

Die Beziehungen wurden unter anderem durch Vorträge von als „nordisch“ bezeichneten Denkern gepflegt, denen zum Beispiel im gesellschaftseigenen Deutsch-Nordischen Schriftstellerhaus in Travemünde eine Plattform geboten wurde. Des Weiteren veranstaltete die Nordische Gesellschaft propagandistische Empfänge, Konzerte sowie Ausstellungen und beteiligte sich an der Durchführung der Deutschen Nordlandreisen.

Publikationen

Die wichtigste gesellschaftseigene Publikation war die Monatsschrift Der Norden. Mit dem „Nordischen Ring“ wurde 1936 auch deren Monatsschrift Rasse. Monatsschrift der Nordischen Bewegung übernommen. Außerdem war die Nordische Gesellschaft Herausgeber von Büchern, wie z.B. Zwiegespräch zwischen den Völkern: Deutschland und der Norden und der Nordland-Fibel.

Literatur

Einzelnachweise

  1. a b Karsten Jessen: „Nordische Gesellschaft“. In: Wolfgang Benz et al. (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. München 1997, S. 615.
  2. a b Abram Enns: Kunst und Bürgertum. Die kontroversen zwanziger Jahre in Lübeck. Lübeck 1978, S. 46-54. (Kapitel: Die „Nordische Woche 1921“ und ihre Ausstellungen.)
  3. Jürgen Elvert: Europa und der Norden. Die Geschichte einer wechselseitigen Fehlwahrnehmung im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In: Kriegsende im Norden. Vom heißen zum kalten Krieg. Hrsg. von Robert Bohn und Jürgen Elvert. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1995, S. 358.
  4. W. Benz / H. Graml / H. Weiß (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 3. Aufl., München 1998, S. 615, ISBN 3-608-91805-1.
  5. Ernst Piper: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München 2005, S. 291, ISBN 3-89667-148-0.
  6. Zitiert in: Hans-Günther Seraphim: Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs. 1934/35 und 1939/40. Göttingen / Berlin / Frankfurt 1956, S. 32. (Angegebene Quelle: Dokument PS-003, abgedr. in: IMT, Bd. XXV, S. 15 ff.)
  7. Stefan Breuer: Die Völkischen in Deutschland. Kaiserreich und Weimarer Republik. Wiss. Buchges., Darmstadt 2008. ISBN 978-3-534-21354-2, Seite 165f.

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