Normalarbeitsverhältnis

Normalarbeitsverhältnis

Unter einem Normalarbeitsverhältnis wird ein Arbeitsverhältnis verstanden, das unbefristet und unselbstständig ist, ein geregeltes Entgelt aufweist und bei dem der Arbeitnehmer der Weisungsgewalt des Arbeitgebers unterliegt sowie in die betrieblichen Strukturen des jeweiligen Unternehmens eingegliedert ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird es oft auch als Festanstellung bezeichnet.

Der Begriff Normalarbeitsverhältnis wurde von Ulrich Mückenberger geprägt. Ulrich Walwei fügt dem noch hinzu, dass Normalarbeitsverhältnisse der Sozialversicherungspflicht unterliegen müssen, um als solche zu gelten. Normalarbeitsverhältnisse müssen von Stabilität und längerer Dauer gekennzeichnet sein, weil für viele Arbeitnehmer das Normalarbeitsverhältnis die einzige Einkommensquelle darstellt und sie daher vom Arbeitgeber besonders abhängig sind.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Es bestehen verschiedene, miteinander konkurrierende Definitionen eines Normalarbeitsverhältnisses, die enger oder weiter gefasst sind.

So verwendet das Statistische Bundesamt eine weit gefasste Definition des Normalarbeitsverhältnisses als eine unbefristete Vollzeitstelle oder Stelle mit mindestens der Hälfte der üblichen vollen Wochenarbeitszeit, die voll sozialversicherungspflichtig ist; als atypisch gelten in Abgrenzung hierzu Arbeitsverhältnisse, die diese Kriterien nicht erfüllen, etwa befristete Stellen, Teilzeitstellen mit weniger Wochenstunden, Zeitarbeit sowie geringfügige Beschäftigungen.[1]

Merkmale eines Normalarbeitsverhältnisses

Ein Normalarbeitsverhältnis ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

  • Vollzeiterwerbstätigkeit[2] (bzw. mindestens Halbtagserwerbstätigkeit[1]): der/die Arbeitnehmer/in widmet seine verfügbare Arbeitszeit ganz bzw. je nach Definition mindestens zur Hälfte einem Arbeitsverhältnis und bestreitet mit dem Einkommen seinen gesamten Lebensunterhalt oder den größten Teil davon;
  • das Arbeitsverhältnis ist zeitlich unbefristet;
  • der/die Arbeitnehmer/in arbeitet unselbstständig sowie kontinuierlich für einen Arbeitgeber, unterliegt bei seiner Arbeit dauerhaft dessen Weisungsgewalt und ist in die betrieblichen Strukturen des jeweiligen Unternehmens eingegliedert;
  • Arbeitsplatz und Wohnung des/der Arbeitnehmers/in sind räumlich voneinander getrennt.
  • soziale Absicherung durch Sozialversicherungspflichtigkeit. Dies kann jedoch aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung der Sozialsysteme nur für Deutschland und vergleichbar ausgestaltete Wohlfahrtsstaaten gelten; darüber hinaus ist in Deutschland auch ein nicht-sozialversichungspflichtiges Beamtenverhältnis, das die obigen Kriterien erfüllt, als Normalarbeitsverhältnis anzusehen.

Normalarbeitsverhältnis und „atypische Arbeitsverhältnisse“

Unter atypischen Arbeitsverhältnissen werden Arbeitsverhältnisse verstanden, die vom Normalarbeitsverhältnis in einem oder mehreren der oben genannten Merkmale abweichen, beispielsweise Teilzeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit und Telearbeit. Diese können für die betroffenen Arbeitnehmer/innen zu arbeitsrechtlichen Benachteiligungen, zu Wettbewerbsnachteilen auf dem Arbeitsmarkt (zum Beispiel mangelnde Weiterbildungs- und Aufstiegschancen) sowie zu weiteren spezifischen Problemen führen.

Normalarbeitsverhältnisse und atypische Arbeitsverhältnisse
Merkmale des Normalarbeitsverhältnisses Abweichungen atypischer Arbeitsverhältnisse Mögliche Probleme atypischer Arbeitsverhältnisse
Vollzeiterwerbstätigkeit (bzw. mindestens halbe Vollzeiterwerbstätigkeit) Teilzeitarbeit
  • oft kein existenzsicherndes Einkommen
  • oft keine soziale Absicherung (z.B. Minijobs)
  • oft kein Zugang zu Weiterbildung
  • geringere berufliche Aufstiegschancen
Unbefristet befristete Arbeitsverhältnisse, vielfach auch befristete Leiharbeit
  • schlechterer arbeitsrechtlicher Status
  • geringere soziale Absicherung durch diskontinuierliche Erwerbsbiographie
  • oft geringere betriebliche Sozialleistungen
  • oft kein Zugang zu Weiterbildung
  • geringere Aufstiegschancen
Kontinuierliche Arbeit für einen Arbeitgeber Leiharbeit, befristete Arbeitsverhältnisse
  • häufig wechselnder Arbeitsplatz
  • oft geringere betriebliche Sozialleistungen
  • oft kein Zugang zu Weiterbildung
  • geringere Aufstiegschancen
  • keine (dauerhaften) sozialen Kontakte am Arbeitsplatz
Räumliche Trennung von Arbeitsplatz und Wohnung Telearbeit
  • Isolierung, keine sozialen Kontakte am Arbeitsplatz
  • oft kein Zugang zu Weiterbildung
  • geringere Ausbildungschancen

Des Weiteren weichen vom Normalarbeitsverhältnis Formen der Erwerbstätigkeit ab, die sich nicht auf einen Arbeitsvertrag gründen, wie eine Beschäftigung auf der Basis von Dienstleistungs- oder Honorarverträgen oder eine Arbeit als Freelancer.

Da atypische Beschäftigungsformen in der Regel einen schnelleren Ausgleich marktbedingter Schwankungen von Arbeitsnachfrage und -angebot erlauben als Normalarbeitsverhältnisse, ist in Zeiten erhöhter Arbeitsnachfrage in diesem Bereich mit besonders starken Beschäftigungszuwächsen zu rechnen. Umgekehrt führt ein Sinken der Arbeitsnachfrage hier zu einem schnelleren Beschäftigungsabbau, während Inhaber von Normalarbeitsverhältnissen in der Regel besser vor Arbeitslosigkeit geschützt sind. Befürworter einer Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse führen als Argument (in Analogie zu der Lockerung von Kündigungsschutzbestimmungen) dauerhaft positive Beschäftigungseffekte an.

Durch Reformen des Arbeitsrechts können Nachteile der atypischen Arbeitsverhältnisse gegenüber dem Normalarbeitsverhältnis teilweise ausgeglichen werden. Gelingt dies, können atypische Arbeitsverhältnisse zum einen für Arbeitnehmer/innen attraktiver werden; zum anderen können so die möglicherweise erwartbaren positiven Beschäftigungseffekte einer Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse erlangt werden. Dieser Doppeleffekt ist beispielsweise das Ziel einer Reihe von Richtlinien im Bereich der EU-Sozialpolitik.

Geschichtliche Entwicklung und Erosion

Heutige Normalarbeitsverhältnisse haben sich aus dem fordistischen Wirtschaftsmodell, dem viele Industriestaaten bis in die 1970er Jahre folgten, entwickelt. Sie sind in vielen Ländern heute noch nicht die Regel und haben sich auch in Europa erst durch das Engagement von Gewerkschaften etablieren können.

Das Normalarbeitsverhältnis war zu dieser Zeit bezüglich Arbeitslohn und Normalarbeitszeiten auf das sogenannte „männliche Ernährermodell“ zugeschnitten, in dem der Arbeitslohn des Mannes als „Familienernährerlohn“ den Lebensunterhalt der Familie sichern sollte und die Normalarbeitszeiten dem Arbeitnehmer eine weitgehend autonome Gestaltung der arbeitsfreien Zeit sichern sollten.[3]

Angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen und des Risikos einer starken Erosion der sozialen Absicherung wird hervorgehoben, dass eine gesellschaftliche Diskussion über die Implikationen unterschiedlicher gesellschaftlicher Leitbilder erforderlich sei. Es wird unter Anderem für eine alternative Wirtschaftspolitik mit einer Flexibilisierung des Arbeitszeitstandards argumentiert, die Arbeitszeiten zwischen einer langen Teilzeit oder einer Nahezu-Vollzeit sozial absichere. Dabei sollten innerhalb enger Grenzen umgekehrt auch Arbeitszeitverlängerungen möglich sein. Im Fall sozial akzeptierter Umstände wie der Kindererziehung, der Pflege von Angehörigen, der Weiterbildung oder bei bürgerschaftlichem Engagement sei eine gesellschaftliche Unterstützung für die soziale Sicherung angemessen, beispielsweise durch Entgeltersatzleistungen, wohingegen andere Erwerbsunterbrechungen oder -reduzierungen, etwa für Sabbaticals, mit geringerer oder ganz ohne Förderung stattfinden könnten.[4]

Seit einigen Jahren sind Normalarbeitsverhältnisse einer Erosion unterworfen, welche sich an der zunehmenden Zahl von Beschäftigten im Niedriglohnsektor, einem gelockertem Kündigungsschutz und sich vergrößernden kollektivvertragslosen Bereichen sowie allgemein in einer Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse niederschlägt. Einstmals sozialstaatliche Wirtschaftsmodelle werden im Zeitalter der Globalisierung mehr und mehr von Prekarisierung bedroht. Gerne wird in diesem Zusammenhang euphemistisch von einer Deregulierung des Arbeitsmarktes gesprochen.

Siehe auch

Quellen und weiterführende Literatur

  • Dombois, Rainer (1999): „Der schwierige Abschied vom Normalarbeitsverhältnis“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 37/1999, S. 13-20.
  • Mayer-Ahuja, Nicole (2003): Wieder dienen lernen? Vom westdeutschen "Normalarbeitsverhältnis" zu prekärer Beschäftigung seit 1973, Berlin (Edition Sigma).
  • Neubäumer, R. / Tretter, D. (2008): Mehr atypische Beschäftigung aus theoretischer Sicht. In: Industrielle Beziehungen, Heft 3/2008, S. 256-278.
  • Pfarr, H. (2004): REGAM-Studie: Atypische Beschäftigung in den Betrieben - eingesetzt zur Umgehung des Kündigungsschutzes? In: Betriebsberater, Heft 11/2004, S. 602 – 604.
  • Schröer, Evelyn (2001): Der Einfluss der Regulierung auf die Verbreitung der Arbeitnehmerüberlassung und ihre arbeitsmarktpolitische Bedeutung, Köln: Univ. (Diss.).
  • Sennett, Richard: Der flexible Mensch, Btb Bei Goldmann 2000, ISBN 344275576X
  • Walwei, Ulrich (1999): Normalarbeitsverhältnis in Bewegung, in: Mitbestimmung Nr.11

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Was sind atypisch Beschäftigte? Statistisches Bundesamt, abgerufen am 7. November 2009.
  2. Normalarbeitsverhältnis. In: Wörterbuch der Sozialpolitik. www.socialinfo.ch, abgerufen am 7. November 2009.
  3. Bericht zur Berufs- und Einkommenssituation von Frauen und Männern, im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Juli 2001, abgerufen am 12. März 2008.
  4. Alexandra Wagner: Zur Notwendigkeit der Diskussion über gesellschaftliche Leitbilder. Plädoyer für ein neues Normalarbeitsverhältnis. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Universität Bremen, abgerufen am 7. November 2009 (PDF). S. 21 ff
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