Obduktion

Obduktion

Eine Obduktion (Latein obducere, „bedecken“[1]) ist eine innere Leichenschau (Leichenöffnung) zur Feststellung der Todesursache und zur Rekonstruktion des Sterbevorgangs. Sie wird von Pathologen, Rechtsmedizinern (Forensik) oder auch Anatomen durchgeführt.

Andere, heute synonym gebrauchte Bezeichnungen sind Autopsie (griechisch: αυτοψία autopsía/aftopsía [f.] = „eigene Schau“), Sektion (lateinisch: sectiō [f.] = „Schnitt“, „Operation“)[2] bzw. Sectio legalis („gesetzlich angeordnete Operation“) sowie Leichenöffnung.

Der Begriff Nekropsie (griechisch: νεκροψία nekropsía, von: νεκρός nekrós = „tot“ und ὄψις ópsis, όψη ópsi = „Blick“, „Anschauung“) wird in der Regel speziell für die Sektion von Tieren verwendet.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeine Informationen

Man unterscheidet generell zwei Arten von Obduktionen: die klinische (pathologische) Sektion und die gerichtsmedizinische Sektion.

Gerichtsmedizinische Obduktionen werden staatsanwaltschaftlich bzw. gerichtlich angeordnet, wenn ein Verbrechen oder eine andere unnatürliche Todesursache (z.B. Unfall) vermutet wird oder feststeht und weitere Klärung notwendig ist. Sie wird von einem Rechtsmediziner vorgenommen. Wenn auf einem Totenschein „Todesart ungeklärt“ angekreuzt wird, erfolgt ebenfalls in der Regel eine gerichtlich angeordnete Sektion. Die rechtliche Grundlage sowohl für die strafprozessuale Obduktion, als auch für die Exhumierung (Ausgrabung) ist in Deutschland der § 87 (ff) der Strafprozessordnung (§ 159 i. V. m. §§ 87 ff. StPO).[3] Diese Sektionen müssen von zwei Ärzten durchgeführt werden, wovon einer in der Praxis ein Facharzt für Rechtsmedizin ist.

Klinische Obduktionen hingegen werden fast ausschließlich von einem Pathologen durchgeführt. Hierbei werden die Todesursache und die vorbestehenden Erkrankungen eines verstorbenen Patienten durch eine innere ärztliche Leichenschau festgestellt. Anders als bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung wird der Antrag auf Obduktion meist durch den zuletzt behandelnden Arzt des Patienten gestellt. Voraussetzung für eine klinische Sektion ist, dass der Patient eines natürlichen Todes (z.B. Herzinfarkt, Krebs, Lungenentzündung) gestorben ist und seine nächsten Angehörigen damit einverstanden sind. Sie dient nicht nur der Qualitätssicherung in der Medizin, sondern kann auch für Angehörige entlastend sein (z.B. Selbstvorwürfe, man habe Symptome nicht rechtzeitig bemerkt). Weiterhin kann eine Obduktion gelegentlich Hinweise auf familiäre Risikofaktoren geben (z.B. Krebs oder Erbkrankheiten) und wird manchmal bei Versicherungsfragen (z.B. Berufserkrankungen, die zum Tode beigetragen haben könnten) durchgeführt.

Eine Obduktion dauert je nach Todesursache und Komplexität im Durchschnitt zwei bis drei Stunden.[4]

Schließlich gibt es auch anatomische Sektionen, die nur der Ausbildung von Medizinern dienen; diese werden von Anatomen und Studierenden gemeinsam durchgeführt. Die zu obduzierenden Verstorbenen haben in diesem Fall zu Lebzeiten freiwillig ihren Leichnam für eine anatomische Sektion zur Verfügung gestellt.

Verfahren

Obduktionssaal der Charité Berlin

Äußere Besichtigung

Eine Obduktion beginnt mit einer genauen Inspektion der Leiche. Größe, Gewicht, Ernährungszustand und Hautkolorit werden festgehalten. Lokalisation und Farbe der Totenflecke sowie Grad der Ausprägung der Totenstarre werden dokumentiert. Hautveränderungen wie Narben, Wunden, Operationswunden, Pigmentflecken, Tätowierungen und dergleichen werden ebenso beschrieben. Speziell bei rechtsmedizinischen Obduktionen wird großer Wert auf eine präzise äußere Beschreibung gelegt, die neben etwaigen Verletzungen (wie z. B. Schuss- oder Stichwunden) auch die Bekleidung und andere Gegenstände (beispielsweise: Schmuck, Armbanduhr usw.) umfasst. Die Untersuchung von Kleidung, Effekten, Körpergröße und Zahnstatus ist insbesondere für die Identifizierung von unbekannten Toten von Bedeutung. Zudem können durch die äußere Besichtigung Rückschlüsse auf äußere Einwirkungen etc. gezogen werden.

Innere Besichtigung

Die innere Leichenbeschau gliedert sich in eine Obduktion der Schädelhöhle, der Brust- und Halsorgane und der Bauchorgane. Bei der gerichtlich angeordneten Obduktion müssen gemäß § 89 StPO alle drei Körperhöhlen (Schädelhöhle, Brusthöhle und Bauchhöhle) des Verstorbenen geöffnet und so die Organe freigelegt werden. Die Organe werden nach Größe, Form, Farbe, Konsistenz und Kohärenz beurteilt, wobei von der Norm abweichende Veränderungen im deskriptiven Teil des Obduktionsberichtes festgehalten werden. Morphologisch sichtbare Organveränderungen haben eine Entsprechung in pathologisch-anatomischen Diagnosen, die ihrerseits bestimmten klinischen Krankheitsbildern entsprechen. Von wichtigen Organen werden kleine Proben für weitergehende lichtmikroskopische und eventuell auch mikrobiologischen Untersuchungen asserviert. Für rechtsmedizinische Gutachten wird auch noch Blut und Urin des Verstorbenen zum Zweck toxikologischer Untersuchungen gewonnen.

Der Y- oder T-Schnitt

Dieser Schnitt hat entweder die Y-Form, hierbei wird von beiden Schlüsselbeinen schräg zum Brustbein geschnitten und von dort gerade bis zum Schambein. Alternativ wird leicht bogenförmig von Schulter zu Schulter quer und dann in einem zweiten Schnitt zentral abwärts bis Schambein geschnitten, der T-Schnitt. Durch diese Schnittführungen kann der Pathologe oder Rechtsmediziner an alle Organe des Brust- und Bauchraumes gelangen (nach Entfernung des Brustbeines und der angrenzenden Rippen).

Nachsorge

Im Anschluss an die innere Besichtigung werden die Organe und Gewebe dem Toten wieder beigegeben, die Hautschnitte vernäht und der Leichnam gewaschen. Dadurch soll u. a. eine Abschiednahme am offenen Sarg ermöglicht werden.

Weiteres Vorgehen

Später werden die gewonnenen Proben mikroskopisch und mikrobiologisch untersucht. Bei einer gerichtlichen Sektion werden Drogen und eventuell Giftstoffe und Medikamentenspiegel toxikologisch bestimmt. Vereinzelt kommen auch Spezialuntersuchungen wie zum Beispiel DNA-Analysen, entomologische (insektenkundliche) und radiologische Verfahren zum Einsatz. Die verschiedenen Berichte gehen nur dem Auftraggeber der Sektion zu.

In jüngster Zeit finden zunehmend neue Messverfahren Anwendung bei der Leichenschau (Streifenlichttopometrie, CT).

Obduktionsbericht

Der Obduktionsbericht besteht aus einem deskriptiven Teil, der keinen Spielraum für Interpretationen zulässt und mit einer Bildbeschreibung wesensverwandt ist. Demzufolge ist der deskriptive Teil eine objektive Beschreibung der Organsysteme, die im Idealfall so genau sein soll, dass ein Kundiger im Nachhinein alle pathologisch-anatomischen Diagnosen aus dem Bericht herauslesen und gegebenenfalls revidieren kann. Dieser Deskription wird noch eine Liste der Todesursachen und der pathologisch-anatomischen Einzeldiagnosen beigelegt.

Pathologische und rechtsmedizinische Sektionen sind im Verfahren einander sehr ähnlich. Bei pathologischen Obduktionen wird jedoch auf eine toxikologische Untersuchung verzichtet, da diese im Allgemeinen schon vor dem Tode durchgeführt wurde. Die Bestimmung der Körpertemperatur des Toten, die auf den Todeszeitpunkt rückschließen lässt, entfällt ebenso.

Eine anatomische Sektion (auch Präparation genannt) ist sehr viel feiner. Die Sektion beschränkt sich nicht nur auf die drei Körperhöhlen, auch kleinere Details gelangen zur Darstellung, da im Rahmen des Präparierkurses alle anatomischen Strukturen des Körpers erlernt werden sollen. Deshalb erstreckt sich eine anatomische Präparation auf ein ganzes Semester, während pathologische und rechtsmedizinische Sektionen in der Regel nach längstens vier Stunden abgeschlossen sind. Daraus wiederum ergibt sich die Notwendigkeit einer Einbalsamierung des Leichnams. Eine Wiederherstellung des Leichnams ist anschließend nicht mehr möglich. Die Leiche wird am Ende einzeln und vollständig bestattet. Dies erfolgt je nach letztem Willen anonym oder namentlich, durch Verbrennung oder Erdbestattung.

Gesellschaftliche und rechtliche Aspekte

Die Zahl der Sektionen in Deutschland ist rückläufig, da der Kostendruck in Justiz- und Gesundheitswesen größer wird und Kostenträger (ganz im Gegensatz zu Rechtsmedizinern) meinen, in der Mehrzahl der ungeklärten, unerwarteten Todesfälle sei die Todesursache auch ohne Sektion ganz gut abschätzbar. Es liegen jedoch Studien vor, die nahelegen, dass bis zu 50 Prozent aller klinisch vermuteten (und als Tatsache in den Totenschein eingetragenen) Todesursachen falsch sind (durch Obduktion falsifiziert).

Es gibt Länder und Orte, in denen alle Verstorbenen seziert werden (zum Beispiel in Österreich alle in einer Klinik Verstorbenen).

Rechtlich gesehen ist eine Sektion in Deutschland weder Körperverletzung (eine Körperverletzung kann nur an lebenden Menschen begangen werden) noch Sachbeschädigung (Tote sind juristisch keine „Sachen“), sondern wird als Störung der Totenruhe ge. § 168 StGB geahndet, wenn sie – unautorisiert von Staatsanwaltschaft, Gericht, Polizei oder Gesundheitsamt; in Österreich (derzeit noch) vom Untersuchungsrichter auf Antrag der Staatsanwaltschaft – zum Beispiel gegen den Willen der Angehörigen durchgeführt wird. Eine Sektion die gegen den Willen des Verstorbenen bzw. der Hinterbliebenen durchgeführt wird, wird jedoch nicht in jedem Fall vom Tatbestand der Störung der Totenruhe erfasst. Der Tatbestand der Störung der Totenruhe erfordert einen Gewahrsamsbruch, der im Falle eines Todes im Krankenhaus nämlich nicht vorliegt, da das Krankenhaus zunächst den Gewahrsam am Körper des Verstorbenen hat. Wird sodann eine Sektion von der Krankenhausleitung angeordnet, liegt keine Störung der Totenruhe vor.

Die Sektion ist in Deutschland bisher nur in den Bundesländern Berlin und Hamburg in eigenen Sektionsgesetzen geregelt. Bremen hat Anfang 2011 als erstes Bundesland eine verdachtsunabhängige Pflicht zur Obduktion beim ungeklärten Tod von Kindern unter sechs Jahren eingeführt. Damit sollen mögliche Misshandlungen aufgeklärt werden. Die Bestattungsgesetze einiger weiterer Bundesländer enthalten auch Regelungen zur Sektion.[5] Sofern ein Verdacht auf eine seuchenhygienisch relevante Fragestellung (beispielsweise: offene TBC) besteht, kann vom Gesundheitsamt eine Sektion angeordnet werden.

Die Kosten einer Sektion belaufen sich auf ca. 500 bis 2.000 Euro (Stand: 2003), aber für Sektionen im Auftrag von Angehörigen (so genannte Verwaltungssektionen) wird oft keine Gebühr berechnet (so zum Beispiel in Hamburg).

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Obduktion – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Commons: Obduktion – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Zitatnachweise und Fußnoten

  1. Whitaker’s Words: obducere
  2. Whitaker’s Words: sectio.
  3. Burkhard Madea: Die ärztliche Leichenschau: Rechtsgrundlagen, praktische Durchführung. (S. 153 f.) Springer, Berlin (Gebundene Ausgabe – 4. April 2006) ISBN 3-540-29160-1
  4. Michael Tsokos: Dem Tod auf der Spur: Zwölf spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin. 3. Auflage. Ullstein, Berlin 2009, ISBN 978-3-548-37262-4. S. 28.
  5. Z. B. in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen

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