Oberhaus

Oberhaus

Oberhaus bezeichnet einen Typus einer Parlamentskammer im bikameralen Parlament, der keine allgemeine Volksvertretung darstellt. Dieser wird historisch vielfach als Oberhaus oder als Senat bezeichnet. Die andere Kammer ist das Unterhaus.

Inhaltsverzeichnis

Begriffe

Historisch

Historisch war Oberhaus diejenige Parlamentskammer in der Adel, Klerus und Universitäten vertreten sind. Die Vorrechte des Adels, die sich in dieser Regelung spiegelten, zeigen sich auch in der Bezeichnung: Genauso wie der Adel in der damaligen Vorstellung über dem gemeinen Volk stand, so war das Oberhaus die obere Kammer, in der die wichtigen Personen vertreten waren. Entsprechend sprach man vom Oberhaus als Erste Kammer. Weitere Bezeichnungen für diese Erste Kammern sind unter anderem Herrenhaus oder Herrenbank.

Politikwissenschaft

In der Politikwissenschaft wird für die Beschreibung moderner Zweikammersystem teilweise eine andere (diametral entgegengesetzte) Definition verwendet: Der hier beschriebene Typ einer Parlamentskammer wird hier als „zweite Kammer“ bezeichnet. Neben den oben beschriebenen historischen Oberhäusern werden hier als Merkmale aufgeführt, dass diese „zweiten Kammer“ meist stärker disproportional besetzt als die andere Kammer, um bestimmte Interessen stärker zu repräsentieren. Diese sind häufig regionaler bzw. föderaler Natur. Zweikammersysteme existieren aus diesem Grund vor allem in Flächenstaaten.[1]

Oberhaus als Eigenbezeichnung

Das klassische Beispiel einer solchen Institution ist das britische „House of Lords“. Es existiert bereits seit dem Mittelalter und stellt die ständische Vertretung des Adels und des Klerus dar.

Zweite Kammern oder Oberhäuser in föderalen Systemen

Die Institution Zweite Kammer ist daher in föderalen Systemen wesentlich etablierter und akzeptierter ist als in rein unitarischen Staaten.[2]:11 Dies führte in der Vergangenheit auch zu mehreren Auflösungen bestehender zweiter Kammern; so etwa in Dänemark, Neuseeland und Schweden.[2]:15 Und auch in anderen Ländern wird über eine Abschaffung nachgedacht.[3] Neue zweite Kammern entstanden hingegen nahezu ausschließlich in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, von denen zumindest etwa die Hälfte föderal organisiert ist.[2]:15

Dennoch verfügt derzeit noch etwa ein Drittel aller parlamentarischen Demokratien über eine zweite Kammer.[3] Die Frage, welche Rollen zweite Kammern in politischen Systemen einnehmen, wird daher gegenwärtig in der Politikwissenschaft diskutiert.

Beispiele

Beispiele für Zweite Kammern sind das britische House of Lords, der österreichische Bundesrat, der schweizerische Ständerat, der Senat der Vereinigten Staaten, der französische Senat sowie die erste Kammer der niederländischen Generalstaaten.

Der deutsche Bundesrat ist aus staatsrechtlicher Sicht keine parlamentarische Kammer, da er aus weisungsgebundenen Vertretern der Landesregierungen besteht. Allerdings wird er in der Politikwissenschaft analytisch wie eine zweite Kammer behandelt.

Theorie und historischer Hintergrund

Die Mehrzahl der Oberhäuser trägt in ihrem jeweiligen Namen eine der Bezeichnungen „Senat“ oder „Rat“.[2]:4f. Sprachgeschichtlich lässt sich so auf die historische Entstehung der zweiten Kammern sowie auf die ihnen angedachten Aufgaben schließen. Der Name des senatus, des antiken römischen Senates, leitet sich von lateinisch senex ab, was sich etwa mit „alter Mann“ übersetzen lässt. Der senatus sollte also ein Organ der weisen Greise sein, die ihren Rat erteilten: besonnen und maßvoll. An diese Besonnenheit anknüpfend definierte der Philosoph James Harrington 1656 die Aufgabe einer zweiten Kammer damit, „Gesetzesvorschläge zu beraten und auszuarbeiten, über die dann das […] Repräsentantenhaus entscheiden soll“[2]:6

Diese Vorstellung von einem Senat mit ausschließlichem Initiativrecht wandelte sich mit der Zeit. Ein Aspekt lässt sich jedoch auch noch in jüngeren Schriften finden: die Besonnenheit. Ein Vorwurf, der der Demokratie von Zeit zu Zeit gemacht wird, ist die Behauptung sie sei im Grunde eine Diktatur der Mehrheit. In vielen Demokratieverständnissen spielt daher auch eher konsensorientierte Entscheidungsfindung eine Rolle. So schreibt etwa die Politologin Heidrun Abromeit: „Demokratie mit der einfachen Mehrheitsregel gleichzusetzen, ist durch nichts gerechtfertigt als durch Ungeduld.“[4] In diesem Sinne sah auch John Stuart Mill bereits im 19. Jahrhundert die Notwendigkeit einer zweiten Parlamentskammer, um „die Bereitschaft zum Kompromiß“[5] und zu Zugeständnissen zu erhöhen.

Eine zweite Kammer soll also dem Schutz von Minderheiten bzw. Partikularinteressen dienen. Diese Minderheiten können etwa ständische (wie im britischen House of Lords), berufsständische (wie im irischen Seanad) oder auch ethnische sein. Am häufigsten bilden die zweiten Kammern jedoch territoriale Interessen ab.

Literatur

Der Institution zweite Kammer wird bisher in der politikwissenschaftlichen Literatur verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Haas spricht gar von einer „stiefmütterlichen Behandlung der Thematik“.[2]:12 Einen thematischen Überblick bietet

  • Gisela Riescher, Sabine Russ, Christoph M. Haas (Hrsg.); Gisela Riescher, Sabine Russ, Christoph M. Haas (Hrsg.): Zweite Kammern. 1. Auflage. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München/Wien 2000, ISBN 3-486-25089-2. 

Eingebettet in eine allgemeine Betrachtung der Funktionsweisen, Eigenschaften und Probleme zweiter Kammern, haben die drei Herausgeber exemplarisch 18 Länder ausgewählt, deren zweite Kammern von verschiedenen Autoren en détail vorgestellt werden. Weitere vergleichende Untersuchungen liefern etwa

  • Dominik Hanf: Bundesstaat ohne Bundesrat? Die Mitwirkung der Glieder und die Rolle zweiter Kammern in evolutiven und devolutiven Bundesstaaten. Nomos, Baden-Baden 1999.
  • Ulrich Karpen (Hrsg.): Role and Function of the Second Chamber. Proceedings of the Third Congress of the European Association of Legislation (EAL). Nomos, Baden-Baden 1999.
  • Samuel C. Patterson, Anthony Mughan (Hrsg.): Senates. Bicameralism in the Contemporary World. Ohio State University Press, Columbus, OH 1999.

Einzelnachweise

  1. Russell, Meg. 2001. „What are Second Chambers for?“ Parliamentary Affairs 54 (3). S. 444.
  2. a b c d e f Christoph M. Haas: „Sein oder nicht sein: Bikameralismus und die Funktion Zweiter Kammern.“ In: Gisela Riescher, Sabine Russ, Christoph M. Haas (Hrsg.); Gisela Riescher, Sabine Russ, Christoph M. Haas (Hrsg.): Zweite Kammern. 1. Auflage. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München/Wien 2000, ISBN 3-486-25089-2. 
  3. a b Meg Russell: „What are Second Chambers for?“ Parliamentary Affairs 54 (3) 2001. S. 442.
  4. Gisela Riescher, Sabine Russ, Christoph M. Haas (Hrsg.); Gisela Riescher, Sabine Russ, Christoph M. Haas (Hrsg.): Zweite Kammern. 1. Auflage. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München/Wien 2000, ISBN 3-486-25089-2.  S. 382.
  5. John Stuart Mill: Betrachtungen über die repräsentative Demokratie. Schoeningh, Paderborn 1971. S. 202.

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